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Ausgabe:

Juni/1999

Spalte:

617–619

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Smith, Mark S.

Titel/Untertitel:

The Pilgrimage Pattern in Exodus. With contributions by E. M. Bloch-Smith.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1997. 355 S. gr.8 = Journal for the Study of the Old Testament. Suppl. Series 239. Lw. £ 40.-. ISBN 1-85075-652-X.

Rezensent:

Friedrich Fechter

Der Vf., Professor für Theologie an der St. Joseph’s University in Philadelphia, legt eine interessante These zum Aufbau des Buches Ex und dessen theologischer Bedeutung vor. Wie schon der Titel andeutet, seien die Texte so angeordnet und aufeinander bezogen, daß sie auf dem Hintergrund der drei großen Wallfahrtsfeste Israels gelesen werden müßten. Der Sinai sei der "Mount Everest" der Pentateuchüberlieferung (216), von dem aus alles Leben innerhalb und außerhalb des Landes Israels definiert sei. Das Buch Ex sei nach dem Bild einer Pilgerreise zu jenem Berg konzipiert. Dieses Geschehen sei die Grundlegung der Identität Israels.

In seiner Einleitung (15-49) stellt S. Reflexionen über Bedeutung der historischen Exegese (17) und über Notwendigkeit einer persönlichen Applikation der Texte (18 f.) einer Erörterung über die Rolle des Gesetzes in christlicher Rezeption (22-43) voran. In der Bundesvorstellung findet der Vf. eine Möglichkeit, über die paulinische Gesetzeskritik (22-28) hinausgehend zu einer heute annehmbaren christlichen Deutung zu gelangen. Nach der priesterlichen (p.) Konzeption stelle es eine "source of freedom" dar. Die Gesetzesoffenbarung bilde den Zielpunkt des Exodus "and this view deserves its own place in any Christian theology of law that calls itself biblical" (35). Schließlich nötige auch die Erwartung eines neuen Jerusalem in jüdischer wie in christlicher Zukunftshoffnung zu einer Besinnung auf die normativen Grundlagen (42).

Nach einer kurzen Schilderung der Anlage seiner Arbeit (43-49) gelangt S. zu seinem 1. Hauptteil "Liturgical Life in Ancient Israel" (51-141). Er beschreibt allgemein im 1. Kap. ("Pilgrimage to Jerusalem", 52-80) Pilgerreisen nach Jerusalem, Funktion und Bedeutung der jährlichen Wallfahrtsfeste (wobei er u. a. Mowinckels Neujahrsfest-These zustimmt) und an Hand von Ps 15 samt der formgeschichtlichen Parallelen (75-79) das Verhältnis von Ethos und Gottesnähe im Kult. Die Abfolge der drei Feste spiegele die zentralen Ereignisse im nachexilischen liturgischen Gedächtnis (73): Exodus, Tora-Offenbarung am Sinai und Wüstenaufenthalt. Diese Struktur habe die Bildung des Pentateuch geprägt. Kap. 2 ("The Temple and its Symbolism", 81-117) enthält neben Ausführungen von E. Bloch-Smith zu Architektur und Ausgestaltung des Tempels (81-100) einige Reflexionen zur "experience of god" (darin ein Exkurs: "Temple and Creation in the Priestly Order of Genesis 1", 110-117).

