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Ausgabe:

Juli/August/2014

Spalte:

869–871

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Chester, Andrew

Titel/Untertitel:

Future Hope and Present Reality. Vol. I: Eschatology and Transformation in the Hebrew Bible.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XVII, 384 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 293. Lw. EUR 109,00. ISBN 978-3-16-152196-6.

Rezensent:

Uta Schmidt

Andrew Chester lehrt Neues Testament an der University of Cambridge und ist Fellow und Director of Studies für das Fach Theologie am Selwyn College. Seinen Forschungsschwerpunkten Escha-tologie und messianische Hoffnung im frühen Judentum und Chris­tentum verdanken sich zwei Vorlesungsreihen C.s in Oxford aus den Jahren 1999–2000, aus denen der hier besprochene Band entstanden ist; ein zweiter zum Neuen Testament soll folgen.
In zehn Kapiteln erforscht C. verschiedene Dimensionen seines Themas »Future Hope and Present Reality« quer durch die Hebräische Bibel. Der Schwerpunkt seiner Untersuchung liegt dabei auf unterschiedlichen Formen eschatologischer Zukunftsvorstellungen. »[…] ›eschatology‹ is the final decisive divine action, or intervention, beyond which nothing else is needed, and thus, in this sense at least, inaugurates the final age.« (6) Die Endgültigkeit bedeutet dabei »true fulfillment and ultimate conclusion« (263), muss sich aber nicht auf ein Ende der Zeit oder Welt beziehen. Damit legt C. in Kapitel 1 seiner Untersuchung eine klare Bestimmung von Eschatologie zugrunde, anhand welcher er seine jeweiligen Ergebnisse einordnet und gewichtet. C.s Grundthese ist, dass zwischen diesen Zukunftshoffnungen und gegenwärtiger Realität eine Differenz liegt, die zu Spannung führt. Ein wiederkehrendes Anliegen C.s ist, dass die Folgen dieser Spannung gefährlich sein können: »despair« oder »ultra-wishful thinking« (301), Eskapismus (205), auch totalitäre und gewalttätige Handlungsweisen. Doch im gu­ten Falle entsteht eine kreative Spannung, die zu der im Untertitel bereits genannten »Transformation« führt (329). Die sehr unterschiedlichen Themen der einzelnen Kapitel werden durch diese These immer wieder in Verbindung gebracht.
Zu allen Themenbereichen behandelt C. ausgewählte Textpassagen, vor allem prophetische Texte und Psalmen, und stellt exemplarisch Ausschnitte aus der Forschungsdiskussion dar. Da es ihm um die in den Texten gegenwärtige Realität geht, ist eine zeitliche Einordnung unverzichtbar, auch wenn die Diskussion von Datierungsfragen mancher Texte in der Kürze der Darstellung problematisch ist. Wichtige Begriffe der Debatte um Zeit und Zukunft in biblischen Texten behandelt er in Exkursen (z. B. »Time in the Hebrew Bible«, »Apokalyptic« und besonders lohnend »The Uto-pian Tradition«).
C. beginnt mit dem »Ende« (Kapitel 2 »The End of Time«; Kapitel 3 »The End of the World«). Während das Ende der Zeit in der Hebräischen Bibel kaum Thema ist, gilt für das Ende der Welt das Gegenteil (dazu vor allem Jer 4 und Jes 24; auch Gen 6–9 u. a.). »[…] we ap-pear to have escaped not just from the time of the end, but from the end of time for the most part, at least, only to find ourselves confronted by the stark threat of the end of the world, at least in any recognable sense.« (40 f.)
Die Linie von der oben genannten Bedrohung zur Transformation ziehen Kapitel 4 und 5. »Paradise Lost – and Transformed« (Kapitel 4) untersucht und problematisiert den Zusammenhang von katastrophischen und dystopischen Ereignissen und utopischen, teilweise fast traumhaften Zukunftshoffnungen (z. B. den »Tag JHWHs« sowie Transformationen der Katastrophe in Jes 65 f. ). Im Spannungsfeld von Hoffnung und Enttäuschung, Täuschung und Glaubwürdigkeit steht das Thema von Kapitel 5: »Prophecy: True and False«. Stärker als in anderen Kapiteln wird hier deutlich, dass die Behandlung eines so großen Themas – der gesamten Prophetie mit der Frage ihrer Glaubwürdigkeit, bis hin zu ihrem Ende – innerhalb eines Kapitels an Grenzen stößt.
