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Ausgabe:

April/2014

Spalte:

520–521

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Wetjen, Karolin

Titel/Untertitel:

Das Globale im Lokalen. Die Unterstützung der Äußeren Mission im ländlichen lutherischen Protestantis­mus um 1900.

Verlag:

Göttingen: Universitätsverlag Göttingen (Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek) 2013. 189 S. Kart. EUR 25,00. ISBN 978-3-86395-118-4.

Rezensent:

Ulrich van der Heyden

Wohl erst durch entsprechende Studien von Rebecca Habermas in den letzten Jahren wurde der Missionshistoriographie deutlich ge­macht, welche interessanten und aufschlussreichen Forschungsergebnisse zu erwarten sind, wenn sich Historiker nicht nur mit den Entwicklungen auf den »Missionsfeldern« vornehmlich in Übersee befassen, sondern auch die »Heimatgebiete« in Europa in Bezug auf das Missionsengagement nach wissenschaftlichen Kriterien untersuchen. Wohl ist jedem Missionshistoriker oder auch Überseehis­toriker, der missionarische Quellen benutzt, bekannt, dass es in der Heimat eine entsendende Gesellschaft, die Mission unterstützende Gemeindemitglieder, Missionsfeste und -hilfsvereine, spezielle Publikationen, Sammlungen und Netzwerke gab, aber kaum jemand, der sich mit den mannigfachen Themen der Äußeren Mission beschäftigt, hat sich hierüber weitergehende Gedanken ge­macht und einschlägige Forschungsergebnisse publiziert. Dies ist eigentlich recht unverständlich, denn die Äußere Mission der protestantischen Gesellschaften wurde durch die Aktivitäten der »Heimatgemeinden« finanziert. Außerdem werden hier die Vernetzungen von Missions- und Kirchengeschichte besonders deutlich.

Nun liegt ein auf einer Masterarbeit beruhendes Buch einer Schülerin von Rebecca Habermas vor, das die Überlegungen und Forschungsergebnisse ihrer Lehrerin fortführt und durch eine Fallstudie erweitert. Anhand regionaler Beispiele aus der Gegend um Göttingen weist Karolin Wetjen nach, dass die protestantische Missionsbewegung von einer relativ großen Anzahl von Institu-tionen, Veranstaltungen, Vereinen und Publikationen getragen war. Missionsvereine, Nähkränzchen, Spendenaufrufe und -samm-lungen, Missionsstunden, periodisch erscheinende Missionszeitschriften und zum Teil umfangreiche Monographien, vor allem aber die sogenannten Missionstraktate und nicht zuletzt zahlreiche Missionsfeste, auf denen zumeist ein heimgekehrter oder sich auf Urlaub befindliche Missionar über seine Erfahrungen aus dem Missionsgebiet berichtete, trugen entscheidend dazu bei, dass die Anliegen der Äußeren Mission bis hinein in die kleinste Gemeinde auf dem platten Land bekannt wurden.

W. versucht am Beispiel der Region um Göttingen in einer Verbindung diskursanalytischer und mikrohistorischer Ansätze zu rekonstruieren, wie sich die Unterstützung der Äußeren Mission im Einzelnen gestaltete und welche Akteurinnen und Akteure sich für die protestantische Mission interessierten und engagierten. Dabei stellt sie die Frage in den Vordergrund, welche Bedeutung diesen Initiativen und Aktivitäten in einer Verflechtungsgeschichte Ende des 19. Jh.s quasi als Transmissionsriemen für die Produktion von Bildern aus dem Außereuropäischem zukam. Spätestens an dieser Fragestellung tangieren ihre Ausführungen die Diskurse um die Postcolonial Studies bzw. der New Imperial History. Ja, die vorliegende Arbeit ist zu einem wichtigen Meilenstein der Missionsgeschichtsschreibung dieser noch nicht allzu alten Forschungsdisziplin geworden. Sie zeigt auf, welche Rückwirkungen Missionierungs-, wie Kolonisierungsversuche der außereuropäischen Bevölkerung auf die »Mutterländer«, in diesem Fall Deutschland, hatten.

