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Ausgabe:

März/2014

Spalte:

388–406

Kategorie:

Literatur- und Forschungsberichte

Autor/Hrsg.:

Jens Schröter

Titel/Untertitel:

Zur neueren Jesusforschung

1 Konturen der aktuellen Diskussion

Die Jesusforschung der zurückliegenden Jahre weist ein breites Spektrum an Themen und Positionen auf. Praktisch alle Einzelaspekte des Lebens und Wirkens Jesu – von seiner Geburt über die Wunder und Gleichnisse bis hin zu seinem Tod und seiner Auferweckung – werden (wieder) diskutiert, das Judentum der hellenistisch-römischen Zeit als historischer Kontext seines Auftretens wird intensiv untersucht, die Beziehung zwischen der Wirksamkeit Jesu und der Entstehung des christlichen Glaubens steht zur Dis­kussion, das Verhältnis der apokryphen zu den kanonischen Jesusüberlieferungen wird bedacht. Manche Entwürfe sind dabei von großem Zutrauen in die historische Glaubwürdigkeit der kanonisch gewordenen Evangelien geprägt, andere differenzieren stärker zwischen den Jesusdarstellungen der neutestamentlichen Evangelien und den Ergebnissen der historisch-kritischen Forschung. Im Blick auf die zu berücksichtigenden Quellen zeichnet sich dabei mittlerweile ein weitreichender Konsens dahingehend ab, dass Ge­schichte und Kultur Galiläas für eine Jesusdarstellung von zentraler Bedeutung sind und die ins Neue Testament gelangten Evan­- gelien die ältesten, in historischer Hinsicht maßgeblichen litera­-ri­schen Quellen für die historische Frage nach Jesus darstellen. Die apokryphen Evangelien und andere außerkanonische Quellen werden dagegen in der Regel zur Wirkungsgeschichte der ältesten Überlieferungen gerechnet.
Bemerkenswert an dieser Entwicklung ist, dass gegenüber der von Albert Schweitzer bis zur »neuen Frage nach dem historischen Jesus« reichenden Forschungsphase, die von theologischen und hermeneutischen Fragen geprägt war, in der gegenwärtigen Diskussion detaillierte historische und archäologische Untersuchungen eine zentrale Rolle spielen. Die »Third Quest of the Historical Jesus« hat hier durchaus Wirkung gezeitigt und den Diskurs über den »historischen Jesus« maßgeblich verändert. Geschichtshermeneu­tische Fragen werden dabei in neuer Weise in die Diskussion ein-gebracht. Bei dem mit den Begriffen »Erinnerung«, »Ge­dächtnis«, »Re­präsentation« oder »Vergegenwärtigung« (bzw. »memory«, »re-­memb­rance« oder »representation«) charakterisierten Zugang wird das Verhältnis von historischem Ereignis und seinem durch die Er­zählung evozierten identitätsstiftenden Charakter betont. In diesem Kontext werden auch die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen der Jesusforschung im Rahmen der Geschichtsschreibung diskutiert. Grundlage ist dabei die Beobachtung, dass Ge­schichtsschreibung stets eine Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit ist, durch die Personen und Ereignisse vergangener Zeiten aus späterer Perspektive angeeignet werden. Die Vergangenheit ist des halb nur als gedeutete – eben: als Geschichte – in der jeweiligen Gegenwart zugänglich und bedeutungsvoll.1
Für die methodischen Grundlagen der Jesusforschung ist des Weiteren die Diskussion über die sogenannten »Kriterien« der Rück­frage nach dem historischen Jesus von Belang.2 Spielen diese in einigen neueren Entwürfen immer noch eine grundlegende Rolle3 und werden auch gegen Kritik verteidigt,4 so ist gleichzeitig deutlich, dass sie mitunter – etwa beim viel diskutierten »Differenz- oder Unähnlichkeitskriterium«5 und beim Kriterium der mehrfachen Bezeugung6 – zu modifizieren, in anderen Fällen – so beim Kriterium des aramäischen Sprachgebrauchs – eher als un­tauglich für die historische Rückfrage zu bezeichnen sind.7 Aber auch bei den Kriterien mit größerer Plausibilität – etwa beim sogenannten »Verlegenheitskriterium« (»criterion of embarrassment«) – sind sie in einen zwischen historischem Gesamtentwurf und Beobachtungen zu Einzeltexten abzuschreitenden Zirkel zu integrieren.8 Isoliert betrachtet sind die »Kriterien« dagegen kein brauchbares historiographisches Mittel, um die Frage nach dem historischen Jesus sinnvoll zu diskutieren.9 Vielmehr ist die Wechselwirkung zwischen einem auf Beobachtungen zum Gesamtprofil der Jesusüberlieferung basierenden Entwurf10 und der Einzeichnung von Einzelanalysen in ein solches Bild, das dadurch stetiger Kontrolle und Modifikation unterworfen wird, konstitutiv, um die Jesusforschung auf eine geschichtswissenschaftlich plausible Basis zu stellen. Dabei ist die grundlegende Prägung der Jesusüberlieferung aus der Perspektive des Glaubens an seine Auferweckung und Erhöhung ebenso in Rechnung zu stellen, wie die sprachlichen und kulturellen Transformationen bei der Übersetzung ins Griechische, die Formung der Einzelüberlieferungen nach gattungstypischen Merkmalen sowie deren Einbindung in einen narrativen Gesamtentwurf zu berücksichtigen sind. Eine schematische Handhabung der »Kriterien« wäre dagegen ein historiographisch wenig überzeugendes Verfahren, das der für eine historische Rekonstruktion konstitutiven Komplementarität von Gesamtbild und Einzelbeobachtung nicht hinreichend Rechnung trägt.
Hinzuweisen ist des Weiteren auf die in der neueren Diskussion vor dem Hintergrund von Forschungen zu oralen Kulturen häufiger herausgestellte Notwendigkeit der Differenzierung zwischen mündlicher und schriftlicher Jesusüberlieferung. Dabei geht es nicht um die Behauptung einer prinzipiellen Unzugänglichkeit der ersteren.11 Es ist vielmehr durchaus wahrscheinlich, dass die Jesusüberlieferung bereits in ihrer mündlichen Verwendung durch eigene Merkmale geprägt war, die sich dann auch auf ihre Verschriftlichung ausgewirkt haben. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich aus den schriftlichen Texten auf die konkreten sprachlichen Gestalten oder gar die historischen Situationen zurückschließen ließe, in denen einzelne Überlieferungen auf der mündlichen Stufe verwendet wurden. Sowohl die neutestamentliche Textüberlieferung als auch die verschiedenen literarischen Kontextuali­sierungen von Jesusüberlieferungen in kanonischen und nicht-kanonischen Texten weisen vielmehr darauf hin, dass die Überlie­ferungsprozesse im frühen Christentum stärker an der flexiblen Verwendung von Traditionen als an der Bewahrung eines sprachlich und kontextuell fixierten »historischen« Ursprungs orientiert waren – wenn die Vorstellung eines solchen »Ursprungs« für die mündliche Überlieferung überhaupt angemessen ist. Auch wenn es demnach durchaus möglich ist, sprachliche und inhaltliche Merkmale der in den Evangelien verarbeiteten Überlieferungen zu identifizieren, darf dies nicht zu der Annahme verleiten, aus den vorhandenen Texten ließe sich die vorliterarische Phase der Jesusüberlieferung rekonstruieren. Vielmehr ist damit zu rechnen, dass verschiedene sprachliche Realisierungen und Verwendungsweisen einer Überlieferung nebeneinander existierten und sich dies auch bei ihrer Verschriftlichung niedergeschlagen hat. Vor dem Hintergrund dieser einführenden Bemerkungen sollen im Folgenden einige Werke der aktuellen Jesusforschung vorgestellt werden.