Nach einer lehrbuchartigen Darlegung zu liturgischen Handlungen und Verhaltensweisen im israel. Kult in Kap. 3 (118-126) und einer Erörterung über "Pilgrimage as paradigm for Israel" (Kap. 4: 127-141) eröffnet der Vf. mit einer Darlegung des "Current State of Research on Exodus" (Kap. 5: 144-179) seinen 2. Hauptteil ("The Priestly Arrangement of Exodus", 143-261). Jüngere redaktionsgeschichtliche Modelle hätten - von wenigen Ausnahmen abgesehen - "less displaced the theory of sources" als vielmehr die Spezifik der Quellen und ihrer Textbasis problematisiert (154). S. favorisiert für die ältere Textüberlieferung das Ergänzungs-Modell nach Mowinckel und Rudolph. Aus Beobachtungen zu Ex ergebe sich sodann, daß "the priestly tradition created and transmitted stories modelled on existing narratives, but not strung into a continuous source as a pre-existing Priesterschrift" (164). Die Anzahl der p. Redaktionen sei unbestimmt, da es sich um einen mehrere Jahrhunderte umfassenden Prozeß gehandelt habe. S. stimmt I. Knohl zu (The Sanctuary of Silence: The Priestly Torah and the Holiness School, Minneapolis, 1995), der das Heiligkeitsgesetz Lev 17-26 als Ergebnis redaktioneller Überarbeitung durch eine p. Schule ansieht, die auch das p. Material in Ex redigiert habe (168). Allerdings betont S.: "synchronic readings need diachronic considerations of the literary conventions and historical background of the age" (178). Man dürfe ein Werk weder auf seine historischen Dimensionen verkürzen noch seiner geschichtlichen Bedeutung und seines Hintergrundes entkleiden.

S. stellt seine Auffassung von Struktur und innerem Zusammenhang des p. redigierten Ex-Buches vor: Kap. 6 ("The Literary Arrangement of the Priestly Redaction of Exodus", 180-191) diskutiert nach einer kurzen Forschungsdarstellung (180-183) die Abgrenzungsfrage. Mit Ex 40,33 sei "a new stage in divine-human communication" erreicht (185). Bezüge zwischen Ex 39 f. und dem p. Schöpfungsbericht in Gen 1,1-2,3 ließen auf eine Zäsur in der "Sinai legislation" vor Lev schließen (186). Nach einer Erörterung von p. Redaktionselementen geht S. auf die Buchgliederung ein. Ex habe zwei Hälften: "Ägypten" (1-15,21) und "Sinai" (15,22-40,38), darin jeweils einander entsprechend: "A. Moses’ movement from Egypt to Midian" (Ex 1 f.) und "A’. Israel’s movement from Egypt to Midian" (15,22-18,27) sowie "B. Two calls and two confrontations" (3,1-15,21) und "B’. Two covenants and two sets of tablets" (15,22-40,38). Das Zentrum bilde Ex 15 mit dem entscheidenden "conflict between the powers of Egypt and Sinai", den das Buch Ex beherrschenden Größen. Diese Grundthese begründet S. in den Kapp. 7 ("The Priestly Arrangement of Exodus 1.1-14.31: Sections A, B i and B i’", 192-204), 8 ("The Poetics of Exodus 15 and its Position in the Priestly Redaction", 205-226) und 9 ("The Priestly Arrangement of Exodus 15.22-40.38: Sections A’, B’ i and B’ i’", 227-261).

Herausgegriffen seien nur einige Punkte: Die Darstellungen der Mose-Berufung seien "complementary parallel", die erste habe durch die Brille der zweiten gelesen werden sollen (202 f.) - Ex 15,1-18 sei einheitlich (vgl. Exkurs 219-222). Ursprüngliche Bezugsgröße sei Jerusalem gewesen; die p. Redaktion habe aber den Sinai im Blick (215 f.). - Dekalog (Ex 20,1-17), Bundesbuch (20,22-23,33) und Heiligtumstexte (25-31; 35-40) seien selbstständig gewesen (232 f.). Das auf den Sinai bezogene vor-p. Material in 16-18 und die Erzählung in 24,9-11 (233) habe eine Einheit gebildet, welche durch die Itinerarnotizen in 19,1.2a aufgesprengt worden sei. 19,3-8 sei p. Redaktion (234-239). - 24,12-18 beschließe nicht die Bundesschluß-Erzählung, sondern bilde das redaktionelle Gegenüber zu 31,18 (244 f.). - P. Tradition habe das ältere Material in 32-34 (248.257) ihrer Konzeption eingeordnet (248 f.). Die drei Kap. wiesen eine kunstvolle konzentrisch-chiastische Gestaltung auf (250-254, bes. das Schaubild 252), 32,1-6 und 34,29-35 seien als "envelope" dazu gedacht (251). Ex 33 f. reflektierten das Problem "of divine presence in the midst of a sinning people" (255); es werde eine (positive) Antwort auf die Frage nach "Yahweh’s accessibility to his people during the journey" gegeben, wobei die Mittlergestalt Moses eine entscheidende Rolle spiele (256). - Nachdem der ka-bôd das Heiligtum erfüllt habe (Ex 40), sei die "creation of Israel’s life with Yahweh" vollendet "like the Sabbath at the end of the first week of the world in Gen. 1.1-2.4a" (257), womit S. eine alte These von M. Buber und F. Rosenzweig aufgreift.

