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Ausgabe:

Juni/2014

Spalte:

749–750

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Feld, Helmut

Titel/Untertitel:

Das Ende des Seelenglaubens. Vom antiken Orient bis zur Spätmoderne.

Verlag:

Münster u. a.: LIT Verlag 2013. XVI, 983 S. = Religionswissenschaft: Forschung und Wissenschaft, 10. Geb. EUR 99,90. ISBN 978-3-643-12200-1.

Rezensent:

Wolfgang Pauly

Helmut Feld, als Theologe und Historiker Honorarprofessor an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken, wurde mit seinen umfassenden Arbeiten über Franz von Assisi (2001) und Ignatius von Loyola (2006) und als Herausgeber der Werke des Theologen der Reformationszeit Wendelin Steinbach auch über den engeren Kreis von Fachgelehrten bekannt. Ebenso ist F. Mitglied der Internationalen Kommission für die Herausgabe der Werke Johannes Calvins. Herausragende Kenntnis der jeweiligen Quellen und eine verständliche Sprache bei deren Vermittlung zeichnen sein breit gefächertes Werk aus. Das nun vorlegte Buch über »das Ende des Seelenglaubens« sprengt allerdings in Umfang, Breite der Quellen-Forschung und systematischer Darstellung alles bisher von F. Publizierte. Ein solches monumentales Werk ist nur als Alterswerk verstehbar, in das die Arbeit eines ganzen Forscherlebens eingeflossen ist. Als solches kann es auch wie ein Kompendium der europäischen Kultur- und Religionsgeschichte gelesen werden.
Die These: Spätestens seit dem 19. Jh. kommt es in Philosophie, Theologie aber auch in der Alltagskultur zu einem immer stärkeren »Vergessen der Seele« (3). Ist mit »Seele« aber »eine das gesamte Leben tragende Grundüberzeugung« gemeint (3), dann kann nach F. dieser Verlust nicht ohne gravierende Folgen für den Menschen und seinen Lebensvollzug bleiben. Auf fast 1000 Seiten unternimmt er deswegen den Versuch, die für die menschliche Kultur unabdingbare Bedeutung des Seelenglaubens zu dokumentieren. Dies geschieht in souveräner Beherrschung der klassischen und der modernen Sprachen, was mögliche Fehler bei traditionellen Übersetzungen offenbart und Deutungsalternativen anbietet. Von Ägypten über die griechischen und lateinischen Klassiker geht es zur christlichen Theologie von der Alten Kirche über das Mittelalter bis hin zu theologischen Neuansätzen der Gegenwart. Neben der Theologie und Philosophie setzt sich F. auch kritisch mit der Kunst und der Literatur auseinander, was auch einen Blick in die Fantasy-Literatur und das Gespräch mit dem Bergsteiger und Abenteurer Reinhold Messner einschließt.
Eine Reflexion über die Texte des Alten Testaments soll dabei das weit verbreitete Urteil der Forschung revidieren, dass dem alten Israel der Glaube an eine unsterbliche Seele wegen der erfahrbaren Begrenzung des irdischen Lebens durch den Tod und wegen der Absetzung Israels vom Totenkult bei den Nachbarkulturen fremd geblieben sei. Wird das Leben als Gottesgabe gedeutet, dann bedeutet dies für F.: »weil es von Gott ausgegangen ist«, ist es »im Prinzip ewig«. Zwar »nimmt Gott im Tode das ›Leben‹ ( nischmat) wieder an sich, aber die ›Seele‹ (nephesch) wird nicht zerstört und überdauert den Tod« (41). Diesem Aufweis einer unsterblichen Seele gilt das Anliegen F.s. Da die Seele als den Körper im Tod überdauerndes Phänomen aber nicht nur in philosophischen Ansätzen, sondern zunehmend seit der Reformation (vgl. 415 ff.) auch in den christlichen Theologien in Frage gestellt wird, gilt F.s Fundamentalkritik dem »gelehrten