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Ausgabe:

April/2014

Spalte:

475–477

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Koschorke, Klaus [Hrsg./Ed.]

Titel/Untertitel:

Etappen der Globalisierung in christentumsgeschichtlicher Perspektive – Phases of Globalization in the History of Christianity.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 2012. VIII, 379 S. m. Abb. = Studien zur Außereuropäischen Christentumsgeschichte (Asien, Afrika, Lateinamerika), 19. Geb. EUR 72,00. ISBN 978-3-447-06672-3.

Rezensent:

Mariano Delgado

Der Münchener Kirchenhistoriker Klaus Koschorke gibt in diesem Band die Beiträge der Fünften Internationalen München-Freising-Konferenz heraus. Seit Jahren versammelt er dort mit einer gewissen Regelmäßigkeit die besten Spezialisten in der sogenannten »Außereuropäischen Christentumsgeschichte«, und die Ergebnisse werden in der von ihm und dem Mainzer Kirchenhistoriker Johannes Meier gegründeten einschlägigen Reihe publiziert. Der Begriff »Außereuropäische Christentumsgeschichte« hat sich unterdessen im deutschsprachigen Raum etabliert, auch wenn kritische Stimmen, zu denen die des Rezensenten gehört, eher eine sachlichere geographische Bezeichnung bevorzugt hätten (Studien zur Ge­schichte des Christentums in Asien, Afrika und Lateinamerika). Warum soll z. B. Lateinamerika außereuropäischer als die USA sein, wenn die Europäer vor 500 Jahren dort ihre Kultur und Religion verpflanzt haben, also längst bevor im Territorium der heutigen USA die erste europäische Siedlung gegründet wurde? Das Positive daran ist, dass die Begründer der Reihe unter diesem Namen unsere Wahrnehmung für die globale Ausbreitung des Christentums in Geschichte und Gegenwart schärfen wollen. Auch wenn die theologischen Fakultäten des deutschen Sprachraumes für eine solche Christentumsgeschichte, die ich auch vertrete, nicht sehr empfänglich sind, so hat sich dank dieser und ähnlicher Initiativen in den letzten Jahren einiges bewegt. Die Zielsetzung der Fünften Internationalen München-Freising-Konferenz be­stand mit den Worten des Herausgebers darin, »globale Perspektiven durch die vergleichende Analyse von Paradigmen großräumiger Vernetzung aus unterschiedlichen Epochen der Christentumsgeschichte zu gewinnen« (7).

Vier Paradigmen werden in ebenso vielen Abschnitten behandelt: 1. Die ostsyrisch-nestorianische »Kirche des Ostens«, die sich auf dem Höhepunkt ihrer Ausbreitung im 13./14. Jh. von Syrien bis nach Ostchina und von Sibirien bis nach Südindien erstreckte. 2. Die Jesuiten der alten Gesellschaft Jesu, die als »die« global players der frühen Neuzeit bezeichnet werden. 3. Der Pietismus Hallenser und Herrnhuter Prägung, deren Anhänger Pioniere protestantischer Mission außerhalb Europas, aber auch in Nordeuropa wurden. 4. Und schließlich die protestantische Missionsbewegung im Umfeld von Edinburgh 1910. Von den vier Paradigmen wird gesagt, dass sie nicht nur aus verschiedenen Epochen entstammen, sondern auch dass sie unterschiedliche Modelle christlicher Globalität repräsentieren. In allen Beiträgen sollten möglichst diese Aspekte zur Sprache kommen: »1. Geographische Ausbreitung; 2. Organisations- und Kommunikationsstrukturen; 3. Medien, Presse, Selbstdarstellung; 4. Transkontinentale Wechselwirkungen; 5. Globale Vernetzung indigen-christlicher Eliten« (8). Dass dieses Frageraster nicht in allen Beiträgen durchdekliniert werden konnte, versteht sich von selbst. In seinem einführenden Beitrag fasst der Herausgeber Impulse und Perspektiven des Bandes mit folgenden Stichworten zusammen: Die Beiträge lägen »polyzentrische Strukturen der globalen Christentumsgeschichte« sowie ein Verständnis der Christentumsgeschichte als »transkontinentaler Interaktionsgeschichte« nahe; sie präsentieren die Missionare als »Nutznießer« der bestehenden Kommunikationsstrukturen und »Pioniere« der Globalisierung; sie geben Impulse für weitere Überlegungen zu einer Periodisierung der Weltgeschichte des Christentums, ohne auf die bereits vorliegenden Periodisierungsvorschläge näher einzugehen; und sie erweitern den Blick auf neue Landkarten der globalen Christentumsgeschichte, deren Wahrnehmung der hier üb­lichen eurozentrischen Kirchengeschichte gut täte. Das Plädoyer für die Wiederentdeckung der globalen Dimensionen der Chris­tentumsgeschichte ist der cantus firmus des Herausgebers.

