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Ausgabe:

Januar/1999

Spalte:

56–59

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Winkler, G. B. mit A. Altermatt, D. Farkasfalvy, P. Zakar [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Bernhard von Clairvaux: Sämtliche Werke lateinisch/ deutsch. Bd. I-VIII.

Verlag:

Innsbruck-Wien: Tyrolia 1990-1997. 866 S., 1176 S., 1264 S., 913 S., 645 S., 711 S., 776 S., 1076 S. gr.8. ISBN 3-7022-1732-0. 3-7022-1772-X, 3-7022-1863-7, 3-7022-1908-0, 3-7022-1966-8, 3-7022-2019-4, 3-7022-2052-6, 3-7022-2118-2.

Rezensent:

Jürgen Miethke

Die lateinische Ausgabe der Werke Bernhards von Clairvaux, die von Jean Leclercq zusammen mit H. M. Rochais und C. H. Talbot (in acht Bänden; es fehlt immer noch der Registerband) von 1957-1977 herausgebracht worden ist, hat die Forschungsarbeiten zu dieser bedeutendsten Gestalt unter den Zisterziensern des 12. Jh.s auf eine neue Basis gestellt. Es gelang, in kritischer Rezension der Handschriftenüberlieferung die Redak tionsgeschichte der einzelnen Stücke aufzuhellen, anhand von ausgewählten Textzeugen einen kritisch gesicherten Text der einzelnen Schriften - häufig in ihren verschiedenen überlieferten Versionen - vorzulegen und die zahllosen Pseudepigrapha von den genuinen "Opera" des Abtes von Clairvaux zu unterscheiden.

Es ist verständlich, daß angesichts der allgemein zurückgehenden Lateinkenntnisse verschiedentlich das Bedürfnis empfunden wurde, den Zugang zu diesen Schriften jetzt erneut durch Übersetzungen zu erleichtern. Bezeichnend für die Strahlkraft des Namens Bernhard von Clairvaux ist es, daß diesem Bedürfnis nicht allein in Teilstücken und an ausgewählten Beispielen nachgegangen wurde, vielmehr sind in den Vereinigten Staaten, in Italien, in Frankreich und im deutschen Sprachgebiet jeweils die nunmehr vorliegenden "Opera omnia" geschlossen übersetzt oder doch solche Gesamtübersetzungen in Angriff genommen worden bzw. im Erscheinen begriffen. Das deutsche Unternehmen, gefördert durch die Klöster des Zisterzienserordens in Deutschland, Italien, Österreich, der Schweiz, Slowenien und den USA (und damit über das engere deutsche Sprachgebiet wesentlich hinausgehend), ist, geleitet von dem Salzburger Kirchenhistoriker Gerhard B. Winkler, innerhalb von nur sieben Jahren in acht voluminösen Bänden abgeschlossen worden.

