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Ausgabe:

Juni/2014

Spalte:

730–732

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Matera, Frank J.

Titel/Untertitel:

God’s Saving Grace. A Pauline Theology.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2012. XVI, 267 S. Kart. US$ 28,00. ISBN 978-0-8028-6747-6.

Rezensent:

Udo Schnelle

Der renommierte katholische Neutestamentler Frank J. Matera (Washington, D. C.) hat eine kurz gefasste Gesamtdarstellung der paulinischen Theologie vorgelegt. In einem einleitenden Kapitel werden zunächst methodologische Fragen der Darstellung einer paulinischen Theologie behandelt und die Quellenbasis bestimmt. Ausgangspunkt sind die unbestritten sieben echten Paulusbriefe, zugleich nimmt M. aber an, dass Paulus der Autor des zweiten Thessalonicher- und des Kolosserbriefes sein könnte. Die Verfasserschaft des Epheserbriefes und der Pastoralbriefe lässt er offen, zieht sie dann aber innerhalb der Darstellung (vor allem bei der Ekklesiologie) dennoch heran. Dadurch ergibt sich eine gewisse Unausgeglichenheit, denn es ist ein großer Unterschied, ob sieben oder 13 Briefe die Quellenbasis darstellen. Selbstverständlich wird darüber hinaus die Apostelgeschichte als ein wichtiger Zeuge des paulinischen Lebens berücksichtigt. Das Buch zielt auf ein breites Publikum und stellt die paulinische Erfahrung der Gnade Got-tes konsequent in den Mittelpunkt. Ausgangspunkt ist dabei das Damaskuserlebnis, das zum inhaltlichen und zugleich strukturierenden Zentrum der Darstellung wird. »My thesis has been that the Pauline corpus grounds Paul’s gospel and commission in the Damascus road Christophany.« (45) Diese persönliche Erfahrung der rettenden Gnade Gottes hat für Paulus fundamentale christologische, soteriologische, ekklesiologische, ethische und eschatologische Implikationen, die M. in seinem Buch nacheinander entfaltet. Für Paulus ist Jesus Christus die Verkörperung der Gnade Gottes, was sich vor allem in seinem Gebrauch christologischer Hoheitstitel zeigt. Eine Analyse von »Sohn/Sohn Gottes«, »Christus/Messias«, »Jesus Christus« und »Herr« bildet das Zentrum des christologischen Abschnittes. Auch hymnische Texte wie Phil 2,6–11 (und auch 1Tim 3,16) entfalten Jesu Christi neue Stellung als Präexistenter, Erhöhter, Herr und Verkörperung Gottes. Zwar differieren die einzelnen Briefe in ihren christologischen Anschauungen, dennoch zeigt sich eine innere Einheit, nämlich die Erfahrung des gekreuzigten und auferstandenen Christus bei Damaskus. »These diverse presentations of Christ, however, are ultimately grounded in an experience of the crucified and risen Lord, and it is this ex-perience that provides Pauline Christology with its coherence.« (81)
Nach der Christologie wird die Soteriologie behandelt. Wiederum steht das Berufungserlebnis bei Damaskus als Ort der Offenbarung im Mittelpunkt, so dass die Soteriologie in der Christologie gründet. »Through Christ’s saving death and resurrection, God justified and reconciled humanity. This new situation came about through the redemption that occurred on the cross, where sins were forgiven and humanity was freed from the powers of sin and death, and released from being under the law.« (123) Zunächst wird aber die Frage erörtert, warum die Menschheit »apart from Christ« der Erlösung/Rettung durch Jesus Christus bedarf. Unter Einbeziehung des Kolosser- und Epheserbriefes sowie der Pastoralbriefe betont M. die Entfremdung des Menschen von Gott, seine Versklavung unter die Mächte der Sünde, des Todes und des Gesetzes, so dass das Humanum nicht zu sich selbst kommen kann. Allein durch Chris­ti Tod und Auferstehung wird deshalb die Menschheit gerechtfertigt und mit Gott versöhnt. Es schließt sich eine Darstellung der paulinischen Aussagen zur Gerechtigkeit bei Paulus an, die mit dem Galater- und Römerbrief einsetzt und wiederum die zentralen Deuteropaulinen mit einbezieht. Den Abschluss bildet ein Ausblick auf die eschatologischen Dimensionen der Soteriologie. Innerhalb der Ekklesiologie analysiert M. zunächst die paulinischen Metaphern (Gottesvolk, Leib