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Ausgabe:

Juni/2014

Spalte:

762–763

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Pfordten, Dietmar von der

Titel/Untertitel:

Rechtsphilosophie. Eine Einführung.

Verlag:

München Verlag C. H. Beck 2013. 128 S. = Beck’sche Reihe, 2801. Kart. EUR 8,95. ISBN 978-3-406-64484-9.

Rezensent:

Tobias Schieder

Der Verlag verspricht auf dem Einband eine kompakte Einführung in die Rechtsphilosophie. Nach einer kurzen Einleitung und einer Reflexion über den Gegenstand der Rechtsphilosophie in Abgrenzung zu verwandten Wissenschaftsdisziplinen kommt Dietmar von der Pfordten zügig zu den zwei Hauptfragen der Rechtsphilosophie: »Was ist Recht?« und »Welches Recht ist gerecht?«. Er möchte seinen Rechtsbegriff über die Beschreibung der Ziele und Mittel des Rechts gewinnen, da er Recht – eher unkonventionell – als »Handlung im weitesten Sinne« ansieht und Handlungen über Beschreibung ihrer Ziele und Mittel zu fassen seien.
In der Philosophiegeschichte von der Antike bis zur Neuzeit diagnostiziert er eine Verlagerung der Erörterung von den Zielen des Rechts – herkömmlich das Gute, die Gerechtigkeit und das Ge­meinwohl – zu den Mitteln des Rechts – klassisch als Befehl oder Zwang beschrieben. Der eigene Rechtsbegriff wird wie folgt ge­fasst: Recht ist ein soziales Phänomen mit dem Ziel der Vermittlung zwischen möglichen gegenläufigen, widerstreitenden Belangen und den Mitteln der Kategorialität, Externalität, Formalität und Immanenz. Trotz anschaulicher Argumentation bleiben Zweifel, ob der hier beschriebene Rechtsbegriff angesichts der Weite des formulierten Ziels und der Offenheit gegenüber den eingesetzten Mitteln tatsächlich eine extensional adäquate Definition liefern kann.
Zur Gretchenfrage jedes Rechtsbegriffs: Wie hältst Du’s mit der Moral? stellt der Vf. die in der aktuellen Debatte prominentesten Vertreter des Nichtpositivismus, eines inklusiven sowie eines exklusiven Rechtspositivismus vor. Die praktischen Folgen dieser Frage macht er anhand einer prägnanten Darstellung der, in der deutschen Rechtsordnung im Richterrecht rezipierten, Radbruchschen Formel deutlich.
Gutes Recht ist gerechtes Recht, aber wann ist Recht gerecht? Es gilt, Gerechtigkeit in den unterschiedlichsten Konstellationen zwischen verschiedenen Personen und Personengemeinschaften herzustellen. Je nachdem, ob der Bezugspunkt für eine gerechte Behandlung der Einzelne oder die Gemeinschaft ist, kann man den ethischen Maßstab als normativen Individualismus oder normativen Kollektivismus bezeichnen. Die Ethik der Neuzeit neigt deutlich dem normativen Individualismus zu. Nach prägnanter Darstellung der wichtigsten neuzeitlichen ethischen Konzepte stellt der Vf. sein Konzept eines normativen Individualismus vor.
Ausgangspunkt sind das Individuum und seine Belange bzw. Interessen, die zu den Belangen anderer Individuen durch Abwägung in Beziehung gesetzt werden müssen. Das zentrale Abwägungsprinzip für diese Belange lautet: Je stärker der Belang eines moralisch zu berücksichtigenden Individuums in der Entstehung oder Realisierung notwendig von anderen Betroffenen bzw. einer Gemeinschaft abhängt, desto eher muss sich das Individuum eine Relativierung in der Abwägung gefallen lassen. Hierbei sollen drei Zonen unterschieden werden: Die Individualzone, die Relativzone sowie die Sozialzone, wobei die Abhängigkeit der Belange von anderen und damit deren Relativierbarkeit von Zone zu Zone stets zunimmt. Das Abwägungsprinzip ist für den Juristen aus dem Bereich der Grundrechtsinterpretation bekannt und hat sich hier bewährt. Die Einteilung in Zonen erinnert stark an die vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Rechtsprechung zum Persönlichkeitsrecht entwickelte Einteilung in die Intim-, Privat- und Sozialsphäre.
Der Band bietet eine konzise Zusammenfassung der Rechtsphilosophie des Vf.s mit einer Darstellung der wichtigsten Referenzen für seine Theoriebildung. Eine Einführung in »die« Rechtsphilosophie im Sinne einer Darstellung der großen Rechtsphilosophen und des aktuellen Debattenstands liefert er allerdings nicht. Die Ab­handlung eignet sich daher besonders für (rechts)philosophisch vorgebildete Personen, die Interesse an einer Auseinandersetzung mit dem Rechtsbegriff und der Rechtsethik des Vf.s haben.