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Ausgabe:

April/2014

Spalte:

428–430

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Bukovec, Predag, u. Barbara Kolkmann-Klamt[Hrsg.]: Jenseitsvorstellungen im Orient. Kongreßakten der 2. Tagung der RVO (3./4. Juni 2011, Tübingen).

Verlag:

Hamburg: Verlag Dr. Kovac 2013. 522 S. = Religionen im Vorderen Orient, 1. Kart. EUR 98,80. ISBN 978-3-8300-6940-9.

Rezensent:

Beate Ego

Das Thema »Tod« und »Jenseits« gehört zu den Klassikern der theo­logischen und religionsgeschichtlichen Forschung und hat so auch in der jüngeren Zeit große Beachtung gefunden (vgl. hierzu den Band von Angelika Berlejung und Bernd Janowski »Tod und Jenseits im Alten Israel und seiner Umwelt« [FAT 34], Tübingen 2009; s. die Besprechung in ThLZ 134 [2009], 1324). Das Proprium des hier vorgelegten Bandes, der auf die zweite Tagung der Forschungsgesellschaft »Religionen im Vorderen Orient« (RVO) vom 3. und 4. Ju­ni 2011 an der Universität Tübingen zurückgeht, besteht zu­nächst darin, dass die Thematik hier sowohl in einem breiten zeitlichen und räumlichen Horizont abgehandelt wird. Nach einem kurzen Vorwort der Herausgeber führt der emeritierte Paderborner Alt­-testamentler Bernhard Lang zunächst in die Thematik ein (Tod und Jenseits in Glaube und Kultur), wobei er auf die grundsätzliche Ausdifferenzierung der Fragestellung in den Bereichen der Anthropologie (»Seelenvorstellungen«), der rituellen Praxis und der Jenseitslehren verweist (9–20). Die verschiedenen Einzelbeiträge, die die Thematik exemplarisch behandeln, werden in vier Themenblöcken präsentiert:

Unter der Überschrift »Nordafrika« erscheint die Arbeit von Daniela C. Luft und Christoffer Theis zu Jenseitsvorstellungen im Alten Ägypten (Jenseitsvorstellungen im Alten Ägypten. Ein Einblick in das dritte und zweite vorchristliche Jahrtausend; 23–64). Florian Lippkes Beitrag (»Über den Jordan« oder »zum Bach Ägyptens«) zeigt dann die Einflüsse der ägyptischen Todes- und Jenseitsvorstellungen auf die biblische bzw. südlevantinische Welt (65–100), während Barbara Kolkmann-Klamt (Das »wei« der Dinka zwischen Leben und Tod) in die Anthropologie der Dinka, eines Volkes im südlichen Sudan einführt. Das »wei« stellt die Lebenskraft dar, die den Menschen nach seinem Tode verlässt, aber der Familie erhalten bleibt (101–115). Die nächste Einheit des Buches ist dem Bereich »Levante und Hellenismus« gewidmet. Steven M. Lundström untersucht zunächst den Vorstellungsbereich in den Kulturen des Zweistromlandes (»Das Leben, das Du suchst, wirst Du nicht finden.« Vorstellungen vom Leben nach dem Tod und dem Leben mit den Toten in den Kulturen Mesopotamiens im 2. und 1. Jt. v. Chr.), wobei insbesondere der materiellen Seite der Bestattung und Fragen nach der damit verbundenen Vorstellungswelt im Zentrum der Betrachtung stehen (119–160). Manfred Hutter widmet seinen Beitrag der hethitischen Vorstellungswelt sowie der Rezeption dieses Symbolsystems in den neo-hethitischen Staaten Südostanatoliens und Nordsyriens in der Eisenzeit, wobei nun ein Ineinanderfließen von luwischen und aramäischen Vorstellungen greifbar wird (Jenseitsvorstellungen im hethitischen Kleinasien und ihre Auswirkungen auf das erste Jahrtausends; 161–182), wohingegen Manfred Krebernik die Kultur Ugarits ins Zentrum seiner Betrachtungen stellt und einen ausgezeichneten Überblick über anthropologische und kosmologische Aspekte der Unterwelt, über die menschlichen Bewohner der Unterwelt und das Problem der Rephaim, über verschiedene Unterweltsgötter und -göttinnen sowie über Kulte und Riten (Jenseitsvorstellungen in Ugarit; 183–215) liefert. Maximilian Benz setzt sich in seinem Aufsatz »Aeneas und Henoch im Jenseits. Zu einer jüdischen Quelle von Verg. Aen. VI« mit der These auseinander, wonach für Vergil Traditionen aus dem Wächterbuch des Äthiopischen Henochs eine bedeutende Rolle bei der Porträtierung der Unterwelt gespielt haben. Nach ausführlichen theoretischen Darlegungen zur Problematik intertextueller und interkultureller Abhängigkeiten kommt er zu dem Schluss, dass Vergil weder direkt noch indirekt das Buch der Wächter kannte (217–243). Hermann Lichtenberger wiederum kann zeigen, dass die Vorstellung einer himmlischen Totenwelt in die Spätzeit der alttestamentlichen Überlieferung gehört und von dort aus ihre Wirkung in die neutestamentliche Welt hinein entfaltet hat (Jenseitsvorstellungen – oder: Die Entdeckung und Besiedelung des Himmels; 245–264). Schließlich demonstriert Daniel Lanzinger in diesem Teil des Buches, wie die Kirchenväter Tertullian, Origenes und Gregor von Nyssa die neutestamentliche Vorstellung von der leiblichen Auferstehung der Toten rezipiert und ausgestaltet haben (»Schwerer glaubt es sich an die Auferstehung des Fleisches als an den einen Gott.« Frühchristliche Klärungsansätze zu einer biblischen Problemvorgabe; 265–286).

