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Ausgabe:

Juni/2014

Spalte:

723–725

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Calaway, Jared C.

Titel/Untertitel:

The Sabbath and the Sanctuary. Access to God in the Letter to the Hebrews and its Priestly Context.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. XIII, 250 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 349. Kart. EUR 74,00. ISBN 978-3-16-152365-6.

Rezensent:

Markus-Liborius Hermann

Ausgehend von der Frage, wer auf welche Weise Zugang zu Gott erhalten kann, entwickelt Jared C. Calaway in seiner überarbeiteten Dissertation das Bild einer laufenden Debatte zwischen frühjüdischen und christlichen Gruppierungen im 1. Jh. n. Chr. Der Hebräerbrief stellt für C. in diesem Kontext einen profilierten Diskus-sionsbeitrag dar, der das priesterliche, dezidiert sakrale Bezugs-system, das den Sabbat auf das Heiligtum ausrichtete, für seine eigenwillige Kulttheologie in Anspruch nimmt und den Hohenpriester Jesus selbst als Zugang zu Gott beschreibt. Das priester-liche Bezugssystem wird darüber hinaus auch von der in Qumran (4Q400–407) und Masada (MasShirShabb) überlieferten Sabbatliturgie, die den Sabbat zum zeitlichen Zugang zur himmlischen Ge­genwart Gottes macht, aufgegriffen und deshalb für C. zum zentralen Vergleichstext.
Nach einem Einführunskapitel (1–31) widmet sich die Untersuchung in Kapitel II (32–58) im Blick auf Sabbat und Heiligtum der Frage nach dem zugrundeliegenden priesterlichen Erbe, dessen Ursprung C. bei Ezechiel, dem Pentateuch und Trito-Jesaja ausmacht. Dort sind zwei Zugangswege zu Gott zu finden: ein räumlicher (durch das Heiligtum) und ein zeitlicher (durch den Sabbat). In nachexilischer Zeit wird der Sabbat darüber hinaus bei Jesaja zu einem (zeitlichen) Zugang zum (räumlichen) Tempel. Sabbat und Tempel sind daher als gleichwertig in ihrem Heiligkeitsstatus an­zusehen. In Kapitel III (59–97) untersucht C. den Hebr im Blick auf die Ruhe Gottes (κατάπαυσις) und die himmlische Heimat. Dabei entdeckt er in Hebr 3,7–4,11 eine Transformation der räumlichen Tradition (Land als Ruhe) in eine zeitlich verstandene Sabbatruhe Gottes. Der Hebr wandelt also die Beziehungen von Sabbat und Heiligtum, so dass der Sabbat zu einem zeitlichen Zugang zum heiligen Raum (himmlische Heimat) wird – einerseits wird das (verheißene) Land so in die Sabbatruhe Gottes »verzeitlicht«, andererseits gewinnt der Sabbat räumliche Dimensionen. Kapitel IV (98–138) geht auf das von Mose geschaute »Urbild« des Zeltes ein (Ex 25,40), ein Begriff, der sowohl im Hebr (Hebr 8,5) als auch in der Sabbatliturgie aufgegriffen wird, wenn auch in unterschiedlicher Akzentsetzung. In Letzterer gewähren liturgische Rituale Zugang zum Urbild, im Hebr dagegen haben nur die an Jesus Glaubenden, die »Teilhaber Christi« (Hebr 3,14), Zugang durch das bereits ge­schehene Selbstopfer Jesu. Kapitel V (139–177) geht schließlich auf die Bedeutung des Jom Kippur, des großen Versöhnungstags, ein, der im Judentum als die heilige Zeit par excellence den Zugang zum Allerheiligsten eröffnete. Doch während die Sabbatliturgie unter Aufnahme dieses Konzepts die Notwendigkeit beschreibt, ein himmlisches Opfer überhaupt erst zu ermöglichen, dient die Applizierung des Jom Kippur auf Jesus im Hebr der Darstellung eines großen Zu­gangsrituals: Durch das bereits geschehene Opfer des Hohenpriesters Jesus hat die christliche Gemeinde Zugang zu Gott. Kapitel VI (178–206) stellt das Fazit dar und benennt verschiedene Konsequenzen für die historische Einordnung.
Insgesamt beschreiben sowohl der Hebr als auch die Sabbat-liturgie unter Aufnahme eines priesterlichen biblischen Erbes unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zu Gott. Dabei findet C. trotz wichtiger Differenzen, die er u. a. in einer unterschiedlichen Bewertung von Engeln (hier ein starkes, dort ein relativ schwaches Interesse an Engeln), einer anders gelagerten Schriftbenutzung (hier vor allem Ezechiel, dort vor allem die Psalmen), einem unterschiedlichen Genre (hier eine Sabbatliturgie, dort eine Predigt) sieht, doch striking similarities, die er für diese Zeit als einmalig bestimmt. Diese bestehen vor allem darin, dass der Hebr und die Sabbatliturgie nach dem Pentateuch, Ezechiel und Jesaja die ersten Texte sind, die den Sabbat und das Heiligtum zueinander in Beziehung setzen. Dabei interpretieren beide das Mosaische »Urbild« und laden so die jeweiligen Adressaten dazu ein, zum himmlischen Geschehen hinzuzutreten. Hier ist jedoch der Unterschied zu beachten, dass die Sabbatliturgie das im Himmel stattfindende Opfer als Ziel anstrebt, wohingegen der Hebr im Opfer Jesu das »Mittel« sieht, durch das der Zugang bereits gewährt wird.
Die anregende Untersuchung verortet den Hebr so in einer spannungsreichen Debatte um die im 1. Jh. n. Chr. virulente Frage nach der Zugänglichkeit Gottes. Diese Sehnsucht äußerte sich vielfach in der Antike, was u. a. an der großen Zahl von Hohe-, Erz- und Oberpriestern dieser Zeit abzulesen ist – man denke neben dem Jerusalemer Hohenpriester nur an die Titelliste des römischen Kaisers, zu der auch der pontifex maximus gehörte. Dass Gott für den Hebr grundsätzlich »im Sohn« zugänglich ist, zeigt sich bereits im Exordium (Hebr 1,1–4). So fordert der Verfasser des Hebr seine Adressaten durch eine anspruchsvolle Theologie heraus, diesen Zugang, die in Christus geschenkte Heilsnähe, zu entdecken. Im Urchristentum finden sich darüber hinaus vielfach Traditionslinien, die den Zugang zu Gott als das Grunderlebnis der christlichen Gottesbeziehung beschreiben (vgl. u. a. Röm 5,1 f.; Eph 2,18; 3,12; 1Joh 3,19–22; 4,16–19 und vieles mehr) und deren stärkere Berücksichtigung gewinnbringend gewesen wäre. Ähnliches wäre für die Würdigung mittelplatonischer Traditionen, besonders im Blick auf die Auseinandersetzung mit dem Mosaischen »Urbild« zu sa­gen. Doch dass C. die Sabbatliturgie mit dem Hebr unter den Stichwörtern Sabbat und Heiligtum miteinander in Beziehung setzt, ist ein Gewinn, auch wenn es nicht verwundert, dass gerade die in Qumran beheimatete Sabbatliturgie vergleichbare Akzente setzt, denn auch für den Hebr verbindet sich der Zutritt zu Gott mit einem sozialen Auszug aus der Mehrheitsgesellschaft (vgl. Hebr 13, 12–14).