2. Joseph Ratzinger, Jesus von Nazareth

Ein geschichtshermeneutisch eigener Zugang zu Person und Wirken Jesu findet sich in der Trilogie von Joseph Ratzinger. Die ersten beiden Bände sind bereits früher besprochen worden.12 Mittlerweile ist der (deutlich schmalere) Teil zu den Kindheitsgeschichten erschienen.13 Ähnlich wie in den vorangegangenen Bänden vertritt Ratzinger auch hier die Auffassung, dass die Berichte der Evangelien als historisch glaubwürdig zu beurteilen seien. Das betrifft auch die Erzählungen von der Geburtsankündigung an Maria, der Geburt Jesu in Bethlehem, den Hirten auf dem Feld, der Flucht nach Ägypten, der Huldigung durch die Weisen und sogar diejenige von der Jungfrauengeburt. Grundlage für diese Sicht ist Ratzingers spezifische Bestimmung des »Historischen«, die mit einem unmittelbaren Eingreifen Gottes in die materielle Welt rechnet und eine an den Maßstäben der kritischen Geschichtswissenschaft orientierte Analyse der biblischen Überlieferungen darum als un­zureichend erachtet.
Die Fragen an diese Sichtweise stellen sich auf zwei Ebenen. Die erste betrifft das Verhältnis von Altem und Neuem Testament. Ratzinger beschreibt dieses im Schema von Verheißung und Erfüllung und differenziert dementsprechend nicht zwischen der christologisch-deutenden Rezeption der alttestamentlichen Texte durch die neutestamentlichen Autoren und deren davon unabhängiger his­torischer Beurteilung. Jes 7,14 kann dementsprechend als »wartendes Wort« von der Jungfrau, die den Immanuel gebiert, beurteilt werden, ohne dass Ratzinger auf den Unterschied zwischen hebräischem (»junge Frau«) und griechischem Text (»Jungfrau«) oder den historischen Ort dieser Ankündigung im Kontext des Jesajabuches eingehen würde.
Die zweite Ebene betrifft das Verhältnis von historischer Interpretation und theologischer Deutung. Gerade bei den Kindheitsgeschichten wird die Frage virulent, ob das Beharren auf der Tatsächlichkeit des in den biblischen Texten Berichteten deren Intention und Charakter zutreffend erfasst. Das in diesen Texten zum Ausdruck kommende Wirklichkeitsverständnis ist schwerlich daran orientiert, die Bedeutung des Erzählten durch die Behauptung seiner »Faktizität« im modernen Sinn zur Sprache zu bringen. Vielmehr ist innerhalb der biblischen Überlieferungen (wie in analoger Weise auch bei anderen antiken Texten) zwischen historischem Ereignis und der deutenden, auf mythologische Vorstellungen zurückgreifenden Erzählung zu unterscheiden. Die Interpretation antiker Texte unter den Bedingungen der kritischen Geschichtswissenschaft verlangt deshalb eine differenziertere Hermeneutik, als sie in der Jesustrilogie Ratzingers zur Anwendung kommt. Dieses Problem stellt sich in analoger Weise bei der Jesusdarstellung von Armand Puig i Tàrrech (s. unten unter 3.).
Inzwischen ist auch die Diskussion über den »Jesus des Papstes« weitergegangen.14 Der zweite von Jan-Heiner Tück herausgegebene Band15 versammelt exegetische und systematisch-theologische Beiträge, die sich mit dem zweiten Teil von Ratzingers Jesusdarstellung auseinandersetzen. Dabei überwiegen diejenigen Stimmen, die seinen Zugang positiv aufnehmen und daran anknüpfen (Kurt Kardinal Koch, Ludger Schwienhorst-Schönberger, Peter Stuhlmacher, Jacob Neusner, Kurt Appel, Johann Reikerstorfer, Hansjürgen Verweyen, Karl-Heinz Menke, Jan-Heiner Tück). Kritisch äußern sich vor allem Michael Theobald im Blick auf Ratzingers Auslegung von Joh 17 sowie Georg Essen zum Geschichtsverständnis des Papstes im Horizont neuzeitlicher Geschichtswissenschaft. Der Band zeigt auf seine Weise, dass Ratzingers Jesusbuch vor allem im römisch-katholischen Bereich einen breiten Diskurs ausgelöst hat. Dabei steht nicht zufällig seine Position zum Verhältnis von historisch-kritischer Bibelwissenschaft und theologischem Wahrheitsanspruch im Zentrum.
Auch Hermann Häring hat einen weiteren Band mit Beiträgen zu Ratzingers Jesusdarstellung herausgegeben.16 Wie bereits im ersten Band17 finden sich auch hier vorwiegend kritische Stellungnahmen. Ratzingers Vorgehen, die Rolle der kritischen Bibelwissenschaft zu relativieren und stattdessen in großem Umfang auf die Kirchenväter zurückzugreifen, wird hinterfragt (Thomas Staubli, Pierre Gilbert), seine Interpretation des Kreuzesgeschehens mit den Begriffen Sühne, Opfer und Stellvertretung auf den Prüfstand gestellt (Leo Kirchschläger, Roman A. Siebenrock) und seine Bezugnahme auf das Verhältnis von Judentum und Christentum diskutiert (Walter Homolka, Joseph Wohlmuth). Schließlich wird das Auferstehungskonzept auf seine gesellschaftliche Relevanz hin befragt (Hermann Häring, Ralf Miggelbrink). Anders als in dem von Tück herausgegebenen Band ist für die hier versammelten Stimmen eine größere Skepsis gegenüber Ratzingers These von der begrenzten Geltung der kritischen Bibelwissenschaft kennzeichnend. Stattdessen überwiegen diejenigen Voten, die sein Vorgehen selbst auf seine methodische Plausibilität (und Innovation) hin kritisch befragen.
Beide Bände sind vornehmlich auf die innerkatholische deutsche Diskussion konzentriert. Beiträge aus anderen theologischen und sprachlichen Kontexten spielen – mit Ausnahme der Artikel aus jüdischer Perspektive von Neusner, Homolka und Wohlmuth sowie dem einzigen protestantischen Beitrag von Peter Stuhlmacher – praktisch keine Rolle. Es wäre zu wünschen, dass die durch Ratzingers Zugang aufgeworfenen erkenntnistheoretischen und theologischen Fragen in einem größeren Rahmen diskutiert und unterschiedliche Sichtweisen miteinander ins Gespräch gebracht werden.18

