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Ausgabe:

Juli/August/2014

Spalte:

929–931

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Bedford-Strohm, Heinrich, Höhne, Florian, and Tobias Reitmeier[Eds]

Titel/Untertitel:

Contextuality and Intercontextuality in Public Theology. Proceedings from the Bamberg Conference 23.–25.06.2011.

Verlag:

Münster u. a.: LIT Verlag 2012. 368. S. = Theologie in der Öffentlichkeit, 4. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-643-90189-7.

Rezensent:

Beat Büchi

28 Menschen, 10 Frauen und 18 Männer, haben zu diesem Sammelband beigetragen. Sie entstammen Ländern wie Deutschland, Südafrika, Schweiz, England, Brasilien, Neuseeland, Australien, USA, Ungarn, Taiwan, Schottland oder Österreich. Größtenteils gehören die Verfasser reformatorischen Traditionen an. Dabei gehen die in englischer Sprache verfassten Beiträge auf eine Tagung in Bamberg 2011 zurück. Die vier thematischen Kapitel des Sammelbandes möchte ich einzeln besprechen.
Part I: Intercontextuality – Searching for »Public Theology«: Die sechs Beiträge in Teil I sind sich in begriffsgeschichtlicher Hinsicht einig. Der Begriff »Public Theology/Öffentliche Theologie« hat keinen singulären Ursprung, sondern entstammt verschiedenen Kontexten und bezeichnet jeweils andersgeartete Phänomene. Die Verfasser sind folglich um eine Ordnung des Phänomens »Öffentlicher Theologie« bemüht. Historisch-deskriptive und normativ-systematische Zugänge wechseln sich dabei ab.
Größtenteils deskriptiv geht Dirk J. Smit vor, wenn er die Herkunft und Entwicklung der »Öffentlichen Theologie« anhand von sechs Traditionslinien erörtert: Die erste verdankt sich der von Martin Marty 1974 verwendeten Terminologie »Public Theology« für den in Nordamerika verbreiteten Diskurs der »Civil Religion«. Eine zweite knüpft an ein Anliegen von David Tracy an, das er 1975 im Artikel »Theology as Public Discourse« nennt. Hier wird die me­thodische Frage gestellt, ob und wie Theologie Bestandteil eines öffentlichen pluralitätsbestimmten Diskurses sein kann. Mit der eingeführten Unterscheidung dreier Öffentlichkeiten – die kirchliche, akademische und gesellschaftliche – hat sich diese Richtung der differenzierenden Beschreibung von Öffentlichkeiten gewidmet. Die dritte Entwicklungslinie verbindet Smit mit der deutschsprachigen »Öffentlichen Theologie« von Wolfgang Huber. Smit stellt Huber als repräsentative Figur dieser Tradition dar, insbesondere aufgrund von dessen Habilitationsschrift »Kirche und Öffentlichkeit«. Das Merkmal dieser Richtung ist ihr Plädoyer für eine Kirche, die die Interaktion mit und in verschiedenen Öffentlichkeiten aktiv sucht. Die vierte Richtung verortet sich im Erbe von Traditionen, die aus gesellschaftsöffentlichen »Befreiungskämpfen« herausgewachsen sind, wie die Spielarten unterschiedlicher Befreiungstheologien, Schwarzer Theologie oder der Feministischen Theologie. Die fünfte Geschichte kann als theologische Reaktion auf die Globalisierung gedeutet werden. Die ökumenische Bewegung wird als ein Bestandteil dieser Form öffentlicher Theologie angesehen. Die sechste Tradition mit dem Titel »Theology and the Public Return of the Religious« nimmt eine kritische Perspektive auf die Säkularisierungsthese ein. »Religion« wird als wichtiger öffentlicher Faktor interpretiert. Im normativen Sinne fordert dies zum interreligiösen Diskurs auf.
Einen normativen Zugang bieten Christine Lienemann-Perrin und Wolfgang Lienemann. Sie benennen die »Essentials« interkontextueller öffentlicher Theologie: »The common characteristic is the intention of influencing the ongoing debates about public affairs from the respective religious point of view«. Dabei soll christlich-öffentliche Theologie im Kontext lokaler wie globaler weltanschaulicher Pluralität nach der universellen Gültigkeit von Normen und Werten fragen.Die interkontextuelle Einheit öffentlicher Theologie wird genauer vierfach bestimmt: Danach ist alle öffentliche Theologie erstens bewusst kontextuelle Theologie, weiß sich zweitens mit einer Pluralität theologischer Deutungen in der eigenen Theologietradition konfrontiert und durch den Kontakt mit anderen weltanschaulichen Traditionsträgern herausgefordert, engagiert sich drittens im bestimmten Rahmen einer gesellschaftlichen Öffentlichkeit und trachtet viertens danach, aufgrund der vorhergehenden dritten Bestimmung, wissenschaftlich-interdisziplinär aufgeschlossen und anschlussfähig zu sein.
