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Ausgabe:

April/2014

Spalte:

436–439

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bons, Eberhard, et Thierry Legrand[Éds.]

Titel/Untertitel:

Le monothéisme biblique. Évolution, contextes et perspectives.

Verlag:

Paris: Les Éditions du Cerf 2011. 465 S. = Lectio Divina, 244. Kart. EUR 34,00. ISBN 978-2-204-09311-8.

Rezensent:

Michaela Bauks

Der vorgelegte Band hat ein doppeltes Ziel: Einerseits führt er in die seit einigen Jahren geführte, sehr bewegte Diskussion zum Thema Biblischer Monotheismus ein (so die Einführung der Herausgeber sowie die Beiträge von Rognon und Stegemann). Andererseits geht er der Problematik am Beispiel von 21 Einzelstudien zu Texten aus dem Alten Testament, dem Neuen Testament und der antiken jüdischen (Qumran und andere deuterokanonische Schriften, Targum und Talmud), paganen und frühchristlichen Literatur nach. Die Einführung der beiden Herausgeber zeichnet die derzeitige Diskussion in der aktuellen Exegese kurz nach: Der derzeitige Stand zeigt, dass die geläufige Unterscheidung in Mono-, Poly-, Henotheismus und Monolatrie allzu schematisch ist und den Entwicklungsprozess, den Religion aufgrund soziologischer, politischer, theologischer, ethischer u. a. Faktoren nimmt, unzureichend widerspiegelt. Außerdem hat das zunehmende interreligiöse For schungsinteresse in Wissenschaft und Gesellschaft neue Perspek­tiven aufgezeichnet, die hinterfragen lassen, inwieweit die drei Monotheismen eine religiöse und kulturelle Verarmung darstellen oder sogar zu Intoleranz und Polarisierung von Religion durch die Einführung des Konzepts von falscher und wahrer Religion ge­führt haben.

Zwei epistemologisch vorgehende Artikel gehen den Einzelstudien voran. Der Straßburger Religionswissenschaftler F. Rognon (»Penser le Dieu un. Remarques sur le débat autour du monothéisme«) führt in die oben zitierte Terminologie ein, indem er die Begriffe definiert und voneinander abgrenzt, um festzustellen, dass drei einander verwandt sind und eine gemeinsame Schnittmenge mit der Aussage »Gott ist einer« aufweisen. Eine interne Unterscheidung des Monotheismus ergibt sich aus folgenden Präzisierungen: a) Gott ist vereinheitlicht (unité/uniformité); b) Gott ist einzig (unicité); c) Gott ist universell (universalité) gedacht (27 f.). Dabei kennen die gängigen Monotheismen nicht gleichermaßen alle Züge – so unterstreicht z. B. der Koran die Uniformität des einen Gottes (gegen die Trinitätslehre), während das Schema‘ Israel die Universalität des Gottesbildes nicht kennt. Der neuplatonisch geprägte philosophische Monotheismus definiert die Einheit Gottes als Symbol der Existenz, während die Vielzahl von Göttern als Illusion, d. h. als falsche Götter verstanden wird. Besonderes Interesse widmet Rognon dem biblischen »Vorreiter« des Monotheis­mus, dem Aton-Glauben Echnatons, der s. E. in den Diskussionen zu wenig berücksichtigt worden ist. Ausgehend von J. Assmanns Studien geht er den projektiven Zügen und deren Einflüssen auf die jüdische und abendländische Kultur sowie der Geschichte eines besonders gearteten Exklusivismus nach. Letzterer ist im französischen Sprachraum durch Forscher wie Jean Soler, Michel Dousse, Régis Debray oder Shmuel Trigano, Daniel Sibony (Psychoanalyse) vertieft untersucht worden. Am Ende des Forschungsparcours kommt er auf R. Girard und seine mimetische Theorie zu sprechen, die wenigstens im jüdisch-christlichen Monotheismus einen Bruch mit dem gewaltvollen Opferverständnis polytheistischer Religionen verzeichnet und somit die Gegenthese zu »Monotheismus = Gewalt« konzeptionell darlegt.

