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Ausgabe:

Mai/2014

Spalte:

593-595

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Samerski, Stefan

Titel/Untertitel:

Pancratius Pfeiffer, der verlängerte Arm von Pius XII. Der Salvatorianergeneral und die deutsche Besetzung Roms 1943/44.

Verlag:

Paderborn: Ferdinand Schöningh 2013. 310 S. m. Abb. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-506-76726-4.

Rezensent:

Manfred Eder

»Die Geschichte der deutschen Besetzung Roms 1943/44 muß erst noch geschrieben werden«, stellt Stefan Samerski in der Einleitung zu vorliegendem Buch fest, seien doch die bisherigen Veröffentlichungen zu diesem Thema »häufig memoirenhaft, pseudowissenschaftlich oder schlichtweg interessengeleitet, einseitig oder verfälscht« (9). Sein Anliegen ist allerdings nicht die detaillierte Darstellung dieser neunmonatigen Okkupation und auch nicht die Abfassung einer Biographie Pancratius Pfeiffers (1872–1945), zu der es bisher nur einzelne Ansätze gibt, sondern – nach der schmaleren Studie Peter van Meijls (Pancratius Pfeiffer SDS und sein Einsatz für die Juden während der Deutschen Besatzung in Rom [1943–1944], Wien 2007, 154 S. [mit gleichem Umschlagporträt!]) – erstmals einen ausführlicheren Überblick zu Pfeiffers humanitär-karitativem Wirken auf der Basis ungedruckter Quellen, namentlich des römischen Archivs der Salvatorianer (Societas Divini Salvatoris, SDS), zu bieten. Dieser 1881 in Rom gegründeten und 1905 päpstlich approbierten Klerikerkongregation (damals noch »Katholische Lehrgesellschaft« genannt) gehörte der gebürtige Allgäuer Pfeiffer seit 1889 an und machte – 1896 zum Priester geweiht – dank seines Arbeitseifers, seines Organisationstalents und seiner Sprachenbegabung eine rasante Karriere vom Dozenten für Scholastische Theologie, Mathematik und Ethik im römischen Mutterhaus der Salvatorianer (1896) bis hin zum Generaloberen (1915) in der Nachfolge des Ordensgründers Johann Baptist (Franziskus Maria vom Kreuze) Jordan (1848–1918). Trotz unverbrüchlicher Treue zu dessen Grundsätzen wehte nun ein frischer Wind durch die Priestergemeinschaft: »Die große Milde und das bis über die Grenzen des Realismus gesteigerte Gottvertrauen Pater Jordans wichen der außerordentlichen Tatkraft, Entscheidungsfreude und der straffen Hand Pfeiffers in Ordensangelegenheiten. […] Ruhe und Muße waren Pfeiffer zeit seines Lebens fremd« (37).
Pfeiffers große Stunde schlug in den neun Monaten der vom 10. September 1943 bis 4. Juni 1944 andauernden deutschen Besetzung Roms. Wurde der mittlerweile 70-Jährige in den ersten Besatzungswochen als Vermittler zwischen Bittstellern und deutschen Behörden in Rom nur punktuell aktiv, so mehrten sich nach der großen Judenrazzia vom 16. Oktober 1943, bei der die SS das jüdische Ghetto am Tiberufer abriegelte und 1022 Juden in 18 Viehwaggons nach Auschwitz und Buchenwald deportierte, die Anfragen bezüglich der Deportierten, aber auch nach weiteren Inhaftierten, Geschädigten und Vermissten. So avancierte Pfeiffer förmlich zur »Drehscheibe« zwischen Kurie und deutscher Besatzungsmacht. Zwei Gründe scheint es dafür gegeben zu haben: Zum einen die persönliche Empfehlung des nur bis Oktober amtierenden deutschen Stadtkommandanten General Rainer Stahel an seinen Nachfolger General Kurt Mälzer und eine Audienz bei Pius XII. mit einer wohl grundsätzlichen Erörterung seiner Tätigkeit als Unterhändler des Vatikans. Pfeiffer besaß nach Aussage des früheren italienischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti (*1919) größeres Vertrauen des Papstes als selbst Kardinalstaatssekretär Luigi Maglione. Dabei waren seine diskreten Vermittlungsaktionen, bei denen er u. a. mit Empfehlungsschreiben, Tauf- und Trauzeugnissen für Juden, Besuchserlaubnissen und Passierscheinen (z. B. für vatikanische LKWs mit