W. selbst formuliert die Fragen, die sie in diesem Buch zu beantworten sucht, wie folgt (10): Wer konkret organisierte die Unterstützungsarbeit in Deutschland für die Mission, in diesem Fall insbesondere der Hermannsburger Missionsgesellschaft im südlichen Nie­dersachsen? Welche Bedeutung und Zuschreibungen waren da­mit verbunden? Wie wurde ein Bedürfnis, für die Mission zu spenden, evoziert? Welche Rolle spielte Religion in diesem Kontext? Welche Bedeutung erlangten welche Bilder vom Außereuropäischen und inwiefern waren diese an lokale Verhältnisse angepasst?

Für die Beantwortung dieser Fragen hat W. neben Einleitung und Fazit vier substantielle Kapitel gewählt. Im ersten beschäftigt sich W. mit der »Missionsarbeit in der Heimat um 1900« und behandelt vor allem die Frage des Verhältnisses von Mission und Kolonialismus anhand der Hermannsburger Missionsgesellschaft, aber auch das Verhältnis von Kirche und Missionsgesellschaft.

Konzeptionen und Idealbilder der Unterstützungsarbeit für die christliche Mission stehen hier im Vordergrund. Hinterfragt wird die Bedeutung der Äußeren Mission für die Heimatgemeinden und nach den Strukturen gefragt, in denen die »Heimarbeit« eingeordnet wurde. Diese begriff man durchaus als kirchliche Aufgabe. Das Engagement zugunsten der Mission wurde in diesen Idealbildern, so arbeitete W. heraus, auch stets als Akt der Selbstpositionierung auf dem Gebiet der tobenden konfessionellen Auseinandersetzungen gesehen, indem man sich durch ein Engagement für die Mission zugleich als lutherisch oder reformiert verorten konnte.

Im zweiten Hauptkapitel nach der Einleitung (in der u. a. der Forschungsstand und die Fragestellung der vorliegenden Unter­-suchung skizziert sowie die behandelte Region, der »Göttinger Raum«, vorgestellt werden) analysiert sie missionarische Publikationsorgane, vor allem das weit verbreitete »Missionsvolksblatt« der Hermannsburger Missionsgesellschaft. Es wird besonderer Wert darauf gelegt, deutlich zu machen, dass das von missiona­rischen Publikationen transportierte Globale an das Lokale angepasst und womöglich beides miteinander verknüpft worden ist. Beispielsweise wurden insbesondere Missionare als Helden und Märtyrer konzipiert, die aus der Region stammten, und somit eine besondere Verbindung zwischen Missionsunterstützern und Missionaren herzustellen versucht.

In den folgenden Kapiteln werden verschiedene Vereine und Konferenzen vorgestellt und es wird aufgezeigt, dass die Vernetzung von Vereinsorganisation und Kirche recht eng war. Denn es waren vor allem kirchliches Personal und deren Angehörige, die sich in den Missionsvereinen engagierten und diese größtenteils auch leiteten. Im letzten Hauptkapitel werden Struktur und Wirkungsweise von Missionsfesten untersucht.

Mit dieser Arbeit liegt ein erstes Fallbeispiel vor, welches Aufgaben, Wirkungsweisen, Strukturen, Vernetzungen, Schwierigkeiten und Erfolgschancen von heimatlichen Gemeinden, hier aus dem südlichen Niedersachsen, analysiert, die geeignete Institutionen schufen zum alleinigen Zweck, der Äußeren Mission Unterstützung zuteilwerden zu lassen. Wenn auch die Sprache des Öfteren den für wissenschaftliche Arbeiten notwendigen Schliff noch vermissen lässt und dem Fachmann die eine oder andere Fachliteratur nicht oder nicht genügend berücksichtigt erscheint, handelt es sich um ein zukünftig in der Missionshistoriographie zu beachtendes Buch, welches einen nicht unwichtigen Platz in der Missionshistoriographie einnehmen wird.