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Ausgabe:

Juli/August/2014

Spalte:

926–928

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Peetz, Katharina

Titel/Untertitel:

Der Dawkins-Diskurs in Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. 335 S. m. 9 Abb. = Religion, Theologie und Naturwissenschaft, 28. Geb. EUR 69,99. ISBN 978-3-525-57026-5.

Rezensent:

Hans-Dieter Mutschler

Richard Dawkins ist für unsere Zeit, was Ernst Haeckel für das 19. Jh. war. Beides glänzende Biologen, aber auch Weltanschauungsproduzenten mit antireligiöser Grundstimmung. Haeckel gründete seinerzeit den Monistenbund und ließ sich in Rom zum materialistischen Gegenpapst krönen. Eine solche Art von Selbstüberschätzung ist auch Dawkins nicht fremd, so dass er insbesondere mit seinem Buch Der Gotteswahn einen regelrechten Medienhype hervorrief.
Die Theologin Katharina Peetz unternimmt es nun, den »Dawkins-Diskurs« nach den drei Kategorien der Naturwissenschaft, Philosophie und Theologie aufzuschlüsseln. Zu diesem Zweck untersucht sie vornehmlich Autoren, die in diesen drei Gebieten arbeiten und sich explizit auf Dawkins beziehen. Sie gibt eine Liste von Naturwissenschaftlern, Philosophen und Theologen an, deren Aussagen dann im Weiteren dargestellt, analysiert und kritisiert werden.
Das Buch stellt in einem ersten Teil Dawkins’ Werk selbst dar, so dass man auf etwa 70 Seiten einen guten Überblick gewinnt. In einem zweiten Teil wird der Dawkins-Diskurs dargestellt etwa, wie sich Dawkins’ Weltsicht in den verschiedenen Wissenschaften spiegelt, wie diese sich auf seine Religionskritik, seine Lehre vom »egois­tischen Gen«, sein Mem-Konzept, seine Moralerklärung usw. beziehen. Großen Wert legt P. auf die dabei verwendeten »Diskurs-Strategien«, ob man etwa auf Alternativen zu Dawkins’ Thesen auf­merksam macht, um sie zu relativieren, oder ob man diese Relativierung durch historische Kontextualisierung zustande bringt, ob man auf metatheoretische Überlegungen rekurriert usw. Weiter analysiert sie die zeiträumlichen Aspekte des Umgangs mit Dawkins’ Werk, je nach der Phase seiner Entwicklung oder nach geographischen Zu­sammenhängen. Ein dritter Teil schließlich bewertet den so dargestellten Dawkins-Diskurs in seinen verschiedenen Facetten.
Um es kurz zu machen: Die Arbeit ist misslungen und zwar vom Ansatz her. Dawkins Werk schreibt sich ein in den größeren Kontext des Naturalismus seit dem Wiener Kreis. Obwohl Dawkins außerordentlich naiv vorgeht, was die wissenschaftstheoretischen und philosophischen Hintergründe seines Werkes anbelangt, die explizit nicht zur Geltung kommen, so bewegt er sich doch sachlich auf diesem Terrain und müsste von dorther dargestellt und beurteilt werden. Demgegenüber fällt der »Dawkins-Diskurs« oft schlicht deshalb ab, weil sowohl namhafte Befürworter als auch Gegner des Naturalismus keine große Lust verspüren, sich mit einem Phänomen zu beschäftigen, das – wie Haeckels Monismus – sein Verfallsdatum auf der Stirn trägt.
Um ein Beispiel vorweg zu geben: Der Philosoph, der in dieser Arbeit am häufigsten erwähnt wird, ist Daniel Dennett. Aber Dennett ist ebenfalls ein Weltanschauungsproduzent, der glücklich ist über einen Kompagnon, aber seinerseits nicht sehr gründlich argumentiert. Ob ein Philosoph gründlich argumentiert oder nicht, hängt nicht an seiner Weltanschauung. So ist z. B. John Searle dezidierter Naturalist, hat aber einschlägig zum Thema »Intentionalität« gearbeitet. Weil er jedoch nichts zu Dawkins gesagt hat, kommen seine Grundsatzüberlegungen in diesem Buch nicht vor. Nun hat aber Searle Wesentliches zu der Differenz zwischen dem »Reich der Ursachen« und dem »Reich der Gründe« beigetragen. Von solchen fundamentalen Unterscheidungen her wäre das Werk Dawkins’ zu prüfen. Aber solche Grundunterscheidungen fehlen auch sonst in dieser Arbeit, eben weil sie sich auf Autoren be­schränkt, die unmittelbar zu Dawkins gearbeitet haben, und das sind zu­meist nicht die, die in den entsprechenden Grundlagenproblemen zu­hause sind oder, was schlimmer ist, P. nimmt sie in dieser Hinsicht nicht zur Kenntnis.