Lebensmitteln) half, keine »Einbahnstraße«, vielmehr fungierte er auch als Kontaktmann Mälzers zum Vatikan, indem er für ihn Informationen beschaffte, Proteste weiterleitete, direkte Verhandlungen anbahnte und Besuche in der Kurie vermittelte. »Für Pfeiffer selbst standen solche Dienste im Zeichen der Humanität und seiner christlichen, priesterlich-salvatorianischen Gesinnung« (104). Deshalb nahm er auch gerne Einladungen des Stadtkommandanten an, so z. B. zu einem Mittagsmahl am Silvestertag 1943 im Hotel Excelsior, bei denen er nicht nur als Ansprechpartner und Dolmetscher dienlich sein konnte, sondern auch Wissenswertes erfuhr und weitergab und mit seinem vielgerühmten Charme für eine gute Atmosphäre zu sorgen vermochte. Zufrieden notierte er denn am 31. Dezember 1943 über das genannte Essen mit Mälzer in seinen Taschenkalender: »War nützlich in der Folge« (zit. nach 105; bei van Meijl: 91). Bei seinen humanitären Bemühungen ging Pfeiffer sehr geschickt vor: Zunächst versuchte er mit Gesprächen über »Land und Leute« ein persönliches Verhältnis zu seinen deutschen und zum Teil auch bayerischen Landsleuten herzustellen. Dann erst brachte er die jeweils dringendsten Fälle zur Sprache, dies jedoch mit großem Nachdruck. »Für jeden Häftling kämpfte Pfeiffer wie ein Löwe«, bescheinigte ihm später ein beteiligter Gestapo-Kommissar (zit. nach 107; bei van Meijl: 95). Ab Dezember 1943 führte der Salvatorianergeneral auch zahlreiche Verhandlungen mit dem SS-Hauptsturmführer Erich Priebke, der 1995 nach unbehelligten Jahrzehnten in Argentinien an Italien überstellt, 1998 wegen Ermordung mehrerer Zivilisten (bei einer Vergeltungsaktion für ein Partisanenattentat in Rom im März 1944) als Kriegsverbrecher zu lebenslanger Haft verurteilt wurde (die er jedoch nur in lockerem Hausarrest verbüßte) und am 11. Oktober 2013 mit 100 Jahren in Rom verstarb. »Zwei- oder dreimal pro Woche fand er sich in meinem Büro ein und brachte eine Liste mit Namen von Personen mit, für die er um Milde bat«, schrieb Priebke, der nie Reue zeigte, in seinen Erinnerungen mit dem bezeichnenden Titel »Vae victis« (zit. nach 109). An der ablehnenden Haltung Pfeiffers gegenüber dem Nationalsozialismus kann dabei kein Zweifel bestehen. Er nannte Hitler einen »Verrückten« (ital.: matto; 47), wandte sich explizit gegen jeden Rassismus, hatte Verbindungen zu Regimegegnern und Widerstandskämpfern (z. B. zur Gruppe um Goerdeler) und bemühte sich nach dem Abzug der Deutschen nicht um flüchtige NS-Schergen (wie etwa Alois Hudal u. a. um Priebke), sondern wandte sich wieder ganz seinen eigentlichen Aufgaben als Ordensgeneral zu.
Der unmittelbar nach Kriegsende an den Folgen eines Verkehrsunfalls verstorbene Pancratius Pfeiffer, der als »ehrlicher Makler« (113) und »katholischer Schindler« (Johannes Schedelko) nicht zu­letzt durch Fluchthilfe und Verstecken (auch im Mutterhaus der Salvatorianer) wohl mehreren hundert Menschen das Leben ret-tete und – etwas verklausuliert, aber durchaus positiv – auch in Hochhuths »Stellvertreter« aufscheint (hierzu 216–222), ist der einzige Deutsche, nach dem seit dem Zweiten Weltkrieg eine Straße in der Ewigen Stadt benannt wurde; es ist die Via Padre Pancrazio Pfeiffer, eine kleine Seitenstraße der Via della Conciliazione, an der das Generalat der Salvatorianer liegt und die geradewegs auf die Peterskirche zuführt.
Die materialreiche, klar gegliederte und mit historischen Photographien ansprechend illustrierte Studie wird von einem Personenregister und einem tabellarischen Anhang zu insgesamt 436 konkreten Fällen von (nicht immer erfolgreichen) Hilfsbemühungen Pfeiffers für Juden und andere beschlossen. Es ist schade, dass der zu Ausrufesätzen neigende Vf. nicht ein paar dieser Fälle detailliert dargestellt hat, um die menschlichen Schicksale dahinter lebendig werden zu lassen.