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Ausgabe:

Juni/2014

Spalte:

800–802

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Athanasopoulos, Constantinos, and Christoph Schneider [Eds.]

Titel/Untertitel:

Divine Essence and Divine Energies. Ecumenical Reflections on the Presence of God in Eastern Orthodoxy.

Verlag:

Cambridge: James Clarke & Co. (Lutterworth) 2013. 298 S. Kart. £ 25,00. ISBN 978-0-22717386-2.

Rezensent:

Sergii Bortnyk

Im vorliegenden Band sind eine Reihe von Beiträgen versammelt, die im Rahmen eines Kolloquiums des Institute for Orthodox Chris­tian Studies (Cambridge, UK) 2008 zustande kamen. Unter den Teilnehmern befanden sich anglikanische, orthodoxe, reformierte und römisch-katholische Theologen. Das Ziel war »seeking to broaden the horizon of Christian philosophical theology beyond the traditional western canon to include the Byzantine tradition« (256). Ge­wissermaßen stellt dies die Fortsetzung der Bemühungen des Institutes für die Begegnung zwischen der ostkirchlichen theologischen Tradition und der Bewegung der »Radikalen Orthodoxie« dar, die in 1990er Jahren von John Milbank gegründet wurde. Einen früheren Versuch dieser Begegnung stellt das Kolloquium »En­counter between eastern orthodoxy and radical orthodoxy« (2005, Cambridge) dar.
Der Beitrag von John Milbank »Christianity and Platonism in East and West« (158-209) ist der umfangreichste des Bandes und setzt sich kritisch mit dem Konzept der »göttlichen Essenz und Energien« auseinander, das im 14. Jh. von Gregorios Palamas entwickelt wurde. Milbank selbst ist unter anderem durch seinen Band »Truth in Aquinas« (2001, mit Catherine Pickstock) bekannt geworden. Mit Thomas von Aquin und Gregorios Palamas sind damit zwei große theologische Gestalten vertreten, die dementsprechend die westliche und die östliche theologische Tradition prägten und die von den Theologen heute diskutiert werden. Wie Nikolaos Loudovikos bestätigt, gab es bis jetzt wenig Bemühungen, diese beiden in Verbindung zu bringen: »The great part of the works of Palamas remains untranslated in English; … [there is] the notorious, analogous Eastern ignorance of Aquinas work« (123).
Die Grundlage für das Kolloquium bildete jedoch das Buch »Aris­totle East and West: Metaphysics and the Division of Christendom« (2004) von David Bradshaw (Universität Kentucky, USA) – fast alle Teilnehmer bezogen sich auf dieses als Ausgangspunkt ihrer Überlegungen. Zwei Beiträge von Bradshaw selbst rahmen den Band ein: den Anfang eröffnet sein bereits früher veröffentlichter Artikel »The concept of the divine energies« (27-49), den Beschluss bildet ein Kommentar zu den anderen Beiträgen des Kolloquiums »In defence of the essence/energy distinction: a reply to critics« (256-273).
Die Bezugnahme auf Aristoteles bei Bradshaw erklärt sich da­durch, dass die philosophische Bedeutung der Begriffe ousia (Es­senz) und energeia (Kraft, Wirkung) bei ihm ihren Ursprung findet. Der Begriff energeia wird jedoch auch mehrmals in der Bibel er­wähnt wie z. B. »ich […] ringe in der Kraft dessen, der in mich kräftig wirkt« (Kol 1,29). Das Hauptargument in der Kritik von Milbank besteht darin, dass die Unterscheidung zwischen göttlicher Essenz und Energien die göttliche Einfalt bedrohe: »[This distinction] refuses the specifically Christian view of God in terms of gift and paradox.« (167) In seinem Konzept: »The One gives itself absolutely and without reserve […] The diversity of gifts always remains less than the giver.« (17)
Das Problem besteht m. E. darin, dass Milbank sein Konzept entwickelt und das neue Paradigma propagiert, ohne alte theolo-gische Begrifflichkeit ausreichend zu berücksichtigen (vgl. 15.16. 18.24). Im Endeffekt unterscheidet sich Milbank von allen anderen Teilnehmern: »Milbank is the only contributor to reject al-together the essence/energies distinction, as well as to deny that there is, after all, much real continuity between Palamas and the earlier Greek tradition.« (265)
