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Ausgabe:

Juni/2014

Spalte:

710–711

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bracht, Katharina, u. David S. du Toit[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Geschichte der Daniel-Auslegung in Judentum, Christentum und Islam. Studien zur Kommentierung des Danielbuches in Literatur und Kunst.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2007. XI, 394 S. m. Abb. = Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 371. Lw. EUR 129,95. ISBN 978-3-11-019301-5.

Rezensent:

Mariano Delgado

Der Sammelband dokumentiert die Beiträge eines interdisziplinären Symposiums, das vom 9. bis 12. August 2006 an der Berliner Humboldt-Universität stattfand. Das Danielbuch ist im Christentum die meistkommentierte Schrift des Alten Testaments, nimmt aber auch im Judentum und im Islam eine herausragende Rolle ein, und dies nicht nur in der politisch-theologischen Auslegung und Adaptation, sondern auch in der Literatur und der bildenden Kunst. Im Vorwort beschreiben die Herausgeber den Band als »interdisziplinären Beitrag zur Geschichte der Bibelauslegung« nach folgender Methode: »Die Beiträge bilden Einzelstudien, denen in der Regel eine Quelle zugrunde liegt, die entweder aufgrund ihrer Exemplarizität für eine Epoche oder aufgrund ihrer Bedeutung als einer wichtigen Station oder eines Wendepunktes in der Rezeptionsgeschichte ausgewählt wurde«. Davon versprechen sich die Herausgeber, dass auf gewiesen wird, »wie das Danielbuch von verschiedenen Autoren bzw. Künstlern unterschiedlicher Religionszugehörigkeit zu verschiedenen Zeiten auf die jeweilige politische bzw. ge­sellschaftliche Situation bezogen wurde, welche Geschichtskonzeptionen dadurch entwickelt wurden und welche Haltung gegenüber den jeweiligen politischen Herrschaftsverhältnissen daraus folgte« (VII f.).
Dieser Programmatik entsprechen vor allem die Beiträge von Klaus Koch. Mit der ihm eigenen Souveränität als der führende Spezialist für die politisch-theologische Auslegung des Danielbuches im deutschen Sprachraum deutet er diese Schrift im einführenden Beitrag als eine Konfrontation zwischen Weltmacht und monotheistischer Religionsgemeinschaft in universalgeschichtlicher Per­spektive. Demnach wird in diesem Buch wie in keinem anderen des Alten Testaments ein »universalistisch ausgerichteter Monotheismus« vorausgesetzt, so dass Gott darin im Grunde »kein Nationalgott mehr« ist‚ sondern auch sozusagen »jenseits der Kirchenmauern« in den Weiten der Völkerwelt und ihrer jeweiligen politischen Organisation (24) tätig ist. Koch hat auch einen Beitrag zu Daniel in der Ikonographie des Reformationszeitalters beigesteuert, in dem er sich vor allem mit dem Zyklus von neun Wandbildern im Lüneburger Rathaus beschäftigt.
Die restlichen Beiträge sind verschiedenen historischen Epochen zugeordnet. Sie beschäftigen sich mit der Rezeption im hellenistischen Judentum (Michael Tilly) und im Markusevangelium (David S. du Toit), mit der Danielauslegung in der Alten Kirche bei Hippolyt (Katharina Bracht), Ephrem dem Syrer (Phil J. Botha), Hieronymus (Régis Courtray) und Theodoret von Cyrus (Robert C. Hill). Drei Beiträge sind dem Mittelalter gewidmet, jeweils aus der Sicht einer der drei abrahamischen Religionen: über Daniel in der islamischen Tradition (Hartmut Bobzin), über die Auslegung des Danielbuches bei Isaak Abravanel (Stefan Schorch: erstaunlich, dass dieser Autor aus der Renaissance dem Mittelalter zugeordnet wird) und über den Danielkommentar des Nikolaus von Lyra. Der Reformation werden fünf Beiträge gewidmet: der bereits erwähnte von Klaus Koch, ein Text über Luthers Vorrede zu Daniel in seiner Deutschen Bibel (Stefan Strohm), ein Aufsatz über Melanchthons Verständnis des Danielbuchs (Heinz Scheible: unverständlich, dass hier die Arbeit von Mario Miegge nicht zitiert wird), ein gut dokumentierter Beitrag über die Danielauslegung Calvins (Barbara Pitkin) und ein sehr interessanter Text über die Danielrezeption bei Thomas Münzer und Martin Luther, die der Autor (Werner Röke) als Beerbung der zwei Optionen »revolutionärer Phantasien im Spätmittelalter« versteht: revolutionärer Chiliasmus nach dem En­de der vier Weltreiche (so Münzer) und Festhalten an der Lehre der Translatio imperii (so Luther). Die Neuzeit ist mit einem einzigen Beitrag über Isaac Newton als Exeget des Danielbuches (Scott Mandelbrote) vertreten. Ein nützliches Bibelstellenregister schließt den Band ab. Dass zahlreiche Druckfehler – auch schon im Inhaltsverzeichnis (vgl. XI) – zu finden sind, zeugt nicht von großer Sorgfalt bei der Edition der Symposiumsbeiträge.
Auch wenn sie nicht immer Neues zutage fördern, bereichern die Beiträge dieses Sammelbandes die Geschichte der Danielauslegung, die sich in den letzten Jahren eines regen Interesses erfreut (es sind mehrere Sammelbände und Monographien zur Exegese und Rezeption des Danielbuches in Theologie, Politik, Literatur und Kunst erschienen). Auffallend am vorliegenden Band sind der starke Reformationsschwerpunkt und das Fehlen von katholischen oder orthodoxen Beiträgen über Renaissance und Neuzeit. Auch wenn zwei Beiträge dem Judentum und einer dem Islam gewidmet sind, wird eher der Untertitel als der Haupttitel dem Inhalt des Bandes gerecht.