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Ausgabe:

April/2014

Spalte:

448–450

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rechberger, Uwe

Titel/Untertitel:

Von der Klage zum Lob. Studien zum »Stimmungsumschwung« in den Psalmen.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2012. XII, 399 S. = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 133. Geb. EUR 64,00. ISBN 978-3-7887-2580-8.

Rezensent:

Markus Saur

Wer sich den Klagepsalmen des Psalters zuwendet, trifft auf ein auffälliges Phänomen: Innerhalb der Klagen finden sich immer wieder lobende und dankende Textsequenzen, die im Kontext der Klage nur schwer zu erklären sind. Die Psalmenforschung hat dieses Phänomen unter dem Stichwort »Stimmungsumschwung« verhandelt und unterschiedliche Modelle der Erklärung für diesen Umschwung entwickelt. Uwe Rechberger untersucht in seiner von Bernd Janowski betreuten und im Jahr 2011 von der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen als Dissertation angenommenen Studie den »Stimmungsumschwung« in den Psalmen.

Nach einer »Einleitung« (1–54), in der R. in das Thema seiner Studie einführt und die in der Forschung bislang diskutierten Erklärungsmodelle für den »Stimmungsumschwung« referiert, wendet sich R. im zweiten Kapitel »Das Axiom des ›priesterlichen Heilsorakels‹« (55–132) der forschungsgeschichtlich wichtigsten These zur Erklärung des »Stimmungsumschwungs« in den Psalmen zu, derzufolge der Umschwung innerhalb der Klagepsalmen auf ein dem Beter von außen zugesprochenes priesterliches Heilsorakel zurück- zuführen sei. Vor allem in Auseinandersetzung mit Joachim Begrichs Arbeit »Das priesterliche Heilsorakel« von 1934 und dessen »Studien zu Deuterojesaja« von 1938 untersucht R. die formgeschichtliche Einordnung der – auch in der Nachfolge Begrichs – immer wieder herangezogenen einschlägigen Texte Deuterojesajas und kommt aufgrund seiner Analysen zu dem Schluss: »Die exegetischen Axiome eines ›priesterlichen Heilsorakels‹ oder eines ›prophetischen Kultorakels‹ lassen sich weder direkt noch indirekt belegen.« (132) Vor diesem Hintergrund sei daher auch im Blick auf die Frage nach dem »Stimmungsumschwung« in den Psalmen »nach text- also psalmimmanenten Gründen zu suchen« (ebd.). Mit diesem Ergebnis bewegt sich R. auf einer Linie mit zahlreichen neueren Studien, die dem Optimismus der älteren Forschung hinsichtlich der Gattungszuweisung alttestamentlicher Texte eine ge­wisse formgeschichtliche Nüchternheit entgegensetzen.

Im dritten Kapitel »Der ›Stimmungsumschwung‹ in den Psalmen« (133–292) wendet sich R. – nach einigen methodischen Vorbemerkungen zu Poetologie, Rezeptionsästhetik und Sprechakttheorie– Ps 22, Ps 3 und Ps 6 zu. Diese Psalmen werden einer minutiösen Exegese unterzogen und auf grammatischer, poetischer, seman-tischer und pragmatischer Ebene analysiert, um auf diesem Weg dem psalminternen Gebetsgeschehen auf die Spur zu kommen und so herauszuarbeiten, was den »Stimmungsumschwung« innerhalb der Psalmen motiviert und auszeichnet. In Ps 22 erkennt R. in dem in V. 22 greifbaren Bekenntnis des Beters, Gott habe ihm geantwortet, den entscheidenden Wendepunkt: »Diese Illokution der Con-fessio (repräsentativ) bekennt Gottes Reaktion als die erfolgreiche Perlokution des bisherigen Psalmgebetes.« (221) Gott selber sei der Motor des »Stimmungsumschwungs« – »JHWH selbst bewirkt den Lobpreis des Beters« (ebd.). Ganz ähnlich folgert R. aus seiner Ana­lyse von Ps 3, dass mit dem Grundvertrauen des Beters Gott gegenüber die Klage bereits in ein heilvolles Licht rücke: »Im Zusammenbringen der Bedrängnis (2 f.) und der Gottesbeziehung (4) öffnet sich die Klage für das Geschenk neuer Zuversicht.« (246) Und auch hier sei letztlich Gott selbst derjenige, der dem Beter einen neuen Horizont eröffne und ihn seines Heils vergewissere. Aus dieser Gottesgewissheit heraus lasse sich auch der »Stimmungsumschwung« in Ps 6 deuten: »JHWH ist ein Gott, in dessen Wesen es begründet liegt, jedes an ihn gerichtete Gebet zu erhören. Dieses Bekenntnis macht sich der Beter zu eigen und begründet aus ihm heraus die persönliche Ge­wissheit, dass JHWH auch ihn erhört hat (9b.10a).« (292)

