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Ausgabe:

Mai/2014

Spalte:

614-617

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Schotte, Dietrich

Titel/Untertitel:

Die Entmachtung Gottes durch den Levia­than. Thomas Hobbes über Religion.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 2013. VIII, 360 S. = Quaestiones, 17. Lw. EUR 96,00. ISBN 978-3-7728-2627-6.

Rezensent:

Wolfgang Erich Müller

Von Hobbes werden in der hier vorzustellenden Untersuchung erstmals alle Theoriestücke vollständig rekonstruiert, in denen er von religiösen Überzeugungen und Praxisformen handelt. Entsprechend ist das Buch aufgebaut: auf die Einleitung mit dem Forschungsbericht folgen Hobbes’ Philosophie der Religion (Teil I), seine Offenbarungstheologie (Teil II) und seine Politische Philo-sophie (Teil III). Es geht Dietrich Schotte um die Entscheidung, ob Hobbes’ politische Philosophie »als ›Politische Theologie‹ die Anerkennung der christlichen Offenbarung« voraussetzt – wie es prominent Carl Schmitt vertritt, die Tradition des Kontraktualismus also auf mindestens impliziten religiösen Voraussetzungen beruht – oder »ob sie wirklich als Musterbeispiel einer rein säkularen politischen Philosophie gelten darf« (3).
Im Endergebnis zeigt S. die Radikalität von Hobbes’ Religionskritik auf. Er weist die »positive Bezugnahme auf religiöse Überzeugungen« als unhaltbar zurück; zugleich zeigt er, dass diese Philosophie »in einem strikten Sinn nicht atheistisch ist. Denn für die den Atheismus kennzeichnende Behauptung, dass es keinen Gegenstand gibt, auf den der Name Gott referiert, hält sie keine Argumente bereit« (4). Damit ist ein Untersuchungsprogramm skizziert, das S. mit umfassenden philosophie- und theologiehistorischen, aber auch gegenwärtigen Bezügen entfaltet. Hobbes bestimmt die Religion als eine Praxisform, die auf der »Annahme der Existenz einer bestimmten Art personaler Wesen (Gott oder Götter)« beruht und deren Verehrung ausdrückt, die allerdings keinen Selbstzweck darstellt, sondern »unter der Annahme [ge­schieht], dass diese Personen die natürlichen Prozesse der Welt beeinflussen (können)« (33). Die Religion dient also dazu, die ungewisse Zukunft zu antizipieren, wobei die Verehrung der göttlichen Wesen institutionell durch Priester oder Herrscher geregelt ist: » Religion bezeichnet die Furcht der Menschen vor konkreten powers invisible, die sich in bestimmten Handlungen ausdrückt, welche eindeutig die Verehrung der entsprechenden power invi-sible anzeigen. Und die konkrete Form der Verehrung wird vermittelt durch eine bestimmte Person, welche seitens der Gläubigen als von der jeweiligen Gottheit autorisierter Vertreter anerkannt ist« (46). Damit kommt den religiösen Eliten eine erhebliche Bedeutung zu. Da die Religion als Praxisform immer auch politisch ist und die religiösen Eliten durchaus in der Lage sind, »bestehende politische Ordnungen zu destabilisieren und die entsprechende Gesellschaft damit wieder in den Naturzustand zu überführen« (56), ist das Verhältnis von Religion und Staat genau zu klären.
Bekanntlich beschreibt Hobbes mit dem Naturzustand den Zustand menschlichen Zusammenlebens ohne politische Ordnung als Krieg aller gegen alle, da hier eine Instanz fehlt, die »in der Lage ist, für alle verbindliche Handlungsvorgaben zu erlassen und durchzusetzen« (63). Damit weist die politische Ordnung die Rechtsunsicherheit des Naturzustandes zurück und setzt an die Stelle der »individuellen Urteilsmaximen der politischen Akteure […] das Entscheidungsmonopol des Souveräns«, womit »Rechtssicherheit« (66) hergestellt wird.
Da für Hobbes »bereits im Naturzustand […] Religionen existieren« (67), diese jedoch nicht aus sich heraus in der Lage gesehen werden, die genuine Leistung des Staates, nämlich die Stiftung und die Sicherung des friedvollen Zusammenlebens zu erbringen, bedarf es dazu einer politischen Ordnung, innerhalb derer dann »die Homogenität und abgesicherte Geltung einer bestimmten Religion gegeben ist« (69). Da Religionen aber »unter Berufung auf göttliche Gebote […] Menschen gegen den jeweiligen Souverän mobilisieren« (73) können, ist ihre Funktionalisierung als »Herrschaftsmittel« ein Gebot politischer Klugheit, »um einerseits die Interessen der Untertanen zu befriedigen und andererseits den seed of religion so zu kultivieren, dass