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Ausgabe:

Juli/August/2014

Spalte:

886–888

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Burkhalter, Stefan

Titel/Untertitel:

Die johanneischen Abschiedsreden Jesu. Eine Auslegung von Joh 13–17 unter besonderer Berücksichtigung der Textstruktur.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2013. 368 S. = Judentum und Christentum, 20. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-17-023263-1.

Rezensent:

Johannes Beutler

In den letzten zwei Jahrzehnten lässt sich auch im deutschen Sprachraum die zunehmende Tendenz erkennen, neutestamentliche Texte synchron, d. h. textimmanent auszulegen. Dabei gibt es in der Johannesexegese zwei Spielarten. Einige Autoren bestreiten jeglichen Wachstumsprozess bei der Entstehung des Vierten Evangeliums und legen dieses Evangelium schon aus diesem Grunde synchron aus. Der bekannteste Vertreter dieses Ansatzes ist Hartwig Thyen in seinem großangelegten Johanneskommentar (Tü­bingen 2005) und in zahlreichen begleitenden Studien. Andere Autoren sehen von Wachstumsprozessen innerhalb des Textes ab und legen diesen Text mit den Mitteln der Sprachwissenschaft aus. Zu dieser Autorengruppe ist wohl Stefan Burkhalter, der Autor dieser Basler Dissertation zu rechnen. Er beschränkt seine Studie auf die johanneischen Abschiedsreden und versucht diese in der vorliegenden Gestalt mit sprachwissenschaftlichen Mitteln auszulegen. Freilich geht B. über diesen Ansatz insofern hinaus, als er einen Wachstumsprozess innerhalb der Abschiedsreden ausschließt. Selbst die auffällige Zäsur in Joh 14,31 »Steht auf, lasst uns von hier fortgehen«, die an eine Fortsetzung des ursprünglichen Textes in Joh 18,1 denken lässt, wird nicht als ein Signal für literarische Schichtung gewertet, sondern B. denkt sich (166–168) die Reden Jesu von Joh 15–16 und sein Gebet in Joh 17 auf dem Weg vom Ort des Abendessens zum Kidron gesprochen (ein Vorschlag, den seinerzeit 1890 B. F. Westcott gemacht hatte, der in der Folge aber kaum Nachahmer fand).
Doch damit sind wir schon beim Inhalt der vorgelegten Studie. In einer »Hinführung« (Teil I) werden die Leser mit dem Thema der vorgelegten Arbeit, mit der Abgrenzung des gewählten Textabschnittes und mit einer ersten Orientierung am Text vertraut gemacht. Bereits hier ordnet B. seine Studie in den gegenwärtigen Diskurs ein und unterbreitet seinen Vorschlag, in Joh 13–17 eine konzentrische Struktur zu erkennen, die sich um den Kerntext Joh 15,1–17 herum aufbaut mit Joh 13,1–35 und Joh 17 als Rahmentexten, die untereinander starke Verwandtschaft aufweisen. Von dieser Beobachtung ermutigt, erkennt B. dann auch Entsprechungen zwischen Joh 13,36–38 einerseits und 16,29–33 anderseits (hier stehen die Jünger im Vordergrund), dann zwischen 14,1–14 und 16,16–28 (hier begegnet dominant der »Vater«), anschließend Joh 14,15–26 in Entsprechung zu 16,4b–15 (vorherrschendes Thema der Paraklet) und schließlich Joh 14,27–31 in Entsprechung zu 15,18–16,4a (u. a. das Thema der »Welt«).
Die genannten Entsprechungen werden von B. dann in zwei Durchläufen aufgezeigt. In Kapitel III des ersten Hauptteils »Joh 13–17 als literarisches Kunstwerk – Analyse der Textblöcke« wird eher kursorisch der Vergleich zwischen den als einander entsprechend angesehenen Textblöcken durchgeführt, in Teil II »Inhaltlich-kommentierende Darlegung zu Joh 13–17« geht B. den Entsprechungen dann mehr im Einzelnen nach. Am Schluss folgen in Teil III »Gedanken zum historischen Ort des Johannes-Evangeliums« vor einem »Ausblick« in Teil IV. Historisch sieht B. das Johannesevangelium nach dem Zeugnis der Abschiedsreden bestimmt durch die Bedrohung von außen und durch den Verfall von innen her. Im »Ausblick« (325–337) kennzeichnet B. den Verfasser der Re­den als »Künstler, Seelenleiter und Ehrenmann« (wohl nicht ganz ohne persönliche Vorlieben) und seine Aussageabsicht vom Rahmen der Reden her als Plädoyer für das »Voraus« Gottes, das Leben von Christus her ermöglicht, und für eine »Theologie der Annahme«. Das Zentrum der Abschiedsreden verweist auf »Innige Ge­meinschaft und Einssein mit Gott als Ziel der Weltgeschichte«, auf »Menschliche Verantwortung: Bleiben!« und auf »Sammeln von Frucht zum ewigen Leben«.
