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Ausgabe:

April/2014

Spalte:

511–514

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Thönissen, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Ein Konzil für ein ökumenisches Zeitalter. Schlüsselthemen des Zweiten Vatikanums.

Verlag:

Paderborn: Bo­nifatius; Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2013. 290 S. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-89710-507-2 (Bonifatius); 978-3-374-03105-4 (Evangelische Verlagsanstalt).

Rezensent:

Lubomir Žak

Wolfgang Thönissen will mit dem Band zur Reflexion auf Lehre und Ertrag des Zweiten Vatikanischen Konzils 50 Jahre nach dessen Eröffnung beitragen. Mit dem ausdrücklich ökumenischen Ho­-rizont wählt er eine Perspektive seiner unmittelbaren und anerkannten Zuständigkeit. Das Verständnis des Konzils und seines dogmatischen Erbes soll damit jedoch nicht auf eine allgemeine Darstellung der ökumenischen Themen oder der Ergebnisse der ökumenischen Gespräche nach dem Konzil eingeengt werden. Es geht vielmehr darum, die fundamentaltheologischen Prinzipien oder Grundentscheide, »die in wichtigen Texten des Konzils enthalten sind und Orientierungen auf dem Feld des ökumenischen Dialogs bieten können« (12) hervorzuheben. Genau diese Option definierte Th. in einem anderen Aufsatz als einen innovativen Ansatz, der jedoch leider bei der Interpretation der ökumenischen Intuitionen des Konzils immer noch keine allgemeine Anwendung findet (vgl. Aufbruch in ein neues Zeitalter der Kirche, in: Theolo-gische Revue 108/4 [2012], 274).

Der Band besteht aus einer Einleitung und sieben Kapiteln. Die Einleitung bietet eine Reihe von Vorüberlegungen zur Einberufung des Zweiten Vatikanum und insbesondere zur nachfolgenden Rezeption seiner Lehre. Th. bekräftigt die Notwendigkeit einer rechten Hermeneutik des Konzils, die dazu führt, »über das Entstehen der Schlussdokumente hinaus das Konzil als Ganzes in den Blick zu bekommen und nicht nur von den Resultaten her« (26). Unverzichtbar ist in diesem Zusammenhang natürlich eine kurze Anmerkung über die Frage der Kontinuität und Diskontinuität des Konzils. Die Darlegungen Th.s stehen im Einklang mit dem, was bereits Benedikt XVI. dazu gesagt hat: Wenn die Kirche ein Subjekt in der Geschichte war, ist und sein wird, dann konnte und kann sie auch künftig Spannungen und Widersprüche nicht vermeiden, da diese Ausdruck eines geschichtlichen Selbstverständigungsprozesses sind; das bedeutet jedoch nicht, dass man nicht von einer einzigen und ununterbrochenen Tradition der Kirche sprechen könne. Der wichtigste Abschnitt der ganzen Einleitung ist vielleicht der, in dem Th. die Frage behandelt, ob es eine einheitliche Struktur der Konzilstexte gibt oder nicht. Sind die Dokumente des Konzils eine Ansammlung dogmatischer Reflexionen, die ohne ein sie zu einer organischen Einheit formendes Band nebeneinander stehen, oder enthalten sie einen synthetischen Leitfaden und somit eine innere Dynamik? Anders als die Theologen, die eher abwertend antwor ten, spricht Th. von einer einheitlichen Struktur und sieht im Dekret Ad gentes den Text, der die Lehre und die Absichten der ge­samten Konzilslehre synthetisch zusammenfasst: »Die Kirche ist von Gott in die Welt gesandt, um den Auftrag ihres Stifters zu erfüllen, das Evangelium in der Welt zu verkünden« (36–37). Das gestattet es folglich, von der Einheitlichkeit der wirksamen und heilbringenden Gegenwart des einzigen Wortes Gottes zu reden, das sich in der Offenbarung, in der Kirche und in der Welt kundtut. In diesem Rahmen wird ein allgemeines fundamentaltheologisches Prinzip hervorgehoben, auf dem – im Sinne eines hermeneutischen Horizonts – die Lehre der Konzilsdokumente beruht und das in Dei Verbum zuverlässig beschrieben wird. »Es lässt sich nämlich«, so Th., »eine innere Dynamik entdecken, die vom Begriff der Offenbarung ausgeht und bis zum Begriff der Welt reicht« (37). Als Grundelemente entspringen aus demselben Prinzip weitere Prinzipien, die – besonders im Licht einer fundamentaltheologischen Interpretation – für den ökumenischen Dialog entscheidend sind.