Die Kapitel 6–8 beschäftigen sich mit Zukunftshoffnungen, die mit Vorstellungen vom idealen König (Kapitel 6, ausgehend von 2Sam 7 weiter zu diversen Königspsalmen und Jes 1–11) und messianischen Erwartungen verbunden sind. Anhand ausgewählter Textpassagen wird diskutiert, inwieweit in vorexilischer, exilischer (Kapitel 7) und nachexilischer Zeit (Kapitel 8) messianische Hoffnungen in Texten der Hebräischen Bibel zu finden sind. Messianische Hoffnung als Folge der Erfahrung des Versagens realer Könige hält C. für ein Entstehungsmodell. Möglich ist auch die Projektion idealisierter Königsdarstellungen der Psalmen in die Zukunft. Gemäß C.s Definition von »Messias« (»the agent of final divine deliverance«; 209) ist dieser eine eschatologische Gestalt. Texte, die eine solche ausdrücklich thematisieren, findet C. in der Hebräischen Bibel kaum (231); eher solche, die sich in dieser Richtung verstehen lassen oder in späterer Zeit in diesem Sinne rezipiert wurden (so z. B. Jes 7; 9; 11. Hier kommt der Darstellung zugute, dass C. als Neutestamentler seine Untersuchung über die ganze Bibel hinweg angelegt hat). Interessant sind die Beispiele für gerade nicht herrschaftliche und siegreiche messianische Traditionen (z. B. Mi 5,1 f.; Sach 9,9 f.) (253–256), die C. in der Hebräischen Bibel ausmacht.
Mit der Frage nach Hoffnung angesichts der Realität des Todes eröffnet Kapitel 9 »Death and Transformation« eine weitere Perspektive auf das Thema. C. zieht hier eine Linie von der Hoffnung einzelner Psalmen auf den Fortbestand der Gottesbeziehung (z. B. Ps 88; 73) weiter zu Stellen wie Hi 19; Jes 25; 26, die auf eine Auferstehung oder den Sieg Gottes über den Tod hin interpretiert werden können, bis hin zur einzig expliziten Auferstehungshoffnung in der Hebräischen Bibel in Dan 12 und der metaphorischen Auferstehung des Volkes in Ez 37.
Die bisher manchmal etwas zu kurz gekommene inhaltliche Füllung der Zukunftshoffnungen wird in Kapitel 10 »Paradise Re­stored« unter der thematischen Zuspitzung auf »land and people« noch einmal aufgenommen (302 ff.). Abschließend wird an Sach 7–8 (u. a. Texten) exemplarisch die Transformation von Volk, Land und Welt unter ethischer Perspektive entfaltet. In dieser abschließenden Studie wird das Anliegen C.s noch einmal greifbar: »[...] deeply embedded in the biblical tradition there is a vision of Paradise (of the world as indeed it should be) that is, in an important sense, a vision of a world controlled by justice and rigtheousness. It is, in other words, a world and society that can be seen as corresponding to the true divine will and purpose.« (325 f.) Transformation der Gegenwart in diesem Sinne ist entsprechend das Hauptanliegen im engagierten Schlusswort.
C. spannt thematisch einen weiten Bogen, was den Reiz des Bu­ches ausmacht. Er beleuchtet den Gegenstand seiner Studie durch die interessante Themenauswahl von verschiedensten Seiten und eröffnet dadurch eine facettenreiche Sicht auf die Frage des Verhältnisses von Hoffnung und Realität in der Hebräischen Bibel. Dass er dabei große Themen aufnimmt, die für sich genommen mehr Aufmerksamkeit verdient hätten, immer eine Textauswahl treffen muss und an vielen Punkten nicht in die Tiefe gehen kann, nimmt er in Kauf. Zu Recht: Es ist an den meisten Punkten ein lohnender Preis dafür, seine Frage nach »Future Hope and Present Real­ity« quer durch die ganze Hebräische Bibel (und mit Band 2 auch durch das Neue Testament) zu verfolgen. C. betont immer wieder sein Interesse an den in den Texten formulierten Hoffnungen und der damit einhergehende Transformation. Tatsächlich könnten diese beiden Aspekte gegenüber der Klärung der Kategorien manchmal mehr Raum einnehmen. Auch eine Betrachtung im Querschnitt über die Behandlung in Kapitel 10 hinaus wäre wahrscheinlich lohnenswert. Beim Lesen des Buches wächst die Neugier auf die Vorlesungsreihe selbst, die zu hören vermutlich Spaß gemacht hätte.