E. W. Stegemann (»Wieder einmal Unbehagen am Monotheis­mus«) legt zum einen die Problematik der seit dem 18. Jh. geläufigen Terminologie dar, die in ihrem Ab­straktionsgrad die histo­-rischen Verhältnisse der Antike nicht trifft, sondern sie lediglich idealtypisch umschreibt. Zum anderen zeichnet er die »Gewaltgeschichte des biblischen ›Monotheismus‹« his­torisch als Reaktion auf die bestimmende Religionspolitik fremder Machthaber nach. Basierend auf Studien von J. Rüpke und R. Bloch zeigt er auf, dass es in der hellenistisch-römischen Welt mehrheitlich andere Vorstellungen von der angemessenen Verehrung des Göttlichen im Kult gab, die jüdische Vorstellungen als superstitio ansahen und ablehnten (s. bes. Tacitus’ Judenexkurs). Antimonotheismus und Antisemitismus liegen nahe beieinander. Ähnlich richten sich alttestamentliche Gewalttexte ihrem realen historischen Kontext nach gegen die assimilatorischen Akkulturierungen der eigenen Leute oder der andersgläubigen Nachbarn. Es wird deutlich, wie sehr der Exklusivitätsanspruch der Juden zum Problem wird und von den anderen als Misanthropie gedeutet wird. »Die Frage ist, ob wir dieses Anderssein und Anderswollen der Juden und – im Blick auf die Antike: auch der Christen – ertragen, […] womöglich ganz ohne politisch korrekte Multikultiideologie als selbstverständlichen und durchaus mit geistreich-charmanten Aspekten ausgestatteten Teil der gemeinsamen Kultur anerkennen können.« (61 f.) In dem Streit geht es nicht um das konsequente Durchsetzen eines – so eindeutig gar nicht existenten – Monotheismus, sondern um den Um­gang mit dem Anspruch des Andersseinwollens trotz politischer Niederlagen und Zwänge. In diesem Sinne wäre Antisemitismus nicht mehr und nicht weniger als »das Gerücht über die Juden« (Horkheimer, Adorno).

Die vier alttestamentlichen Beiträge widmen sich dem Deuteronomium:

F. Laurent (»Vom Unvergleichlichen, vom Einzigen, ›JHWH ist Gott‹. Dtn 4,1–40«) thematisiert die Bedeutung der Bildlosigkeit Gottes für die (spätere) monotheistische Genese. J. Joosten präsentiert eine umfassende Relektüre von »Dtn 32,8–9 und die Anfänge der Religion Israels«. Er setzt für den bekanntermaßen textgeschichtlich komplizierten Vers 8 eine ursprüngliche Lesung voraus, die den MT (»Söhne Israels« statt »Söhne Els« – vgl. Mss. LXX) mit einer Schreiberkorrektur (tiqqun sopherim) erklärt, die an Stelle von »nach Anzahl der Söhne Els, des Stiers« (לארשׁ יֵנְב רַפְסִמְל; vgl. CAT 1.4 VI 46) ein Jod ergänzt und »nach der Zahl der Söhne Israels« liest. Er plädiert in Folge dafür, dass JHWH nicht einer dieser El-Söhne ist oder gar Eljon selbst präsentiert, sondern dieser Text vielmehr reflektiert, wie JHWH als ein Outsider in die Religionsgeschichte eingetreten ist (104 f.). Dieses Verständnis finde eine Parallele in Ps 82, sofern man die für den elohistischen Psalter typische Korrektur des Tetragramms in ’Elohîm restituiert. Entgegen der Ansicht, dass es sich mit Dtn 32 um einen recht jungen Text handele, vertritt Joosten schon aus sprachlichen Erwägungen heraus die These, dass der Text einer der ältesten des Alten Testaments sei, der die eigene – monolatrisch zu bestimmende – JHWH-Theologie eines als Jakob be­zeichneten Stammes von den umliegenden um ein Pantheon konstruierten Kulturen (insbesondere Ugarit) absetzen will. E. Eynikel kommt in seiner Un­tersuchung des Jonabuches (»Können [die] Heiden am JHWH-Kult partizipieren«) zu dem Schluss, dass es sich mit dem Buch um Oppositionsliteratur gegen die Religionspolitik persischer Zeit und deren separatistische Tendenzen, wie sie mit Esra und Nehemia verbunden werden, handelt. An deren Stelle wird die Universalisierung des Gottesbildes gesetzt, sofern die Fremden JHWH bekennen und die Konversion vollziehen. E. Bons thematisiert »Gott und die Götter im Psalter (LXX)«, um zu erschließen, dass die Übersetzer zwar im Sinne einer ›Monotheisierung‹ eingreifen, ohne aber konsequent jegliche Nennung (und Existenz) anderer Götter auszuschließen, obwohl die hebräische Bezeichnung ’Elohîm grundsätzlich zweierlei Verständnis als Singular und Plural zulässt (130 ff.). Die griechische Psalmenübersetzung, die er in die Zeit der makka­bäischen Krise datiert (135), behält teils den Plural bei, wie in Ps 82 (81), oder aber korrigiert in aggeloi wie in Ps 8,6; 97 (96),7. Ebenso ist das Syntagma »Söhne der Götter« innerhalb der Götterversammlung (beney ’elîm) in Ps 29,1 und 89,7 übersetzt. An die Stelle von Exklusivitätspartikeln tritt im LXX-Psalter die Aussage der Unvergleichbarkeit Gottes.

