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Ausgabe:

Mai/2014

Spalte:

579-581

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Horn, Friedrich W. [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Paulus Handbuch.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. XVI, 653 S. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-16-150082-4.

Rezensent:

Stefan Krauter

Das von Friedrich Wilhelm Horn herausgegebene Paulus-Handbuch reiht sich einerseits in die Serie der Theologen-Handbücher im Verlag Mohr Siebeck ein (Luther [2005], Augustin [2007], Calvin [2008], Athanasius [2011]), andererseits in die Zahl der neueren Monographien (U. Schnelle [2003], E. Reinmuth [2004], M. Wolter [2011] und Sammelbände: J. D. G. Dunn [2003], O. Wischmeyer [2006]) über den Apostel. Den Ansatz dieses Bandes und damit auch sein Profil umreißt der Herausgeber im Vorwort mit folgenden Punkten: Frühere Epochen der Forschung (insbesondere Religionsgeschichtliche Schule, Kerygmatheologie und New Perspective) sollen konstruktiv-kritisch aufgenommen und weitergeführt werden; ein Gesamtbild des Apostels ergibt sich aus dem Dreischritt »Leben, Briefe, Theologie«; dieser wird durch Abschnitte zum Textbestand des Corpus Paulinum, zur Forschungsgeschichte seit F. Chr. Baur und zur frühesten Rezeptions- und Wirkungsgeschichte gerahmt.
Es ist ein wenig irritierend, dass diese vom Herausgeber angekündigte Struktur sich in dieser Form nicht in der Gliederung des Bandes wiederfindet (stattdessen: A. Orientierung, B. Person, C. Werk, D. Wirkung und Rezeption); das ändert aber nichts daran, dass sie überzeugend ist. Das gilt auch für den Aufbau der einzelnen Teile. Besonders hervorzuheben sind dabei die Abschnitte, die Querschnittsthemen behandeln, etwa die grundlegenden Bedingungen der paulinischen Mission (227–273) oder übergreifende Strukturen der paulinischen Theologie (479–517). Sie bringen wichtige Fragestellungen in den Blick, die bei der herkömmlichen Behandlung der einzelnen Briefe oder der einzelnen theologischen Topoi im Hintergrund bleiben. Doch auch die ganz klassischen Themen werden umfassend behandelt: die Biographie des Paulus (43–134), Einleitungsfragen zu seinen Briefen (165–227), theologische Themen (279–479, dies nahe an der Abfolge einer Standarddogmatik).
Insgesamt ist der Band außerordentlich gelungen und in jeder Hinsicht lesenswert. Wer ihn aufschlägt, wird zu wohl fast allen Themen der Paulusauslegung fundierte Informationen bekommen. Wer ihn ganz durchliest, wird in der Tat aus der Abfolge der verschiedenen Aspekte ein facettenreiches und anregendes Ge­samtbild des Apostels gewinnen. Die folgenden teilweise auch kritischen Anmerkungen sollen nicht eine Einschränkung, sondern eine Präzisierung dieses Gesamturteils sein.
Zunächst eine eher formale Beobachtung: Die einzelnen Autorinnen und Autoren (insgesamt 44) haben sich hinsichtlich ihres Stils und ihrer Darstellungsweise in unterschiedlichem Maße auf das Genre Handbuch eingelassen. Die Mehrzahl der Beiträge ist knapp, klar und gut verständlich und damit auf das Zielpublikum eines solchen Bandes genau passend. Einige freilich versuchen, in dem beschränkten Raum so viel übergreifende Theorien sowie frühere und aktuelle Forschungspositionen unterzubringen, dass sie sich (jedenfalls für Studierende) an der Grenze des Verstehbaren bewegen (so etwa »Die Person des Paulus«, 128–134). Ebenfalls gelingt es in den meisten Beiträgen, die besondere Expertise und damit auch Position des Verfassers bzw. der Verfasserin einzubringen und zugleich eine übergreifende Perspektive einzunehmen, wie es einem Handbuch angemessen ist. Wenn hingegen im Forschungsüberblick zur New Perspective on Paul und zum New View of Paul (30–38) die Rezeption der Thesen des Verfassers zum heimlichen Hauptthema wird, ist das in einem Nachschlagewerk eher irritierend.
