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Ausgabe:

April/2014

Spalte:

463–466

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Spencer, Franklin Scott

Titel/Untertitel:

Salty Wives, Spirited Mothers, and Savvy Widows. Capable Women of Purpose and Persistence in Luke’s Gospel.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2012. X, 348 S. Kart. US$ 30,00. ISBN 978-0-8028-6762-9.

Rezensent:

Christfried Böttrich

Wenn es um die Rolle von Frauen in der Jesusbewegung geht, dann ist der Evangelist Lukas ein gern gewählter Gesprächspartner. Mehr als seine Evangelistenkollegen wendet er sich der Le­benswirklichkeit von Frauen zu und überliefert eine Reihe von Episoden, die für den Genderdiskurs immer wieder Bedeutung gewonnen haben. Dabei bleibt freilich offen, ob Lukas nun tatsächlich als der große Frauenversteher zu würdigen oder nicht doch nur ganz einfach als Kind seiner patriarchalen Zeit zu betrachten ist. Denn sein facettenreiches Bild zeigt durchaus widersprüchliche Züge, die zu höchst kontroversen Deutungen des gesamten Befundes einladen.

Das neue Buch von Franklin Scott Spencer, Professor für Neues Testament und Homiletik am Baptist Theological Seminary in Richmond, nimmt diese Spur auf. S. kann dafür bereits auf eine Reihe von Vorarbeiten zurückgreifen, die sowohl Fragen feministischer Exegese (zuletzt: »Dancing Girls, ›Loose‹ Ladies, and Women of ›the Cloth‹. The Women in Jesus’ Life«, New York 2004) als auch den gesamten Literaturbereich von Luke-Acts betreffen. Im Vorwort bekennt sich S. zu der Einsicht, dass ihn die »rising tide of feminist biblical scholarship« in seiner exegetischen Arbeit maßgeblich geprägt habe und dass feministische Kritrik längst »an essential component of informed critical biblical interpretation« sei, »for men as well as for women«. Mit dieser Perspektive nimmt er die lukanische Problematik von Neuem in Angriff – kundig und belesen, spritzig im Ton und einfühlsam in der Sache.

Die Darstellung entfaltet sich in acht relativ geschlossenen Ka­piteln, von denen die ersten beiden methodisch grundsätzlichen Problemen, die sechs weiteren hingegen ausgewählten Perikopen gewidmet sind. Ein knapper Index (Namen und Sachen) bindet die Beiträge am Schluss zusammen. S. liebt es, mit Adjektiven zu spielen: saure Gattinen, beherzte Mütter, clevere Witwen, tüchtige Frauen, genervte Gastgeberin, faule Schwester, hungrige Witwe, scharfe Königin – da schlägt in der Exegese schon die Homiletik spürbar durch. Sprachlich dominiert die Neigung zum Bonmot. Das macht das Buch zu einer unterhaltsamen Lektüre, geht mitunter indessen auch zu Lasten der Sache.

1. Toward Bluer Skies. Reducing the Threat Level and Resurrecting Feminist Studies of Women in Luke: In diesem Einführungskapitel lässt sich S. noch einmal von seiner Lust an der Pointe hinreißen: Er appliziert verschiedene Stufen von Bedrohungsszenarien auf die Wahrnehmung feministischer Exegese und plädiert seinerseits für blau (auf der Skala 2 von 5). Das entspricht seiner Absicht, das Pendel von der harschen Kritik, die Lukas in jüngster Zeit erfahren musste, wieder ein gutes Stück über die Mitte zurückschwingen zu lassen. Verschiedene Grade der Kritik kommen sodann exemplarisch mittels einer Analyse der Lukasinterpretationen von Jane Schaberg, Turid Karlsen Seim und Barbara Reid zur Darstellung. Damit ist der Rahmen abgesteckt.