Sieben neutestamentliche Beiträge thematisieren eine Reihe von Aspekten wie das Verhältnis von »Messianismus und Monotheismus im Matthäusevangelium« als Abstammungslinie (E. Cuvillier) oder den »Monotheismus im Markusevangelium« als Anwendung des Schema‘ Israel auf den Gottessohn im Sinne eines inklusiven Monotheismus (R. Roukema). D. Fricker untersucht den mo­notheistischen Ausspruch (»Niemand ist gut außer dem Einen, Gott«) in Mk 10,18 und J. Zumstein (»Die Suche nach dem unsichtbaren Gott«) die theozentrische Christologie des Johannesevangeliums. N. Siffer behandelt »Die Ambiguität des Kyrios-Titels in Anwendung auf Gott und Jesus in der Apostelgeschichte«, Th. P. Osborne »Die Polytheismuskritik und ihre konkreten Formen in den Missionsreiseberichten der Apostel« und D. Gerber »Die Bedeutung des Bekenntnis des einen Gottes nach 1Kor 8,1–11,1«.

In der antiken jüdischen Literatur untersucht C. Coulot, wie und mit welchen Epitheta die »Einigkeit Gottes in dem fünften Lied zum Sabbatopfer 4Q402 4« beschrieben ist. D. Hamidovic´´ prüft die »Entwicklung des jüdischen Monotheismus zu Beginn des Christentums anhand der Theonyme«, indem er sich insbesondere der Schreibung oder Auslassung des Gottesnamens in den Texten des Toten Meeres zuwendet. Die aus der ersten Hälfte des 2. Jh.s v. Chr. stammenden Manuskripte (z. B. Daniel, Ben Sira und Jubiläen) bezeugen den Gottesnamen unterschiedslos zum übrigen Text. Selbst die Aussprache dürfte noch üblich gewesen sein. Seit dem 2. Jh. wird das Tetragramm u. a. durch Adonay oder El oder durch vier Punkte ersetzt, während in Texten der herodianischen Zeit das Tetragramm in den autoritativen Texten der damaligen Zeit (Tora) erhalten bleibt. Eine zweite Maßnahme ist die Hervorhebung des Tetragramms in einer anderen Schrifttype. Aus dem Spannungsverhältnis von Deuteronomismus und Essenertum eine deutliche Entwicklung des jüdischen Monotheismus um die Zeitenwende ableiten zu wollen, gestaltet sich schwierig (296). B. Ego thematisiert die »Konversion Abrahams zum Monotheismus im Porträt des Patriarchen nach der Apokalypse Abrahams«, eines Texts, der am Beispiel von Bilderkult und Naturverehrung und in Aufnahme von Argumenten, die sich nicht nur in Jes 44 und Jer 10 sowie SapSal und bei Philo und Josephus finden, sondern auch die griechische Popularphilosophie aufnehmen, die Darstellung eines persönlichen und philosophischen Gottesbegriffs am Beispiel Abrahams unternimmt.