Die drei Beiträge über die ostsyrisch-nestorianische »Kirche des Ostens« befassen sich mit den kontinentalen und maritimen Seidenstraßen als Missionsweg (Samuel N. C. Lieu), mit der Organi­sation und den Kommunikationsstrukturen der besagten Kirche (Wolfgang Hage) und den Konflikten zwischen den lateinischen und den nestorianischen Christen (Folker Reichert). Der Abschnitt über die Jesuiten enthält Texte über die Organisation und Kommunikationsstrukturen der Gesellschaft Jesu in der Frühen Neuzeit (Markus Friedrich), über die mediale Darstellung und die Wahrnehmung jesuitischer Übersee-Aktivitäten in Europa (Claudia von Collani), über globale Aspekte der Heiligenverehrung anhand des weltweiten Kults der japanischen Märtyrer von 1597 (Niccolo Steiner), über die gescheiterte Katholisierung der äthiopisch-orthodoxen Kirche (Verena Böll) und über konfessionelle Konflikte (Ronny Po-Chia Hsia). Beim Pietismus werden folgende Aspekte in den Blick genommen: Ein Vergleich der Missionsaktivitäten von Halle und Herrnhut (Hartmut Lehmann), ein Vergleich der transkontinentalen Kommunikationen zwischen Tranquebar in Indien und Boston in Nordamerika anhand von Cotton Mather’s »India Americana« (1721) (Daniel Jeyaraj), die Zirkulation von Wissen in der Herrnhuter Brüdergemeine im 18. und 19. Jh. (Gisela Mettele) und transkontinentale Ehen anhand der Ehe zwischen dem evangelischen Christen Jacobus Protten Africanus aus West Afrika und der Sklavin Rebecca Freundlich Protten aus der Karibik (Jon Sensbach). Im vierten Ab­schnitt, der sich mit der protestantischen Missionsbewegung um 1910 befasst, finden wir Beiträge über protestantische Missionsgesellschaften als Organisationsform der Mission (Hartmann Tyrell), über die nationalkirchlichen Bewegungen in Asien und ihre Beziehung zur Welt­christenheit (Klaus Koschorke), über die Entwicklung einer indigenen Christenheit in China (Peter Tze Ming NG), über Edinburgh als Genese der »International Review of Missions« (Brian Stanley), über die Rolle der Publizistik bei der transkontinentalen Vernetzung indigen-christlicher Eliten (Ciprian Burlacioiu/Adrian Hermann) und über die »Südwärtsbewegung« der Weltmissionskonferenzen des frühen 20. Jh.s (Frieder Ludwig). Auch wenn die behandelten Themen zu disparat sind und die Qualität der Beiträge unterschiedlich ist, sind alle Texte mit Erkenntnisgewinn zu lesen. Sie sind Ausdruck der interdisziplinären Blickerweiterung, zu der eine stärkere Wahrnehmung der »außereuropäischen Christentumsgeschichte« hierzulande führen könnte.

Der Band wird mit zwei Beiträgen abgeschlossen, die weiterführende Kommentare und Reflexionen zur »Globalisierung in christentumsgeschichtlicher Perspektive« aus der Sicht eines Re­formationshistorikers (Thomas Kaufmann) und eines Kolonialismushistorikers (Reinhardt Wendt) enthalten. Kaufmann macht auf die prekäre Lage der »außereuropäischen Christentumsgeschichte« an den theologischen Fakultäten aufmerksam, die – so zumindest die protestantischen – eher das Studium der Kirchenväter und der Reformation privilegieren. Die Tendenz zur weiteren »Theologisierung« der theologischen Fakultäten in Deutschland stehe einer besseren Integration der eher interdisziplinär angelegten Beschäftigung mit der »außereuropäischen Christentumsgeschichte« im Wege, stellt Kaufmann nüchtern fest. Gleichwohl führt ihn die Wahrnehmung der Fragen und Methoden derselben zu diesem Plädoyer: »In Bezug auf die Herausforderungen unserer Gegenwart scheint es geboten zu sein, die Kirchengeschichte stärker als bisher üblich auf die Religionsgeschichte hin zu öffnen.« (368) Wendt macht in seinem knappen Kommentar auf die Interdependenz von einer globalisierungshistorischen Perspektive, wie sie in der neuen Kolonialismusforschung eingeklagt wird, und einer Christentumsgeschichte in globaler Perspektive aufmerksam. Der Ta­gungsband ist mehr als ein Kaleidoskop unterschiedlicher Beiträge: Er hat ein klares Konzept und will im Sinne des unterdessen emeritierten Herausgebers der »außereuropäischen Christentumsgeschichte« mehr Aufmerksamkeit und Gewicht an den theologischen Fakultäten verleihen.