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Ausgabe:

Juni/2014

Spalte:

734–735

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Snodgrass, Klyne R.

Titel/Untertitel:

Stories with Intent. A Comprehensive Guide to the Parables of Jesus.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2008. XVIII, 846 S. Lw. US$ 56,00. ISBN 978-0-8028-4241-1.

Rezensent:

Enno Edzard Popkes

Die von Klyne R. Snodgrass vorgelegte Monographie versteht sich als ein umfassendes Handbuch zum Studium der Gleichnisse Jesu, insofern sie eine Kommentierung nahezu aller synoptischen Gleichnis-Traditionen bietet. Sie ist leserfreundlich gestaltet und verfügt über einen klar strukturierten Aufbau. Einleitend skizziert S. zunächst die methodischen Prämissen und wesentlichen Charakteristika seiner Auslegungen (1–35). Daraufhin skizziert er das facettenreiche Spektrum gattungs- und religionsgeschichtlicher Vergleichsgrößen der neutestamentlichen Gleichnis-Traditionen, auf welches in den nachfolgenden Auslegungen fortwährend re­kurriert wird (37–59). Auf diesem Fundament basieren seine Interpretationen der Gleichnisse, die den Hauptteil der Studie verkörpern (61–564). Ein Proprium dieser Auslegungen besteht darin, dass die Jesus zugeschriebenen Gleichnisse in Bezug auf neun Leitgedanken thematisch geordnet werden, nämlich in Bezug auf Gnade und Verantwortlichkeit (61–92), Verlorenheit (93–144), Gegenwart des Gottesreiches (179–254), Israel (255–326), Jüngerschaft (327–388), Geld (389–436), Gott und Gebet (437–476) sowie Eschatologie (477–564). Eine Sonderstellung in den genannten Themenfeldern nimmt das Sämann-Gleichnis ein. S. interpretiert es in Verbindung mit der sogenannten Parabeltheorie Mk 4,10–12 par. und versucht auf diese Weise den Zweck und die Intention der Gleichnisrede Jesu zu veranschaulichen (145–178).
Die Interpretationen der Gleichnisse sind symmetrisch aufgebaut. Nach der gattungsgeschichtlichen Zuordnung werden einzelne Aspekte der Textbereiche skizziert. Daraufhin werden gattungs- und religionsgeschichtliche Vergleichsgrößen benannt, die auf die im zweiten Kapitel der Studie skizzierten Traditionskreise rekurrieren. Im Anschluss hieran werden in Bezug auf Gleichnisse, die in mehreren Evangelien überliefert sind, individuelle thematische Akzentsetzungen und etwaige Abhängigkeitsverhältnisse diskutiert. Nachdem sprachliche und kompositorische Besonderheiten und kulturgeschichtliche Hintergrundinformationen gegeben werden, folgt die Interpretation der jeweiligen Aussageintentionen.
Die von S. vorgelegte Studie verkörpert eine der prominentesten Stimmen der jüngeren US-amerikanischen Gleichnisforschung. In diesen Zusammenhängen erfuhr sie in den letzten Jahren nicht nur bemerkenswerte Aufmerksamkeit, sondern erhielt auch verschiedene Ehrungen. Gleichwohl unterscheidet sie sich markant von Entwicklungen der jüngeren deutschsprachigen Gleichnisforschung (vgl. u. a. R. Zimmermann/D. Dormeyer/G. Kern/A. Merz/ C. Münch/ E. E. Popkes [Hrsg.], Kompendium der Gleichnisse Jesu: eine Einführung in ihre Erforschung und Kommentierung aller frühchristlichen Gleichnisse, Gütersloh 2007; R. Zimmermann, Hermeneutik der Gleichnisse Jesu. Methodische Neuansätze zum Verstehen urchristlicher Parabeltexte, Tübingen 2008). Die Differenzen dieser Auslegungsansätze lassen sich bereits bei den methodischen Prämissen erkennen. S. nimmt eine verhältnismäßig kritische Haltung gegenüber historisch-kritischen Interpretationen frühchristlicher Texte ein (vgl. vor allem die einleitenden Überlegungen zu »NT Criticism – Assumptions and Hesitations, Method and Procedure«, 31–36). Speziell für die Gleichnistraditionen ist dabei von Relevanz, dass diese Skepsis auch der Zwei-Quellen-Theorie gilt (andere Theorien zur Entstehungsgeschichte der synoptischen Evangelien werden kaum diskutiert). Stattdessen hebt S. eher thetisch hervor, dass mündliche Traditionsprozesse von entscheidender Bedeutung für die Vermittlung und Formierung frühchristlicher Erzählungen von den Worten und Taten Jesu waren (vgl. 33 f.). Eine genauere Begründung und methodische Reflexion dieser These bzw. eine Skizze entsprechender Forschungsdiskurse wird jedoch nicht geboten. Angesichts dieser hermeneutischen Prämissen verwundert es nicht, dass in den einzelnen Auslegungen Fragen nach etwaigen Traditionsstufen der Gleichnisse nur marginal thematisiert werden. Entsprechend wird kaum reflektiert, inwiefern einzelne Gleichnistraditionen auf Jesus selbst zurückgeführt werden können bzw. inwiefern sie für die Frage nach dem historischen Jesus von Bedeutung sein können. Auch wird kaum der Frage nachgegangen, inwiefern sich in den Entwicklungsstadien der Gleichnisse u. a. auch Veränderungen der religionssoziologischen Situation der Trägerkreise wi­derspiegeln. Die Konsequenzen dieses Zugangs lassen sich thetisch zeigen an Rekursen auf außerkanonische Gleichnisse, die Jesus zugeschrieben werden. S. verweist verhältnismäßig häufig auf das Thomasevangelium.
Dieser Sachverhalt ist wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass dem Thomasevangelium in nordamerikanischen Forschungsdiskussionen besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. S. rekurriert auf das Thomasevangelium stets dort, wo es Analogien zu synoptischen Gleichnistraditionen aufweist. Gleichnistraditionen des Thomasevangeliums, die keine Affinitäten zu neutestamentlichen Texten besitzen, werden hingegen nicht thematisiert. Dabei gibt es auch hier Überlieferungen, die nach weitgehendem Konsens im Kern auf Jesus zurückgeführt werden können (vgl. vor allem die Diskussion zum sogenannten Attentätergleichnis EvThom 98). Auch weitere außerkanonische Gleichnisse, die Jesus zugeschrieben werden, werden von S. kaum in die Diskussion einbezogen.
Wenn man sich der hermeneutischen Prämissen der Auslegungen von S. bewusst ist, können seine Interpretationen als inspirierender und wichtiger Beitrag zur Forschungsdiskussion betrachtet werden. Insbesondere in Bezug auf textsynchrone Zugänge bieten sie für Leser und Rezipienten wertvolle Hinweise, die neutestamentliche Gleichnisse in konkreten Applikationszusammenhängen thematisieren und interpretieren (entsprechend wird einleitend hervorgehoben, dass es vor allem für Mitarbeiter kirchlicher und schulischer Einrichtungen konzipiert wurde). Wer sich hingegen darüber hinaus auch in die angesprochenen exegetischen Problemfelder einarbeiten möchte, sollte weitere Beiträge der klassischen und jüngeren Gleichnisforschung rezipieren.