Beiträge von 44 verschiedenen Personen müssen natürlich auch inhaltlich divergent sein. Dem Herausgeber ist zuzustimmen, dass das Vorteile hat (VII): Wenn der Galaterbrief mal früh, mal spät datiert, mal seine Datierung vorsichtig offen gelassen wird, wenn die weitgehende Verlässlichkeit der lukanischen Schilderung der sogenannten ersten Missionsreise dargelegt wird (98–103) und gleich darauf die Informationen der Apostelgeschichte über die sogenannte zweite und dritte Missionsreise grundsätzlich angezweifelt werden (109–116), dann ist das für die Leserin oder den Leser anregend und wehrt gleich von vornherein dem Missverständnis, in einem Handbuch sei sozusagen alles, was man über Paulus wissen müsse, »korrekt« nachzulesen.
Problematischer scheint die Divergenz in einer anderen Hinsicht: Wie man Paulus versteht, hängt entscheidend davon ab, in welchem Kontext man ihn versteht. Ihn von seiner Rezeption und Wirkung in der christlichen Theologie her zu lesen, ist derzeit in der Exegese beinahe verpönt, aber nicht per se unsinnig und in einem Band einer Serie von Theologen-Handbüchern durchaus legitim. Paulus im Kontext des antiken Judentums auszulegen, ist nicht nur, aber vor allem aufgrund der New Perspective inzwischen selbstverständlich. Die Paulusbriefe in ihren Bezügen zur griechischen Rhetorik und Philosophie zu lesen, ist vor allem in der englischsprachigen Forschung eine wichtige Tendenz. Schließlich ist auch der politische Kontext, d. h. das Römische Reich, in den letzten Jahren ins Blickfeld gerückt.
Erfreulich ist, dass der antik jüdische Kontext des Paulus durchgehend auf hohem Niveau Berücksichtigung findet und dass vor allem in den Abschnitten zur Forschungsgeschichte und zur Re­zeption (und ansatzweise auch in einigen anderen Beiträgen) die Bedeutung des Paulus für die spätere christliche Theologie deutlich wird. Von einigen einzelnen Beiträgen abgesehen (»Die kulturelle Prägung: Sprache, Erziehung, Bildung« [66–72], »Rhetorik und Argumentation« [149–158], »Die Parusie des Kyrios« [299–305]) sind jedoch die beiden letztgenannten Kontexte und damit wichtige und innovative Forschungstrends der aktuellen internationalen Paulusexegese nur schwach vertreten. Und wenn etwa der Ab­schnitt zur Anthropologie in Röm 7 (371–374) die lebhaften und umfangreichen Debatten der letzten Jahre über das Thema Akrasie nicht erwähnt, ja nicht einmal einen bibliographischen Hinweis auf sie gibt, ist das durchaus ärgerlich. Vielleicht wären doch vereinheitlichende Vorgaben für alle Beiträge dahingehend sinnvoll gewesen, dass über solche neueren Ansätze zumindest hätte informiert, noch besser argumentativ auf sie hätte eingegangen werden sollen.
Eine Besonderheit des Bandes ist der ausführliche Teil über die frühe Rezeption des Paulus (519–574). Sehr umsichtig wird die postulierte Existenz einer Paulusschule diskutiert (520–523). Es werden u. a. die neutestamentlichen Deuteropaulinen (523–542) und etwas spätere Pauluspseudepigrapha (557–560.563–568) sowie die vermutliche Aufnahme oder auch Ablehnung paulinischer Ideen in anderen neutestamentlichen Schriften (552–557) behandelt. Schön, dass die Apostelgeschichte nicht nur als umstrittene Quelle zur Biographie des Paulus vorkommt, sondern in diesem Teil des Bandes als eigenständige und wirkmächtige Rezeption seines Wirkens gewürdigt wird (542–551). Fast hätte man sich entsprechende Abschnitte zur weiteren Rezeption und Wirkung in der Geschichte des Christentums gewünscht; aber das hätte wohl den Rahmen dieses Handbuches gesprengt.
Ein ausführliches Literaturverzeichnis und nützliche Register schließen den gelungenen und empfehlenswerten Band ab.