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Ausgabe:

Juni/2014

Spalte:

759–761

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Clement, Hans

Titel/Untertitel:

Antwort auf den Nihilismus. Die Philosophische Theologie von Wilhelm Weischedel.

Verlag:

Leuven u. a.: Peeters Publishers 2010. XII, 261 S. = Studies in Philosophical Theology, 46. Kart. EUR 48,00. ISBN 978-90-429-2362-1.

Rezensent:

Philipp David

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Clement, Hans: Wilhelm Weischedel und die skeptische Philosophie. Eine Einführung. Aus d. Niederl. übers. v. V. Krauch. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2012. 191 S. Geb. EUR 29,90. ISBN 978-3-534-23109-6.


Über Weischedels »Philosophische Hintertreppe« (40. Aufl. 2012) führte der Weg so mancher Philosophie- und Theologiestudierender ansprechend und anekdotenreich in die gelehrten Gefilde und privaten Räume prominenter Philosophen. Sein eigener Entwurf einer Philosophischen Theologie hingegen führte in den 1960er und 1970er Jahren zu aufgeregten Auseinandersetzungen. Insbesondere Theologen (H. Gollwitzer, W. Pannenberg, W. Trillhaas, G. Noller, H.-G. Geyer, R. W. Jenson), aber auch Philosophen wie W. Müller-Lauter, der neben M. Theunissen sowie den Politikwissenschaftlern Alexander und Gesine Schwan zu Weischedels bekanntes­ten Schülern gehörte, fühlten sich von ihm herausgefordert, denn er holte unzeitgemäß Gott wieder als angestammtes Themenfeld in die Philosophie zurück und machte der Theologie damit nicht nur ihren ureigenen Gegenstand streitig, sondern sein Philosophieren, verstanden als radikales Fragen, zielte auch auf eine philosophische Uminterpretation des christlichen Glaubens, die jedes Dogma und jeden Glaubensgehalt, und damit auch die Personalität des biblischen Gottes, skeptisch geprüft hinter sich ließ. Doch gerade das macht sein Denken nicht nur anschlussfähig für eine kritische Exegese, sondern auch für eine gegenwärtig zu beobachtende systematisch-theologische Rezeption des skeptischen Denkens der alttestamentlichen Weisheit Kohelets.
Hans Clement zeichnet in seiner 2006 fertiggestellten, für die Drucklegung völlig überarbeiteten und 2008 abgeschlossenen Dissertationsschrift (Betreuer: Peter Jonkers, Universität Tilburg, Niederlande) diese Kontroversen in Kapitel III (»Theologische Kritik an Weischedels Philosophischer Theologie«) und Kapitel IV (»Philosophische Kritik an Weischedels Philosophischer Theologie«) systematisch nach. Er fühlt sich damit als Erbe eines von Weischedel selber nicht mehr realisierten Vorhabens (24). Der Berliner Philosoph wollte seinen Kritikern ausführlich in einem dritten Band zu seinem Hauptwerk »Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer Philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus« (Bd. I: 1971; Bd. II: 1972) unter dem Titel »Diskussionen um den Gott der Philosophen« antworten. Für C. jedoch ist die von Weischedel herausgearbeitete These aus den vorliegenden Schriften bereits plausibel: Die einzige tragfähige Alternative zum Nihilismus, den C. in seiner Einleitung (1–25) als »das Grundproblem der gegenwärtigen Philosophie« bestimmt, ist der Gott der Philosophen, den Weischedel »das Vonwoher der Fraglichkeit« nennt und der zu­gleich das Geheimnis ist, das der Mensch abschiedlich als Geheimnis zu wahren habe. Diese (zirkulären) Grundzüge der Philosophischen Theologie Weischedels (»Die radikale Fraglichkeit«; »Das radikale Fragen«; »Das Vonwoher«) arbeitet er in Kapitel II heraus, nachdem er das Verhältnis Weischedels zu Heideggers Denken dargestellt hat (Kapitel I: Heidegger und Weischedel: Lehrer und Schüler).
Doch bleibt Weischedels »Theologie des Vonwoher« für ihn am Ende fragwürdig, wenn er die »Theologie der Hoffnung« J. Moltmanns als »fruchtbare« Ergänzung zu Weischedels Antwort auf den Nihilismus vorschlägt (232–241), denn ohne Hoffnung auf Überwindung des Nichts und des Todes gäbe es keine Antwort auf das Grundproblem des Nihilismus. Die Radikalität des Fragens Weischedels schreckt den Philosophen C. auf, wenn er den Menschen nicht bloß als animal metaphysicum, sondern auch als animal sperans (242) betrachten möchte und in der Hoffnung eine »bestimmte Vernünftigkeit« ausmacht, die er allerdings nicht weiter ausführt. Für Weischedel war die christliche Hoffnung eine, »die ungegründet im Leeren schwebt« (Der Gott der Philosophen II, 24). Doch C. erkennt die Hoffnung nicht nur als christliche, sondern entdeckt sie auch in der platonischen Philosophie (241–243) wieder, insofern wäre sie ein Theologie und Philosophie gleichermaßen angehendes Thema, das als metaphysisches Thema aber noch auf seine Wiederentdeckung wartet. Doch ob es im Sinne von Weischedels philosophischer Uminterpretation des christlichen Glaubens wäre, zu folgern, dass »[d]er Gott der Philosophen und der Gott der Bibel […] so gesehen im Grund ein und derselbe Gott [sind ]– ein Gott, der sich wohl unterschiedlich offenbart und so den