3. Sammelwerke

In dem monumentalen »Handbook for the Study of the Historical Jesus«19 wird im ersten Band (»Contemporary Methodological Approaches«) in einigen Beiträgen auf methodische Aspekte der aktuellen Jesusforschung eingegangen. Dale Allison zeigt in einem luziden Durchgang durch die »Kriterien« der Jesusforschung, dass sich diese nicht dazu eignen, Urteile über »echte« und »unechte« Jesusüberlieferungen zu fällen, sondern in der Regel dazu dienen, ein bereits vorausgesetztes Jesusbild sekundär zu rationalisieren. Sie entlasten demnach in keiner Weise davon, Jesusbilder mit Hilfe historischer Imagination zu entwerfen (»as historians we are story-tellers«, 30). Jürgen Becker (»The Search for Jesus’ Special Profile«) hält die Kriterien dagegen durchaus für hilfreich, um ein distinktes Profil des Wirkens Jesu herauszuarbeiten. James Charlesworth, Bruce Chilton und John Dominic Crossan betonen die Notwendigkeit der Einbeziehung außerkanonischer Quellen und die Integration Jesu in den Kontext des galiläischen Judentums des 1. Jh.s. Das »Handbook« versammelt hier wie auch in anderen Teilen eine Vielfalt an Stimmen, die mitunter diametral entgegengesetzte Positionen vertreten. Der Titel des Gesamtwerks sollte deshalb nicht die Erwartung wecken, hier würden nach erkennbaren Ordnungsprinzipien Artikel präsentiert, die über den gegenwärtigen Diskussionsstand informieren würden oder einem bestimmten Ansatz verpflichtet wären. Das »Handbook« setzt vielmehr Leser voraus, die in der Jesusforschung bereits gut orientiert sind und unterschiedliche Positionen forschungsgeschichtlich einzuordnen und zu beurteilen verstehen.
Dieser Eindruck setzt sich in den übrigen Bänden fort. Band 2, »The Study of Jesus«, ist übergreifenden Aspekten der Jesusforschung (etwa der Beziehung von historischen und theologischen Fragestellungen: Scott McKnight und Sven-Olav Back), aber auch konkreten Einzelfragen (etwa: »Jesus and Cynicism«: F. Gerald Downing; »The Son of Man in Judaism«: John J. Collins) gewidmet. Auch die jüdischen Gruppierungen (Étienne Nodet), Josephus (Steve Mason), Jesus und Qumran (Heinz-Wolfgang Kuhn) sowie Johannes der Täufer (Knut Backhaus) werden behandelt. Ein weiteres Thema des zweiten Bandes ist die synoptische Frage. In zwei Beiträgen (Michael Goulder, »On Dispensing with Q«; David L. Dungan, »Dispensing with the Priority of Mark«) wird die Zweiquellentheorie in Frage gestellt, die dann allerdings im dritten Band (»The Historical Jesus«) bei Joanna Dewey und Christopher Tuckett ohne weitere Erörterung vorausgesetzt wird.
Der dritte Band behandelt die Jesusüberlieferung in den kanonischen Evangelien und den Briefen des Neuen Testaments. Ein eigener Beitrag ist dabei dem Sondergut des Matthäus gewidmet (Donald Senior), wogegen ein entsprechender Artikel zu Lukas erstaunlicherweise fehlt. Apokryphe Texte werden in den Beiträgen von Michael Labahn (»The Non-Synoptic Jesus«), Edwin K. Broadhead (»The Thomas-Jesus Connection«) und Tobias Nicklas (»Traditions in Apocryphal Gospels«) behandelt. Alle drei Beiträge zeigen, dass im Blick auf den historischen Beitrag der apokryph geworde-nen Evangelien zur Frage nach Jesus die zum Teil hitzigen Debatten über deren Abhängigkeit oder Unabhängigkeit von den kanonisch gewordenen Evangelien inzwischen zugunsten einer sachlichen Analyse ihres historischen und theologiegeschichtlichen Standortes in den Hintergrund getreten sind. Die Möglichkeit, einzelne alte Überlieferungen in apokryphen Texten zu identifizieren, ist damit zwar nicht prinzipiell ausgeschlossen, bleibt jedoch auf wenige Ausnahmen beschränkt.
Ein weiterer Schwerpunkt von Band 3 sind thematisch orientierte Beiträge, etwa zum sozialen und politischen Umfeld Jesu, zu seiner Geburt, seinem Tod und seiner Auferweckung sowie zu seiner Sprache und seinem Selbstverständnis. Eigene Beiträge sind zudem den Wundern und den Gleichnissen der Jesusüberlieferung gewidmet. Erstaunlicherweise findet sich kein Beitrag zur Ge­schichte, Religion und Kultur Galiläas. Angesichts der intensiven Galiläaforschung der letzten Jahre muss das als deutliches Desideratum notiert werden.20
Band 4 erweckt den Eindruck eines »Sammelbeckens« von Beiträgen, die sich in den anderen Bänden nicht unterbringen ließen. Dabei finden sich manche Wiederholungen: Das Thema »Jesus und Magie« wird bereits in Band 3 im Beitrag zu den Wundern behandelt und in Band 4 in zwei weiteren Beiträgen aufgegriffen. Auch die Frage der Einordnung Jesu ins Judentum begegnet verschiedentlich wieder. Die Geburt Jesu, der schon in Band 3 ein Beitrag gewidmet war (von Richard T. France), wird ebenfalls noch einmal behandelt (Armand Puig i Tàrrech: »Why was Jesus not born in Na­zareth?«). Beide Beiträge kommen zu dem Ergebnis, dass die Tradition von der Geburt Jesu in Bethlehem als historisch glaubwürdig anzusehen sei. Insgesamt hinterlässt das »Handbook« einen zwiespältigen Eindruck.
Wie bei der Fülle der Artikel nicht anders zu erwarten, differiert deren Qualität erheblich. Gleiches gilt für die Bezugnahme auf den aktuellen Diskussionsstand der Jesusforschung. Fragen stellen sich aber vor allem im Blick auf Aufbau und Kohärenz eines als »Handbook« firmierenden Werkes. Die Einleitung verweist diesbezüglich auf die »multiplicity of voices from a wide range of places and people«. Aber genügt es für die Konzeption eines solchen Projektes, Beiträge unterschiedlichster wissenschaftlicher Provenienz (und Qualität) zu versammeln? Wäre es nicht eher die Aufgabe eines solchen Werkes, zuverlässig und mit einem wohldurchdachten Konzept über die wesentlichen Bereiche und Positionen der Jesusforschung zu informieren? Diesbezüglich sind – bei aller Wertschätzung einzelner überaus lesenswerter Beiträge – Defizite in der Durchführung des Gesamtvorhabens nicht zu verkennen.
Als weiteres Sammelwerk ist die in Anm. 4 genannte Festschrift zum 65. Geburtstag von Rudolf Hoppe zu nennen. Der bereits im Titel begegnende Begriff der »Erinnerung« wird in dem Band in verschiedener Hinsicht entfaltet. Die »Grundlegung« bildet als einziger Beitrag ein Aufsatz von Michael Wolter: »Was macht die historische Frage nach Jesus von Nazaret zu einer theologischen Frage?«21. Wolter unterscheidet die verschiedenen Konstruktionen der Jesusfigur (historischer Jesus, Jesus Christus, irdischer Christus, erinnerter Jesus Christus, Jesus aus Nazaret, Selbstauslegung Jesu) von dem »wirklichen Jesus«. Letzterer habe zwar eine »ontische Realität«, es sei aber nicht möglich, ihn zu erkennen oder Aussagen über ihn zu formulieren, weil jedes Erkennen zugleich mit einer bestimmten Deutung verbunden ist. Der »theologische Historiker« könne jedoch auf der Basis seines Wirklichkeitsverständnisses den »wirklichen Jesus« mit demjenigen Jesus identifizieren, den Gott erkannt hat, der damit zugleich die Selbstauslegung Jesu ins Recht gesetzt hat. Ob die kategoriale Unterscheidung zwischen dem »wirklichen Jesus« einerseits, den Konstruktionen der Person Jesu andererseits, zu überzeugen vermag, sei dahingestellt. Die Unterscheidung zwischen einem »ontische Realität« beanspruchenden Typus und dem »geschichtlichen, biblischen Christus« oder auch dem »irdischen Christus« der Evangelien wird jedenfalls nicht recht deutlich.
In zwei Teilen werden sodann die Worte (»Erinnerung an Jesu Worte im Umfeld der Logienquelle«) und Gleichnisse Jesu (»Erinnerung an den Gleichnis-Erzähler Jesus«) behandelt. Weitere Teile des Bandes (»Zum Prozess Jesu«; »Lukanische Adaption«; »Christologische Schlaglichter«; »Gemeinde im Namen Jesu«; »Zum Schluss: Ernüchterung oder Erlösung?«), zumeist von katholischen Autorinnen und Autoren verfasst, widmen sich verschiedenen Aspekten der Jesusfigur und ihrer Rezeption. Besonders hingewiesen sei auf den Beitrag von Norbert Lüdecke (»Vom Lehramt zur Heiligen Schrift. Kanonistische Fallskizze zur Exegetenkontrolle«). Der Verfasser schildert darin das Vorgehen der römischen Glaubenskon­gregation gegen einen Leserbrief, in dem Rudolf Hoppe die Berufung auf das Neue Testament zur Begründung der Verweigerung der Priesterweihe für Frauen in Frage gestellt hatte. »Die Lektion« lautet, wie Lüdecke konsterniert feststellt, dass ein katholischer Exeget die Heilige Schrift so zu interpretieren habe, dass sich das Lehramt darin wiedererkennen kann.
Der Erinnerungsbegriff fungiert in dem Band (trotz des Titels) nicht als hermeneutische Leitkategorie, sondern wird nur in dem oben bereits genannten Beitrag Häfners in Auseinandersetzung mit Ruben Zimmermanns Ansatz der Gleichnisinterpretation als wenig hilfreich kritisiert. Ansonsten ist der Titel, wie die Herausgeber im Geleitwort deutlich machen, eher unspezifisch als Be­zeichnung »der Vielfalt der neutestamentlichen Überlieferungen« gebraucht, hinter der hier nicht der historische Jesus ausfindig gemacht werden solle.