Im Schlußteil ("Law and Exodus in Context", 263-308) beantwortet S. die Frage nach der Funktion des Gesetzes (Kap. 11: "Theology and Law in Exodus", 264-284). Die beiden Hälften des Ex-Buches "dramatize the foundational events of Israel’s origins as a pilgrimage in a developed sense" - dies sei die Intention der p. Ex-Redaktion (264). Erst das Sinaigesetz schließe die Befreiung aus Ägypten ab, womit sich eine "essential linkage between story and law and instructional literature in order to teach Israel’s religious and social order" ergebe (269). Damit sei tôra-h "the rubric for all of the varied forms of divine teaching" geworden (277). Die gegenseitige Durchdringung von Gesetz und Erzählung (278) habe maßgeblich zur Identitätsbildung Israels beigetragen: "Exodus is precisely the book of Israel’s origins: as an enslaved people now free, its law calls it to understand and grasp its destiny in covenantal relationship with Yahweh" (282). Ex überliefere nicht nur Vergangenes, sondern wende sich mit seiner Darstellung kultischer Institutionen und Ereignisse an die Nachfahren der Exodusgeneration (284). In Kap. 11 ( Epilogue: "Exodus in the Pentateuch", 285-308) stellt S. an Hand der geographischen und chronologischen Angaben ein chiastisches Strukturschema nicht nur zwischen Ex und Num, sondern im gesamten Pentateuch (306) fest, dessen Zentrum die Sinai-Ereignisse bildeten. Eine umfangreiche Bibliographie (309-335), Stellen- (336-349) und Autorenregister (350-355) beschließen das Buch.

Die Arbeit beeindruckt durch die Fülle der Beobachtungen, die umfassende Kenntnis der Forschung (nur wenige wichtige [v. a. deutschsprachige] neuere Arbeiten bleiben unberücksichtigt, z. B. H. Utzschneider: Das Heiligtum und das Gesetz. Studien zur Bedeutung der sinaitischen Heiligtumstexte [Ex 25-40; Lev 8-9], 1988 [OBO 77]) sowie den Versuch, sowohl der Gestaltung des Endtextes wie auch seinem literarhistorischen Wachstum gerecht zu werden. Dennoch bleibt die Frage, ob manche Einlassungen nicht von vornherein durch die Hauptthese bestimmt werden: Der Annahme einer tiefen Zäsur nach Ex 40 widerspricht die Anlage der Sinaiperikope bis Num 10,10; die Behauptung der literarischen Einheitlichkeit von Ex 15,1-18 widerstreitet der thematischen Disparatheit der Themen (der Vergleich mit dem Baal-Zyklus KTU 1.1-1.6 ist als Argument nicht ausreichend, wie S. indirekt selbst einräumt, vgl. 220 Anm. 58) und die Annahme, das Lied sei auf den Sinai bezogen, steht in starker Spannung zur Nennung der Nachbarvölker Israels/Judas in 15,14f. Unabhängig davon stellt das Buch einen bedeutenden Beitrag zur Frage nach der Intention der Endredaktion des Buches Ex dar.