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Ausgabe:

Mai/2014

Spalte:

620-622

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Buchheim, Thomas, Hermanni, Friedrich, Hutter, Axel, u. Christoph Schwöbel [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gottesbeweise als Herausforderung für die moderne Vernunft.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012; unveränd. Studienausg. 2013. IX, 630 S. = Collegium Metaphysicum, 4. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-16-152664-0.

Rezensent:

Folkart Wittekind

Der Tübinger Systematiker Friedrich Hermanni hat zusammen mit den anderen Herausgebern des Bandes einen theologisch-philosophischen Forschungsverbund zur Metaphysik ins Leben gerufen. Die im März 2011 anlässlich des Gründungskongresses gehaltenen Vorträge sind in dem umfangreichen Band gesammelt, der inzwischen auch als Studienausgabe verfügbar ist. Er enthält zu­dem ein sehr ausführlich zusammenfassendes Vorwort (1–30) sowie eine fast 100 Seiten umfassende Bibliographie mit dem Schwerpunkt englischsprachiger Literatur. Leider erhält der Leser keine Gelegenheit, sich über die Autoren und ihre Fachzuordnung zu informieren.
Angeordnet sind die 20 Beiträge in vier Teilen. Drei davon gelten den von Kant benannten klassischen Formen des Gottesbeweises, während der erste Teil dem Gottesgedanken allgemein gilt. Die meisten Beiträge beziehen sich auf einen oder mehrere der bekannten Referenz-Autoren Anselm, Thomas, Descartes, Leibniz oder Kant. Manche verweisen auf unbekanntere philosophische Texte z. B. von Meister Eckhart (Rolf Schönberger, mittelalterliche Philosophie, Regensburg), Jens Kraft und Knud Løgstrup (Svend Andersen, Systematische Theologie, Aarhus) oder Hermann Krings (Matthias Lutz-Bachmann, Philosophie, Frankfurt). Seine Forschungen zur Entwicklung des Platonismus in seinem Denken über das Eine fasst Jens Halfwassen (Heidelberg) zusammen.
Zugleich macht diese Erinnerung an die platonischen Ursprünge deutlich, dass die theologische Gottesbeweistradition mit der Zu­sammenführung von christlichem Schöpfungsglauben und griechischem Absolutheitsgedanken ein immer wieder auseinanderfallendes Gebilde geschaffen hat. Insbesondere die im Titel des Bandes herausgeforderte »moderne Vernunft« besteht gerade durch das seit Kant etablierte Auseinanderhalten von Welterklärungstheorien der theoretischen Vernunft und reflexiven Erklärungen des Denkens, die sich im Ausgang auf das praktische Selbstverhältnis im freien Handeln beziehen (so die bewusst antimetaphysische Kantinterpretation des an der Münchener Philo­sophischen Hochschule lehrenden Friedo Ricken), dann aber in der idealistischen Geistphilosophie in verschiedenen Theorien des Absoluten zum Abschluss kommen. Letzteres zeigen gerade die philosophischen Herausgeber, Buchheim in seiner Rekonstruktion von Schellings Lektüre der klassischen Beweisformen und Hutter in seiner von Wittgenstein aus über Kant und Schelling verlaufenden Argumentation für die rein selbstkritische Funktion des Gottesgedankens für die Vernunft. Ähnlich argumentiert der Bonner Philosoph Markus Gab­riel, indem er den ontologischen Gottesgedanken als transzendentale Voraussetzungsstruktur der Erkenntnis geltend macht, die sich zudem in vielen »Sinnfeldern« des menschlichen Geistes auswirke, ohne selbst direkt erkennbar zu sein.
Dagegen ist die Absicht der beiden Tübinger evangelischen Theologen darauf gerichtet, mit dem Gottesgedanken ein die bleibende »Lücke« zwischen Natur und Geist überbrückendes Prinzip zu finden. Damit erklärt sich die Bezugnahme auf die angelsächsischen Debatten der letzten Jahrzehnte. Hier steht der Gottesgedanke für eine letzte Einheit der Naturerklärung und der Erkenntnis, und man kann dann an ihm gleichsam die erkenntnistheore­tischen Probleme diskutieren, die die deutsche Tradition vor dem Aufbau des Gottesgedankens zu klären bemüht ist. Allerdings zeigen die Beiträge der Altmeister Richard Swinburne, John Leslie und Peter van Inwagen, wie unterschiedlich auch hier argumentiert werden kann: Swinburne mittels einer Hume- und Kantkritik sein eigenes, gegenständlich bleibendes Verständnis natürlicher Theologie stützend; Leslie durch Neuaufnahme von Platons Idee des Guten als einer eigentlich existenzsetzenden, weltbegründenden Erklärungsinstanz; van Inwagen mit einer modalen Überlegung zur Existenz eines notwendigen vollkommenen