Der von Tom Holmén herausgegebene Band22 führt den »continuum approach« weiter, den der Herausgeber bereits in dem 2007 erschienenen Band »Jesus from Judaism to Christianity: Continuum Approaches to the Historical Jesus« vorgestellt hatte. In der Einleitung sowie in seinem einführenden Beitrag – in letzterem in Auseinandersetzung mit der »Hermeneutics of Dissimilarity« – legt Holmén dar, dass Jesus kein »different Jew« gewesen sei. Vielmehr sei möglichst präzise historisch zu beschreiben, wie sein Wirken innerhalb des frühen Judentums verstanden und zugleich als Auslöser für das frühe Christentum erfasst werden könne. Ebendies sei das Anliegen des »continuum approach«. Die Beiträge des Bandes bewegen sich größtenteils innerhalb dieses hermeneu­tischen Paradigmas. Gerd Theißen bezeichnet Jesus als »liberal Jew« und »radical Jew«, der an Universalisierungs- und Radikalisierungstendenzen im Judentum angeknüpft und diese an das frühe Christentum vermittelt habe. In der Verknüpfung dieser beiden Tendenzen, die normalerweise von unterschiedlichen jüdischen Gruppierungen vertreten worden seien, lägen das individuelle Profil Jesu sowie sein Platz im historischen Kontinuum zwischen jüdischer und christlicher Geschichte begründet. James G. Crossley thematisiert den Übergang von Jesus, der sich an die jüdischen Speise- und Reinheitsgebote gehalten habe, zum frühen Christentum, in dem sich eine andere Lösung der Gesetzesfrage für die Gemeinschaften von Juden und Heiden durchgesetzt habe. Thematisch verwandt sind die Beiträge von Markus Tiwald zu Tora und Tempel im frühen Judentum sowie von Christopher Tuckett zu »Jesus and the Sabbath«. Die drei Beiträge stimmen, bei unterschiedlichen Akzenten, darin überein, dass Jesus das jüdische Gesetz nicht missachtet habe (schon gar nicht »abschaffen« wollte), sondern es im Licht seines Selbstverständnisses als Repräsentant der Gottesherrschaft ausgelegt habe. John S. Kloppenborg untersucht in einem instruktiven Beitrag das Wort vom Maß (Q 6,38c/ Mk 4,24b) und seine Rezeption im frühen Christentum. Obwohl der (griechische) Wortlaut des Logions sehr genau erhalten geblieben ist, war die Kontextualisierung flexibel und offen für Deutungen, die für das agrarische Milieu des Wirkens Jesu noch nicht vorauszusetzen seien. Mary Ann Beavis (»Jesus in Utopian Context«) versucht, die Jesusbewegung und die von Paulus gegründeten Gemeinden im Horizont von »Jewish utopian communities«, wie etwa der Essener und der Therapeuten, zu deuten, die zugleich Merkmale hellenistischer Utopien aufwiesen. Dass sich dieses Modell als tragfähig für die historische Interpretation der Jesusüberlieferung erweisen wird, steht kaum zu erwarten. Andere Beiträge (etwa zum historischen Judas und dem Judasevangelium von Marvin Meyer oder zu »Jesus, Gnosis and Church« von Riemer Roukema) tragen zum »continuum approach« weniger bei.
Etliche Beiträge des Bandes nehmen die Stellung Jesu zwischen Judentum und Christentum auf produktive Weise auf und stellen die »Kriterien« der Rückfrage nach dem historischen Jesus auf diese Weise in einen geschichtshermeneutischen Rahmen, der der Kontextualisierung Jesu im Judentum ebenso Rechnung trägt wie der Tatsache, dass aus seinem Wirken eine Gemeinschaft hervorgegangen ist, die sich schließlich vom Judentum getrennt hat. Insofern lässt sich dieser Zugang mit dem eingangs skizzierten Erinnerungsmodell verbinden.
Der von Jan van der Watt herausgegebene Band »The Quest for the Real Jesus«23 ist der Auseinandersetzung mit dem Beitrag »Which is the Real Jesus« von Michael Wolter gewidmet. Dieser Aufsatz, die englische Fassung seines in der Festschrift für Rudolf Hoppe publizierten Beitrags (s. o.), steht voran. Es folgen verschiedene Artikel, die sich zum Teil direkt mit Wolter auseinandersetzen, zum Teil aktuellen Fragen der Jesusforschung gewidmet sind und diese im Gespräch mit Wolter erörtern. Cilliers Breytenbach kritisiert das Konzept des »erinnerten Jesus« als im Blick auf die Repräsentation von Vergangenheit in den Erzählungen der Evangelien zu unpräzise. Die Evangelien (im Blick ist insbesondere das MkEv) ließen sich mit Wrede und Perrin nicht als historische Erzählungen auffassen, sondern seien als theologische, episodische Erzählungen zu charakterisieren. Auch ein (vermutetes) Selbstverständnis Jesu würde nicht zu einem »real Jesus« führen. Was Wolter mit einem solchen »real Jesus« meine, dem jenseits der verschiedenen Jesusbilder »ontische Realität« zukomme, bleibe deshalb undeutlich. Auch James Dunn (»The Remembered Jesus«) bleibt gegenüber einem Jesus per se skeptisch. Erreicht werden könne nur der »re­-membered Jesus« seiner ersten Nachfolger. Da diese etliche vorösterliche Erinnerungen überliefert hätten, führe die Jesuserinnerung jedoch durchaus in eine sehr frühe Zeit zurück. R. Alan Culpepper stellt die historischen Kontexte Jesu (römische Autoritäten, jüdische Traditionen, Apokalyptik) als denjenigen Rahmen heraus, in dem sich jedes Jesusbild mit Anspruch auf historische Plausibilität bewegen müsse. In diese zeichnet er deshalb Lehre, Wirken und Selbstverständnis Jesu ein. Die Beschäftigung mit dem historischen Jesus sei aus historischen und theologischen Gründen von Bedeutung, sie sei der theologischen Forschung deshalb, trotz der Relativität ihrer Ergebnisse, bleibend aufgegeben. Craig A. Evans fragt nach den Verbindungen zwischen dem Wirken Jesu und der Entstehung der Christologie. Ausgehend von den als außergewöhnlich wahrgenommenen Exorzismen und Heilungen Jesu und seinem Selbstverständnis als demjenigen, der die Dämonen be­zwingt, zeigt er eine Linie auf, die zum Glauben an ihn als denjenigen führte, in dessen Wirken Gott selbst wahrnehmbar sei. Dabei seien jüdische Erwartungen an eine zukünftige Figur, die im Auftrag Gottes wirken werde, auf ihn übertragen worden. Der von Mi­chael Wolter als »the earthly Christ« bezeichnete Typus von Je­susdeutungen sei deshalb ein vielversprechender Weg für die künf­tige Forschung. Weitere Beiträge sind dem Osterereignis als Ausgangspunkt für die Jesusforschung (Michael R. Licona), der theologischen Hermeneutik und dem historischen Jesus (Chris­topher M. Hays), historischer Jesusforschung als neutestamentlicher Theologie (Ro­bert Morgan) sowie der Auferstehung Jesu als einem »sicheren Faktum« (Notger Slenczka) gewidmet. Im ab­schließenden Beitrag »Im Glauben zum ›wirklichen‹ Jesus?« ordnet Martin Laube die Frage nach dem historischen Jesus theologiegeschichtlich ein. Ihre theologische Funktion bestehe weniger in der Suche nach dem einen Jesus hinter den vielen Jesusbildern als vielmehr darin, das Be­wusstsein für die Geschichtlichkeit und Pluralität der Gehalte der Theologie wachzuhalten. Der Band zeigt in eindrücklicher Weise die Fruchtbarkeit eines historisch wie hermeneutisch reflektierten Diskurses über Person und Wirkung Jesu auf. Der Dialog zwischen den theologischen Disziplinen – hier insbesondere zwischen der Neutestamentlichen Wissenschaft und der Systematischen Theologie – erweist sich dabei als außerordentlich lohnend.
Nach dem »Kompendium der Gleichnisse Jesu«24 ist kürzlich das voluminöse Kompendium der Wunder Jesu erschienen25 (Band 2 soll die »Wunder der Apostel« behandeln). Das Konzept folgt demselben Prinzip wie das erste Kompendium. Der einleitende Teil besteht dieses Mal allerdings aus mehreren Beiträgen verschiedener Autoren. Ruben Zimmermann führt in die Forschungsdiskussion ein und stellt auch eine Definition der Gattung »Wundererzählung« vor, die für den im Kompendium verfolgten Zugang maßgeblich sein soll. Weitere Beiträge gehen auf antikes Medizinwesen, Krankheitsbilder in der Antike, Jesus im Spektrum antiker Wundertäter sowie das Verhältnis der Wunder Jesu zu Magie und Schamanismus ein. Anschließend werden die Wundererzählungen der kanonischen Evangelien (einschließlich der Logienquelle) so­wie solche aus apokryphen Evangelien behandelt. Die Menge der Texte und die große Zahl der Autoren führt erwartungsgemäß zu einer breiten Palette von Textinterpretationen, die jedoch, wie auch schon im ersten Kompendium, einem einheitlichen Schema folgen: Sprachlich-narratologische Analyse; Sozial- und realgeschichtlicher Kontext; Traditions- und religionsgeschichtlicher Hintergrund; Verstehensangebote und Deutungshorizonte. In manchen Auslegungen (etwa zu Mk 1,40–45; 6,45–53; 7,31–37; Joh 5,1–18; arabisches Kindheitsevangelium 11 f.) finden sich hilfreiche Informationen zum religionsgeschichtlichen bzw. antiken medizinischen Hintergrund und/oder zur narrativen Einbindung der jeweiligen Erzählung in ihren Kontext. Diese Textanalysen sind deshalb sehr hilfreich im Blick auf die Einordnung der Jesusüberlieferung in ihren antiken Kontext, hier speziell auf das Verhältnis zu antiken medizinischen Kenntnissen und Heilungsmethoden.
Das Problem des dem Sammelwerk zugrundeliegenden Ansatzes ist indes das gleiche wie bei dem Gleichniskompendium: Die Zusammenstellung der Texte unter einem Gattungsbegriff – der bei den »Wundern« noch schwieriger zu fassen ist als bei den Gleich­nissen – nötigt dazu, die literarische Kontextualisierung und sprachliche Realisierung bei der Besprechung der Einzeltexte je­weils neu einzuholen – was mehr oder weniger gut gelingt. Unter dem Begriff »Wunder« werden zudem – was nicht wundert – Texte ganz unterschiedlichen Charakters zusammengestellt: Heilungserzählungen, Jüngerberufungen, Konfliktszenarien, Machtdemon­strationen an Naturgewalten, Strafaktionen Jesu u. a. m.
Diese Texte sind nicht nur im Blick auf ihre Aussageintentionen äußerst divergent, sondern bewegen sich auch in gänzlich verschiedenen antiken wissenschaftlichen bzw. religions- und traditionsgeschicht­lichen Bezugsrahmen. Sie folgen keiner spezifischen sprachlichen Realisierung und werden im Neuen Testament auch keineswegs durchgängig als erstaunliche Taten Jesu angesehen. Was als »Wunder« bezeichnet wird (der antike Terminus wäre θαῦμα, der allerdings in der neutestamentlichen Jesusüberlieferung gerade nicht begegnet26), scheint sich demnach eher moderner Wirklichkeitswahrnehmung als Beobachtungen an antiken Texten zu verdanken. Es fehlen darum nicht zufällig Kriterien, die es erlauben würden, die hier zusammengestellten Texte einer ge­meinsamen Perspektive zuzuordnen, von einer »Gattung« ganz zu schweigen.
Eine weitere Schwierigkeit stellt der Umgang mit synoptischen Parallelüberlieferungen dar, die mitunter gemeinsam, manchmal aber auch separat und von unterschiedlichen Autoren behandelt werden. Das Verhältnis der Heilungen Jesu zur antiken Medizin wird zwar in einigen Textanalysen thematisiert, jedoch nirgendwo zusammenhängend dargestellt. Auch die Verhältnisbestimmung von Religion und Medizin in antiken Heilkulten (Asklepios) und frühchristlichen Heilungserzählungen kommt deutlich zu kurz (im entsprechenden Abschnitt fehlen zudem Hinweise auf die ein schlägige Quellensammlung von Edelstein/Edelstein sowie auf weitere grundlegende Literatur). Hilfreich sind die Informationen zur »Basisliteratur«, die tabellarische »Vollständige Liste der Wundererzählungen nach Quellenbereichen« (905–915) sowie die didaktischen und homiletischen Anregungen. Das Kompendium ist da­mit vor allem für Leser geeignet, die sich über die behandelten Einzeltexte, etwa im Rahmen der Vorbereitung auf Predigt und Un­terricht, in­formieren wollen. Ob der gewählte Ansatz bei einer (vermeintlichen) Gattung einen sinnvollen Zugang zur Jesusüberlieferung darstellt, erscheint da­gegen fraglich.