Gute Orientierung leistet auch James Haires Kategorisierung öffentlicher Theologien in sechs Modelle: »public theology as theology as such, as theology in public, as theology for the public, as theology to constitute a new public, as theology contributing to public life, as universal theology«. – Der erste Teil bietet insgesamt gelungene begriffliche Klärungen und phänomenologische Be­schreibungen »Öffentlicher Theologie«.
Part II: Contextuality in Public Theology: Neun Fallbeispiele öffentlicher Theologien aus ganz unterschiedlichen Weltgebieten werden hier präsentiert. Diese bilden sowohl die Vielfalt methodischer Zugänge als auch die konstitutive Dimension von Kontextualität für jede Form öffentlicher Theologie ab. Alle Autoren widmen sich der Gesellschaftsanalyse. Diese sind jeweils sorgfältig ausgeführt und um eine differenzierte Darstellung bemüht. Der Reiz dieses Kapitels liegt in der genauen Wahrnehmung der produktiven Vermittlung eines Kontextes mit einer überkommenen Theologietradition.
Part III: Theology in Context: An die Kategorisierung Haires im ersten Kapitel anknüpfend, könnten die sechs Beiträge in diesem Kapitel als »theology contributing to public life« und als »theology to constitute a new public« begriffen werden.
Helga Kuhlmann beantwortet im ersten Artikel die interreligiöse Frage »Can we pray together in public?« positiv und versucht verschiedene Möglichkeiten und Grenzen interreligiösen Betens aufzuzeigen. Ein gelungener Beitrag.
Das ethische Anliegen des rechtstheologischen Aufsatzes von Tasi Perkins teile ich. Allerdings ist mir Perkins mit der geradlinigen monokausalen Herleitung der Vorherrschaft des modernen strafrechtlichen Paradigmas (Retributive Jurisprudence) im amerikanischen Kontext im Rechtsverständnis der Satisfaktionslehre Anselm von Canterburys und deren protestantischen Rezeptionsgeschichte zu vereindeutigend. Wären hier nicht auch noch ganz andere Wirkfaktoren für die Rechtstradition, die an der Bestrafung von Täterschaft orientiert und interessiert ist, vorzustellen? Inhaltlich gehe ich damit einig, dass das Paradigma der »Restorative Jus-tice« gegenüber einem strafrechtlichen Paradigma theologisch stark zu machen ist. Das Paradigma der »Restorative Justice« ist nicht primär auf die Bestrafung der Täterschaft fokussiert, sondern teleologisch an der Hoffnung auf Versöhnung und Heilung und in der Rechtsprechung insbesondere an der Wahrnehmung der Opfer orientiert.
Part IV: Widening the Horizon of Public Theology: Die visionären Perspektiven zukünftiger öffentlich-theologischer Theorie und Praxis in Teil 4 machen Mut und Lust, sich der Bewegung anzuschließen. Hier wird die Aufgabe systematischer und methodischer Klärungen erfüllt. Michael Welker beispielsweise bestimmt die Aufgabe öffentlicher Theologie anhand des dreifachen Amtes Christi – ein leistungsstarker Zugang, den auch schon Nico Koopmann im zweiten Kapitel wählte. Eva Harasta will mit dem Kunstbegriff »Glocal«, einer Verschmelzung von »Global« und »Local«, die Einheit von Kontextualität und Interkontextualität theologischer Arbeit benennen. Eine kreative begriffliche Hilfestellung.
Das Kapitel 4 könnte für die Arbeit im Rahmen des 2007 gegründeten »Global Network for Public Theology (GNPT)« richtungsweisend sein. In dieser akademischen Bewegung ist der Sammelband auch angesiedelt. Ich empfehle diesen Band allen, die sich über öffentliche Theologie informieren und an ihr mitwirken wollen. Für den deutschsprachigen akademischen Raum ist zu hoffen, dass die Anregungen der »Öffentlichen Theologie« eine kritische Funktion für eine auf die akademische Öffentlichkeit verengte universitäre Theologie entfalten können, um so den intentionalen Adressaten- und Interaktionshorizont von Theologie, nicht nur inhaltlich, sondern auch der Form nach, auf eine erweiterte Öffentlichkeit hin auszurichten.