Im Kontext der rabbinischen Literatur behandelt T. Legrand »Die Einzigartigkeit und Grenzenlosigkeit Gottes in den Targumim« (Pentateuch und Propheten), die ein starkes Interesse an Protektion und Transzendierung des Göttlichen (über die Theonyme u. a.), die Aufhebung von Anthropomorphismen und -pathismen etc. erkennen lassen und den Monotheismus unterstreichen. Die Nennung von Memra, Schekina oder Kebod Gottes bezeugt, dass die Autoren der Targumim Gott Ehrerbietung erweisen und um sehr verschiedene Zuwendungsformen Gottes in der Welt wissen. C. Tassin verhandelt den »Mo­notheismus im Talmud: Theologie, Ethik und Anthropologie« als Reaktion auf pagane und christliche Gottesbilder anhand folgender Fragen: Wie lässt sich der Glaube an den einen Gott in einer polytheistischen Welt leben? Ist Ethik ohne Monotheismus möglich? Wie lassen sich volkstümliche Überzeugungen (insbesondere der Dämonenglaube) in den Eingottglauben integrieren?

Der letzte Teil, der der griechisch-römischen Gesellschaft und den ersten Jahrhunderten des Christentums gewidmet ist, thematisiert die Interdependenzen von montheistischen und paganen Vorstellungen, wie das »Aufkommen des philosophischen Monotheismus in Rom von Varro bis Seneca« (Y. Lehmann), »Seneca als ›Theologe‹« (C. Merckel), »Die Götterbilder im Verständnis der Sophisten des 1. bis 2. Jh. n. Chr.« (J. Goeken) sowie »Einzigkeit und Transzendenz Gottes des 2. Jh.s« in den Schriften der Philosophen und christlichen Apologeten (F. Chapot).

Der Beitrag »Die österliche Offenbarung des Gottes Israels: einige theologische Anmerkungen zum Gott Jesu Christi« (M. Deneken) beschließt den Band mit einem systematischen Ausblick.

Im deutschsprachigen Raum ist die Debatte geprägt von der (durchaus hilfreichen) Unterscheidung in exklusiven und inklusiven Monotheismus (sowie von primärer und sekundärer Religion), die in den vorliegenden französischen Beiträgen eine weitaus ge­ringere Rolle spielt, ohne dass auf grundsätzliche Binnendifferenzierungen verzichtet würde. Der Versuch, Vergleichbarkeit herzustellen, indem man die Autoren bittet, diese Kategorien auf ihren Untersuchungsgegenstand anzuwenden, um deren Aussagekraft sowie die realen Vergleichsbedingungen zu prüfen, könnte interessant sein. Der Band macht deutlich, dass sich die Forschung von der Frage nach den Ursprüngen und der allmählichen Ausbreitung des Monotheismus im alten Israel jetzt neu orientiert in Hinsicht auf die Beobachtung der Uneinheitlichkeit und der von dem histo-rischen Umfeld abhängigen Ausprägungen des jeweiligen monotheistischen Denkens. Das heißt, dass die Ausprägung eines wie auch immer gearteten monotheistischen Gottesbildes nicht mehr als Abschluss eines Prozesses betrachtet wird, sondern die histo-rischen und kulturellen Bedingungen ins Zentrum rücken und somit der Gedanke eines prozesshaften Voranschreiten der Religionsgeschichte verabschiedet wird.