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Ausgabe:

Juli/August/2014

Spalte:

913–914

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Kern, Bruno

Titel/Untertitel:

Theologie der Befreiung.

Verlag:

Tübingen: A. Francke Verlag 2013. 144 S. = UTB 4027. Kart. EUR 12,99. ISBN 978-3-8252-4027-1.

Rezensent:

Ulrich Duchrow

Dieses Buch von Bruno Kern ist ein Meisterwerk – mit souveräner Sachkenntnis, gut lesbar und mit pädagogischem Eros geschrieben. In sechs Teilen stellt es die Voraussetzungen, Selbstverständnis und Methode, die sozialanalytische und hermeneutische Vermittlung, die Themen Gott-Götze, Christologie und Reich Gottes, sowie die Entwicklung der Befreiungstheologie zur Ökotheologie dar. Den Schluss bilden Kurzporträts ihrer bedeutenden Vertreter und eine Chronologie der Entwicklung.
Die Theologie der Befreiung wird nicht als Genitivtheologie, also eine spezielle Abteilung der Theologie, wahrgenommen, sondern als eine grundsätzlich neue Weise, überhaupt Theologie zu treiben. Sie bedeutet einen Bruch mit der nachkonstantinische Kirche und Theologie, die sich mit Hilfe griechischer Metaphysik an die herrschenden politisch-ökonomischen Mächte angepasst hatte. Die Basis dafür ist eine Re-Lektüre der Bibel im Geist der Prophetie und der jesuanischen Reich Gottes-Botschaft.
K. nimmt seinen Ausgangspunkt bei der Definition eines der Väter der Theologie der Befreiung, Gustavo Gutiérrez, nach der diese die »kritische, im Licht des Wortes ausgeübte Reflexion über die historische Praxis« ist. »Die vom Glauben motivierte gesellschaftspolitische Praxis wird hier zum theologischen Ort, zum methodischen Ausgangspunkt und zum Kriterium der Theologie«. Dem entspricht die bekannte methodische Herangehensweise der Theologie der Befreiung: sehen, urteilen, handeln. Dabei ist gegenüber der europäischen »politischen Theologie« wichtig, dass das Sehen kohärente Sozialanalyse enthält. Beim Urteilen ist die »Option für die Armen« grundlegend, und zwar nicht karitativ, sondern so, dass die Armen selbst Subjekt sind bzw. werden. So »wird die Befreiungstheologie dem bibeltheologischen Befund gerecht, der die Parteilichkeit Gottes für die faktisch vom Leben Ausgeschlossenen bezeugt«. Gerade da­durch wird der universale Heilswille Gottes zum Ausdruck ge­bracht, weil dieser nicht universal wäre, wenn nicht die gesellschaftlich Marginalisierten zu ihrem Recht kämen. Befreiung ist deshalb ganzheitlich und nicht nur individuell zu verstehen, insofern die Macht der Sünde, von der Gott befreit, strukturell geworden ist und damit nicht nur persönlich, sondern gesamtgesellschaftlich überwunden werden muss.
Dass es hierbei nicht primär um Ethik, sondern um Theologie geht, zeigt die Analyse des herrschenden kapitalistischen Systems. Dieses macht aus handelnden Menschen Objekte der ehernen Gesetze des Marktes, was Max Weber als »herrenlose Sklaverei« beschreibt. Marx spricht vom Fetischcharakter von Ware, Geld und Kapital. Diesen bezieht die Theologie der Befreiung auf das biblische Konzept der Götzen. Beide, Fetisch und Götze, unterdrücken und fordern Menschenopfer. Entsprechend wird Jesus Christus verstanden als Befreier der Unterdrückten. An ihn zu glauben, schließt damit Engagement für die Befreiung der Unterdrückten ein. So ist Nachfolge Jesu die notwendige Voraussetzung für theologische Arbeit. Damit wird Theologietreiben gefährlich, da genau dieser Einsatz der vom römischen System Unterdrückten Jesus ans Kreuz gebracht hat. Entsprechend hat der Kampf der Befreiungstheologie an der Seite des unterdrückten Volkes viele von ihnen zu Märtyrern durch die Hand der in ihren Ländern Mächtigen in Kooperation mit den USA gemacht. Erzbischof Romero, Ignacio Ellcuria und die Maryknollschwestern in El Salvador sind die bekanntesten unter ihnen. Sie haben bewiesen, dass das Reich Gottes nicht nur alle Bemühungen um die Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen und Erde (Utopien) relativiert, sondern den an die Auferstehung des Gekreuzigten Glaubenden auch ermöglicht, Realgeschichte zu verändern.
Das Buch behandelt zwar vor allem die lateinamerikanische Theologie der Befreiung, verweist aber auf Literatur zu ihrer Ausprägung in anderen Kontinenten und anderen Religionen. Es ist allen Studierenden, Lehrenden und für Gerechtigkeit, Frieden und Befreiung der Schöpfung Engagierten dringend zu empfehlen.