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Ausgabe:

Mai/2014

Spalte:

638-640

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Tschanz Cooke, Karin

Titel/Untertitel:

Hoffnungsorientierte Systemische Seelsorge. Die Familientherapie Virginia Satirs in der Seelsorgepraxis.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer Verlag 2013. 320 S. = Praktische Theologie heute, 129. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-17-023010-1.

Rezensent:

Joachim Eckart

Die »Mutter« der Familientherapie, wie Virginia Satir bisweilen liebevoll genannt wird, gehört zu den Mitbegründern der systemischen Therapie und längst hat sich ihr Ansatz bewährt, wenn es darum geht, Menschen therapeutisch hilfreich zur Seite zu stehen. Von daher ist das Unternehmen von Karin Tschanz Cooke zu begrüßen, die Grand Dame der Familientherapie mit ihrem hoffnungsinduzierenden Beratungsansatz im Blick auf die Systemische Seelsorge für die Praktische Theologie wissenschaftlich fundiert zu erschließen. Dabei handelt es sich um eine Forschungsarbeit, die im Rahmen einer Promotion unter der »Schirmherrschaft« ihres Doktorvaters Christoph Morgenthaler an der theologischen Fakultät der Universität in Bern entstand.
Nach den Vorbemerkungen (16–27) zu den Zielsetzungen, Be­grenzungen, Quellen und zum Vorgehen dieser Untersuchung gliedert sich der weitere Aufbau dieser Studie in drei Hauptteile. Erstens: Die Darstellung der Familientherapie von Virginia Satir in der Entwicklungslinie von 1945 bis 1988 (28–171). Zweitens: Eine Tour d’Horizon zur Entwicklung der Systemischen Seelsorge (172–212). Drittens: Eine exemplarische Übertragung familientherapeutischer Instrumentarien in kirchliche Handlungsfelder der Systemischen Seelsorge (213–270). Der Abschluss dieser Studie beinhaltet resümeeartig Schlüsselelemente für das Konzept einer »Hoffnungsorientierten Systemischen Seelsorge« (271–289).
Die Darstellung der Familientherapie von Virginia Satir basiert auch auf einer Auswertung von umfangreichem Archivmaterial, das bislang in der öffentlichen Darstellung so noch keine Berücksichtigung fand. Die Darstellung der Ergebnisse dieses Quellenstudiums lässt nichts von der mühsamen Forschungsarbeit in den Archiven erahnen, da die Forschungsergebnisse interessant und gut verständlich präsentiert werden. Aufschlussreich und auch kurzweilig zu lesen ist der Einblick in »Das persönliche Umfeld Virginia Satirs: Eine Kurzbiographie« (28–46). Hier schildert die Vfn. sowohl den beruflichen als auch den persönlichen Werdegang von Virginia Satir, die aus ihrer zweiten Ehe mit Norman dessen Familienname übernahm. Durch ihre Begegnung mit Don Jackson, Gregory Bateson, William Fry, John Weakland und Jay Haley eröffnete sich für Virginia Satir eine große Chance. Sie wurde zu einem Gründungsmitglied des Mental Health Institutes (MRI) in Palo Alto. Als »eine der Pioniere der Familientherapie« (43) be­gann sie nun eigene Konzepte für die Ausbildung in Familientherapie zu erstellen und als Dozentin selbst zu leiten. Mit unermüdlichem Arbeitsdrang, dabei auch mit viel Freude und Humor lehrte sie weit über die Grenzen der Vereinigten Staaten ihren wachstumsorientierten Ansatz der systemischen Beratung. Im Alter von 72 Jahren starb Virginia Satir am 10. September 1988.
Nach dem kurzen Einblick in das persönliche Umfeld schildert die Vfn. ab dem 3. Kapitel das professionelle Umfeld und die Entwicklung der Familientherapie (4. Kapitel) von Virginia Satir. Das vierte Kapitel ist am umfangreichsten, es zeigt die Entwicklung der Familientherapie im Zusammenhang des beruflichen Werdegangs von Satir (53–138). Bei der Darstellung der fünf Berufsetappen geht es der Vfn. zum einen darum aufzuzeigen, welche Personen Satir in ihrem professionellen Umfeld maßgeblich beeinflussten und welche therapeutischen Erkenntnis sie dabei übernahm; zum anderen eruiert die Vfn., welche Konzepte, Interventionen und Methoden genuin von Satir stammen. Hier eröffnet die Vfn. auch für die, die bereits in Theorie und Praxis mit der Konzept der Familientherapie vertraut sind, interessante Facetten. Im 5. Kapitel erfolgt eine systematische Darstellung der Familientherapie von Satir (138–171). Darin behandelt die Vfn. zunächst die Weltanschauung von Satir, die sich während ihrer Ehe mit Norman Satir von den christlichen Glaubensvorstellungen löste und sich zunächst dem Judentum zuwandte, bis sie ihre spirituelle Beheimatung in »einer pantheistischen Weltanschauung und einem humanistischen Menschenverständnis fand« (141). Von daher verstand sie »Gott als Lebensenergie« (142) und den Menschen »als eine einzigartige Kreation und Manifestation sowie Teil eines grösseren Ganzen, das sie die universelle Lebenskraft (›life-force‹) nannte« (143). Der darauf folgende Abschnitt behandelt die Grundhaltungen der Familien-therapie (148–158). Dazu zählen: Verbundenheit, Wertschätzung, Kongruenz, Vertrauen und Hoffnung. Diese systematische Be­trachtung der systemischen Familientherapie von Satir mündet abschließend in eine kurze Betrachtung zum »Globalziel und Vi-sion der Familientherapie Satirs« (170–171). Wie die Vfn. herausstellt, ist Satir in ihren therapeutischen Sitzungen und Workshops be­seelt von dem Gedanken: »Let us work for peace within, peace be-tween und peace among.« (171)
