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Ausgabe:

Juni/2014

Spalte:

732–734

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

McKnight, Scot, and Joseph B. Modica [Eds.]

Titel/Untertitel:

Jesus Is Lord, Caesar Is Not. Evaluating Empire in New Testament Studies. Foreword by A. Crouch.

Verlag:

Downers Grove: Intervarsity Press 2013. 224 S. = IVP Academic. Kart. US$ 22,00. ISBN 978-0-8308-3991-9.

Rezensent:

Joel R. White

Eine seit etwa zwei Jahrzehnten im angelsächsischen Raum unter der Rubrik »Empire Criticism« rege geführte Diskussion ist bisher in deutschen Fachkreisen auf wenig Resonanz gestoßen. Empire Criticism stellt sich der Aufgabe, im Neuen Testament implizite und codierte Kritik an Rom und dem Kaiserkult aufzudecken. Erstes Interesse daran erweckten bereits in den 1990er Jahren namhafte Gelehrte wie R. Horsley (Boston) und N. T. Wright (St. Andrews). Doch der »Empire Criticism-Zug« kam erst durch den vielerorts vermuteten Imperialismus der Bush-Regierung richtig ins Rollen. Selten waren die politischen Motive hinter einer theologischen Debatte so durchschaubar wie bei dieser (vgl. 148 f.). Entsprechend hat die Diskussion unter Obama, dem man je nach politischer Einstellung vieles, wohl aber kaum eine imperialistische Außenpolitik vorwerfen kann, etwas an Brisanz verloren. Fachleute können dies nur begrüßen, ermöglicht es doch einen sachlicheren Umgang mit dem Thema.
S. McKnight und J. B. Modica sammeln im vorliegenden Band die Stellungnahmen von zehn vor allem jüngeren Forschern, die sich bisher nicht (oder wenigstens nicht lautstark) an der Empire Criticism-Diskussion beteiligt haben, um ein – wie sie meinen – ausgeglichenes Bild des status quaestionis zu zeichnen. Man kann sich bei der Lektüre dieses kurzweiligen Werkes allerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass sich die Herausgeber ein positiveres Resümee erhofft hätten (vgl. Einleitung und Schlusswort) als das, das die einzelnen Beiträge tatsächlich liefern. Denn nur ein Beitrag (M. Bird) stimmt dem im Titel genannten Slogan »Jesus is Lord, Caesar is not« – er wird seit einigen Jahren in Empire Criticism-Kreisen als Inbegriff der Botschaft des Neuen Testaments kolportiert – mehr oder weniger uneingeschränkt zu. Eine Ausnahme, bei der man sich immer einig war, dass der Slogan den Tenor des Schreibens erfasst, ist natürlich die Johannesapokalypse. Alle Autoren beteuern wohlwollend ihre grundsätzliche Anerkennung dafür, dass Empire Criticism den Blick der Neutestamentler auf die Allgegenwart Roms an den Schauplätzen des Neuen Testaments gelenkt und sie daran erinnert hat, dass diese bei der Exegese neutestamentlicher Texte stets zu berücksichtigen ist. Ob eine intensivere Auseinandersetzung mit einschlägigen deutschen Werken manche englischsprachigen Ausleger vor einem langen Umweg bewahrt und sie trotzdem ans gleiche Ziel geführt hätte, sei dahingestellt. Die Lektüre lohnt sich dennoch.
Überraschend ertragreich ist das Vorwort von A. Crouch, Redakteur bei Christianity Today. Er bietet eine hilfreiche Definition von »Empire« (8), was in dieser Diskussion erstaunlich selten geschieht. Zudem erinnert er daran, dass erstens das Neue Testament dem Imperium Romanum selten direkte Aufmerksamkeit schenkt – und wenn, dann meistens mit politischem Desinteresse (J. Barclay argumentiert ähnlich) – und dass zweitens die neutestamentliche Vorstellung vom Königreich Gottes nicht minder »imperialistisch« ist; es wird bloß der Regent ausgetauscht. Es folgen einleitende Beiträge über »Roman Imperial Ideology and the Imperial Cult« (D. Nystrom) und »Anti-Imperial Rhetoric in the New Testament« (J. Diehl). Letzterer führt den Unkundigen gut in die Fachdiskussion ein. Vier Beiträge widmen sich der Frage, inwiefern »anti-im-perial rhetoric« jeweils in Mt, Lk, Joh und Act vorhanden ist, und kommen hauptsächlich zu negativen Ergebnissen. Davon verdient J. Willitts Analyse von Mt, vor allem wegen seiner methodologischen Anfragen an Empire Criticism, besondere Aufmerksamkeit. Willitts stimmt Crouch implizit zu, wenn er betont: »Matthew’s problem with empire, if one can even put it that way, was not empire per se, but whose empire« (84, Hervorhebung Willitts). Dies lässt sich m. E. gut auf das ganze Neue Testament übertragen. Von allen Beiträgen gewinnt M. Birds Aufsatz zu Röm dem Anliegen des Empire Criticism am meisten ab. Das wundert nach der Veröffentlichung des einflussreichen Hermeneia-Kommentars von R. Jewett (2006), der den Röm als »anti-imperialist letter« versteht, nicht. Paulus bediene sich laut Bird eines »hidden transcript« – dieses für Empire Criticism wichtige Konzept ist den Arbeiten des amerikanischen Politologen J. Scott (vgl. vor allem Domination and the Arts of Resistance: Hidden Transcripts, Yale 1990) entlehnt – und ist »tacitly counterimperial« (161). Wie die Versuche von Jewett und anderen vor ihm ist auch Birds Versuch, Röm 13,1–7 romkritisch zu deuten, nicht überzeugend. L. Cohick distanziert sich in ihrer Analyse des Phil, der wegen seiner politischen Metaphorik (vgl. Phil 3,20) auf Vertreter des Empire Criticism besonders anziehend wirkt, sowohl vom Empire Criticism als auch vom sogenannten postco-lonial criticism, der Paulus als das Paradebeispiel eines patriarcha-lischen Imperialisten auffasst, und schlägt einen vernünftigen Mittelweg ein. A. Be­vere leistet in seinem Beitrag zum Kol einen wichtigen Dienst, indem er das einflussreiche Buch Colossians Remixed von B. Walsh und S. Keesmaat (2004) einer ausführlichen Kritik unterzieht und – m. E. völlig zu Recht – als höchst problematisch beurteilt. Eine kurze Behandlung der Apk von D. Sheets rundet die Sammlung ab.
McKnight und Modica erleichtern mit ihrem Sammelband den Einstieg in eine Diskussion, die von einer stärkeren Beteiligung deutschsprachiger Exegeten profitieren könnte. Enttäuschend sind die großen Lücken, die die Beiträge lassen. Beispielsweise wird 1Thess nicht behandelt, obwohl sowohl die Parousia-Vorstellung des Apostels in 1Thess 4,13–18 als auch der Ausdruck »Friede und Sicherheit« in 1Thess 5,3 zu den beliebtesten Belegtexten des Empire Criticism gehören (m. E. unberechtigterweise). Auch der Eph bleibt unberücksichtigt. Als Bestandsaufnahme der angelsächsischen Forschungslage ist dieses Buch dennoch hilfreich. In ihm zeichnet sich – hoffentlich – eine Kurskorrektur in einer Forschungsrichtung ab, die manches zu bieten hat, wenn es ihr in Zukunft gelingt, methodisch sauberer und bedachter zu arbeiten.