Stattdessen referiert sie mikrologisch, was der oder jener gesagt hat, wertet die Argumente rein formal nach den oben genannten Kriterien, die aber keine Auskunft darüber geben, welches Gewicht ein Argument hat, denn es ist ja ohne Weiteres verträglich, dass ein Argument nach ihren Kriterien korrekt ist, aber völlig belanglos. Dementsprechend finden sich im Text neben belanglosen Argumenten zufällig auch gewichtige, ohne dass dies kenntlich ge­macht würde.
Hinzu kommt, dass die Einteilung nach den drei genannten Kategorien der Wissenschaften in diesem Fall nichts austrägt. Weil sich Dawkins im Bereich all dieser Wissenschaften zugleich be­wegt, tun das seine Kommentatoren auch. Das heißt: Es nützt nichts zu unterscheiden, ob ein Theologe oder ein Biologe spricht, beide können sich ohne Weiteres zum jeweils anderen Fachgebiet äußern. Auf diese Weise entsteht ein buntes Durcheinander von Meinungen, die den Leser verwirren. Das Unangemessene dieser Dreiteilung zeigt sich auch darin, dass P. Jan Barbour z. B. zu den Biologen rechnet, wo er doch zugleich Theologe vom Fach ist, sich in Philosophie glänzend auskennt und daher nicht einfach nur in diese besondere Kategorie hineingehört.
Das Instrumentarium, das sich in der Diskussion um den Naturalismus allgemein durchgesetzt hat, fehlt hier, so etwa die bereits erwähnte Unterscheidung zwischen einem »Reich der Ursachen« und einem »Reich der Gründe«. Es fehlen Reflexionen zum Supervenienzprinzip, zum Prinzip der kausalen Geschlossenheit der Welt, zur Emergenz, zum Teleologieproblem und vor allem zur Metaphysik. Ganz besonders erstaunlich ist, dass die Systembiologie nur am Rande erwähnt wird, wo sie doch die Gegeninstanz von Dawkins’ »egoistischem Gen« ist. Dies ist umso erstaunlicher, als dass die Arbeit den Theologen Philip Clayton sehr häufig zitiert, der immerhin zwei Bücher zum Emergenzproblem geschrieben hat, von denen eins sogar in der Literaturliste vorkommt.
Gravierender noch ist der Fall John Dupré. Dupré gilt als einer der besten Philosophen der Biologie, wird hier aber nur als einer dargestellt, der Dawkins’ Weltanschauung gutheißt. Nun ist dies aber die schwächste Seite von Dupré. Bedeutender sind seine Beiträge zur Philosophie der Biologie, wo er mit guten Argumenten die kausale Geschlossenheit der Welt oder das Supervenienzprinzip im Verhältnis zwischen Chemie und Biologie bestreitet. Allein dies würde Dawkins’ Naturalismus den Boden entziehen.
Vielleicht am gravierendsten ist die Abwesenheit von metaphysischen Grundsatzüberlegungen, denn daran hängt alles. Immerhin wird im Text mehrfach auf Jan Barbour Bezug genommen. Barbour hat die Metaphysik als ein notwendiges Scharnier zwischen Naturwissenschaft und Theologie dargestellt und im Sinne einer Whiteheadschen Prozessmetaphysik ausgestaltet. Obwohl P. im­mer wieder darauf verweist, dass man diese Gegensätze nicht nur methodologisch behandeln sollte, sondern inhaltlich, fehlen in der Arbeit metaphysische Grundsatzüberlegungen einfach deshalb, weil sich die meisten der von ihr behandelten Autoren solche Überlegungen erspart haben. Auf diese Art nimmt man sich die Mög lichkeit, die materialistisch-monistische Metaphysik Dawkins’ her­auszuarbeiten und zu beurteilen.
Leider ließe sich diese Liste noch beträchtlich verlängern, z. B. in den Bereich der Leib-Seele- oder Gehirn-Geist-Debatte usw., aber eine Frage, die sich bei der Lektüre dieser Arbeit stellt, scheint doch diese: Es handelt sich um eine Promotion. Promotionen sind Gesellenstücke, mit deren Hilfe der Doktorand zeigt, dass er auf der Höhe der Forschung ist, um dort etwas beizutragen. Weil aber der Doktorand erst auf dieses Niveau kommen muss, braucht er Un­terstützung. Die scheint hier gefehlt zu haben. Ein in diesem Felde erfahrener Hochschullehrer müsste gesehen haben, dass die hier verwendeten Einteilungsprinzipien, die Problematik (vielleicht auch Stärke) von Dawkins’ Überlegungen gar nicht zur Geltung bringen können, denn wer will schon wissen, was Herr XY zu Dawkins gesagt hat?