Die Stärke der in diesem Kapitel vorgelegten Psalmenanalysen liegt in der genauen Rekonstruktion der Binnenmechanismen der Texte; im Gegensatz zu den breit erörterten semiotischen Dimensionen werden mögliche literar- und redaktionsgeschichtliche Hin­tergründe der untersuchten Psalmen jedoch allenfalls ge­streift. Die Exegese R.s ist – ihrem literaturwissenschaftlichen An­satz entsprechend – vornehmlich synchron angelegt, was insbesondere im Blick auf Ps 22 noch Raum für Diskussionen lassen dürfte: Könnte die Profilierung des Psalms nicht noch an Tiefenschärfe gewinnen, wenn die psalminterne Wende nicht allein synchron, sondern auch diachron interpretiert würde? Darüber hinaus könnte man im Blick auf die starke Gewichtung des Gottvertrauens und der Gottesgewissheit, die R. zur Grundlage seiner Deutung des »Stimmungsumschwungs« in den Klagepsalmen macht, fragen, ob auf diese Weise das Element der Klage in seiner existenziellen Tiefendimension hinreichend erschlossen wird.

Im vierten Kapitel »Theologische und anthropologische Aspekte des ›Stimmungsumschwungs‹« (293–321) stellt R. eine Reihe von Einzelaspekten und Einzelmotiven zusammen, die für den »Stimmungsumschwung« innerhalb der Psalmen von Bedeutung sind: In theologischer Perspektive verweist R. auf den Gebrauch des Gottesnamens, auf die Rede von Gottes Wesen und seinem Handeln in Schöpfung, Herrschaft und Rettung, auf das Motiv des göttlichen Angesichts, auf die Erwähnungen des Geistes Gottes, auf das Motiv der Hilfe Gottes am Morgen, auf die Orientierung am Zion und auf das Vertrauen auf Gottes Vergebung; in anthropologischer Perspektive stellt R. die Unschuldsbeteuerung des Beters, die Erinnerung an erfahrenes Heil, die Todafeier und das Motiv des Vertrauens auf Jhwh heraus. Diese Zusammenstellung in der genannten doppelten Perspektivierung erfolgt mehr oder weniger summarisch und nimmt den gesamten Psalter in den Blick, was das exemplarisch an Ps 22, Ps 3 und Ps 6 Erarbeitete in einen größeren Kontext stellt.

Im fünften Kapitel »Rezeptionsästhetische und poetologische Aspekte des ›Stimmungsumschwungs‹« (322–340) knüpft R. an die methodischen Überlegungen zu Beginn des dritten Kapitels an. Im Anschluss an rezeptionsästhetisch orientierte hermeneutische Mo­delle führt R. hier neben Text, Autor und Leser zudem und vor allem Gott als weitere Instanz der Sinnkonstitution von Psalmtexten an: »Die Psalmen des kanonisch gewordenen Psalters sind als Wort an Gott zugleich auch Gottes Wort an ihren Beter.« (328) Mit solchen Thesen wird das innerexegetische Diskursfeld verlassen und das Problem des »Stimmungsumschwungs« in einen weiten theologischen Problemhorizont gestellt. Hier wäre etwa die Frage zu diskutieren, ob und inwieweit Gottes Wort an den Psalmenbeter in den Psalmen als Wort des Beters an Gott eine eigene Größe darstellen kann und nicht vielmehr nur in der Gestalt menschlichen Wortes greifbar ist.

Mit einem abschließenden »Ergebnis« (341–352) wird der Ertrag der Studie gesichert. R. plädiert vor dem Hintergrund seiner Untersuchung dafür, nicht mehr von einem »Stimmungsumschwung«, sondern umfassender von einer »Wende« zu sprechen: »Zur Wende des Sprechaktes tritt die Wende der ›Stimmung‹, was wiederum in der Wende Gottes und der daraus resultierenden Wende der Feindbedrohung bzw. in der Gewissheit dieser Wende begründet ist.« (352)

Literaturverzeichnis (353–389) und Bibelstellenregister (390–399) schließen die wichtige Untersuchung ab, deren Ertrag die weitere Arbeit am Phänomen des Nebeneinanders von Klage und Lob innerhalb der Psalmen bestimmen wird.