Die Johannesforschung lebt von der Pluralität der methodischen Ansätze. Schon aus diesem Grunde ist der hier vorgelegte Diskussionsbeitrag zu begrüßen. Bisherige Versuche, einen konzentrischen bzw. chiastischen Aufbau der johanneischen Ab­schiedsreden aufzuzeigen, werden von B. vorgestellt und kritisch analysiert (44–47). Bereits hier zeigt sich die Schwierigkeit, solche Strukturentwürfe überzeugend auszuweisen. Das Problem liegt nicht zuletzt darin, dass einmal Stichwörter, dann wieder Themen oder Akteure miteinander verglichen und in Beziehung gesetzt werden. Dieser Schwierigkeit vermag auch B. nicht wirklich zu entgehen. So stellt sich die Frage, ob in Joh 14,1–14 das vorherrschende Thema wirklich der »Vater« ist, obwohl dieses Wort hier und im Parallelabschnitt besonders häufig vorkommt. Es geht hier nach den einleitenden Versen 1–4, die von Jesu Fortgang und künftigem Kommen handeln, doch in den Versen 5–14 um Jesu Fortgang und die bleibende Verbindung mit ihm im Glauben (vgl. u. a. J. Beutler, Habt keine Angst. Die erste johanneische Abschiedsrede [Joh 14], SBS 116, Stuttgart 1984; zweite Auflage englisch »Do not Be Afraid«, NSKE 6, Frankfurt a. M. 2011; ders., Das Johannesevangelium. Kommentar, Freiburg u. a. 2013, 398–405).
Insgesamt wird m. E. der Übergang der Thematik von Jesu Fortgang und seinem erneuten Kommen in Joh 14 zu der Frage des Schicksals seiner Jünger in Joh 15–16 und dann 17 in der vorgelegten Studie nicht recht deutlich. Wahrscheinlich wird diese Einsicht durch die Annahme der konzentrischen Struktur der Reden auch eher verstellt. Sehr hilfreich wäre hier u. a. die Studie des Schweizer Landsmanns von B., Konrad Haldimann, gewesen: Rekonstruktion und Entfaltung. Exegetische Untersuchungen zu Joh 15 und 16 (BZNW 104), Berlin/New York 2000. Ähnlich wie andere Schweizer Autoren, so J. Zumstein und A. Dettwiler, sieht Haldimann einen Übergang im Zeitverständnis von Joh 14 zu den beiden folgenden Kapiteln. Die Periodisierung der nachösterlichen Zeit wird von B. innerhalb seiner Analysen durchaus gesehen (vgl. 232–237: nach der »kleinen Weile« bis zum Fortgang Jesu folgt die weitere »kleine Weile« bis zum Wiedersehen, in der die Jünger in der Welt der Bewährung ausgesetzt sind). Die Auffassung, Jesus künde hier in Joh 16 sein endgültiges Kommen in der Parusie an, besitzt Plausibilität. Doch scheint hier die Sicht von Joh 14 modifiziert, nach der Jesus nur ankündigt, dass die Jünger ihn nach seinem Fortgang erneut schauen würden, wohl im Sinne der johanneischen »Stunde«, die keinen Unterschied zwischen Jesus Scheiden, Auferstehung und endgültiger Wiederkunft macht.
In der Auslegung der johanneischen Abschiedsreden wird man sich zwischen einem konzentrischen und einem linearen Modell entscheiden müssen. Gute Gründe sprechen für die letztere Option. So ist es auch u. a. von A. Dettwiler und J. Zumstein gesehen worden. Sie sehen in Joh 15–16 und dann 17 Ergebnisse einer »relecture« der ersten Abschiedsrede aus einer veränderten Situation heraus. Der Bezugstext wird dabei nicht in Frage gestellt (wie bei den älteren Vorschlägen zu einer »kirchlichen Redaktion« des Johannesevangeliums), sondern fortgeschrieben angesichts neuer Herausforderungen für die Rezipientengemeinde. Die Frage des jeweiligen Verfassers kann man dabei auch offen lassen. Sie läge bereits jenseits eines literaturwissenschaftlichen Ansatzes.