Nach dieser »Grand Tour« zur Familientherapie von Virginia Satir erfolgt nun ein kurzer Aufriss zur »Entwicklung der systemischen Seelsorge« (172–212). Hier zeigt die Vfn. Entwicklungslinien auf, angefangen von der nordamerikanischen Seelsorgebewegung (180–184) über die Seelsorgebewegung im deutschsprachigen Raum (185–196) bis schließlich zur Systemischen Seelsorge im deutschsprachigen Raum (196–212). Diese Vorgehensweise zielt darauf ab, die Kontinuität der Systemischen Seelsorge zur bisherigen christlichen Seelsorge aufzuzeigen, um darüber hinaus, den spezifischen Beitrag einer Systemischen Seelsorge zu benennen, wenn es darum geht, den Menschen bewusst in seinen sich wandelnden Beziehungssystemen wahrzunehmen. Für das Verständnis der systemtherapeutischen Interventionen und Methoden im pastoralen Umfeld der Kirchen setzt die Vfn. in Anlehnung an Morgenthaler einen reflektierten Umgang mit den Hoffnungsgeschichten der Bibel als Bezugsrahmen für den Systemischen Seelsorgeansatz voraus (207). »In der Hoffnungsorientierten Systemischen Seelsorge werden die systemtherapeutischen Methoden und Interventionen ausgeführt durch die Seelsorgenden, die sich aktiv in den Prozess eingeben und Familien durch anteilnehmende Verbundenheit, Wertschätzung und Kongruenz begleiten, verwurzelt und gegründet in einer Theologie der Hoffnung.« (211) Mit diesem Verständnis einer »Hoffnungsorientierten Systemischen Seelsorge« stellt die Vfn. Praxisbeispiele aus dem Umfeld der Systemischen Seelsorge vor, um daran aufzuzeigen ,wie es gelingen kann, den familientherapeutischen An­satz in das kirchliche Umfeld zu integrieren.
Der Beitrag der Vfn., die Familientherapie von Virginia Satir für die Praktische Theologie heute zu erschließen, ist sehr zu begrüßen. Die hier bewusst gewählte »einfache Sprache« (25) eröffnet einen leicht verständlichen Zugang für einen breiten Leserkreis. Darin spiegelt sich auch das Anliegen von Satir, ihre »Familientherapie für Berater und zur Selbsthilfe«, wie es im Untertitel ihres Buches »Selbstwert und Kommunikation« heißt, nutzbar zu machen. Ganz im Gegensatz zur Grand Dame der Familientherapie verzichtet die Vfn. allerdings darauf, die Inhalte, ähnlich wie in den Bücher von und über Satir, visualisiert in Abbildungen zu verdeutlichen.
Die wissenschaftliche Leistung dieser Untersuchung ist vor allem im Blick auf das umfangreiche Quellenstudium zu den Werken von Satir zu würdigen; zumal hier bislang nicht veröffentliche Aufzeichnungen aus vier verschiedenen Archiven herangezogen werden. Diese differenzierte Darstellung findet nicht in der Studie zur »Entwicklung der Systemischen Seelsorge« ihre Fortsetzung. Im Rahmen einer wissenschaftlichen Forschungsarbeit zeichnen sich hier erhebliche Defizite ab. Dies zeigt sich beispielsweise bei der Abhandlung der systemischen Konzeption von Helm Stierlin und Peter Held, die auf einem radikal-konstruktivistischen Ansatz beruhen. Die vorgetragenen Argumente, die vor der »Gefahr der postmodernen Beliebigkeit« (200) warnen, erscheinen wenig argumentativ. Insgesamt fehlt in dieser Abhandlung, über die Darstellung hinaus, der kritische wissenschaftliche Diskurs auch im Blick auf die kritische Würdigung und Verortung der Familientherapie von Satir im Kontext anderer systemischer Ansätze. Die dafür benötigten Beiträge werden entweder, obwohl sie im Literaturverzeichnis angeführt sind, nicht herangezogen oder gar nicht erst gesichtet, wie beispielsweise das Grundlagenwerk »Familientherapie im Überblick« von Arist von Schlippe. Auch die beiden umfangreichen pastoralpsychologischen Studien (1999 und 2004) von Angelika M. Eckart zum Dialog zwischen Theologie und systemischer Therapie finden leider keine Be­rücksichtigung. Unerwähnt bleibt weiterhin die wissenschaftliche Untersuchung von Christoph Jacobs »Salutogenese. Eine pastoralpsychologische Studie zu seelischer Gesundheit, Ressourcen und Umgang mit Belastung bei Seelsorgern« (Würzburg, 2000). Fragwürdig erscheint auch der Umgang mit der wissenschaftlichen Literatur selbst, wenn beispielsweise der Artikel »Mit der ganzen Person« von Christoph Jacobs im Literaturverzeichnis aufgeführt wird, in der Fußnote 565 (179) jedoch zu lesen ist: »Jacobs 2002, S. 249, zitiert nach Nauer 2007, S. 266.«
Das Thema dieser Studie und das damit verbundene Anliegen verdienen eine gründliche wissenschaftliche Überarbeitung.