Die folgenden Artikel werden unter die Überschrift »Iran und Kaukasus« subsummiert. Dabei macht der Münsteraner Indogermanist Michael Janda auf der Basis von ausführlichen Darlegungen zur Arbeitsweise der Indogerma-nistik deutlich, dass die Vorstellung eines himmlischen Jenseits bereits für die indogermanische Vorzeit anzunehmen ist (289–310). Prods Oktor Skjærvø wiederum widmet seine Ausführungen zoroastrischen Jenseitsvorstellungen, wie diese den avestischen, alt- und mittelpersischen Quellen zu entnehmen sind (Afterlife in Zoroastrianism; 311–349). Die folgenden beiden Beiträge behandeln Jenseitsvorstellungen im Babylonischen Talmud. Während Mat-thias Morgenstern auf eschatologische Vorstellungen abhebt (Die künftige Welt, die Auferstehung der Toten und die Hoffnung auf den Messias. Eine Skizze zur Diskussion über die eschatologischen Vorstellungen im rabbinischen Judentum nach dem babylonischen Talmud; 351–378), fokussiert Monika Amsler deren kosmologische Komponente (Der Himmel als rabbinische Institution. Aspekte einer Jenseitsvorstellung im babylonischen Talmud; 379–394). Predrag Bukovec wiederum wendet sich den Mandäern zu, wobei er auf der Basis von ausführlichen Quellenstudien deutlich machen kann, dass die biblische Exoduserzählung bei den Mandäern im Rahmen von Jenseitsvorstellungen kontextualisiert wurde (»Endmeer« und »Schilfmeer«. Mit einem Exkurs zur Herkunft der Mandäer; 395–442). Außerdem beleuchtet Vivienne Marquart einen Aspekt der kontemporären islamischen Volksfrömmigkeit, wenn sie deren Totenfeiern beschreibt (Esst zu ihrem Gedächtnis. Der Zusammenhang von Essen und Erinnerung in aserbaidschanischen Totenfeiern; 443–459).

Der letzte große Themenblock dieses Bandes ist dann dem Islam gewidmet. So leitet Johannes Sporer in die Thematik ein (Jenseitsvorstellungen im Koran. Eine Hinführung; 463–468), um dann in einem weiteren Beitrag in diesem Band wahrscheinlich zu machen, dass die Paradiesdarstellung des Korans auf spätantike christliche Traditionen zurückgeht, die in einem Kulturtransfer von Syrien nach Saudi-Arabien gelangten (Paradies im Koran und bei Ephraim dem Syrer. Ein mögliches Hintergrundszenario; 469–486), während Lutz Richter-Bernburg »Die Jenseitsvorstellungen in der fatimidenzeitlichen Isma’iliya« (487–502) be­leuchtet, in denen im Gegensatz zum Mainstream weniger konkrete Jenseitsvorstellungen im Vordergrund stehen, sondern vielmehr eine Durchdringung mit neoplatonischen Philosophemen erfolgt. Der letzte Beitrag von Mariella Ourghi behandelt dann die »Eschatologie im zwölferschiitischen Islam«, für die die Gestalt eines Erlösers von zentraler Bedeutung ist (503–518).

Außer Frage steht, dass sich in diesem Band zahlreiche herausragende Beiträge finden, die durch ihre methodische Umsicht und die Breite der Darstellung bestechen. Nicht ganz deutlich wird, worin das Ziel der Sammlung als solcher bestehen soll. Das Vorwort spricht ganz allgemein davon, dass die »Auseinandersetzung mit verschiedenen Entwürfen des Jenseits […] Wege zu einer komparatistischen Erschließung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede, der Interferenzen und Distanzierungen« eröffnen soll (7). Explizit durchgeführt wird dieser Ansatz – soweit ich sehe – an keiner Stelle. Dagegen ist es bemerkenswert, dass verschiedene Beiträge dieses Bandes hochinteressante Beispiele liefern, in denen Jenseitsvorstellungen als Transferphänomene im Kontext von Kultur- und Reli gionskontakt beschrieben werden (so u. a. Lippke; Hutter; Benz; Bukovec; Sporer). Wenn die thematische Einbindung in die vier Themenblöcke »Nordafrika«, »Levante und Hellenismus«, »Iran und Kaukasus« sowie »Islam« zu manchen Beiträgen etwas irritierend wirken, da sie in ihrer Bedeutung zwischen lokalen und kulturellen Größen changieren, so impliziert doch gerade dies ein enormes Forschungspotential. So müsste man ja durchaus explizit auf den griechischen Einfluss der frühjüdischen Himmelskonzeption verweisen oder die Frage stellen, inwieweit die Konzeptionen des Babylonischen Talmuds (hier ja unter »Iran und Kaukasus« subsummiert) nicht nur geographisch, sondern auch inhaltlich mit dem Iran in Verbindung gebracht werden können. So bietet der Band – über den Wert der Einzeluntersuchungen hinaus – einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung von Jenseitsvorstellungen im Kontext des Kultur- und Religionskontaktes und eröffnet in der Kombination der Einzelbeiträge interessante Perspektiven. Sehr ge­lungen ist auch die Mischung von etablierten Forschern und Nachwuchswissenschaftlern, die hier die Ergebnisse ihrer Forschungen zusammengetragen haben. Vertreter der Disziplinen »Altes Testament« und »Antikes Judentum« können für die Einblicke, die dieser Band in die Bereiche der Indogermanistik, des Zoroastrismus und der griechischen Vorstellungswelt gibt, dankbar sein, da sie wichtige Linien für die Kontextualisierung der frühjüdischen Vorstellungswelt andeuten.