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Ausgabe:

Mai/2014

Spalte:

612-614

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Klausnitzer, Wolfgang, u. Bernd Elmar Koziel

Titel/Untertitel:

Atheismus – in neuer Gestalt?

Verlag:

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2012. 393 S. = Forum Fundamentaltheologie, 1. Geb. EUR 59,95. ISBN 978-3-631-62584-2.

Rezensent:

Hartmut von Sass

Dass es nichts Neues unter der Sonne gibt, wie der Prediger Salomo meint, heißt ja nicht, dass es gar nichts Neues gibt, sondern nur, dass es nicht unter der Sonne zu finden ist. Wenn nun nach einem Atheismus »in neuer Gestalt« gesucht wird, könnte es sich demnach bestenfalls um ein Schattenphänomen handeln. Das scheinen die Autoren Wolfgang Klausnitzer und Bernd Elmar Koziel, beide katholische Theologen an der Universität Würzburg, auch so zu sehen. In intellektueller Hinsicht neu ist am »Neuen Atheismus« wenig, so dass eher dessen öffentlichkeitswirksamer Gestus jener langen Geschichte des abendländischen Atheismus ein ungewohntes Kapitel hinzufügt. So geben beide Verfasser einen eingehenden Überblick zur Genese der Religionsreserve, die zwischen schlichter Ignoranz religiöser Gehalte, eingestandener Unmusikalität in Glaubensangelegenheiten, der Be­streitung zentraler Lehrsätze der Dogmatik und Militanz gegen jede Form von Religion oszilliert. Zwar finden sich all diese Schattierungen auch innerhalb des Atheismus, doch in einer konkreten Ausprägung, so dass der Gegenstandsbereich der vorliegenden Un­tersuchung sinnvoll eingegrenzt ist. Es geht um die Nachzeichnung des europäischen Atheismus, mit besonderem Gewicht auf den letzten 300 Jahren und starker Akzentuierung der (proto)naturalistischen Angriffe auf den Glauben aus Anlass der Wiederbelebung einer atheistischen Attitüde als Gegenbewegung zur Wiederkehr von Religion, Gott und Göttern (13.222).
Die zu besprechende Studie tut dies fast durchgängig mit der Absicht, über jene engagiert geführte Debatte um den »Neuen Atheismus« zunächst zu informieren und diese in die klassische Religionskritik des 18. und 19. Jh.s einzuordnen. Von hier aus werden dann Rudimente einer internen Kritik und des Versuchs, jene atheistischen Anfragen produktiv zu verarbeiten, zumindest skizziert. Von einem eigenständigen Beitrag zu jener Debatte wird man daher nicht sprechen können; eher von einer Vorbereitung dazu, die jedoch oftmals Altbekanntes aus der Religionsgeschichte und ihrer Kritik in lehrbuch- oder gar lexikonähnlichem Stil zusammenträgt. Dies allerdings nicht, ohne zu überraschen – leider nur in dem, was ausgelassen wird. Immerhin wird dabei der Atheismus zu den klassischen Fragestellungen des dogmatischen Kanons ge­zählt (5), um mit ihrer Behandlung den ersten Band einer neuen wissenschaftlichen Reihe – des »Forum Fundamentaltheologie« – vorzulegen.
Das Buch, arbeitsteilig von beiden Autoren kapitelweise verfasst, besteht aus sechs Abschnitten, die locker aufeinander aufbauen. Eingesetzt wird mit einer Charakterisierung dessen, was mit dem Label des »Neuen Atheismus« ins Visier genommen wird. Dabei treten so unterschiedliche Versionen auf wie der Atheismus mit naturwissenschaftlichem, meist evolutionsbiologisch gestütztem Anspruch eines Richard Dawkins, die kulturphilosophischen Verabschiedungen, die immerhin einen »Sinn und Geschmack« für die Kraft der Religion im Gestus des verdrängenden Erbschaft oder der »bekümmerten« Melancholie aufbringen wie bei Sloterdijk und Ulrich Beck bis hin zu Dekonstruktionen à la Zizek und Agamben, die einerseits Sympathie für den religiösen Symbolhaushalt aufbringen, seinen Gehalt jedoch nur noch in den familienähnlichen Substituten erkennen wollen. Im weiteren Verlauf des Buches wird dann fast ausschließlich die erstgenannte Version eine Rolle spielen.
Es folgen zwei Kapitel, die sich um den Begriff und die Geschichte des Atheismus bemühen, ohne aber eine nachvollziehbare Ge-nese bieten zu können; denn es bleibt bei einzelnen »Versatzstü-cken« (so im Titel des dritten Kapitels), deren geschichtlicher, begrifflicher oder systematischer Zusammenhang weitgehend übergangen wird, wobei gleichzeitig unnötige Wiederholungen in Kauf genommen werden. So wird die klassische Religionskritik von Feuerbach bis Freud gut kontextualisiert vorgetragen (64 ff.), um dann noch einmal unter den Funktionalisierungen der Religion von Projektion bis neurotischem Wunschdenken behandelt zu werden (174 ff.).