aus ihm keine Wurzel des Aufruhrs zu werden vermag« (77). Auf diese Weise kann die Philosophie das politische Problem lösen, das in der Existenz religiöser Praxisformen besteht, womit zugleich die Religion als solche radikal kritisiert worden ist. – Ausdrücklich hält S. fest, dass Hobbes mit dieser Instrumentalisierung der Religion nicht deren Genese auf einem Priesterbetrug beruhen sieht, sondern nur die Sicherung des staatlichen Gewaltmonopols und die Befriedigung religiöser Bedürfnisse intendiert (79–85). Damit aber stellt sich die Frage, ob Hobbes auf religiöse Gehalte positiv Bezug nimmt, indem er etwa die Existenz Gottes anerkennt, wie es Spinoza trotz seiner vernichtenden Religionskritik tut.
Die Untersuchung von Hobbes’ Philosophischer Theologie (87–157) führt zu einer Antwort, nämlich zu dem philosophisch tragfähigen Begriff Gottes als »prime mover« (88), von dem lediglich die Existenz ausgesagt werden kann. Seine Existenz kann jedoch nicht bewiesen werden, da deren Vorstellung »von dem Vertrauen des Einzelnen in diejenigen abhängt, die ihm vom Wesen Gottes und seiner Existenz berichten« (111). Folglich ist für Hobbes weder ein philosophisch tragfähiger Begriff Gottes für die Erklärung der religiösen Phänomene nötig, noch setzt seine Philosophie notwendig religiöse Vorstellungen voraus.
Auch die viel vertretene These, dass die »laws of nature« (112) zu einer religiös motivierten Moral führen, kann S. zurückweisen, da Gott hinsichtlich der Moral weder Objekt noch Subjekt normativer Rede ist. Die laws of nature führen vielmehr zu moralischen Normen, »die im Hinblick auf die befriedete Gesellschaft als ›gut‹ oder ›schlecht‹ gelten« (122), deren Wirksamkeit nur durch die sanktionierende Gewalt des Souveräns – und nicht durch Gott – sichergestellt wird.
Für die Vertreter metaphysischer Theologie ist es problematisch, verpflichtende Gesetze nur auf sanktioniertem positiven Recht gegründet zu sehen und nicht auf biblischen Gesetzen, weshalb die These von Hobbes’ Atheismus weit verbreitet ist. S. diskutiert diese These umfassend und weist sie zurück (129–152): Auch wenn Hobbes die normalreligiösen Vorstellungen für falsch oder widersprüchlich hält, so folgt daraus nicht, »dass kein Gegenstand existiert, der […] als ›Gott‹ bezeichnet werden kann« (150), zumal eine monotheistische Religion mit der Vorstellung von Gott als erster Ursache das Kriterium des philosophisch gültigen Gottesbegriffes erfüllen kann. Hobbes hat mit dem philosophischen Begriff vom prime mover Gott als erste, von der Welt unterschiedene, Ursache bezeichnet, jedoch nicht im Sinn einer allmächtigen Person, was ihm die Möglichkeit gibt, die normalreligiösen Vorstellungen zu kritisieren. Dabei beurteilt er die religiösen Praxisformen nicht vom epistemischen Kriterium der Wahrheit, sondern vom politischen der Legalität, womit es um folgende Frage geht: »Ist die entsprechende Praxisform derart, dass sie staatskonform den gesellschaftlichen Frieden fördert oder wenigstens nicht gefährdet oder nicht? Im ersten Fall ist sie Staatsreligion und folglich religion, in letzterem superstition. Diese Entscheidung zu treffen, obliegt freilich demjenigen, der für Herstellung und Erhaltung des Friedens zuständig ist – dem Souverän« (155). Religion ist damit ein Objekt der Politik, aber nicht deren Basis. Für die Zeitgenossen Hobbes’ konnte diese Vorstellung zwar für die heidnischen Religionen zu­treffen, aber nicht für das Christentum mit der Bibel als der Quelle der göttlichen Offenbarung.
Diese Vorstellung weist Hobbes aber zurück. Ihm zufolge gibt es »jenseits des Befehls des Souveräns« keinen hinreichenden Grund, »um der Bibel, einem Propheten oder irgendeiner beliebigen Instanz die Autorität zuzuerkennen, das ›Wort Gottes‹ zu verbreiten oder gar selbst zu sein« (180). Diese Zurückweisung einer Sonderstellung der Bibel entspricht seiner Verhältnisbestimmung von Religion und Politik.
