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Ausgabe:

Juli/August/2014

Spalte:

891–893

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Krumbiegel, Friedemann

Titel/Untertitel:

Erziehung in den Pastoralbriefen. Ein Konzept zur Konsolidierung der Gemeinden.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013. 373 S. = Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, 44. Geb. EUR 48,00. ISBN 978-3-374-03164-1.

Rezensent:

Karl-Heinrich Ostmeyer

Friedemann Krumbiegel nimmt in seiner durch Hermann von Lips betreuten und von der theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg angenommenen Dissertation einen Aspekt der Pastoralbriefe in den Blick, der bisher noch nicht im Mittelpunkt einer monographischen Untersuchung stand. K. widmet sich umfassend dem Bildungs- und Erziehungsgedanken in den drei Pseudopaulinen und fragt nach dessen Funktion für die empfangenden Gemeinden.
K. geht aus »von einer sachlichen Zusammengehörigkeit der drei Pastoralbriefe« (30). Wesentlich für seine Untersuchung ist die von ihm festgestellte »einheitliche Verwendung der Paideia-Wortgruppe« (21, vgl. 276 f.) in den drei Schreiben. Besonderheiten insbesondere des zweiten Timotheusbriefes werden benannt (82.93–96.120), ohne dass auf einen eigenen Autor geschlossen wird.
K. gliedert seine Untersuchung in neun Hauptabschnitte. Dem inhaltlichen Hauptteil werden drei einführende Kapitel vorgeschaltet: In einer allgemeinen Einführung (I., 13–32) gibt K. einen knapp gehaltenen Forschungsüberblick über die Erziehung im Neuen Testament im Allgemeinen und in den Pastoralbriefen im Besonderen und geht ein auf den nachreformatorischen Gebrauch der Briefgruppe als Empfehlung für Studenten der Theologie. Daran anschließend legt K. in einer textsemantischen Analyse des Paideia-Wortfeldes (II., 33–78) die Basis für seine Untersuchung. Im Abschnitt über die Kommunikationsstruktur der Erziehung (III., 79–119) ist für den Fortgang der Untersuchung insbesondere die Differenzierung zwischen Haus (Oikos) und Gemeinde (Ekklesia) von Bedeutung.
Im Mittelpunkt der Monographie stehen die Subjekte der Er-ziehung und die Bereiche, in denen Bildung/Erziehung geschieht: IV. Erziehung im Haus (120–154), V. Erziehung in der Gemeinde (155–245), VI. Göttliche Erziehung (246–275) und VII. Auswertung (276–293).
Den Abschluss bilden zwei Kapitel, in denen K. eingeht auf die Verknüpfungen mit den paulinischen Homologumena auf der einen Seite (VIII., 294–318) und auf Nachwirkungen, Parallelen oder Unterschiede in der frühchristlichen Literatur vom ersten Clemensbrief bis zu Clemens Alexandrinus auf der anderen (XI., 319–348).
Indem K. die Pastoralbriefe konsequent unter dem Aspekt der Erziehung und Bildung analysiert, gelingt es ihm, einen neuen Zugang zu den Schreiben zu eröffnen. Er beleuchtet deren Rolle in der Phase des Übergangs zwischen Paulus und den frühen Kirchenlehrern. K. sieht die zentrale Funktion der Pastoralbriefe in der Stabilisierung der Gemeinden nach dem Tod des Paulus: Die Abwesenheit des Heidenapostels soll durch die Lehre seiner Schüler kompensiert werden (282). »Damit begegnen die Pastoralbriefe dem Verlust an Kontinuität, Integrationsfähigkeit und Identitätsbildung, der den Gemeinden im zunehmenden Abstand zu Paulus droht« (17).
Dass die junge Kirche sich etablieren konnte, hing maßgeblich ab von der Tradierung der Lehre Christi und der Apostel. K. analysiert mit Recht diesen Prozess der Weitergabe als ein Bildungs- und Erziehungsgeschehen, das den einzelnen Gläubigen, seine Familie wie auch die Gemeinde umfassend einbezog.
Die »originale Leistung« der Pastoralbriefe liege in dem Konzept göttlicher Erziehung (271 f.). Sie stellt K. in den Mittelpunkt der Monographie (246–275). Gott erscheine selbst als Erzieher (45 f.) und realisiere das offenbarte Heil durch die Erziehung der Gläubigen (266). Erziehung vollziehe sich durch Heil (267–270) zum Heil (270 f.). Letztlich gehe es um die Bewahrung und die Verwirklichung des Heilsstandes bis zum Anbruch des kommenden Äons (270 f.). Die Aufforderung zur unmittelbaren Nachahmung Christi fehle in den Pastoralbriefen (312).