Die Hauptfrage im Streit des 14. Jh.s zwischen Barlaam und Palamas war die vermittelnde Rolle der geschaffenen Welt im Hinblick auf die Gotteserkenntnis, mit anderen Worten: die Grenzen der »natürlichen Theologie«. Während Barlaam meinte, dass »God can only act in this world via created mediating powers«, betonte Palamas, dass »the power by which God acts upon the creation is God himself« (167). Die wichtigste Schlussfolgerung liegt im Verständnis des Gebets als dialogische Gemeinschaft des Christen mit Gott.
Gerade die individuelle Gebetspraxis der Mönche und der frommen Laien, nämlich das Jesus-Gebet, ist der Ausgangspunkt bei Palamas – er sucht nach philosophischen Argumenten für die Verteidigung der damals verbreiteten hesychastischen Bewegung. Im 20. Jh. lässt sich eine Wiederbelebung des akademischen Interesses an Hesychasmus und Palamismus feststellen, die in der griechischen Kirche in den 1960er Jahren entsteht. Das korrespondiert mit dem phänomenologischen Interesse der orthodoxen Theologie im 20. Jh., die über Erfahrung und Erfahrbarkeit Gottes konzipiert wird (vgl. Felmy, Einführung in die orthodoxe Theologie der Ge­genwart, 22011).
Mystische Erkenntnis Gottes, Gemeinschaft mit Gott und Teilnahme am göttlichen Leben durch das Gebet werden Ziele der orthodoxen Theologie und Frömmigkeit. Diese bilden die Alternative zum »conceptual knowledge of the idea of God« (25) bzw. zur »sheer discursive reasoning« (97). Das erneuerte akademische Interesse am Palamismus stellt unter anderem die Frage nach der Überlieferung der ostkirchlichen Theologie. Für die meisten Teilnehmer ist die Antwort positiv: »The essence-energy distinction is indeed an integral part of the theological framework of the Greek Church Fathers« (25); »Palamas’ teaching is the culmination of the Greek patristic tradition« (27) etc.
Dass die Unterscheidung von Essenz und Energien Bestandteil der ostkirchlichen Überlieferung ist, wird im Band anhand konkreter Beispiele bestätigt: von Georgios Martzelos im Beitrag »The significance of the distinction between the essence and energies of God according to St. Basil the Great« (149-157) und vom Metropo-liten Vasilios (Karayiannis) im Beitrag »The distinction between essence and energy according to Maximus the Confessor« (232-255). Roy Clouser (»Pancreation lost: the fall of theology«, 68-95) spürt wichtige Parallelen zwischen der Lehre von der Präsenz Gottes bei den Kappadokischen Kirchenvätern und den Reformierten Denkern auf und stellt sie der Reihe Augustin – Anselm – Aquinas (die er »the dominant Western theological tradition« nennt – 69) ge-genüber.
Antoine Lévy OP kommt in seinem Beitrag »The Woes of origi­nality: discussing David Bradshaw’s Aristotelian journey into Neo-Palamism« (96-121) zu dem Schluss, dass Palamas und Aquinas verschiedene, aber vereinbare Positionen vertraten. In seinem Beitrag »The sense and reference of the essence and energies« (210-231) findet Trakakis, dass das Begriffspaar ousia/energeia nahe bei Kants Begriffspaar noumena/phenomena liegt (230). Es gibt jedoch keinen langweiligen Konsens zwischen den Beiträgen. Der Herausgeber Christoph Schneider beschreibt den Band als »often mutually in­compatible narratives« (9), Lévy spricht von »a number of defective interpretations« (120) im Hinblick auf die Auslegung der latei-nischen und byzantinischen Traditionen seitens Bradshaw. Dank dieser Spannung lässt sich dieses Buch mit Interesse lesen und bestätigt die Aktualität der gestellten Fragen.
Der Band enthält am Ende sowohl eine Bibliographie als auch ein Register der Namen und griechischen Begriffe, die die systematische Lektüre des Buches erleichtern.