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Ausgabe:

Juli/August/2014

Spalte:

854–855

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Fögen, Thorsten, and Mireille M. Lee [Eds.]

Titel/Untertitel:

Bodies and Bounda-ries in Greco-Roman Antiquity.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2009. VIII, 317 S. Geb. EUR 129,95. ISBN 978-3-11-021252-5.

Rezensent:

Jürgen Zangenberg

Inspiriert von modernen Kultur- und Sozialwissenschaften ist »der Körper« seit einiger Zeit auch Thema theologischer und religionswissenschaftlicher Diskurse geworden, zu Recht. Dabei zeigt sich im­mer wieder, wie intensiv die Art, wie Menschen ihren eigenen oder den fremden »Körper« begreifen, zu einem ganz erheblichem Maße von kulturellen Gegebenheiten geprägt ist. Der von Thorsten Fögen und Mireille M. Lee herausgegebene Band bietet hierzu wertvolle Einsichten aus dem Gebiet der klassischen Alterumswissenschaften, die keinesfalls allein für eine differenzierte Exegese an­tik-jüdischer und frühchristlicher Literatur von Bedeutung sind.
In ihrer »Introduction« skizziert Gloria Ferrari Entstehungsgeschichte und Ziele des Bandes (1–9). Zurückgehend auf eine Konferenz des Center for Hellenic Studies der Harvard University vom 28.–30. April 2006 und beeinflusst durch die Philosophie von Michel Foucault und Mary Douglas vereint der Band »trends represented in recent work dealing with the body in Greek and Roman litera-ture and art« (3–4). Im Gegensatz zum Verständnis »des« Körpers »as generalized, unmarked category« orientiert sich die Forschung nun an der Komplexität und Konkretheit bestimmter »bodies« (4). Während gender dabei durchaus noch eine wichtige anlytische Rolle spielt, erfahren »body modification and their social and ideological implications« besondere Aufmerksamkeit: »Increasingly attention has turned to the self-fashioning of the body through verbal and non-verbal expressions – gestures, alterations, clothes and adornment« (4). Dies greift der vorliegende Band auf, rückt den Körper vor allem als social agent ins Zentrum und betont dessen Materialität und dessen Potential zur performance und zum self-styling. Da­durch werden gesellschaftliche Versuche, Körper gemäß be­stimmter Hierarchien zu ordnen (Gott, Mensch, Tier, Ding), im­mer wieder durchbrochen. Abgeschlossen wird die Einleitung durch den knappen, aber hilfreichen Literaturbericht von Thorsten Fögen (»The Body in Antiquity. A Very Select Bibliography«, 11–14).
Der erste Hauptteil »The Body in Performance« bietet drei Studien.
Thorsten FögenSermo corporis. Ancient Reflections on gestus, vultus and vox«, 15–43) richtet das Augenmerk auf non-verbale Ausdrucksformen der »Kör-persprache« wie »the role and function of body movements, gestures, facial expressions and voice«, eines Aspekts menschlicher Kommunikation, der in der Antike anscheinend nicht weniger über die Intentionen und Aussagen von Gesprächspartnern verriet als heute. Erstaunlich ist die Breite der mit diesem Thema verbundenen antiken Überlegungen (etwa zum Ursprung der Sprache und zur menschlichen Sprachaneignung) wie auch die Lust daran, dieses Phänomen theoretisch einzuordnen. Dabei erscheint »Körpersprache« immer mehr als eine Art »allgemeiner Zweitsprache«. »The human body was read like a text; the body’s characteristics were taken to be a reflection of the moral qualities of its owner« (37). Wer diese Sprache ignorierte oder von der akzeptierten Grammatik abwich, erntete Unverständnis. Es lohnt sich, auf diesem Hintergrund etwa Aussagen des Redners und Briefschreibers Paulus neu zu reflektieren (vgl. etwa 2Kor 11,6!). Nancy Worman führt diese Gedanken in »Bodies and Topographies in Ancient Stylistic Theory« fort und untersucht die Bezüge zwischen »images associating bodily senses or appetites with deportments and/or topographical features« (45–62: 48). Charles Pazderniks Artikel »Paying Attention to the Man Behind the Curtain. Disclosing and Withholding the Imperial Presence in Justinianic Constantinople« (63–85) zeigt die Widerstände und Ängste, die die Überschreitung konzeptioneller Grenzen zur Körperlichkeit selbst bei außerordentlichen Fällen wie am Hofe Justinians und Theodoras auslösten.
