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Ausgabe:

Mai/2014

Spalte:

625-626

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Valentin, Joachim

Titel/Untertitel:

Eschatologie.

Verlag:

Paderborn: Ferdinand Schöningh 2013. 308 S. = Gegenwärtig Glauben Denken. Systematische Theologie, 11. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-506-77648-8.

Rezensent:

Hartmut Rosenau

»Was dürfen wir hoffen?« – dies ist nach Immanuel Kant eine bleibende Grundfrage der Menschen. Daher wird es auch, solange es Menschen gibt, »Eschatologie« geben, die Lehre von den letzten Dingen im zeitlichen (futurischen) wie auch im qualitativen (axiologischen) Sinn. Gerade in diesen Jahren ist wieder eine Reihe von Büchern zur Eschatologie und ihren Einzelthemen wie z. B. Sterben und Tod, Auferstehung und ewiges Leben, Gericht, Himmel und Hölle, Reich Gottes und Ziel der Geschichte etc. erschienen. Meis­tens sind diese Publikationen lehrbuchmäßige Zusammenstellun gen und Kommentierungen traditioneller Inhalte, seltener handelt es sich um einen originellen eigenständigen Entwurf.
Um einen solchen geht es aber nun gerade Joachim Valentin, dem Direktor der katholischen Akademie Rabanus Maurus in Frankfurt (Main) und apl. Professor für christliche Religions- und Kulturtheologie an der dortigen Universität. Denn mit diesem letzten wie mit allen anderen der insgesamt elf Bände der systematisch-theologischen Reihe »Gegenwärtig Glauben denken« soll nicht nur Studierenden der Theologie und anderen Interessierten innerhalb wie außerhalb der kirchlichen Praxis ein gründlich und übersichtlich informierendes Lehrbuch, sondern auch ein innovativer Entwurf angeboten werden. Dessen Besonderheit liegt darin, dass nicht in üblicher historischer Reihenfolge mit den Überlieferungen des Neuen Testaments angefangen und mit gegenwärtigen Diskursen aufgehört wird. Vielmehr beginnt das Buch umgekehrt in unserer Gegenwart, um von hier aus gleichsam archäologisch oder genealogisch bis zur Person Jesu zurückzuführen. V. nennt seine Methode vor diesem programmatischen Hintergrund in Anlehnung an M. Foucault und seine literaturwissenschaftliche Rezeption »fiktionale Anthropologie« (7.18 ff.), die in der ausführlichen Einleitung (13–48) näher erläutert wird. Allerdings muss man sagen, dass die methodischen wie inhaltlichen Überlegungen für die genannte Zielgruppe unnötig komplex und abschweifig entfaltet werden, so dass der Charakter eines Lehr- und Studienbuches, das den Leserinnen und Lesern vielleicht zum ersten Mal das Thema »Eschatologie« nahebringen will, nicht immer deutlich wird. So interessant und aufschlussreich z. B. V.s Ausführungen zur Postmoderne oder zu »präapokalyptischen« Zügen der US-amerikanischen Politik im Einzelnen sind, so eignen sie sich eher zur Ergänzung anderer Lehrbücher zur Eschatologie und weniger für eine einführende Erschließung ihrer Themenfelder. Hinzu kommt der Eindruck, dass die breit ausgeführte innovative Methodik für die konkrete inhaltliche Ausarbeitung eschatologischer Themen im Vergleich zu anders angelegten Studienbüchern eigentlich wenig austrägt oder verändert und insofern den reflexiv und argumentativ zu erörternden Sachverhalten gegenüber äußerlich (um nicht zu sagen: arbiträr) bleibt.