2. Can We Go On Together with Suspicious Minds? Doubt and Trust as Both Sides of the Hermeneutical »Coin« (Lk 15:8–10): Hier geht es grundlegend um die Methodologie. Dabei sucht S. nicht nur nach einem Mittelweg zwischen grundsätzlicher Skepsis und schlichtem Zutrauen – Zweifel und Glauben seien nun einmal die zwei Seiten der hermeneutischen Münze –, vielmehr möchte er wieder Glauben, Vertrauen und Gehorsam auf den »hermeneu­tischen Thron« setzen und dem Verdacht lediglich die Funktion des »Fußschemels« zugestehen (28). Heraus kommt ein Ansatz, der als »Hermeneutik der Erinnerung, der Imagination und der Transformation« vor allem aus der Lektüre von Lk 15,8–10 entwickelt wird. Was zunächst als einfühlsame Wahrnehmung feministischer Anliegen beginnt, entpuppt sich dabei je länger je mehr als eine fundamentale Kritik an der »Hermeneutik des Verdachts«, die für die folgenden Studien des Buches methodisch den Boden bereitet.

3. A Woman’s Right to Choose? Mother Mary as Spirited Agent and Actor (Luke 1–2): Maria als zentrale lukanische Frauenfigur hat von jeher eine kontroverse Beurteilung erfahren. S. votiert mit Nachdruck für ihr Bild als das einer Frau, die mit der Möglichkeit zur Wahl und zur Selbstbestimmung ausgestattet sei. Das bedarf der Erklärung, die freilich mehr behauptet als belegt. Maria akzeptiere ihre Berufung als bereitwillige Nachfolgerin und fungiere somit als Modell der Nachfolge bei Lukas überhaupt, jedoch nicht ohne Zweifel, Sehnsüchte oder Bedenken, wie sie einer eigenständig denkenden Akteurin eben angemessen seien. Diesem Bild entspreche auch die Begegnung der Mütter sowie die Darstellung Marias als einer Prophetin. Sie bleibe eingebettet in ihre soziale Welt, werde davon aber nicht paralysiert; ihre Seligpreisung gelte nicht allein ihrer Funktion als Vehikel des göttlichen Kindes, sondern ihrer aktiven Auseinandersetzung mit Gottes Worten und Taten.

4. The Quest of the Historical Joanna. Follower of Jesus, Friend of Mary Magdalene, and Wife of Herod’s Official (Luke 8:1–3; 24:10): Für die Frage nach Frauen in der Nachfolge Jesu analog zur Nachfolge von Männern ist Lk 8,1–3 die unbestrittene Kardinalstelle. Das »Mit Jesus Sein« kann dabei verschiedene Aspekte haben – wie etwa Versorgung und Unterstützung. Letzteres wird bei Lukas immerhin auch durch männliche Beispiele (den Hauptmann von Kafarnaum oder Zachäus) vorgestellt. Entsprechend vielfältig erscheint das Spektrum möglicher Rollenbilder für Johanna: Ist sie Anwältin der Armen, eigenständige Vertreterin der Elite, tugendhafte Verehrerin Jesu, Doppelagentin oder gar prominente Apostelin? Als vorläufiges Ergebnis hält S. fest, dass Jesus jedenfalls nicht die Trennung von Ehen provoziert habe und Lk 8,1–3 eher im Sinne einer Beziehung zwischen Patron und Klient zu sehen sei. Wie das mit dem radikalen, afamiliären Ethos der Nachfolgebeziehung – wenn sie denn von Lukas an dieser Stelle intendiert sein sollte – zusam­menpasst, bleibt offen.

5. A Testy Hostess and Her Lazy Sister? Martha, Mary, and the Household Rivals Type-Scene (Luke 10:38–42): Dieser Lieblingstext feministischer Exegese, kultiviert und geschunden gleichermaßen, wird von S. zunächst in den weiten Horizont »typischer Haushalt-Rivalitäts-Szenen« gestellt. Originell ist der Vergleich mit Erzählungen wie denen von Sara und Hagar, Lea und Rahel, Hannah und Penninah, Bathseba und Abischag, Naomi und Ruth. Eine Brücke schlägt die Begegnung von Elisabeth und Maria, die nun ein Gegenbild der Solidarität und gegenseitigen Unterstützung entwirft. Die Episode von Maria und Martha sieht S. unter dem Einfluss beider Erzähltypen. Was er dazu dann nach langem Anlauf zu sagen hat, klingt jedoch eher banal: Beide Schwestern tun »Gutes«, aber beide sind aufgerufen, »Gutes« eben in der zweifachen Form von Dienen und Hören zu tun. Wir alle sind aufgerufen, sowohl Martha als auch Maria zu sein. Ein abschließender Blick auf die Wirkungsgeschichte öffnet dieser schlichten, wenngleich sicher nicht falschen Interpretation noch einmal ein neues, facettenreicheres Bild.