Der zweite Hauptteil befasst sich mit »The Erotic Body«.
Peter von Möllendorffs Studie »Man as Monster. Eros and Hubris in Plato’s Symposium« (87–109) geht aus von Aristophanes’ Behauptung, wonach Menschen von Zentauren mit zwei Körpern abstammten, aus Strafe für ihren verwegenen Versuch den Olymp zu erobern jedoch geteilt wurden. Doch ist nicht Philosophieren ein vergleichbarer Versuch, den Olymp zu erstürmen? »Philosophizing rigorously also means becoming oblivious to the fact that for many the desire to know arises only from the foundations of fulfilled bodily desires, and that this oblivion can entail severe inter-personal damage« (108). Judith P. Hallett, »Corpus erat. Sulpicia’s Elegiac Text and Body in Ovid’s Pygmalion Narrative (Metamorphoses 10.238–297)« (111–124), untersucht das spannungsvolle intertextuelle Verhältnis zwischen Sulpicia und Ovid, in deren Werken sowohl »Frau« als auch »Dichter« in unterschiedlicher Weise jeweils neu definiert wurden. Donald Lateiner setzt die Diskussion um »permeable boundaries in myths«, Transsexualität und Transvestitentum fort (»Transsexuals and Transvestites in Ovid’s Metamorphoses«, 125–154).
Zwei Artikel füllen den dritten Hauptteil zu »The Dressed Body«.
Mireille M. Lee, »Body-Modification in Classical Greece« (155–180), zeigt, wie wichtig der weibliche und männliche »kultivierte Körper« für die Definition des Standes und der Volkszugehörigkeit vor allem in den Augen der klassischen griechischen Elite war. Lauren Hackworth Petersens Artikel »›Clothes Make the Man‹. Dressing the Roman Fredman Body« ergänzt die Thematik durch Beobachtungen zur Art und Weise, wie sich Freigelassene kleideten (181–214).
Der vierte Hauptteil konzentrieren sich auf Aspekte von »Pagan and Chris­tian Bodies«.
Kathrin Schade (»The Female Body in Late Antiquity. Between Virtue, Taboo and Eroticism«, 215–236) zeigt, dass bildliche Darstellungen spätantiker clarissimae feminae – ganz im Unterschied zu literarischen – den weiblichen Körper gerade nicht negieren, sondern im Sinne früherer paganer Tradition die Grenzen zwischen »virtue, taboo and eroticism« durchlässig machen. Seinen sinnfälligsten Ausdruck findet dies in der Kombination von »matronality and virginity, beauty, and finally also spirituality« bei der »most important and successful creation of late antique female portraiture – the image of the Virgin Mary« (215). Judith Perkins (»Early Christian and Judicial Bodies«, 237–259) untersucht Verbindungen zwischen den verstärkten Diskussionen über die Leiblichkeit Auferstandener in der christlichen Literatur des 2. Jh.s mit der gleichzeitig eingeführten differenzierten Behandlung von humiliores und honestiores in der römischen Strafjustiz. Im Unterschied zur Schonung von Höherrangigen im römischen Rechtswesen insistiert die christliche Hoffnung auf der Gleichheit des göttlichen Gerichts für alle, die durch die allgemeine Auferstehung von Körper und Seele zum Ausdruck kommt.
Im letzten Teil »Animal Bodies and Human Bodies« untersuchen Annetta Alexandridis »Shifting Species. Animal and Human Bodies in Attic Vase Paint­ing in the 6th and 5th Centuries B. C.« (261–281) sowie Catherine M. Keesling »Exemplary Animals. Greek Animal Statues and Human Portraiture« (283–309) »körperliche Grenzüberschreitungen« zwischen Tier und Mensch anhand zwei wichtiger Gattungen antiker Kunst.
Ein »Index Locorum« schließt den wichtigen Band ab (311–317).