Nachdem so divergente Entwicklungen wie Kants Kritizismus, die aufkommende Bibelforschung, die Kritik des logischen Empirismus und frühen Positivismus bündig vorgestellt sind, geht es im vierten Teil ganz direkt um den religions-aversen Naturalismus in seinen unterschiedlichen Ausprägungen als weltanschaulicher Darwinismus, Dialektischer Materialismus bzw. als der Transformation der Evolutionstheorie in eine monistisch-exklusive Weltsicht (196 ff.). Entsprechend fragen die zwei nachfolgenden und zugleich letzten Kapitel nach den glaubenspraktischen Umgängen mit jenen naturalistischen Atheismen. Die Militanz eines quasi-religiösen Szientismus lassen die Autoren treffend Revue passieren (220–229), um dadurch die Ambivalenzen der Religionskritik aufzuzeigen, die nun ihrerseits der zuvor kritisierten Eindimensionalität, Intoleranz und selbst-isolierenden Ignoranz bedenklich oft erliegt (238 f.). Genau hier hätte die eingespielte Diagnose zu jenem bislang unglücklich geführten Streit anzusetzen, um einerseits das Zerrbild der religiösen oder theologischen Gegenposition abzutragen bzw. andererseits die berechtigten Einsprüche konstruktiv in die Religionstheorie und Gotteslehre zu integrieren (306.310 f.). Doch genau an diesem Punkt zerfasert das Buch und verliert sich in unverbundenen Streifzügen zu zwar zentralen, aber unverbindlich bleibenden Themen: Religion als natürliche Anlage, Religion und Gewalt, Religion als potenzielle Moralbegründung, Religion als Sinnstiftung. Beschlossen wird die Studie mit einem lakonischen Plädoyer für die Neubewertung der Mission, für die Stärkung des eigenen Profils als Zutat zum Widerstand gegen die Angebote post-religiöser Surrogate und endlich mit einer Textsammlung zentraler Dokumente aus der Tradition der mehr oder weniger atheistischen Religionskritik (354–390).
Ohne Zweifel, das Buch hat Verdienste, indem es auf eine wichtige, aber häufig vernachlässigte Debatte aufmerksam macht, die durch theologische Unkenntnis, die religionsphilosophische Imaginationslosigkeit und den Mangel an intellektueller Umsicht bei Dawkins, mit Abstrichen auch bei Hitchens und Dennett eher karikiert wurde. Diese werden sich allerdings in ihrer Kritik nur bestätigt sehen, wenn sie die auch in der vorliegenden Studie angedeutete Verteidigung des theistisch-metaphysischen Arsenals nachlesen würden (besonders 42 f. und 275–277). Wird der christliche Glaube sogleich mit dem christlichen Theismus identifiziert, um dessen Aussagen als objektiv, allgemeingültig, auf eine transzendente Realität referierend, dadurch zugleich falsifizierbar und das Anathema als »defiziente Sicht der Wirklichkeit« (276) darzustellen, fragt man sich, ob nicht interessantere Lehren aus der im Doppelsinn spannenden Debatte um den abendländischen Atheismus zu ziehen wären.
Doch dazu müsste man sich ganz anderen Gesprächspartnern öffnen, die sorgsamer, informierter, auch feinfühliger als die letztlich doch marginale Truppe um Dawkins mit Religion und Glaube umgehen. So verwundert es am meisten, dass der genuin theolo-gische Atheismus samt seinem philosophischen Unterbau nirgends wirklich zum Zuge kommt. Spinozas substanzieller Monismus, Kants Bestimmung des Seins als uneigentliches Prädikat, Fichtes Arbeit am Substanzbegriff, Kierkegaards Fassungslosigkeit gegenüber der Objektivierung Gottes und der kulturellen Verharmlosung des Glaubens bis hin zu deren dialektisch-theologischen Ausläufern bei Bultmann, Barth und selbst Tillich sowie die zeitgenössischen Re- und Dekonstruktionsversuche bei Vattimo, Badiou und Nancy bleiben stumm. Hier zeichnet sich die »lebendige Option« ab, Glaube und Atheismus nicht länger als ein konträres Begriffspaar aufzufassen, sondern das atheistische Modul gerade als Konkretion der fides zu nutzen. »Atheistisch an Gott glauben« (Dorothee Sölle) – erst in dieser prekären Liaison deutet sich an, was ein Atheismus in »neuer Gestalt« sein könnte und vielleicht schon ist.