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Ausgabe:

April/2014

Spalte:

509–510

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Lüer, Jörg

Titel/Untertitel:

Die katholische Kirche und die »Zeichen der Zeit«. Die Deutsche Kommission Iustitia et Pax nach 1989.

Verlag:

Stuttgart: W. Kohlhammer 2013. 304 S. = Theologie und Frieden, 44. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-17-023029-3.

Rezensent:

Wolfgang Beinert

Vom Gedanken der universalen Gleichheit der Menschen als Kinder Gottes und der Friedenspredigt Jesu aus ist Friedensforschung und Friedensarbeit an sich eine der Grundaufgaben der christlichen Kirchen. Sie ist lange nur halbherzig oder faktenwidrig erfüllt worden: Die Kirchen haben sich selber in Kriege auf vielfache Weise verwickeln lassen. Eine grundlegende Besinnung in der römisch-katholischen Kirche findet erst seit dem Pontifikat Benedikt XV. auf der Folie des Ersten Weltkriegs statt. Sie bleibt ungeachtet der Erfolglosigkeit seiner Bemühungen in der Folgezeit erhalten, wird aber erst wirklich ernstlich durch das Zweite Vatikanische Konzil gefördert, das, wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, in den globalen Bedrohungen des beginnenden atomaren Zeitalters und des manchmal gar nicht mehr so Kalten Krieges (Kubakrise) eines der »signa temporis« erblickt, die zu beachten es in der Pastoralkonstitution »Gaudium et spes« als Christenaufgabe erachtet. Paul VI., der zweite Konzilspapst, fördert in Ausführung des konziliaren Auftrags die strukturelle und prozedurale Verankerung der Friedensarbeit durch die Einrichtung eines Weltfriedenstages (jeweils am 01.01.) und durch die Schaffung der Päpstlichen Kommission Iustitia et Pax (1967). Ihre Aufgabe sollte es sein, »im ganzen Volk Gottes die Einsicht zu wecken, welche Aufgaben die Gegenwart von ihm fordert: die Entwicklung der armen Völker voranzutreiben, die soziale Gerechtigkeit zwischen den Nationen zu fördern; den weniger entwickelten Nationen zu helfen, dass sie selbst und für sich selbst an ihrem Fortschritt arbeiten können. Gerechtigkeit und Friede ist Name und Programm dieser Kommission« (Enzyklika »Populorum Progressio«). Der Appell fiel bei mehreren Ortskirchen auf fruchtbaren Boden. Entsprechend den je spezifischen Aufgaben bildeten sich unter dem päpstlich propagierten Namen nationale Gremien, darunter auch die Deutsche Kommission Iustitia et Pax. Sie geht in der Bundesrepublik auf das Jahr 1968 zurück und konstituiert sich über mehrere Zwischenstufen 1982 und endgültig 1988 als Deutsche Kommission Iustitia et Pax. Träger sind die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken. In der DDR konkretisieren sich erst 1978 entsprechende Reaktionen auf die Enzyklika, was im Blick auf die schwierigen kirchenpolitischen Verhältnisse dortselbst alles andere als verwunderlich ist. Die Kommission wird zum Gegenpol des marxistisch-leninistischen Friedensverständnisses. Erst 1992 vereinigen sich die beiden Gremien.

Das vorliegende Werk, eine Gießener philosophische Dissertation (2012, Betreuer H.-G. Stobbe) aus der Feder von Jörg Lüer, dem Referenten der Kommission im Berliner Büro, schildert, wie diese auf die friedens- und sicherheitspolitischen Herausforderungen nach 1989/90, also nach der durch die Implosion der Sowjetunion veranlassten weltpolitischen Wende, reagiert hat. Zielpunkt der Studie ist das Jahr 2004 und die Publikation des bischöflichen Wortes »Gerechter Friede« (2000). Organisatorisch wie verlaufstechnisch ersteht der Zeitraum der zweiten (1988–93) und dritten Amtszeit (1994–98) der (zunächst zwei) Institutionen mit einem Ausblick auf die vierte (1999–2004) vor den Augen von Leserin und Leser. In diese vierte Periode fällt das gerade erwähnte bischöfliche Wort.

Anhand der Sitzungsprotokolle lässt L. ein farbiges Bild der Auseinandersetzungen erstehen, mit denen sich die Kommission herumschlagen musste – nicht ohne beträchtliche Spannungen auch ad intra aushalten zu müssen. Gleichzeitig wird dadurch eine ge­spiegelte Rückschau auf die Probleme ermöglicht, mit denen die junge Bundesrepublik zu ringen hatte. Wehrpflicht und Wehrdienstverweigerung, militärischer Gehorsam sind Fragen während der zweiten Amtszeit, zusätzlich kommen in der dritten außenpolitische Komplikationen auf den Tisch. Mehr und mehr zeichnet sich die Relevanz der ökologischen Problematik ab. Die Kommissionsarbeit ist alles in allem »ein ideengeschichtlicher Ausdruck der Transformationssituation« (149). Während die Wirkungen der Kommission nach außen eher begrenzt sind, gehen innerkirchlich Impulse von ihr aus, die die katholische Friedensethik und Friedenspraxis in Deutschland nachdrücklich beeinflussen. Das wird deutlich an den beiden bischöflichen Stellungnahmen. Die erste wurde 1983 publiziert (»Gerechtigkeit schafft Frieden«). Sie stand ganz unter dem Eindruck der Debatten um den NATO-Doppelbeschluss und des Kalten Krieges. Die völlig veränderte Weltlage nach 1989/90 verlangte nach einer Neufassung, die 2000 unter der Überschrift »Gerechter Friede« erschien. Das Buch geht auf die Entstehungsgeschichte ein, sofern daran die Iustitia-et-Pax-Kom­mission entscheidend beteiligt war. Das Zweite Vatikanische Konzil ist der Grundanstoß dieser Öffnung der Kirche für den Dialog mit der »Welt«.

Das flüssig geschriebene Werk stellt einen beachtenswerten Beitrag zu einem Kapitel der modernen Kirchengeschichte dar, das, wenigstens bei den Theologen, ansonsten kaum zur Kenntnis ge­nommen wird.