Bildung beziehe sich nicht allein auf die Erziehung von Kindern oder von neu Hinzugekommenen, sondern sei als »lebenslanger Prozess« (16) und als konstituierendes Moment der Gemeinde zu verstehen. Innerhalb dieses Bildungskontinuums kämen der Fa­milie (dem »Haus«) und der Gemeinde unterschiedliche Funktionen zu. K. argumentiert, dass »das Haus« nicht notwendig zu­gleich der Versammlungsort der Gemeinde gewesen sei (116 f.). Beide Bereiche seien getrennt gewesen – bei Personalunion ihrer Mit­glieder (149; vgl. 284). Die Erziehung von Kindern ist im We­sentlichen an Ersteres gebunden.
Aufgabe der Frau sei es gewesen, im Haus die Kinder mit zu erziehen; in der Gemeinde dagegen habe sie nicht lehrend tätig werden sollen (vgl. 1Tim 2,9–15; 139–142). Unterschiedlichen Funktionsträgern der Gemeinde (Bischof, Presbyter, Diakon), Gruppen oder Ständen seien jeweils verschiedene Erziehungsaufgaben zugekommen (156–176), wobei die Grenzen nicht immer klar zu ziehen seien (156). Konsequent stellt K. das Bildungsgeschehen in der Gemeinde als einen Raum des Heils dar (280–282). Notorische und ermahnungsresistente Irrlehrer seien aus der Gemeinde zu entfernen gewesen (176).
Im Anschluss an die Darstellung des Erziehungskonzeptes der Pastoralbriefe analysiert K. deren Bezüge zu den unumstrittenen Paulusbriefen (294–318). Für den die Parusie erwartenden Paulus sei die Entwicklung eines komplexen Bildungskonzeptes in der Gründungsphase der Gemeinden noch nicht in gleichem Maße wie in den Pastoralbriefen im Blick gewesen (316 f.). Erziehung sei für Paulus nur eines der Elemente seiner Theologie gewesen, dem, wie K. plausibel macht, »ein geschlossenes Erziehungskonzept in den Pastoralbriefen« (317) gegenübergestellt worden sei. Dem Verfasser der Pastoralbriefe habe Paulus als »Besitzer und Verwalter der Lehre« gegolten, jedoch nicht als aktiver Lehrer (101). Durch seine Wandlung vom Lästerer zum Lehrer der Heiden verkörpere Paulus selbst ein Vorbild (223.228): Ähnlich seien auch Irrlehrer für die Gemeinde (zurück-)zugewinnen (202).
Für die Beziehung der Briefe des Corpus Paulinum untereinander ist von Interesse, dass – nach Auffassung K.s – Eph und Kol mit Blick auf den Bildungsgedanken keine Brücke zwischen den unumstrittenen Paulusbriefen und den Pastoralbriefen bildeten (317).
K. fragt im abschließenden Kapitel (319–348) nach dem Fortgang des Bildungskonzeptes der Pastoralbriefe in der frühchristlichen Literatur. Der Abschnitt verdeutlicht noch einmal die Sonderstellung der Pastoralbriefe hinsichtlich ihrer Bildungskonzeption. Da sich keine eindeutige Linie von den Pastoralbriefen zu den frühen Kirchenvätern ziehen lässt, hat das Kapitel für das Verständnis der Erziehungskonzeption in den Pastoralbriefen nur begrenzten Wert.
Das Buch schließt mit einem Literaturverzeichnis (350–373). Während für die einzelnen Termini des Paideia-Wortfeldes um­fangreiche Listen geboten werden (56–73.77 f.298–303), fehlen leider für die Monographie als Ganze Stellen- und Sachregister. Die Silbentrennung griechischer Wörter ist durchgängig fehlerhaft.
Das Verdienst der Monographie sehe ich in der differenzierten und materialreichen Darstellung des Erziehungsgedankens in den Pastoralbriefen als eines lebenslangen und alle Bereiche der Exis­tenz umfassenden Prozesses (16), der seine Basis in Gott als Erzieher findet: Das von Gott den Gläubigen zugeeignete Heil realisiert sich in der Erziehung und durch die Erziehung. K. hat plausibel herausgearbeitet, dass den Pastoralbriefen eine zentrale Funktion für die Weitergabe der Lehre und bei der Stabilisierung der Ge­meinden in der Zeit nach und ohne Paulus zukommt.