4. Einzeldarstellungen

Eine gewisse Sonderstellung unter den neueren Entwürfen nimmt das Jesusbuch von Armand Puig i Tàrrech ein.27 Die Darstellung des an der Facultat de Teologia de Catalunya in Barcelona lehrenden katholischen Exegeten und Priesters versucht, einen Weg zwischen historisch-kritischer Jesusdarstellung und römisch-katholischem Glaubensbekenntnis zu gehen. Das zeigt sich bereits darin, dass Puig i Tàrrech den historischen Quellenwert der Evangelien sehr hoch einschätzt. Das Buch – 2004 auf Katalanisch, 2011 in (aktualisierter) englischer und deutscher Übersetzung erschienen, letztere mit einem Geleitwort von Kurt Kardinal Koch, der die Nähe zu Ratzingers Jesustrilogie (s. oben) hervorhebt – geht dem Weg Jesu in fünf Schritten nach. Im vorangestellten Vorwort skizziert Puig i Tàrrech den Ort seiner Darstellung innerhalb der historisch-kri­tischen Jesusforschung. Er versteht seinen Entwurf als Beitrag zur Diskussion innerhalb der Third Quest (etwa in Bezug auf die Einbindung Jesu in das palästinische Judentum) und be­trachtet die verbreiterte Quellenbasis sowie die bessere Kenntnis der jüdischen Geschichte im 1. Jh. als Voraussetzungen dafür, »ein begründetes biografisches Bild Jesu zu zeichnen« (31). In Anknüpfung an Joachim Jeremias und Martin Hengel betont er zudem die Kontinuität zwischen der Verkündigung Jesu und dem nachösterlichen Kerygma.
Unter den Quellen werden die kanonischen (einschließlich Q) sowie apokryphe Evangelien und weitere frühe Zeugnisse besprochen. Das Kapitel zur Umwelt Jesu gibt einen Überblick über das Judentum im Allgemeinen sowie zu Galiläa und Jerusalem im Be­sonderen. Der Weg Jesu wird sodann in den Teilen »Die Person«, »Die Botschaft« sowie »Vom Tod zum Leben« nachgezeichnet. Dabei zeigt sich Puig i Tàrrech über die Diskussion zumeist gut orientiert und formuliert seine eigene Sichtweise im Wissen um gegenteilige Auffassungen. Das geschieht allerdings nur implizit, da das Buch ohne Anmerkungen auskommt und keine detaillierten Diskussionen mit anderen Positionen führt. Die Berichte über die Geburt Jesu in Bethlehem seien historisch glaubwürdig, da sich die Argumente gegen das übereinstimmende Zeugnis von Matthäus und Lukas entkräften ließen. Auch der in Lk 2,1 f. erwähnte, auf eine An­ordnung von Augustus zurückgehende Zensus des Quirinius lasse sich mit den Angaben bei Josephus in Übereinstimmung bringen. In Lk 2,2 sei nämlich auf eine frühere Volkszählung Bezug genom men. Puig i Tàrrech (bzw. der deutsche Übersetzer) übersetzt durchaus waghalsig: »Diese Volkszählung […] fand früher statt als die, die zur Zeit des syrischen Statthalters Quirinius […] gemacht worden war« (169). Bezüglich der Geburt Jesu heißt es, »dass der Ursprung Jesu in einer mächtigen, entschiedenen und einmaligen Tat des Gottesgeistes zu finden ist, der Leben erschafft, wo kein Leben war« (178). Die »Empfängnis Marias ohne menschliches Zu­tun« (ebd.) wird also, ähnlich wie bei Ratzinger, als historisches Geschehen beurteilt. Ausführlich diskutiert wird sodann die Frage der Geschwister Jesu, die Puig i Tàrrech mit dem Protevangelium Jacobi so beantwortet, dass es sich um Kinder Josefs aus einer früheren Ehe handle. Zur biographischen Rekonstruktion der Jahre in Nazareth stützt sich Puig i Tàrrech sowohl auf allgemeine Kenntnisse über das Frühjudentum und Galiläa als auch auf die Evangelien. Für diese Zeit gebe es allerdings nichts Außergewöhnliches über Jesus zu berichten, denn er unterscheide sich (abgesehen von der Geburt) vor seinem öffentlichen Wirken nicht von anderen Juden seiner Zeit (308 f.). Puig i Tàrrech zeichnet sodann die Stationen des Weges Jesu nach, wobei er sich eng an den Berichten der Evangelien orientiert, gelegentlich aber auch andere antike Autoren (Josephus, Tacitus, Plinius, rabbinische Texte) heranzieht, um seiner Darstellung historische Tiefenschärfe zu verleihen. Dabei lässt sich durchgehend das Bemühen erkennen, die Evangelien als historisch glaubwürdige Zeugnisse zu werten und auch ihre theologischen Deutungen als historische Aussagen aufzufassen. So habe Jesus bereits von einem frühen Zeitpunkt an gewusst, dass er in Jerusalem einen gewaltsamen Tod erleiden wird. Für diesen seien im Wesentlichen die jüdischen Autoritäten verantwortlich, die Römer hätten sich dagegen zur Hinrichtung Jesu drängen lassen. Die Erscheinungen des Auferstandenen seien als wirkliches »Sehen«, nicht als »Vision« aufzufassen (628). An dieser Stelle sei allerdings die »Grenze zwischen der historischen, empirisch feststellbaren und der metahistorischen Realität, die als glaubhaft erfasst und von den Glaubenden als notwendig bekräftigt wird« erreicht (634).
Das Jesusbuch Puig i Tàrrechs ist eine gut lesbare Darstellung, die auf einer gründlichen Kenntnis des Forschungsstandes und der einschlägigen Quellen geschrieben wurde. Ihre Stärke liegt im Insistieren auf einer an den neutestamentlichen Texten orientierten historisch-biographischen Beschreibung des Lebens Jesu. Das lange Zeit unhinterfragt in Geltung stehende Diktum, eine derartige biographische Darstellung sei aufgrund des Charakters der zur Verfügung stehenden Quellen nicht möglich, wird damit infrage gestellt. Beeindruckend ist auch, dass Puig i Tàrrech die Geschichte Jesu im Horizont ihrer theologischen Deutungen zu erfassen sucht und damit der hermeneutischen Einsicht Rechnung trägt, dass historische Ereignisse niemals ohne Deutungen zugänglich sind. Problematisch bleibt allerdings, dass er dabei zwischen verschiedenen Ebenen, die sich bereits in den ältesten Quellen finden – solchen, die stärker an der Darstellung von Ereignissen, und solchen, die stärker an deren übergeschichtlicher Bedeutung interessiert sind –, nicht differenziert. Darin zeigt sich nicht zuletzt, dass eine Jesusdarstellung stets auch vom theologischen Standort bzw. der konfessionellen Prägung ihres Autors oder ihrer Autorin beeinflusst ist.
Ebenfalls von einem katholischen Autor verfasst, aber von ganz anderem Charakter, ist die monumentale Jesusdarstellung von John P. Meier, deren vierter, wiederum sehr umfangreicher Band im Jahr 2009 erschienen ist.28 Sein Thema ist Jesu Stellung zur jüdischen Tora. Meier geht davon aus, dass sich kein einheitliches Prinzip ausfindig machen lasse, auf dessen Grundlage die Haltung Jesu zur Tora beschrieben werden könne. Im Einzelnen behandelt werden Jesu Stellung zur Ehescheidung, das Schwurverbot, Jesus und der Sabbat, Jesus und die Reinheitsgebote sowie schließlich das doppelte Liebesgebot. Grundlage für Meiers historische Urteile sind dabei die in Band 1 dargelegten Kriterien. Das Ehescheidungsverbot sei derart außergewöhnlich, dass eine Herkunft von Jesus anzunehmen sei. Auch das Schwurverbot sei auf Jesus zurückzuführen. Die Haltung zum Sabbat bewege sich innerhalb der frühjüdischen Diskussionen, sei jedoch durch eine humane, moderate Haltung gekennzeichnet. Hinsichtlich der Reinheitsgebote hält Meier die indifferente Haltung, die Jesus etwa in Mk 7,15 zugeschrieben wird, für eine frühchristliche Position, die nachträglich auf Jesus übertragen wurde. Die Haltung zur Korban-Regelung aus Mk 7,10–12 sei dagegen durchaus für Jesus selbst vorauszusetzen. Auch das Doppelgebot der Liebe gehe auf den historischen Jesus zurück, der sich dazu auf Dtn 6,4 f. und Lev 19,18 berufen habe. Ebenso sei das Feindesliebegebot auf Jesus zurückzuführen.