Dankenswerterweise hat man sich entschlossen, dem Gesamtumfang des Unternehmens zum Trotz den lateinischen Text seitenparallel der deutschen Übersetzung gegenüberzustellen - vernünftigerweise in photomechanischer Reproduktion der Leclercqschen Ausgabe, die telquel - freilich ohne den jeweiligen (knappen) Editionsbericht der dortigen "Introductiones" zu den einzelnen Schriften und Sammlungen - photomechanisch auf den geradzahligen Seiten präsentiert wird. Dabei werden in jedem Band der deutschen Ausgabe am Ende die relativ wenigen Korrekturen von Irrtümern und Druckfehlern (unter Aufnahme auch der von Dom Leclercq selbst bereits benannten) aufgelistet. Ein ganzes Team von Übersetzern hat - im ersten Band unter der redaktionellen Leitung von Peter Dinzelbacher (Salzburg/Stuttgart), dem "als hauptamtlichen Mitarbeiter" seit 1988 "die Überprüfung der Übersetzungen sowie die sachliche und bibliographische Überarbeitung und Ergänzung von Einleitungen und Anmerkungen" zu den deutschen Texten oblag (Bd. 1, 10), vom zweiten Band an offenbar unter der Leitung des Hauptherausgebers selber - die flüssigen und (den Stichproben nach) zuverlässigen Übersetzungen angefertigt. Jeder Text oder jedes Corpus von Bernhard-Schriften wird nicht nur durch die auf den ungeradzahligen Seiten dem lateinischen Text gegenübergestellten deutschen Versionen erschlossen, eine jeweils besonders abgefaßte Einleitung macht die Leser mit den wichtigsten Ergebnissen der Forschung zur kritischen Einordnung des jeweiligen Textes in Zeit und Welt Bernhards bekannt und gibt eine kurze Einleitung in Überlieferungs- und Redaktionsgeschichte der Texte. Darüber hinaus bemühen sich die Einleitungen um weitere (naturgemäß unterschiedlich intensive) Verständnishilfen. Anmerkungen zur deutschen Version liefern ansatzweise einen fortlaufenden Kommentar, der weitere Erläuterungen und Nachweise vermittelt. Am Ende eines Bandes steht jeweils ein relativ ausführliches (deutschsprachiges) (Sach-)Register, das eine rasche Orientierung sowie Querverbindungen zwischen den einzelnen Bänden ermöglicht. Die einzelnen Schriften oder Schriftencorpora werden jeweils gesondert - z. T. von verschiedenen Verfassern - eingeleitet und durch Anmerkungen in die Forschungsdiskussion gestellt. So zeichnet für die "Einleitung" in die Hoheliedpredigten Bernhards Ulrich Köpf (Tübingen) verantwortlich (Bd. 5, 27-47), deren Anmerkungen (in Bd. 5-6) G. B. Winkler verfaßte; in Bd. 1 schrieb die "Einleitungen" zu "De laude novae mititiae" R. Schraml, die Übersetzung fertigte S. Giacomelli, die Anmerkungen steuerte P. Dinzelbacher bei. "De consideratione" wird von D. Farkasfalvy eingeleitet, während Übersetzung und Anmerkungen von H. Braun stammen.

Noch komplizierter sind offenbar die Koordinationsprobleme bei Bernhards "Vita S. Malachiae" im gleichen Bande gewesen, da hier die Einleitung und die Anmerkungen nach dem Tode des Verfassers P. Sinz von K. Strnad-Walsh nicht allein übersetzt, sondern auch überarbeitet worden sind, während die Übersetzung von P. Dinzelbacher durchgesehen worden ist. Man sieht, daß die erstaunlich knappe Frist, in der das Gesamtwerk entstanden ist, allein durch eine weitgehende Arbeitsteilung und strikte Organisation ermöglicht worden ist, die bei solch kooperativen Unternehmungen immer delikat und schwierig ist. Man wird dem Team aber gerne zugestehen, daß hier Reibungsverluste und Friktionen jedenfalls nicht auf den ersten Blick erkennbar werden, daß also das Ganze als gelungen bezeichnet werden kann. In Bd. 1 ist eine knappe tabellarische Übersicht zu Bernhards Leben durch Peter Dinzelbacher (38-41) sowie eine stark raffende Auswahlbibliographie von demselben Verfasser (42-55) aufgenommen, die erste Orientierung und selbständige Weiterarbeit erleichtert.

Bei der Bearbeitung der Briefe Bernhards, die für Historiker naturgemäß einen besonderen Reiz haben, hat man sich der kommentierten italienischen Übersetzung und Bearbeitung bedient, die Feruccio Gastaldelli für das italienische Parallelunternehmen ausgearbeitet hatte. Diese Ausgabe nun wird im zweiten Teil von Bd. 2 und in Bd. 3 ins Deutsche übersetzt und (an wenigen Stellen, auch dank Hinweisen Gastaldellis selbst) ajourniert dadurch, daß wiederum jeweils am Endes des Bandes eine Corrigenda-Liste abgedruckt erscheint. Die von Felix Heinzer 1987 aus einer Handschrift der Zisterzienserinnen-Abtei Lichtenthal publizierten beiden Briefe (hier nrr. 549 sq.), ein von J. Leclercq ausgeschiedener Brief (hier nr. 551, Migne PL 182, nr. 469) sowie eine von H. de Laplane bereits 1864 veröffentlichte (wohl ursprünglichere) Version (hier nr. 549) der ep. 379 sind in einem Annex beigefügt (Bd. 3, 1048-1054, vgl. 1238-1245). Freilich ist in der Übersetzung des Kommentars aus dem Italienischen manch eine Namensform stehengeblieben, die für deutsche Leser ungewöhnlich bleibt, etwa 1130 "Vibald von Stavelot" oder 1219 f.: "Elmold von Bosau" (beide tauchen im Personenregister nicht auf). Sehr zu begrüßen ist es aber, daß das Briefcorpus Bernhards, das hier geradezu minutiös kommentiert wird, durch ein jeweils eigenes Personenregister (einmal sogar zusätzlich durch eine tabellarische "Zeittafel" - Bd. 3, 1056-1061) näher, wenn auch nicht vollständig, erschlossen wird.