In seiner Darstellung von Hobbes’ Auffassung der Offenbarung, Soteriologie, Ekklesiologie, Eschatologie und Gotteslehre (181–254) arbeitet S. heraus, »dass Hobbes im Christentum in erster Linie eine politisch gefährliche Ideologie« (238) erkannt hat, da sie zu einer politischen Destabilisierung führen kann. Es ist aus sich heraus keine wahre Religion, sondern dies erst nach der Legalisierung durch den Souverän, der es jedoch auch zum Aberglauben erklären kann. Da der Christ »in keinem Falle ein Recht zum Widerstand ge­gen ›heidnische‹ Souveräne und dank Hobbes’ Eschatologie […] auch kein Motiv [hat,] denn das Fegefeuer und das ewige Höllenfeuer, mit dem die Kleriker aller Konfessionen drohen, gibt es nicht«, hat das Christentum verzichtet, »Praxisform der richtigen Verehrung Gottes« (257) zu sein: der Untertan, auch der Christ, richtet sein Verhalten an den Vorgaben des Souveräns aus, womit in moralischer Hinsicht der Glaube an Gott überflüssig ist.
Hobbes’ Bruch mit dem Christentum zeigt sich daran, »dass die Werke, die der äußerliche Mensch vollbringt, nicht an Gottes ewigen Geboten, sondern an den Gesetzen seines Souveräns orientiert sein müssen« (261), was derart weder Protestantismus noch Katholizismus bejahen. Damit widerspricht Hobbes dem übergreifenden Selbstverständnis beider Konfessionen, für die der Glaube als gelebter Glaube durch Handeln und Bekenntnis in die Welt getragen wird. Zusammenfassend: »Hobbes’ Offenbarungskritik ist derart radikal, dass er endgültig den Boden christlicher Religion seiner Zeit verlässt« (264).
Für das Verhältnis von Religion und Staat folgt daraus, dass Hobbes’ praktische Philosophie, entgegen Carl Schmitt, Bernard Willms oder Klaus-Michael Kodalle, keine Politische Theologie voraussetzen kann. Hobbes’ Kontraktualismus gründet die politische Ordnung vielmehr »auf transparente und von allen Untertanen gleichermaßen anerkannte Interessen« (269). Der Souverän, an den die Gesellschaftsmitglieder ihre eigene Macht abgetreten haben, verfügt durch sein kontraktualistisch gerechtfertigtes Gewaltmonopol nicht nur über die notwendige Bedingung, die zur Selbsterhaltung der Menschen notwendigen Normen auch durchzusetzen, sondern gibt ihnen da­mit auch das Motiv, die entsprechenden Gesetze zu befolgen. Die absolute Macht des Souveräns bei Hobbes ersetzt nicht die Macht Gottes, sondern gewährleistet autonom »die Stabilität einer politischen Ordnung« (297) und ist auch – gegen Schmitt – kein Plädoyer für eine Diktatur, denn diese ist »kein Garant für einen dauerhaften und stabilen Frieden« (298). Die uneingeschränkte Autorisierung des Souveräns, so das »Kernargument von Hobbes’ politischer Philosophie« (311), ermöglicht eine Sicherung der Selbsterhaltung des Bürgers als stellvertretende Handlung des Souveräns, womit es keinen Interessengegensatz zwischen Souverän und Bürger geben soll.
In dieser Fixierung des Kontraktualismus auf die Selbsterhaltung sieht S. den Konstruktionsfehler des Leviathan, weil so die Kontrolle der Machtressourcen den die eigene Macht delegierenden Bürgern entzogen ist und sie vor der Alternative stehen, entweder »dem Souverän bei Strafe ihres Lebens [zu] gehorchen, oder sie anerkennen ihn als Repräsentanten ihrer Interessen« (313). Indem rechtliche und moralische Normen vom Subjekt begründet werden, sind die Götter der Religionen entmachtet, denn nur das Menschenwerk des Staates sichert menschliches Leben. Folglich widerlegt S. die vielzitierte Behauptung Böckenfördes, die Religion gehöre zu den Voraussetzungen, die die Demokratie nicht garantieren könne, obwohl sie von ihnen lebe (317). Allerdings vermerkt S. zum Verhältnis von Religion und Staat abschließend, »dass jeder säkulare Staat in der Existenz beliebiger religiöser Praxisformen mit einem Potential politischer Destabilisierung konfrontiert ist, auf das er in angemessener Weise reagieren muss. Und ›angemessen‹ heißt: nicht zwangsläufig in Form der Einsetzung einer Art Staatsreligion, wohl aber in Form einer gezielten Religionspolitik, die die religiösen Eliten an den Staat bindet« (318).
Mit dieser exakten Herausarbeitung von Hobbes’ provokanten Thesen zum Verhältnis von Politik und Religion hat S. ein Hauptthema dieses Klassikers neuzeitlicher politischer Philosophie nicht nur wieder in den Fokus gerückt, sondern in allen Einzelheiten erwogen und damit zu Recht gängige Interpretationen zurückgewiesen. Eine gegenwärtige politische Philosophie und theologische Rechts- und Staatsethik verfügt mit dieser diffizilen Untersuchung über eine hervorragende Basis, um mit dieser Neuinterpretation zu einer zeitgemäßen Verhältnisbestimmung von Politik und Religion zu gelangen, um ihrerseits so auf die Provokationen Hobbes’ aktuell zu antworten.