Schwachsinn, den die neuere Bibelexegese […] ganzen Generationen von Theologiestudenten und einem ratlosen Kirchenvolk geboten hat« (887). So sieht F. zunehmend die europäische Geistes- und Kulturgeschichte als Verfallsgeschichte mit Auswirkungen bis hin zur oft anonymen Bestattungskultur. Eine gegenläufige Überlegung könnte allerdings bereits an dieser Stelle fragen, ob die von F. so kenntnisreich aufgezeigte Entwicklung nicht auch als Befreiungsgeschichte gelesen werden kann. Die über Generationen verbreiteten Ängste vieler Menschen vor dem Schicksal ihrer Seele im Fegefeuer und in der Hölle belasten gegenwärtig meist nur noch die Anhänger religiöser Randgruppen.
Wie bei jedem theologischen Entwurf geht es auch in der Arbeit F.s letztlich um die Gottesfrage. In der traditionellen Konzeption des Gottesbegriffs im Kontext der klassischen Metaphysik ist da-mit ein vor, über und unabhängig vom Menschen seiendes Wesen beschrieben. Gerade dies ist allerdings im »nachmetaphysischen Zeitalter« nicht zuletzt wegen der Erfahrungslosigkeit des mit dem traditionellen Wort »Gott« Gemeinten nur schwer nachzuvollziehen. Zudem bleiben auch im metaphysischen Gottesbild die unter dem Stichwort »Theodizee« zusammengefassten Probleme wie Leid, vorzeitiger Tod und unverschuldete Katastrophen letztlich ungelöst – nicht zuletzt weil diese eben unlösbar sind. Die Veränderungen eines Weltbildes verlaufen allerdings nie ohne Verluste –, dies sieht F. mit eindringlicher Schärfe. Positivismus und Reduktion des Menschen auf Berechenbarkeit und Machbarkeit machen diesen zu einem von Werbung und allerlei Seelenfängern manipulierbaren Objekt. Allerdings lassen sich geistesgeschichtliche Entwicklungen weder aufhalten noch gar umkehren. Wie der von F. ausführlich erörterte Ansatz von Jürgen Habermas zeigt (vgl. 815 ff.), kommt es vielmehr darauf an, die in metaphysischer Gestalt tradierten Ge-halte nach ihrem Befreiungspotential auch für den Menschen der (Post-)Moderne zu befragen und diese Inhalte dann in dessen Lebenswelt zu übersetzen. Letztlich ist auch die Kritik an dem Glauben an eine vom Körper trennbare Seele sehr alt. Bereits Aristoteles wendet sich bekanntlich energisch gegen die Vorstellung einer vom Körper separierbaren Seele in der Philosophie Platons. F. schreibt selbst: »Etwas verkürzend, aber durchaus nicht un­zutreffend könnte man sagen, dass Aristoteles der Philosoph ist, der in der Antike am radikalsten das Ende des Seelenglaubens vorgedacht hat, radikaler als vor ihm Demokrit und nach ihm Epikur« (126). Die aristotelische Bestimmung der Seele als Lebensprinzip (anima forma corporis) aber ließe sich auch heute jenseits eines grundsätzlichen Dualismus mit der Freiheitserfahrung des Menschen in Einklang bringen. »Seele« steht dann für menschliche Kreativität, Esprit, Mitmenschlichkeit und Lebensfreude, was wiederum nicht auf die berechenbare und analytisch beschreibbare Dimension des menschlichen Körpers reduziert, aber eben auch nicht von diesem getrennt werden kann. Diese Konzeption könnte sogar gesellschaftliche und politische Sprengkraft entfalten, wenn danach gefragt würde, was denn konkret auch heute die Entfaltung von schöpferischem Leben fördert oder zerstört. Die klassische Theologie im Gewand der Metaphysik zählt zu den Eigenschaften Gottes dessen Ewigkeit und Unsterblichkeit. So sein zu wollen wie Gott beschreibt allerdings schon die zweite Schöpfungserzählung der Genesis als ein verführerisches Versprechen der Schlange.