Wesens. Friedrich Hermanni selbst schlägt eine Erneuerung der Metaphysik Leibniz’ vor – während die Tübinger Philosophin Friederike Schick den »zureichenden Grund« mit den Mitteln der Hegelschen Logik als unzureichend für die Darstellung basaler Grundverhältnisse des Geistes erweist. Hermanni verteidigt die Forderung, dass es jederzeit allgemeingültige Gründe geben müsse für die Existenz der Welt. D. h. erstens, dass der ontologische Gottesbeweis als ein allgemein einsehbarer Begründungsgang verständlich werden muss. Strikt wird Barths selbstexplikative Interpretation Anselms zu­rückgewiesen. – Ausgerechnet die minutiöse philosophische In­terpretation des Anselmschen Beweisgangs durch den Heidelberger Gunnar Hindrichs will aber dies in einer hegelisch-geistphilosophischen Variante bestätigen: Im Gottesbeweis »ist Gottes Selbstaussage am Werk« (206).
Zweitens klagt Hermanni die Frage nach dem Grund mit Leibniz für das Ganze der naturwissenschaftlich zu erklärenden Welt ein. Dagegen versucht der kritische Beitrag des katholischen Münchener Fundamentaltheologen Armin Kreiner, die theologische Me­taphysikrenaissance zu widerlegen: Die Behauptung des Satzes vom zureichenden Grunde stehe auf einer Stufe mit der perpetuierten Kinderfrage nach dem ›Warum?‹. Der in Heidelberg lehrende Philosoph Friedrich Anton Koch weist mit derselben Intention mengentheoretisch nach, dass ein unendlich iterierender Begründungsgang nichts anderes sei als ein Fall von Selbstbegründung. Leibniz’ Frage bedürfe eines idealistischen Denkrahmens: Einerseits sei die Welt (mit dem Denken) als sich selbst begründende Größe und andererseits mit Fichte als absolute Erscheinung des Absoluten zu denken.
Hermanni schlägt drittens eine kosmologische Erweiterung des ontologischen Gottesgedankens vor. Sein Versuch nähert sich der ethischen Platon-Rezeption Leslies: Das »zuhöchst gute Wesen [besitzt] die größtmögliche Tendenz, wirklich zu sein« (313). Der Beitrag des in Freiburg lehrenden, in München bei Beierwaltes philosophisch sozialisierten katholischen Religionsphilosophen Markus Enders, der von allen Beiträgen dem Anliegen Hermannis am weitesten entgegenkommt und die Kritik am ontologischen Be­weis zu widerlegen versucht, meldet allerdings genau an dieser Stelle Kritik an: »Wie aber kann es in einer bloß möglichen Wesenheit bereits ein wirkliches Streben geben?« (282) Enders setzt dagegen die Idee einer aktualen vollkommenen Existenz Gottes, die aber nicht bewiesen und erkannt werden kann.
Bleibt zuletzt das empirikotheologische Argument. Christoph Schwöbel interpretiert die Schöpfungsaussagen als Hinweis auf den »nicht mehr transzendierbare[n] Totalitätshorizont« (468) des Gottesgedankens gegenüber der Welt. Die Theologie soll die »kategorialen Voraussetzungen, unter denen Naturwissenschaft betrieben wird« (495) klären. Da nicht gezeigt wird, wie dies eine reflexive Aufgabe der Naturwissenschaften selbst sein kann, nimmt die Be­hauptung den Charakter dogmatischer Setzung an. Ähnlich wird in dem eröffnenden Beitrag von Robert Spaemann die tatsächliche Referenz des Gottesbegriffs auf ›Gott selbst‹ als eine »ursprüngliche Taufe« (37) einfach vorausgesetzt, um dann eine am Allmachtsgedanken orientierte dogmatische Gotteslehre zu skizzieren. Näher am Problem bleibt der Beitrag des Bamberger praktischen Philosophen Christian Illies, indem er die Unmöglichkeit eines geschlossenen evolutionären Weltbildes aufzeigt und dann eine »umfassendere Ontologie« (445) entwickelt, die den reinen Zufall aus der Evolutionslehre herauszuhalten versucht.
Der Band bietet, von Hermannis Reformulierung der vorkantischen Metaphysik als Grundlage der Theologie ausgehend, verschiedene Varianten gegenwärtiger Formulierung letzter Gründe, basaler Verhältnisse bzw. des Denkens vom Absoluten. Eine Übersicht über die Geschichte des Problems setzt er voraus. Insgesamt überwiegt die geistphilosophische Kritik. Sie weist die Theologie auf die Notwendigkeit hin, ihren Gottes- (und Schöpfungs-)Ge-danken erkenntnistheoretisch zu rechtfertigen. Erst wenn dies ak­zeptiert ist, muss gleichwohl noch gefragt werden, ob nicht Theologie und Metaphysik bzw. Philosophie ganz verschiedene Zugänge zum Absoluten eröffnen. Nur so wären Religionen als jeweils ganz eigene kulturelle Sprachen des Menschen zu verstehen wie zugleich auch die Möglichkeit ihrer Nichtbenutzung durch »mo­derne Vernunft«.