Abgesehen vom ersten Kapitel des Buches – mit einem interessanten Thema (Die Entdeckung der Ökumene in der katholischen Kirche), das Th. jedoch bereits an anderer Stelle behandelt hat – fügen sich die anderen sechs Kapitel in den genannten Interpretationsrahmen des Zweiten Vatikanum ein. Die behandelten Themen sind von großer Bedeutung für die Ökumene: Offenbarung und Rechtfertigung (Kapitel 2); Sein, Existenz und Sendung der Kirche (Kapitel 3); Kirche und Kirchengemeinschaft (Kapitel 4); Amt und Ämter in der Kirche (Kapitel 5); Das Recht auf religiöse Freiheit (Kapitel 6); Die Kirche unter dem Wort Gottes (Kapitel 7). Beim Vertiefen dieser Themen berührt Th. Punkte, die nicht nur für die Ökumene, sondern vor allem für die Theologie als solche Schlüsselfragen darstellen. Ein erster Punkt betrifft das rechte Verständnis des Grundsatzes der Autorität der Heiligen Schrift, ohne den die um­strittenen theologisch-ökumenischen Fragen nicht angegangen werden können (vgl. 79–97). Th. bemerkt zu Recht, dass der Beitrag des Zweiten Vatikanum nicht allein darin besteht, diese Autorität zu bekräftigen und ihr das Lehramt unterzuordnen, sondern auch darin, sie im Licht einer dynamischen Auffassung von der Kirche als Traditionsgemeinschaft zu interpretieren – d. h. einer Ge­meinschaft, die vom Sich-Geben des Gotteswortes als Werkzeug einer beständigen Vergegenwärtigung dieses ursprünglichen Ereignisses gegründet wurde und deshalb dazu bestimmt ist, ihm zu dienen; dies gilt nicht zuletzt für diejenigen, denen innerhalb der Gemeinschaft die Ämter der Leitung und Lehre übertragen wurden.

Ein weiterer Punkt betrifft die Möglichkeit eines mehrstufigen Kirchenbegriffes (vgl. 102–144). Th. ist der Auffassung, dass diese Möglichkeit von jenen Abschnitten in den Konzilstexten vorgesehen wird, die von der Subsistenz der Ecclesia Christi in der römisch-katholischen Kirche und von den elementa der Wahrheit und Heiligung sprechen, die auch in den nicht-katholischen Kirchen und Gemeinschaften gegenwärtig sind. Die Bedeutung des Begriffes elementa wie auch die Idee des subsistit in müssten nämlich als eine »Öffnungsklausel« gedeutet werden, der die Funktion zufällt, die Beziehungen zu den von der katholischen Kirche getrennten Kirchen und Gemeinschaften positiv zu begründen. Die Zugehörigkeit zur Kirche stellt dem Konzil zufolge also keine statische, sondern eine dynamische Größe dar, insofern sie verschiedene Intensitätsgrade aufweist.

Th. betrachtet diese Sichtweise zu Recht als vielversprechend für den ökumenischen Dialog. Zugleich weiß er, dass damit die schwierige Frage der Kirchlichkeit der nicht-katholischen Kirchen und Ge­meinschaften noch nicht erschöpft ist. In der Auseinandersetzung mit dieser Frage stellt er richtigerweise fest, der Weg zur Lösung führe durch die ernsthaft zu untersuchende Frage nach den kirchlichen Konsequenzen der Taufe nicht nur für die Einzelnen, sondern auch für die Gemeinschaften der Ge­tauften (vgl. 146–161) – jener Frage also, ob und wie durch das erste Sakrament irgendeine Kirchlichkeit verliehen wird; dabei gilt es letztendlich zu klären, ob die Verbindung zwischen apostolischer Sukzession (und noch davor der Figur des Bischofs) und der kirchlichen Gemeinschaft notwendig ist oder nicht (vgl. 178 f.). Th. bietet eine breite und anregende Vertiefung all dieser Fragen, indem er ihre historische Entwicklung deutlich macht und die Ergebnisse einer (bislang noch unvollständigen) Lösung darlegt, die durch den ökumenischen Dialog erreicht wurde. Er bemüht sich ferner da­rum, die Fruchtbarkeit des Horizonts einer Theologie der Offenbarung herauszustellen, die notwendigerweise in Angriff ge­nommen werden muss, wenn das Ziel einer endgültigen Lösung er­ reicht werden soll. Dieser Horizont muss jedoch auf den beiden Grundpfeilern ruhen, die der evangelischen und der römisch-katholischen Lehre bzw. Theologie am Herzen liegen: auf der menschlichen Person (vgl. 264 f.) und auf der Offenbarung, die im Licht einer Theologie gedeutet wird, deren Zentrum das – ur­sprüngliche und in und durch die Kirche stets neu vergegenwärtigte – Ereignis des dreifaltigen Sich-Gebens des Logos bildet (vgl. 275 f.).

Die Verdienste des Bandes von Th. sind vielfältig und werden auch dadurch nicht geschmälert, dass es hin und wieder Wiederholungen gibt (am auffälligsten ist die vollständige Wiederholung eines langen Abschnittes der Seiten 39–40 auf den Seiten 47–48) oder dass sich die Verweise auf die Texte und Themen des ökumenischen Dialogs fast ausschließlich auf jene mit Bezug zur evangelischen Kirche beschränken. Der größte Verdienst liegt meines Erachtens darin, auf überzeugende Weise zu zeigen, dass eine korrekte Interpretation des Zweiten Vatikanum anerkennen muss, dass dessen Lehre auf einer zentralen Rolle der Theologie des Wortes gründet. Das hat wiederum Folgen für die Theologie als solche, insofern es eine Überarbeitung ihrer grundlegenden Hermeneutik anregt. Denn eine »Theologie des Wortes Gottes bietet die Chance, das Ganze des christlichen Glaubens in einer Verdichtung und Zentrierung seiner wesentlichen Inhalte zu artikulieren« (275).