Christi, die Kirche als lokale Versammlung), wobei auch der Kolosser- und Epheserbrief unter dem Stichwort »the Body in Relation to Its Head« berücksichtigt werden. Bei der Frage nach Strukturen und Ämtern unterstreicht M. zunächst das freie, in den Charismen sichtbar werdende Wirken des Geistes. Dann kommt 1Tim 3,1–7 in den Blick, wodurch sich die Perspektive des paulinischen Amtsverständnisses natürlich verlagert. Zwar betont M., dass der Apostel in den unbestrittenen Briefen kein Bischofsamt voraussetze, zugleich unterstreicht er aber die herausgehobene Position von Gemeindeleitern, so dass die Pastoralbriefe als sachgemäße Fortsetzung des frühpaulinischen Konzeptes erscheinen. Den Abschluss des Kapitels bilden Überlegungen zum Verhältnis von Kirche und Israel. In der Auslegung von Röm 9–11 wird hervorgehoben, dass die Kirche weder das neue Israel ist noch das historische Israel ersetzt. Dabei hofft Paulus in seiner eschatologischen Vision, dass ganz Israel gerettet wird. »According to Paul’s eschatological vision, however, all Israel will be saved. When this happens, Israel and the church will converge.« (151)
Innerhalb der paulinischen Ethik unterscheidet M. zwischen der soteriologischen Begründung der Ethik, der vom Geist be­stimmten Ethik, einer sakramentalen Ethik, dem Liebesgebot als Zentrum der paulinischen Ethik und einer eschatologischen Ethik, die verbunden mit dem Gerichtsgedanken den Horizont der paulinischen Ethik bildet. »While each of these highlights a particular aspect of Pauline ethics, all of them converge on a single point: God’s saving grace in Christ.« (183 f.) Gottes rettendes Heilshandeln in Jesus Christus ermöglicht überhaupt erst moralische Anweisungen, und der Geist befähigt die Glaubenden dazu, gottgemäß zu leben. In den Sakramenten haben sie Anteil am Heilswirken Jesu, das Liebesgebot verbindet sie mit der grundlegenden Ausrichtung der Existenz Christi und der eschatologische Ausblick motiviert die Glaubenden zu einem ethischen Leben in der Welt. Die paulinische Ethik betrifft sowohl das Individuum als auch die Gemeinschaft, denn der einzelne Christ kann das neue Leben nur in der Gemeinschaft der Glaubenden realisieren. Innerhalb der Eschatologie wird zunächst die Parusieerwartung erörtert, wobei zuerst die Thessalonicherbriefe behandelt werden. Die (gravierenden) Unterschiede zwischen beiden Briefen werden notiert, aber nur als unterschiedliche Perspektiven gewertet. Weitere Zentraltexte sind 1Kor 15 und 2Kor 5, gefolgt von einer Analyse der eschatologischen Aussagen des Röm. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Texte zum endzeitlichen Sieg Christi über alle Mächte. Dabei zieht M. wiederum den Kolosser- und Epheserbrief heran, wodurch sich eine nicht unerhebliche Verlagerung des eschatologischen Konzeptes gegenüber den unbestrittenen Briefen ergibt. Als Erklärung für die Unterschiede gilt: »The new situations they address, however, require them to present eschatological hope in a way that goes beyond hope for an imminent parousia.« (207) Auch die Pastoralbriefe werden berücksichtigt, wobei zunächst noch einmal die Möglichkeit einer nachpaulinischen Verfasserschaft eingeräumt wird. Zugleich verbindet M. aber wiederholt die Aussagen der Pastoralbriefe mit dem Namen Paulus (ohne Anführungszeichen). In einem abschließenden Abschnitt wird die theologische Fundierung des paulinischen Denkens betont. Ausgangspunkt ist die Identität des Vaters Jesu Christi mit dem Gott Israels. Es ist Gott, der sich in der Niedrigkeit des Kreuzes offenbart, der rechtfertigt und rettet, treu und auch zornig ist. Gott ist unparteiisch, er offenbart seine Liebe in der Er­wählung und er übersteigt in seinem Handeln menschliches Denken. Schließlich ist die paulinische Theologie christologisch strukturiert: »Paul knows and understands God in terms of Christ.« (248)
Insgesamt legt M. eine gut lesbare und in sich geschlossene Gesamtdarstellung des paulinischen Denkens vor, die zu Recht die Gnade Gottes zum Ausgangspunkt und Zentrum macht. Zugleich bleibt aber die starke Einbeziehung der Deuteropaulinen zu kritisieren.