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Ausgabe:

Juni/2014

Spalte:

786–788

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Weiß, Helmut

Titel/Untertitel:

Seelsorge – Supervision – Pastoralpsychologie.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2011. 232 S. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-7887-2558-7.

Rezensent:

Elisabeth Naurath

Beim ersten Blick in die Gliederung ließe sich ein mehr als 1000 Seiten umfassendes Werk erwarten, das die drei Dimensionen Seelsorge, Supervision und Pastoralpsychologie so differenziert – wie hier angekündigt – behandelt und dies zugleich mit dem Anspruch verbindet, auch Schlaglichter in die Praxis zu werfen. So verdichten sich die theoriegeleiteten Reflexionen durchgängig mit Auszügen aus Gesprächsprotokollen, um die Praxis der Seelsorge bzw. Supervision anschaulich zu konkretisieren. Allerdings hätte man sich an manchen Stellen eine detailliertere Beschreibung des Kontextes bzw. eine ausführlichere Darstellung des Gespräches gewünscht, um die Evidenz seelsorgerlichen Handelns in der ausgewählten Situation besser nachvollziehen zu können. Nichtsdestotrotz liegt mit diesem Buch von Helmut Weiß ein gut lesbarer Gesamtentwurf vor, mit dem eine Theorie-Praxis-Reflexion insbesondere zur Poimenik angegangen werden kann.
»Lebensvergewisserung meint den Prozess, zu lernen, auf das Leben zu vertrauen.« (50) Mit dieser grundsätzlichen und nichts desto weniger treffend-prägnanten Zielbeschreibung definiert W. auf der Basis seiner berufsbiographischen Erfahrung als Pfarrer, Lehrsupervisor der Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie und Initiator der Gesellschaft für Interkulturelle Seelsorge und Beratung die Aufgabe der Poimenik. Es geht hierbei um die nie abgeschlossene und damit prozesshafte Suchbewegung nach dem Grund menschlicher Existenz angesichts zentraler Kontingenz-erfahrungen, die mit der Erfahrung der Destruktivität des Körpers, der Natur, menschlicher Beziehungen sowie des eigenen Selbst (und Schuld und Sühne) beschrieben werden. Auch wenn die Zielbeschreibung von Seelsorge damit in anthropologischem Sinn weit gefasst ist, konkretisiert sie sich in der christlich motivierten Ermutigung durch Gespräche, Rituale und dem Zuspruch von Vergebung. Ausgangspunkt, Garant und in gewisser Weise auch Vorbild sind das seelsorgerliche Wirken Jesu, das anhand zentraler Bibelstellen knapp dargestellt wird, um letztlich deutlich zu machen, dass Beziehungsarbeit und Spiritualität die beiden einander bedingenden Dimensionen bzw. Mittel der Seelsorge sind. Hierbei ist die Seele quasi als Beziehungsorgan vorgestellt – umso verwunderlicher ist, dass trotz einer knappen definitorischen Klärung des Seelenbegriffs der für das biblische Menschenbild unabdingbare Zusammenhang von Leib und Seele zu kurz kommt, wenn es heißt: »Die Seele hat ihren Ort im Gehirn.« (70). In der inhaltlichen Beschreibung von »Seelsorge als zwischenmenschliche Beziehung und personale Kommunikation« (71) folgt jedoch ein überzeugend integratives Seelenverständnis, das auch die nonverbale Kommunikationsebene beachtet und insbesondere in der Betonung der Gefühle auch körperliche Dispositionen und Interaktionen einbezieht. Weiterführend ist hierbei auch die Verortung der seelsorgerlichen Beziehungsarbeit im Konzept der Systemischen Seelsorge, die sich unweigerlich auf der Basis der Reflexion systemischer Rollen(zuschreibungen) bzw. Vernetzungen dazu eignet, auch die Biographie-Arbeit im Sinne einer Lebensgeschichte als Konstruktion des Selbst einzubeziehen.
Bei all diesen kommunikationstheoretischen und psychosozialen Erwägungen bildet die spirituelle Dimension den (entscheidenden?) Hintergrund von Seelsorge – gemeint ist das Bezogen-Sein auf Gott, das zwar nicht explizit zur Sprache kommen muss, jedoch nach Auffassung W.s immer mitschwingt: in der Verbindung von Lebens- und Glaubensgeschichte, in der Kraft spendenden Spiritualität wie auch in biblischer Verankerung des eigenen Glaubens. Im letzten Kapitel zum ersten Hauptteil (Seelsorge) wird mit der Darstellung der poimenischen Handlungsfelder (beispielsweise Seelsorge in speziellen Kontexten wie Gemeinde, Krankenhaus, Gefängnis, an Sterbenden, Trauernden etc.) bereits eine Brü-cke zum zweiten, deutlich kürzeren Hauptteil (Supervision) ge­schlagen: Es geht um eine inhaltliche Weitung der Perspektive hin zu institutionellen Bedingungen, die Beratungsformen für den Lebenskontext »Arbeit« nötig machen. Neben einem äußerst knappen historischen Abriss zur Ausdifferenzierung der Arbeitswelt und einer Beschreibung aktueller Probleme heutiger Arbeit(slosigkeit) werden mögliche Formen und Methoden der Supervision benannt, knapp vorgestellt und mittels eines universitären Beispiels pastoralpsychologischer Supervision konkretisiert.
Damit schließt sich der dritte Hauptteil (Pastoralpsychologie) nahtlos an, der mit der Fokussierung des Themas als »Dialog zwischen Theologie und Psychologie« ein Gespräch eröffnen will: Hier werden jeweils die Dimensionen »Der Mensch als Körper«, »Der Mensch und seine Lebensgeschichte«, »Der Mensch in Gemeinschaft und Beziehung«, »Der Mensch als Individuum und Subjekt« und »Der Mensch und seine Endlichkeit« in theologischer wie psychologischer Hinsicht knapp entfaltet und so miteinander in Bezug gesetzt, dass die Zielbestimmung pastoralpsychologischer Arbeit deutlich wird: Sie fungiert als wissenschaftlich fundierte Wahrnehmungshilfe, um via einer erhöhten Deutungskompetenz »eine Theorie der Seelsorge zu entwickeln« (232). Hier schließt sich der Bogen – allerdings in nur knapp gefassten Thesen, die den erfahrungsbezogenen und kommunikationsbestimmten Ansatz vorliegenden Seelsorgeverständnisses auf der Basis einer dialogischen Theologie deutlich machen.
Insgesamt betrachtet eignet sich das Buch für Studierende und hauptamtliche Seelsorgerinnen und Seelsorger als Einführung, da viele Themen – insbesondere in historischer Perspektive – nur sehr grob umrissen sind und der in Anmerkungen offensichtliche und zur Vertiefung notwendige Rekurs auf Sekundärliteratur fehlt. Für alle an Seelsorge, Supervision und Pastoralpsychologie interessierten Leser und Leserinnen dürfte vorliegender Entwurf gerade deshalb interessant und weiterführend sein, weil der dialogische, die kommunikative und spirituelle Beziehungsdimension betonende Charakter vorliegenden Seelsorgeverständnisses eine praxisnahe und durch interkulturelle Erfahrung gesättigte Theoriereflexion aufweist und hierin durchaus überzeugt.