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Ausgabe:

Juni/2014

Spalte:

736–737

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Fried, Johannes

Titel/Untertitel:

Karl der Große. Gewalt und Glaube.

Verlag:

4. Aufl. München: C. H. Beck Verlag 2014. 736 S. m. zahlr. Abb. u. Ktn. Geb. EUR 29,95. ISBN 978-3-406-65289-9.

Rezensent:

Jobst Reller

Johannes Fried, ehemals Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Frankfurt am Main, hat auf der Grundlage um­fassenden Quellenstudiums ein monumentales Werk über König und Kaiser Karl, genannt der Große, rechtzeitig zu dessen 1200. Todesjahr 2014 vorgelegt. Nicht nur der Untertitel »Gewalt und Glaube« unterstreicht die kirchengeschichtliche Relevanz, weil bei Karl eine verhängnisvolle Form der Mission als Schwertmission in den Kriegen gegen die Sachsen grundgelegt ist. Auch bei der Lektüre des Bandes wird immer wieder deutlich, wie sehr kirchenordnende Maßnahmen Karls das Bild abendländischen Christentums bis heute in zentralen Stücken wie im katechetischen Grundwissen oder in der Textform des Glaubensbekenntnisses ( filioque) geprägt haben. Damit ist mit dem Begriff »praktisch rationale Ordnung« bereits ein nach F. bei Karl für alle Herrschaftsbereiche grundlegender Begriff gefallen. Instruktiv ist das Kapitel über Anweisungen zu rationaler Ordnung der Wirtschaft (201 ff.) unter den Bedingungen mittelalterlicher Grundherrschaft – um letztlich die Effizienz des Wirtschaftens zu steigern.
Straff skizziert F. die Wirkungsgeschichte Karls, die bei seinem nach dem berühmten Merowingerahnen Chlodwig genannten Sohn Ludwig, dem Frommen, zunächst sehr kritisch gesehen wird: Karl als großer Sünder angesichts seiner vielen Frauenbeziehungen (17). Ludwig stimuliert allerdings eben dadurch das bis heute wirkmächtigste Werk des Angelsachsen Einhard, die »Vita Karoli«: Karl, der Held, der erfolgreiche König und Kaiser. Um 1000 hatte sich das Epitheton »der Große« durchgesetzt, unter den Ottonen gilt Karl als Apostel der Sachsen, in der Stauferzeit wurde Karl 1165 kanonisiert. Dennoch gilt: »Eine Karlsbiographie im modernen Sinne ist unmöglich. Wir fassen nur wenige Taten, nur Anweisungen, die er erlassen haben dürfte, nur Ergebnisse seiner Herrschaft, unpersönliche Lebensspuren […].« (21) Persönliche Aussprüche Karls sind kaum überliefert – allein apodiktische Akklamationen zur theologischen Streitschrift zur Bilderverehrung, dem »Opus Caroli«, nach dem Konzil von Nizäa 787 sind von Karl persönlich überliefert. Sie lassen sich im Blick auf Karls Selbstverständnis deuten als tugendgeleiteter, in seiner Herrschaft Gott naher König, Gleichnis seines Schöpfers: »Der König der Kirche ergeben, als geisterfüllter Gottesträger, als Nachfolger Christi.« (50) Ein byzantinisch anmutendes Verständnis christlicher Weltherrschaft von König und Kaiser als Schutzherr und Ordner der Kirche wird von F. in allen noch wahrnehmbaren Verästelungen aufgesucht. Damit liegt die kirchengeschichtliche Relevanz der Biographie als Gegenbild zu pluralis-tischen Gesellschaftsformen der Moderne auf der Hand. Der Rückbezug etwa auf ein anfänglich einiges christliches Europa bei Karl – wie in der deutschen Forschung nach dem Zweiten Weltkrieg – erweist sich als vielschichtig, wenn er redlich erfolgen soll.
Ist eine eigentliche Biographie aufgrund von Selbstaussagen unmöglich, so bleibt nur der Weg, auf eine strenge chronologische Ordnung zu verzichten und die Abschattung des Wirkens seiner Person in allen Lebensbereichen seiner Zeit wahrzunehmen. Nach einem einleitenden »Prolog« (15–30) skizziert F. das zu Kindheit und Jugend Karls und seiner Umwelt zu Sagende: II »Der Knabe« und III »Die Umwelt des Frankenreiches: Kommunikation mit dem Fremden« (31–73 bzw. 75–120). Dann stellt F. Bereiche des Herrschaftshandelns vor der Kaiserkrönung 800 vor: König Karl als Kriegsherr (u. a. gegen Sachsen, Spanien, Baiern und Pannonien) (121–200), die Wirtschaft (201–257), die Person des Herrschers, die Grundstruktur des Königshofs (259–371 bzw. 373–431). Kapitel VIII schildert die »Erneuerung der Kaiserwürde« (433–495), Kapitel IX den »Imperator Augustus« am Ziel seiner Wünsche (497–587). Kapitel X fragt als »Epilog« nach »Mythos und Heiligkeit« und Karls Bedeutung für heute (589–633). Karls Wirkung im Blick auf eine weite Teile Westeuropas einende christliche Kultur steht außer Frage, in Anknüpfung an den belgischen Forscher Pirenne hält F. fest, dass für Karl diese Kultur auch vielfältigen Prozessen der freundschaftlichen, aber auch feindschaftlichen Begegnung etwa mit islamischer Kultur offenstand. Hier könne eine sich zunehmende global verstehende Welt anknüpfen.
Eines macht F.s Werk plausibel. Schon von seinem Vater Pippin übernahm Karl den Willen, eine eigene Dynastie aufzubauen und ihre Herrschaft zu stärken und zu fördern. Karls viele Frauenbeziehungen scheinen u. a. auch diesem Zweck zu dienen (236). Umgekehrt ließen sich auswärtige Erbansprüche durch Monastisierung aller möglichen Thronprätendenten aus der eigenen Dynastie verhindern. Man vergleiche die widerrechtliche Ausschaltung des Bayernherzogs Tassilo III. (182 ff.). Schon Karls sorgfältig geplanter und symbolträchtiger Einzug in Rom bis zum Lateranpalast auf dem Celio Ostern 773 zeigt (132 ff.), dass das christliche Kaisertum Konstantins eigentliches Ziel seiner Herrschaft war, wie es baulich schließlich in Aachen seinen Ausdruck fand.
Das enzyklopädische Werk ist durch ein Register der Personen- und Ortsnamen – leider nur in Auswahl – erschlossen. Vollständige Register und ein solches der Hauptsachen würden den Band noch leichter zugänglich machen.