Entsprechend der Kennzeichnung unserer Gegenwart im überproportionierten ersten Teil des Buches (49–205) als »Postmoderne« spielen zunächst eschatologische, speziell apokalyptische Bilder, Motive und Themen im Film wie in der Literatur eine entscheidende Rolle. Diese werden dann kenntnisreich zu repräsentativen Strömungen der Philosophie und Theologie des 20. Jh.s in Beziehung gesetzt und zurückverfolgt. Dabei verengt sich allerdings der Blickwinkel durch eine allzu einseitige Konzentration auf Apokalyptik, die faktisch fast schon als Synonym für Eschatologie fungiert, ob­wohl V. hier begrifflich durchaus – wenn auch unscharf – unterscheidet (14 ff.). Das mag im Blick auf den alltäglichen Sprachgebrauch oder auch im Blick auf Glaubensinhalte evangelikaler Kreise, Millenniaristen und Endzeitkirchen, die bezeichnenderweise ebenfalls recht ausführlich behandelt werden (153–205), berechtigt sein. Aber es wird dem sehr viel breiteren Spektrum eschatologischer Themen nicht gerecht, das keineswegs nur Weltuntergangsszenarien im Modus grobflächiger Schwarz-Weiß-Malerei bei der Schilderung des Kampfes zwischen Gut und Böse zu bieten hat. Vielmehr geht es der Eschatologie auch um die grundsätzlichen (Verstehens-)Bedingungen der Möglichkeit unserer welthaften Existenz in der Spannung von Gelingen und Scheitern, Raum und Zeit, Ewigkeit und Endlichkeit, Diesseits und Jenseits, auf die V. leider nur sehr kurz eingeht (44–48).
Sehr schön entfaltet V. – allerdings ohne hier auf erkenntnistheoretische Probleme der Eschatologie einzugehen, die von besonderer Brisanz sind – gemäß seiner auf Bilder abzielenden »fiktionalen Anthropologie« apokalyptische Motive in der zeitgenössischen Literatur am Beispiel von Christa Wolf, Günter Grass, Gabriel Garcia Marquez und Thomas Pynchon. So wird ein sehr persönlicher An­stoß einer »Hoffnung wider alle Hoffnungslosigkeit« (109) spürbar, der im Unterschied zur biblischen Perspektive jedoch nichts mehr von Gott, aber doch immerhin noch etwas von den Menschen erwartet. Hier lebt eine transformierte apokalyptische Kritik an Hybris, Selbstermächtigung und Fortschrittsgläubigkeit wieder auf, die nichts an Aktualität verloren hat. Dieses entscheidende Motiv apokalyptischer Weltdeutung facettenreich herausgearbeitet zu haben, ist ein Verdienst V.s. Dass demgegenüber manche Einzeldarstellungen, etwa die von Rudolf Bultmann (129) oder Jürgen Moltmann (131 f.) allzu grob, andere (142–147) dafür wiederum zu filigran für ein Studienbuch ausfallen, sollte dann nicht überbewertet werden.
Der weniger umfangreiche, sehr rhapsodisch wirkende zweite Teil des Buches steht unter der Überschrift »Geschichte« (207–271). Hier werden markante eschatologische Vorstellungen und Motive im Ausgang vom deutschen Idealismus bis zurück zu ausgewählten großen Theologen der Alten Kirche nachgezeichnet. Besonders aufschlussreich und informativ ist hier das gelungene Kapitel 11 über die Geschichtsdeutung Joachims von Fiore und die esoterischen Spekulationen von Emanuel Swedenborg (218–228) so­wie das Kapitel 12, das sich exemplarisch mit der Apokalypse in der bildenden Kunst von der Spätantike bis zur frühen Neuzeit befasst (229–235).
Der protestantisch geprägten Leserschaft mag es verwunderlich er­scheinen, dass angesichts des methodischen Anliegens, von der Ge­genwart her die Grundlagen eschatologischen Denkens in der biblischen Tradition neu zugänglich zu machen, der dritte Teil des Bu­ches mit der Überschrift »Bibel« (273–294) nochmals deutlich kleiner ist als die früheren Teile. Hier fällt besonders auf, dass der Fokus einseitig verkürzend auf der Apokalyptik liegt und gerade nicht »(d)ie Geschichte der christlichen Eschatologie« (294) in ihrer Breite in den Blick nimmt. Durch diese Verengung des Blickfeldes geht leider eine theologisch-anthropologische Grundüberzeugung verloren, die auch eine Pointe der Vorstellung vom »Jüngsten Ge­richt« ist (294): nämlich die heilsame und Versöhnung ermöglichende Unterscheidung (und gerade nicht Ineinssetzung) von (erlöster) Person und (verurteiltem) Werk, um so beides, sowohl die Liebe als auch die Gerechtigkeit Gottes eschatologisch zur Geltung zu bringen.