6. A Hungry Widow, Spicy Queen, and Salty Wife. »Foreign« Biblical Models of Warning and Judgment (Luke 4:25–26; 11:31; 17:32): Mit diesem Kapitel kommen die »ärgerlichen Vorbilder« des Lukas in Gestalt ihrer auffälligsten Vertreterinnen in den Blick. Den Ausgangspunkt bildet eine Analyse des Motivs »fremder Frauen«, das in narrativen Texten wie z. B. Josef und Asenet oder der deuteronomistischen Geschichtsschreibung eine Rolle spielt. Instruktiv ist der Exkurs zu der Frage, warum die Erzählung von der Syrophönizierin bei Lukas fehlt. Die drei lukanischen Textbeispiele werden sodann stereotyp unter den Aspekten von Setting (Zeit und Ort) sowie Status (soziale Schicht und Charakter) analysiert. Als »Botschaft« formuliert S. am Ende den Appell: »Look Out and Move On!« – im Sinne einer Akzeptanz von Gottes Vorhaben in Christus und einer Horizonterweiterung über das parochiale Milieu hinaus.

7. The Savvy Widow’s Might. Fighting for Justice in an Unjust World (Luke 18:1–8): Unter den lukanischen Frauentexten ist dieser in seiner klaren Frontstellung zweifellos einer der dankbarsten. S. unternimmt es deshalb, seine feministische Favorisierung wieder zu relativieren. Nach einer sorgfältigen Analyse der litera­rischen und sozialgeschichtlichen Konstellationen richtet er den Fo­kus auf die theologische Dimension der Parabel, die er im We­sentlichen aus ihrer lukanischen Rahmung rekonstruiert. Gebet und Glauben sind die entscheidenden Stichworte, genauer: Es geht ihm um die spirituelle Übung des Gebetes sowie um die eschatologische Beharrlichkeit des Glaubens. Darin wird die Witwe zum Beispiel für Frauen und Männer – weniger in typischer als vielmehr in außerordentlicher Weise.

8. A Capable Woman, Who Can Find? We Have Found Some in Luke!: Die Zusammenfassung deutet in ihrem programmatischen Titel das Ergebnis der gesamten Untersuchung schon an. Die »tüchtige Frau« aus Prov 31:10 wird noch einmal zum Anlass genommen, den bereits in Kapitel 3 herangezogenen »capabilities approach« von Martha Nussbaum (2000) durchzuspielen. Die insgesamt zehn »capabilities« (hier am besten wohl: Fähigkeiten), die Nussbaum entwickelt, bezieht S. nun auf jene Frauengestalten, die Lukas präsentiert, und wird dabei – erwartungsgemäß – ausreichend fündig.

Das Buch erweist sich als Plädoyer in zweifacher Hinsicht. Zum einen mahnt es die Aufnahme und Integration feministischer Exegese in das Alltagsgeschäft exegetischer Arbeit nachdrücklich an – und führt vor, wie das konkret aussehen kann. Zum anderen bezieht es eine klare Position und nimmt Lukas aus der Schusslinie der Kritik: Seine Darstellung von Frauenfiguren sei weit weniger ambivalent als häufig unterstellt; anstatt verborgener Gefahren biete sie vielmehr starke Impulse für den Genderdiskurs. Auf diese Weise steckt S. in der Debatte um »Lukas und die Frauen« die Grenzlinien noch einmal neu ab. Mit Sicherheit behält er damit nicht das letzte Wort. Doch sein Buch liefert zweifellos einen Beitrag, der zur weiteren Schärfung des lukanischen Profils beitragen wird.