diversen Ausprägungen des einen menschlichen Geistes entspricht« (241), bleibt wohl fraglich, wenn die christliche Theologie »die Wahrheit in ihrer vorläufigen Gestalt« ist und der philosophisch-theologische Begriff Gottes allein Kriterium dafür, »was allein verantwortlich über Gott gesagt werden kann« (Der Gott der Philosophen II, 245). Es bleibt darüber hinaus jedoch für eine weit ere systematische Beschäftigung die Frage zu diskutieren, ob eine Weiterführung des Denkens Weischedels nicht eher an das Weisheitsdenken eines Kohelet an­schließen könnte. Denn dieser nimmt ebenfalls eine skeptische Haltung ein, die sich fragend und prüfend umschaut (griech. sképtesthai), ob sich angesichts des Sich-Entziehens Gottes und der damit verbundenen Krise des Gottesglaubens nicht doch ein tragfähiger Grund in ethischer Hinsicht finden ließe, der sich wie Weischedels skeptische Grundhaltungen der Offenheit, Abschiedlichkeit und Verantwortlichkeit maßvoll an der Zukunft orientiert und sich nicht von übermäßiger Hoffnung leiten lässt.
In seiner Einführung in Weischedels skeptische Philosophie wird der Hoffnungsgedanke auch nicht wiederaufgenommen, son­dern werden der Philosophischen Theologie die Grundgedanken der »Skeptischen Ethik« (1976) vorgeschaltet. Einleitend gesellt er den Philosophen nach biographischen Einblicken in sein pietis­tisches Elternhaus, das Studium in Marburg bei Heidegger und Bultmann, den Widerstand gegen die NS-Diktatur und schließlich in die Wirksamkeit als Professor (Kapitel I: »Das Leben eines Skeptikers«) seinen »besten Freunden« (18) »von Pyrrhon bis Nietzsche« zu (Kapitel II). In dieser ersten deutschsprachigen Einführung, die aus dem Niederländischen übersetzt wurde, soll Weischedels Denken über die Wissenschaftliche Buchgesellschaft, zu deren Begründern er 1949 selber gehörte, einer breiteren Leserschaft bekannt gemacht werden, mit dem Ziel: »Sich mit Weischedel zu befassen, heißt, das Philosophieren zu lernen.« (12)
Kapitel III unternimmt einen »ontologischen Streifzug« zum dialektischen »Schweben zwischen Sein und Nichtsein«, das als ein »sich in der Mitte zwischen extremen Möglichkeiten halten« (74) aufgefasst wird. Weischedels konstruktiver Skeptizismus (87) kommt als radikales Fragen zu einem Stillstand, wenn er eine stichhaltige Antwort auf die radikale Fraglichkeit erhält. Doch soll in seinem »offenen« Skeptizismus, im Gegensatz zu einem »dogmatischen«, der Weg zur Wahrheit möglichst lange offen bleiben, aber nicht vollkommen verborgen, wie es bei einem »totalen« Skeptizismus der Fall wäre. (88) Frei von alten Annahmen rekonstruiert C. nun die neuen Antworten Weischedels, wenn er den Skeptizismus als Wurzel seiner Ethik (Kapitel IV: »›Werdet frei von Dogmen!‹ Aufruf zur Skeptischen Ethik«) und seiner Philosophischen Theologie (Kapitel V: »Gott der Philosophen und Gelehrten, nicht Abrahams, Isaaks und Jakobs«) sieht: »Der Skeptiker fragt unmittelbar nach Gott, also ohne die Vermittlung einer bestimmten Heilsgeschich te.« (136 f.) Doch kann eine solche Transformation nicht ohne Anknüpfung an das Bekannte angegangen werden, »um das noch Unbekannte verständlich zu ma­chen.« (157). Die Schwebe der Fraglichkeit bedarf einer Sprache, die diese respektiert. Die »schwebenden Sprache« kann daher auch nicht eine völlig neue sein, denn sonst bliebe sie unverständlich, aber sie kann in modifizierter Interpretation der traditionellen Begriffe bewirken, dass die schwebende Sprache plötzlich etwas Neues zum Ausdruck bringt (157). So zeige sich Gott, als das Vonwoher der Fraglichkeit, bei näherer Betrachtung als »Ruf in die Frage« (158). Gott ruft den Menschen auf, in Offenheit kritisch zu fragen, und somit wäre der Ruf in die Frage zugleich ein »Ruf in den Abschied« (159).
Dass eine barthianisch geprägte Offenbarungstheologie auf Weischedels Philosophische Theologie nur mit Verständnislosigkeit reagieren konnte, war vorherzusehen und ist Teil der neueren Theologiegeschichte, aber ob ihre theologischen Argumente heute noch überzeugend sind, ist zu bezweifeln. Eine am weisheitlichen Denken orientierte Systematische Theologie kann sich diesen kritischen Anfragen in der gegenwärtigen Situation nicht mehr entziehen, sondern wäre in der Lage, den abgerissenen Dialogfaden wieder aufzunehmen.
Auf Weischedel wieder aufmerksam gemacht zu haben, ist das Verdienst von C.s beiden Studien, auch wenn die Dissertationsschrift in ihren Voraussetzungen und Schlussfolgerungen fragwürdig bleibt und die Einführung manchmal sprachlich etwas salopp daherkommt. Da Weischedels Hauptwerk »Der Gott der Philosophen« in einer neuen Auflage (5. Aufl. 2013) wieder zugänglich gemacht wurde, kann man sich selbst in gebührender Offenheit radikal in Frage stellen lassen und erlesen, dass gerade, wenn das alte Gebäude nicht mehr trägt, Zwischenräume ihren besonderen Reiz haben können, in die wiederzuentdeckende philosophisch-theologische Hintertreppen hinein und auch wieder hinaus zu führen vermögen.