Der Ertrag des Bandes steht in einer gewissen Spannung zu seinem Umfang und argumentativen Aufwand. Die Einzelurteile bleiben aufgrund der schematischen Orientierung an den »Kriterien« unverbunden nebeneinander stehen und fügen sich nur schwer zu einem Gesamtbild der Haltung Jesu zum Gesetz. Schließlich bleibt die Frage, wie sich die von Meier mehrfach betonte Einordnung Jesu in einen »mainstream Judaism« und die Charakterisierung als »marginal Jew« zueinander verhalten. Jesus erscheint, wie Meier anhand des Doppelgebotes der Liebe darlegt, als Jude, der tief in den Schriften Israels verwurzelt und zugleich Einflüssen aus der griechisch-römischen Welt gegenüber aufgeschlossen war. Dieses Er­gebnis ist weniger überraschend, als es die einleitende Bemerkung, »every other book or article on the historical Jesus and the Law has been to a great degree wrong« (2), vermuten lässt.
Weitere Jesusdarstellungen sind in den letzten Jahren von Takashi Onuki, Per Bilde, Wolfgang Reinbold (zum Prozess Jesu) und Helen Bond vorgelegt worden. Onukis Skizze29 ist die deutsche Übersetzung eines ursprünglich für einen weiteren japanischen Leserkreis verfassten Jesusbuches. Der Autor gibt zunächst einen (sehr knappen und kaum repräsentativen) Überblick über die Forschungen von der »ersten« bis zur »dritten« Frage (mit einem eigenen Abschnitt zu Forschungen in Japan) und zeichnet vor diesem Hintergrund Konturen seines eigenen Jesusbildes. Jesus erscheint als »Wanderradikaler«, der mit seinen Worten und Gleichnissen ein »Bildernetzwerk« geknüpft habe, in dessen Zentrum die Einladung ins Reich Gottes steht. Mit seinem symbolbehafteten, provokativen Auftreten in Jerusalem habe er sodann eine möglichst große Öf­fentlichkeit mit seiner Botschaft bekannt machen wollen. Jesus habe den »Mythos« von der Gegenwart des Reiches Gottes gelebt und sich damit von den üblichen Zeit- und Geschichtsvorstellungen – etwa von einer philosophisch oder theologisch begründeten Sicht auf die Geschichte als gelenktem Ereigniszusammenhang oder der apokalyptischen Geschichtsauffassung – gelöst. Um seine Botschaft leben zu können, habe sie nach seinem Wirken entmythologisiert werden müssen. Onuki bezieht sich für diese Sicht auf das Johannesevangelium, den Hebräerbrief und Augustin, die das »omnitemporale Jetzt« Jesu in eine grundlegende Neubestimmung der Zeit überführt hätten, die auch Vergangenheit und Zukunft umschließe. Eine analoge Vorstellung findet er in Walter Benjamins Begriff der »messianischen Zeit«. Die Haltung Jesu wird ab­schließend mit Max Webers Begriff der »Verantwortungsethik« charakterisiert. Diese stellt Onuki einer »Gesinnungsethik« gegenüber, die er etwa im »Kreuzzug zur Vernichtung des Bösen« am Werk sieht, den George W. Bush 2001 ausgerufen hatte. Das Buch ist engagiert geschrieben, gut lesbar und ordnet die Jesusüberlieferung auf die These des Buches hin. Der Beitrag zur aktuellen Dis­kussion wird allerdings dadurch eingeschränkt, dass sich der Autor kaum im Gespräch mit der gegenwärtigen Forschung befindet.
Wolfgang Reinbold30 bespricht zunächst die kanonischen und außerkanonischen Quellen für den Prozess Jesu, unterzieht die Passionsberichte der Evangelien sodann einer historisch-rekonstruierenden (literarkritischen) Analyse (zwei verwandte Passionsberichte hinter Markus und Johannes, die Übereinstimmungen sind im Anhang dargeboten) und rekonstruiert daraus die »historischen Fakten«. Diese – nämlich die Kreuzigung Jesu durch Pilatus in der Nähe Jerusalems an einem Freitag – werden sodann einer historischen Beurteilung unterzogen: »Der Grund des Todes Jesu« (Verurteilung durch Pilatus aufgrund einer politischen Anklage – Joh 11,49 f. wird dabei aufgrund der Konzentration auf den vermuteten ältesten Passionsbericht nicht berücksichtigt) und auf die »Schuld am Tod Jesu« hin befragt: Verhaftung aufgrund der Zeichenaktion auf dem Tempelplatz, Befragung durch den Hohenpriester und Anzeige durch Pilatus, Verurteilung wegen politischen Aufruhrs und Hinrichtung. Aufgrund dieser Rekonstruktion urteilt Reinbold, dass von einer »Schuld« der Juden am Tod Jesu nicht die Rede sein könne und Pilatus das getan habe, wozu er seiner Auffassung nach verpflichtet war, nämlich politische Aufrührer zu beseitigen. Das Ergebnis ist also geradezu entgegengesetzt zu dem, was Puig i Tàrrech mit der Orientierung an den Evangeliendarstellungen herausgearbeitet hatte. Reinbolds Band hat seine Stärke in der knappen und präzisen Darstellung der (auch außerneutestamentlichen) Quellen (etwa zu Schuldtafeln und zu Kreuzigungen) als Basis der von ihm entwickelten Sicht. Die vorgetragenen Analysen wirken freilich etwas reduktionistisch. Sie sind mit dem Selbstverständnis Jesu und den Aspekten, die sich aus den Evangelien im Blick auf die Ursachen und Umstände seiner Verurteilung herausarbeiten lassen, nur wenig vermittelt. Insofern eignet dem Band eine gewisse Einseitigkeit. Zur Beschäftigung mit den historischen Hintergründen der Passionsüberlieferung ist er aber – gerade in der Lehre – durchaus geeignet.
Im Jahr 2008 ist die dänische Darstellung zum historischen Jesus von Per Bilde erschienen.31 Sie beginnt bei den Schilderungen des Prozesses gegen Jesus und erschließt auf dieser Grundlage sein Wirken. Dabei wird der historische Kontext Jerusalems und Galiläas behandelt, des Weiteren wird das Spektrum eschatologischer Propheten und Messiasprätendenten vorgestellt, die auf der Basis jü­discher Schriften ein unmittelbar bevorstehendes Gericht Gottes ankündigten, das sie durch die Errichtung eines Königtums herbeiführen wollten. Jesu Wirken wird auf dieser Grundlage als An­knüpfung an das Auftreten des Täufers präsentiert. Jesus habe sich primär auf den galiläischen Raum bezogen und dort eine Nachfolgegemeinschaft begründet. Behandelt werden sodann die Worte und Taten Jesu sowie sein Auftreten in Jerusalem. Das Buch bietet einen soliden Überblick über das Wirken Jesu auf dem gegenwärtigen Stand der Forschung. Jesus wird im Kontext eschatologischer Überzeugungen des Judentums seiner Zeit interpretiert, die er mit seiner Botschaft von der jetzt anbrechenden Gottesherrschaft ak­zentuiert habe. Er wandte sich mit seinem Wirken an das jüdische Volk, das er zur Umkehr rufen wollte. Die Ausweitung seiner Botschaft auf alle Menschen sei dagegen erst in der nachösterlichen Christologie erfolgt. Die (freilich auf Dänisch verfasste) Darstellung eignet sich, auch in der ansprechenden Präsentation des Buches, das einige Abbildungen enthält, gut als Einführung in die Beschäftigung mit den historischen Grundlagen des Wirkens und Geschicks Jesu.
Eine weitere Studie von Per Bilde, nun in englischer Sprache, ist im Jahr 2013 erschienen.32 Sie eröffnet die Reihe »Studia Aarhuisana Neotestamentica«, die es sich zum Ziel setzt, die kontinentaleuropäische und die angelsächsische Forschung stärker miteinander in Verbindung zu bringen. Wie bereits der Titel anzeigt, geht es Bilde um die »Originalität Jesu«. Damit möchte er dem in der neueren Forschung eingeschlagenen Weg folgen, das Profil Jesu nicht am Begriff der »Differenz« zu entwickeln, sondern nach dem für sein Wirken Charakteristischen zu fragen. Bilde unterscheidet dazu zu­nächst methodisch zwischen den stets hypothetischen Jesusbildern der historisch-kritischen Forschung und dem »real Jesus«, auf den sie sich beziehen, mit dem sie aber nie identisch sein können. Er bietet sodann einen gerafften Überblick über die Jesusforschung von Reimarus bis zur Gegenwart, der in die Abschnitte von Reimarus bis 1970 und von 1970 bis 2012 unterteilt ist, gefolgt von Teilen über »unhistorische« und »populäre« Beiträge aus Literatur und Film sowie über die dänische Jesusforschung von 1925 bis 2008. Bilde ist vor allem im Blick auf die gegenwärtige Forschung darum bemüht, auf knappem Raum ein differenziertes Bild zu zeichnen.
