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Ausgabe:

Juni/2014

Spalte:

768–770

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Burkhardt, Helmut

Titel/Untertitel:

Ethik. Bd. III: Die bessere Gerechtigkeit: spezifisch christliche Materialethik.

Verlag:

Gießen u. a.: Brunnen Verlag 2013. 320 S. EUR 29,95. ISBN 978-3-7655-9500-4.

Rezensent:

Harald Seubert

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Burkhardt, Helmut: Ethik. Bd. II,2: Das gute Handeln: Sexualethik, Wirtschaftsethik, Umweltethik und Kulturethik. Gießen u. a.: Brunnen Verlag 2008. 276 S. = TVG-Lehrbücher, 478. Geb. EUR 24,95. ISBN 978-3-7655-9478-6.


Helmut Burkhardts Ethik, die zu Recht viel Aufmerksamkeit und Resonanz erfuhr, ist nun abgeschlossen. Damit liegt ein knappes und souveränes Manuale christlicher Ethik vor, wie man es sich besser nicht wünschen könnte. Vorzüge, die schon bei den früheren Bänden des ebenso knappen und präzisen wie umfassenden Werkes zu Recht hervorgehoben worden sind, fallen wiederum auf. B. argumentiert auf einem sorgfältig ausgearbeiteten biblischen Fundament als Grundlage christlicher Ethik. Zugleich verbindet er den Schriftbezug souverän mit philosophischer Tradition, einschlägigen Ergebnissen der Humanwissenschaften und nicht zu­letzt der humanen Lebenswirklichkeit der Gegenwart. Er vermeidet Verengungen, die mitunter irrtümlich als christliches Proprium ausgegeben werden, stellt aber zugleich die das Leben gestaltende Kraft des christlichen Glaubens unter Beweis.
Im zweiten Teilband von Band 2 behandelt B. zunächst die Sexualethik und dann Wirtschaftsethik, Umweltethik und Kulturethik. Die letzten drei Felder fasst er unter dem Rubrum der ›Naturethik‹ zusammen. Geht es doch hier um das Verhältnis des Menschen als Ebenbild Gottes zur nicht-menschlichen Welt. Dabei besticht gerade der sexualethische Abschnitt durch eine klare Unterscheidung des Tunlichen vom Nicht-Tunlichen, die mit differenzierten Beurteilungen des Einzelfalles einhergeht. Diese Ethik nimmt den Menschen in reformatorischem Verständnis als Gerechten und Sünder zugleich in den Blick. Sie spricht daher nicht die Sprache einer abstrakten Normativität. Es ist vielmehr eine Ethik des geistlichen Ratschlags für ein gutes und gelingendes Leben.
In der Wirtschaftsethik konzentriert B. seine Überlegungen auf den Eigentums- und den Arbeitsbegriff. Er weist auf das biblisch fundierte Recht auf Bildung und Bewahrung von Eigentum hin, akzentuiert aber auch dessen Sozial- und Ökologiepflichtigkeit. So grundsätzlich er ansetzt, so sehr hat er doch die gegenwärtigen Fragestellungen und Herausforderungen vor Augen. Dies zeigt sich am begründeten Plädoyer für eine Soziale Marktwirtschaft gegenüber einem reinen Shareholder Value-Kapitalismus und der konzisen Abwägung der Chancen und Gefahren der Globalisierung. Durch das biblische Zeugnis ist dem Menschen auch eine besondere Verantwortung für die natürliche Um- und Mitwelt anvertraut. B. widerlegt hier unter anderem die naturalistische These eines anthropologischen Speziezismus. Der Mensch unterscheidet sich von anderen Lebewesen, dies bleibt auch schöpfungstheologisch festzuhalten. Denn »gerade die Sonderstellung des Menschen ermöglicht ihm, die nichtmenschliche Kreatur schützend in Obhut zu nehmen«. In der Kulturethik werden sowohl die ethische Ambivalenz der Technik als auch das Ethos von Wissenschaft und Erkenntnis behandelt, mit luziden Bemerkungen über die Theologie als Wissenschaft.
Der Band schließt mit dem Hinweis auf Kunst und den Zusammenhang von Wahrheit und Schönheit. B. fragt dabei auch nach der Möglichkeit und dem Profil einer christlichen Kunst in der Gegenwart, die sich auch in indirekter Mitteilung der göttlichen Schönheit und Herrlichkeit artikulieren kann.