Es ist verständlich, daß die Umformungsarbeit aus der lateinischen Edition zur Präsentation der deutschen Versionen sich nicht von vorneherein an die Stoffverteilung von Leclercq’s Ausgabe halten konnte. Schon auf der Rückseite des Titelblattes jeden Bandes wird deswegen eine große Konkordanz hergestellt. Zusätzlich erleichtert eine weitere Konkordanz der früheren Drucke in Bd. 1, 842-844 (die aus der Dissertation von Ulrich Köpf, Religiöse Erfahrung in der Theologie Bernhards von Clairvaux, Tübingen 1980, 238-240, genommen worden ist) die Orientierung; freilich konnte naturgemäß dabei die vorliegende Ausgabe nicht berücksichtigt werden. Man muß freilich eine Gesamtkonkordanz entbehren, die zur Auffindung eines bestimmten Textes in den über 7000 Seiten der deutschen Ausgabe gewiß nützlich gewesen wäre.

Es entspräche der Haltung Beckmessers, würde hier jetzt im einzelnen aufgelistet, wo Herausgeber und Bearbeiter in den vorliegenden Bänden sich in Zweifelsfällen anders entschieden haben, als es der Rez. tun wollte. So sei allein festgehalten, daß in aller Regel die Auskünfte, die gegeben werden, gut begründet und nachvollziehbar vorgestellt sind. Bei der - in sich plausiblen - Entscheidung der alten Streitfrage der Datierung der Synode von Sens auf Pfingsten 1140 (anläßlich von epp. nrr. 187-194, 326 f., 330-338, vgl. vor allem Bd. 3, 1064-1067) wird auch auf die wohl verfehlte Neuaufnahme der überwunden geglaubten Ansetzung auf 1141 durch R. Volpini verwiesen, der 1989 eine eingehende Untersuchung angekündigt hatte, welche aber bis heute meines Wissens nicht erschienen ist. Es wäre wünschenswert, daß dieses Datierungsphantom entweder überzeugend belegt würde oder künftig aus der Debatte verschwände.

Die gesamte schriftliche Hinterlassenschaft der "monastischen" Theologie Bernhards von Clairvaux wird in den acht dickleibigen Bänden einem deutschprachigen Publikum verläßlich nahe gebracht. Auch wer für den selbstbewußten und stets gebieterisch auf seine eigenen Einsichten pochenden Zisterzienserabt nicht ausschließlich Sympathie oder Begeisterung empfindet, wird die tiefgreifenden Wirkungen Bernhards auf sein Jahrhundert nicht übersehen, die er, der neben seiner früh erreichten Abtwürde keinen höheren Rang in der kirchlichen Hierarchie erreichte und der selbst in seinem Orden zwar zweifellos der führende Kopf nach außen hin gewesen ist, der diese Funktion aber niemals institutionalisieren konnte oder wollte, an vielen Orten und zu verschiedenen Zeit in ganz Europa erzielt hat. Bernhard, der Päpste zu seinen Schülern zählte und Könige für seine Programme zu begeistern wußte, Bernhard, der seine Mönche in monastische Zucht und geistliche Reflexion einführte, und der, bevor die gerade in seinen Lebzeiten sich entfaltende abendländische Universität ganz andere Formen des Umgangs mit der Tradition entwickelt hat, noch einmal die monastische Tradition auf hohem Niveau verkörpert hat, wird hier mit seiner eigenen Stimme auch für diejenigen vernehmbar, die eine Reihe von rein lateinischen Bänden verschreckt in der Ecke stehen lassen würden. Die Bücher werden neue Wege der Beschäftigung mit Bernhards Zeit, Bernhards Person und Bernhards Wollen erleichtern und öffnen. Die verläßliche deutsche Ausgabe, die stets am unvergleichlichen Glanz des lateinischen Stils Bernhards überprüfbar bleibt, lädt zu intensiver Nutzung ein.