Aufgrund der gedrängten Darstellung ist das allerdings nur in Grenzen möglich. Völlig fehlt ein Eingehen auf die neuere Diskussion über die geschichtshermeneutischen Prämissen der Je­susforschung. In den weiteren Kapiteln zeichnet Bilde das Wirken Jesu in den Kontext eschatologischer und apokalyptischer Vorstellungen des Judentums ein. Hier – und nicht in Abgrenzung zum Judentum oder in dem radikalen Nachfolgeruf – sei die Originalität Jesu zu suchen. Jesus habe nicht mit dem Judentum gebrochen, sondern sei mit dem »eschatological restoration project« der Erneuerung Israels angetreten. Dabei habe er die jüdischen Erwartungen an eine messianische Gestalt in spezifischer Weise mit seinem eige nen Wirken verbunden.
Das anschließende, längste Kapitel des Buches (»The Comparative Jesus«, 174–260) vergleicht Jesus mit jü­dischen und hellenistisch-römischen Figuren. Die nächsten Analogien bestünden – was nicht verwundert – zu jüdischen Figu­ren, die Jesus auch zeitlich und geographisch nahegestanden haben. Der ausführlichste Teil behandelt deshalb Johannes den Täufer und dessen Verhältnis zu Jesus. Das Spezifische an Jesus bestehe darin, dass er sein Wirken als Herrschaft über Dämonen und unreine Geister sowie als Vollmacht zum Heilen und zu Totenauferweckungen aufgefasst habe. Auch seine Haltung zum mosaischen Gesetz, das er nicht abgelehnt, aber in spezieller Weise ausgelegt habe, unterscheide ihn von anderen messianischen Figuren. Schließlich sei auch die Sendung zu Israel als Cha­rakteris­tikum des Wirkens Jesu anzusehen. Es muss allerdings beachtet werden, dass die Informationen über die Figuren, mit denen Bilde Jesus vergleicht, ungleich spärlicher sind als die Be­richte der Evangelien, was vor zu weitreichenden Schlüssen warnen sollte. Gleichwohl kann dieser Teil als das Herzstück der Untersuchung angesehen werden. Jesus wird als »eschatological prophet« charakterisiert, dessen Wirken im Spektrum von Figuren wie Johannes, dem Lehrer der Gerechtigkeit oder Theudas zu interpretieren sei. Bildes Untersuchung ist somit eine gut begründete Präsentation der These, Jesus sei als eschatologischer Prophet anzusehen, der mit einer spezifischen Sicht auf die jüdischen Überlieferungen und sein eigenes Wirken als »restoration project« in Israel aufgetreten sei.
Eine knappe Skizze zum historischen Jesus hat Helen K. Bond in der Reihe »Guides for the Perplexed« vorgelegt.33 Der Band führt verlässlich in die Forschungsgeschichte sowie die Quellen für den historischen Jesus ein und zeichnet auf dieser Grundlage in einigen »snapshots« ein Bild des historischen Jesus. Dabei werden Themen wie Geburt (nicht in Bethlehem), galiläischer Kontext (wirtschaftlich und politisch stabile Situation unter Antipas), Botschaft Jesu (Erneuerung Israels mit politischen Konnotationen) und Auftreten in Jerusalem (programmatische Inszenierung der Botschaft Jesu durch Einzug, Tempelreinigung und letztes Mahl) behandelt. Das letzte Kapitel ist den urchristlichen Auferstehungszeugnissen im Horizont jüdischer Auferstehungshoffnungen gewidmet. Die Perspektive auf die neuere Forschung ist von englischsprachigen Publikationen geprägt, andere Stimmen kommen praktisch nicht vor. Das Buch ist für das Studium im undergraduate program si­cher gut geeignet. Für den deutschen Kontext wäre die Darstellung aktueller Forschungsbeiträge aus dem nicht-englischsprachigen Raum zu ergänzen. Der knappe Umfang sowie die gut informierte und ansprechend zu lesende Darstellung lassen das Buch unter dieser Voraussetzung auch für das Grundstudium im deutschsprachigen Raum als geeignet erscheinen.
Das postum herausgegebene Fragment der Jesusdarstellung von Eckhard Rau34 geht dem Zusammenhang zwischen dem Wirken Jesu in Galiläa und seinem Geschick in Jerusalem nach. Silke Petersen, die bei Eckhard Rau wissenschaftlich gearbeitet hat und ihm viele Jahre freundschaftlich verbunden war, hat es unternommen, das vorliegende Manuskript für die Publikation zu bearbeiten, durch einige ergänzende Bemerkungen zu erweitern und ein Kapitel mit eigenen Überlegungen anzuschließen. Der erste Teil von Raus Darstellung ist der gegenwärtigen Jesusforschung gewid met. Diese stehe, wie Rau zu Recht konstatiert, unter dem von Günther Bornkamm formulierten, maßgeblich durch die Form­geschichte entstandenen Eindruck, es sei nicht mehr möglich, ein Leben Jesu zu schreiben. Rau will das so nicht hinnehmen. In seinem Durchgang durch neuere Entwürfe der Q- und Jesusforschung konstatiert er vielmehr eine empfindliche Lücke in der Herstellung eines inneren Zusammenhangs zwischen der galiläischen Wirksamkeit Jesu und den Jerusalemer Ereignissen. Der »weisheitliche Jesus«, der besonders in bestimmten Kreisen der Q-Forschung eine Zeitlang propagiert wurde, ist für Rau ein einseitiges Konstrukt, das auf einer wenig plausiblen Trennung weisheitlicher von apokalyptischen Überlieferungen basiert und Jesus zu Unrecht eine Gerichtsverkündigung abspricht. Dagegen sei an diejenigen Forscher anzuknüpfen, die – wie etwa Marius Reiser und Christian Riniker – einen Zusammenhang von Heils- und Gerichtsverkündigung Jesu betont hatten. Vor diesem Hintergrund wendet sich Rau im zweiten Teil »Ein Blick zurück« der Jesusforschung des 19. Jh.s, namentlich dem Entwurf des weitgehend vergessenen Theodor Keim (1825–1878), zu. Neben Keim kommen aber auch Heinrich Julius Holtzmann und Albert Schweitzer in den Blick.
Aus dieser Forschungsphase sei zu lernen, dass es im Wirken Jesu eine Entwicklung von einer eher ruhigen galiläischen Phase hin zu dem provokativen Verhalten in Jerusalem gegeben haben müsse. Rau bewegt die Frage, wie dieser Umschwung zu erklären sei, auch wenn es darauf, wie er freimütig einräumt, in den Evangelien keine direkte Antwort gibt. Gleichwohl hält er eine biographische Darstellung des öffentlichen Wirkens und Geschicks Jesu für möglich. Im dritten Teil »Von Galiläa nach Jerusalem: Jesu Weg in den Tod« wendet er sich deshalb der Frage nach dem Ort der Gerichtsthematik im Kontext des Wirkens Jesu zu. Die Ablehnung in Galiläa sei auf der Grundlage der Worte »gegen dieses Ge­schlecht« als historisch zutreffend zu betrachten. Daraus habe sich eine Nähe zu Johannes dem Täufer und dessen Gerichtsbotschaft ergeben. Die Ausführungen brechen an dieser Stelle mitten im Satz ab und werden von Silke Petersen durch einige Beobachtungen zu den Gerichtsworten Jesu ergänzt. In ihrem Schlusskapitel behandelt Petersen sodann – bewusst aus eigener Perspektive, aber in Bezug auf Raus Fragestellung – Tempelaktion und Tempelwort (»Mutmaßungen über eine mögliche These oder: Was erwartete Jesus in Jerusalem«, 273–314). Sie versteht beides als einen Zusam­menhang, durch den Jesus in einer symbolischen Aktion und einem prophetischen Wort das Ende des Tempelkultes demons­triert habe. Von diesem Befund aus lasse sich eine Brücke zu den Gerichtsworten schlagen, ohne dass man deshalb mit Rau auch die Leidensweissagungen auf Jesus zurückführen müsse. – Mit seinen Studien hat Eckhard Rau eine in der neueren Jesusforschung weithin vernachlässigte Frage aufgegriffen. Durch die Herausgabe und kritische Würdigung des nachgelassenen Manuskriptes seitens der Herausgeberin ist diese bereits in die Diskussion eingezeichnet worden. Es wird für die künftige Forschung lohnend sein, sich mit der von Rau aufgeworfenen Fragestellung weiter zu befassen.