Von besonderem Gewicht ist nun naturgemäß der abschließende dritte Band des Gesamtwerkes. In ihm wird B.s Profilierung einer spezifisch christlichen Ethik expliziert. Gerade hier liegt die Neuheit der Konzeption, im besten Rückgriff auf den christlichen ›Magnus Consensus‹. Christliche Ethik geht aus der Erneuerung des Lebens im Licht der Zeitwende hervor, die mit Jesus Christus angebrochen ist. Sie steht damit also in einem universalen Horizont, auch wenn sich ihre spezifische Realisierung auf partikularem Weg vollzieht. Daher sind nach B. allgemeine und spezifisch christliche Ethik zwar voneinander zu unterscheiden, aber nicht voneinander zu trennen. Geht es doch um das christliche Zeugnis für die Welt und in der Welt.
B. gliedert den Aufriss in Normen und Felder der christlichen Ethik. Die Normen kulminieren einerseits in Jesu Ruf zur Umkehr und in die Nachfolge und andererseits in der Liebe als »Grundnorm christlicher Lebensführung«. B. entwickelt das normative Profil des christlichen Ethos in eingehenden Exegesen in heilsgeschichtlicher Linie, von der Bergpredigt über die Apostelgeschichte bis zu den Briefen und der Johannesoffenbarung. Hier besticht die Verbindung von exegetischer Detailkenntnis und souveräner Zusammenschau der großen Linien. Die verschiedenen biblischen Bücher werden in ihrer je eigenen Stimme und zugleich in ihrem symphonischen Zusammenhang charakterisiert.
Christliche Liebe ist vielleicht das überzeugendste Zeugnis christlichen Glaubens gegenüber der nicht-christlichen Welt. Es bleibt dieser Welt, wie B. zutreffend konstatiert, gewiss fremd. Zugleich übt es aber eine hochgradige Faszinationsmacht aus. Un­trennbar ist dabei die Liebe zu Gott und die Liebe zum Mitmenschen. Sie befreit erst zu einer Selbstannahme, die nicht Eigenliebe ist.
Unter den Feldern christlicher Ethik wird zunächst die christliche Gemeinschaft (koinonia) thematisiert, die, in Kontinuität mit dem Sinaibund, in dem von Jesus gestifteten Neuen Bund ihre Grundlage hat. Ihre Wesensbestimmung hat sie in der christlichen Liebe. B. thematisiert von hier her das Proprium der historischen Ausprägungen von Gemeinschaftsformen, wobei seine hervorragenden Kenntnisse der Erweckungs- und der Diakonissenbewegung den Darlegungen Plastizität geben. So bereichernd in ihrer Konsequenz Kommunitäten sind, der Zielpunkt ist die Einheit der Christen, auch wenn sie innerweltlich nicht vollständig verwirklicht werden wird. B. macht deutlich, dass die christliche Gemeinschaft, die Communio Sanctorum, über die Zeiten hinweg besteht und damit Lebende und Tote in sich einbegreift. Sie geht deshalb über jede Institutionalisierbarkeit hinaus. – Dies führt auf die Leitourgia, das Christliche Gebet, als Mitte des Lebens des einzelnen Christen und der Gemeinschaft. B. behandelt dabei die Prägekraft aller Formen des Gebetes und weist ihre komplementäre Berechtigung in einer luziden Phänomenologie des Gebetes auf.
Das christliche Zeugnis (martyria) entfaltet er von seinen zwei zentralen Feldern her: der Mission und der christlichen Lehre. Mission wird dabei als unhintergehbare Sache jedes Christen erwiesen, was mit dem jüngsten Lehrschreiben von Papst Franziskus Evangelii Gaudium in enger Korrespondenz steht. Zu Recht betont B. auch, dass christliche Lehre ungeachtet moderner oder postmo-derner Zweifel die Abwehr falscher Lehre zum Ziel haben muss. Unverzichtbare Grundlage der Lehre bleibe aber die Geschichtlichkeit der Offenbarung. Nicht verschwiegen wird, dass christliche Zeugenschaft als äußersten Punkt der Realisierung das Martyrium einschließen kann. In der Diakonie schließlich gewinnt das christliche Liebeszeugnis eine soziale Manifestation im Zusammenhang der allgemeinen sozialen Verantwortung für den Nächsten. Mission und Diakonie sollten keineswegs gegeneinander ausgespielt werden. Sie sind die beiden Aufträge der einen Liebe Jesu Christi.
B.s Werk ist beides: eine Neuvermessung des Feldes allgemeiner Ethik und der Aufweis des christlichen Spezifikums guten Lebens. Es verdient daher innerhalb und außerhalb der Theologie und Kirche gleichermaßen große Aufmerksamkeit.