5. Fazit

Die Jesusforschung der zurückliegenden Jahre erweist sich in mehrfacher Hinsicht als überaus produktives Gebiet der neutestamentlichen Wissenschaft im Spektrum historischer und theologischer Forschung. Mit ihrem Insistieren auf einer gründlichen Auswertung der literarischen, archäologischen, epigraphischen und numismatischen Quellen hat die »Third Quest of the Historical Jesus« eine Wende zur Konzentration auf den historischen Kontext Jesu herbeigeführt, die niemand ignorieren kann, der sich in historischer und theologischer Absicht mit der Person Jesu von Nazareth befasst. Die veränderte Situation zeigt sich etwa daran, dass in monographischen Darstellungen der Weg Jesu biographisch nachgezeichnet und dabei unter neuen Vorzeichen an Forschungstraditionen des 19. Jh.s angeknüpft wird. Die Auffassung, es sei historisch nicht möglich und theologisch unergiebig, eine Biographie Jesu zu verfassen – oder überhaupt nach dem »historischen Jesus« zu fragen –, gehört damit der Vergangenheit an. Damit hat sich zugleich der Charakter von Jesusdarstellungen grundlegend verändert. Kommt noch das Jesusbuch von Jürgen Becker aus dem Jahr 199635 mit wenigen Angaben zum sozialen, kulturellen und reli­-giösen Kontext Jesu aus und bietet stattdessen eine Sicht auf Jesus in einer den Diskussionen der 70er und 80er Jahre des 20. Jh.s verpflichteten Perspektive, so ist die gegenwärtige Jesusforschung einem hermeneutischen Programm verpflichtet, das sich als »Verschmelzung der Kontexte« beschreiben lässt.36 Damit ist einerseits gemeint, dass eine präzise Erforschung und Nachzeichnung der historischen Kontexte Jesu die Grundlage jeder Bezugnahme auf ihn in der Gegenwart sein muss. Die divergierenden Beurteilungen der Passionsereignisse durch Armand Puig i Tàrrech und Wolfgang Reinbold sowie die Studie von Eckhard Rau mit ihrer Konzentration auf den Zusammenhang zwischen Gerichts- und Heilsbotschaft – und damit auf die Verbindung von galiläischem Wirken Jesu und seinem Auftreten in Jerusalem – sind instruktive Beispiele dafür, dass die sorgfältige Interpretation der Quellen die unverzichtbare Grundlage jeder Diskussion über den historischen Jesus sein muss. Sie zeigen weiter, dass es für ein historisches Verständnis des Wirkens Jesu unerlässlich ist, sich auch mit biographischen Fragen zu befassen. Eine angeblich erforderliche Abstinenz hiervon wäre dagegen ebenso verfehlt wie eine formalistische Handhabung von »Kriterien« für die Erstellung eines historischen Jesusbildes.
Mit der »Verschmelzung der Kontexte« ist andererseits gemeint, dass auf dieser Grundlage gezeichnete Jesusbilder stets Konstruktionen ihrer Interpreten sind, deren Sicht auf das historische Material notwendig selektiv, perspektivisch und durch die eigenen so­zialen und kulturellen Bedingungen konditioniert ist. Diese Einsicht ist in der Jesusforschung von Albert Schweitzer in Hinsicht auf die von ihm behandelten Darstellungen des 19. Jh.s betont worden. Allerdings hatte Schweitzer daraus nicht die erkenntnistheore­tische Konsequenz einer Vermittlung der Kontexte gezogen, sondern das Bild Jesu als des in seine Zeit zurückkehrenden jüdischen Apokalyptikers gezeichnet, den es eben dort, in seiner Zeit, aufzuspüren gelte. Schweitzer hat also nicht, wie oft behauptet, die fehlende Einsicht in die subjektive Imprägnierung jeder historischen (und also auch jeder Jesus-) Darstellung kritisiert, sondern den Je­susbiographen des 19. Jh.s fehlende Wahrnehmung der Fremdheit Jesu vorgeworfen. Er hielt es jedoch durchaus für möglich, eine adäquate historische Beschreibung des Wirkens Jesu zu verfassen, die dazu von den Wertvorstellungen ihrer eigenen Zeit abzusehen und sich in die Zeit Jesu zu versetzen habe. Rudolf Bultmann hatte dagegen im Neuen Testament einen an der individuellen Begegnung mit dem Christus praesens orientierten Geschichtsbegriff identifiziert und dementsprechend in seinem Jesusbuch eine »höchst persön­liche Begegnung mit der Geschichte« gegen eine angeblich »ob­jek tive Geschichtsbetrachtung« gestellt und damit eine gegenüber Schweitzer eigene geschichtshermeneutische Perspektive formuliert. Beide Modelle greifen jedoch im Blick auf eine geschichtshermeneutische Vermittlung gegenwärtiger und vergangener Kontexte, die sie mit Modellen der Unmittelbarkeit (Berücksichtigung der Fremdheit, existentielle Begegnung) herstellen wollen, zu kurz.
Der mit dem Stichwort »Erinnerung an Jesus« umrissene Zugang ist demgegenüber daran orientiert, geschichtshermeneutische Einsich­ten mit aktuellen Forschungen zu Jesus in seinem historischen Kontext zu verbinden. Unter dem »historischen Jesus« sind dabei auf der Grundlage historisch-kritischer Bibelwissenschaft er­stellte Jesusbilder verstanden, die als Bezugs- und Orientierungspunkt christlichen Glaubens dienen, darüber hinaus aber auch für die kultur­elle Identität der abendländischen Tradition von Bedeutung sind. 37 Der Erinnerungsbegriff ist dabei als kulturhermeneutische Kategorie aufgefasst (und insofern ausdrücklich von dem individuellen Erinnern einzelner Personen unterschieden), die den Bezug von Ge­meinschaften bzw. Gesellschaften auf solche Personen und Traditionen bezeichnet, die für ihre Identität konstitutiv sind. Insofern besteht eine Analogie zwischen dem Erinnerungskonzept und dem von Jan Assmann geprägten Begriff des »kulturellen Gedächtnisses«.
Die anhand der hier vorgestellten Publikationen skizzierte neuere Jesusforschung lässt sich in dieser Perspektive produktiv weiterführen. Dazu seien abschließend einige Aspekte notiert. Die kritische Geschichtswissenschaft wird mit guten Gründen auch künftig die Basis für die Diskussion über den historischen Jesus darstellen. Das ist vor allem gegenüber Joseph Ratzinger und einigen in der Diskussion über seine Jesustrilogie geäußerten Voten festzuhalten, die die Bedeutung der historisch-kritischen Bibelwissenschaft durch den Hinweis auf den »Mehrwert« der biblischen Texte relativieren wollen. So wenig zu bestreiten ist, dass diese Texte als Grundlage des christlichen Glaubens

Gleichzeitig ist zu beachten, dass die historisch-kritische Bibelwissenschaft zwar die Instrumentarien für an den Quellen orientierte und an ihnen überprüfbare Rekonstruktionen der Person Jesu bereitstellt, jedoch selbst keine hermeneutischen oder er­kennt­nistheoretischen Prämissen zur Beurteilung dieser Rekonstruktionen liefert. Vielmehr unterliegen historisch-kritische Textinterpretationen selbst philosophischen und historischen Prämissen der Wirklichkeitsdeutung, die für den erkenntnistheoretischen Status ihrer Ergebnisse zu berücksichtigen sind. Die fehlende Reflexion hierüber führt mitunter dazu, dass Ausleger von den Ergebnissen ihrer historisch-kritischen Analysen – so divergent diese auch sein mögen – so überzeugt sind, dass sie sie für die vergangene Wirklichkeit selbst halten. Historische Kritik führt jedoch nicht zur Vergangenheit, sondern kontrolliert die Bilder, die wir anhand der Quellen von vergangenen Personen und Ereignissen entwerfen. Welche methodischen Instrumentarien zur Interpretation dieser Quellen anzuwenden sind, wird, wie oben anhand der Diskussion über die »Kriterien« der Jesusforschung gezeigt, unterschiedlich beurteilt. Die Frage nach dem Status der Jesus(re)konstruktionen ist jedoch hiervon noch einmal zu unterscheiden. Diesbezüglich bietet das Modell des »erinnerten Jesus« eine tragfähige Grundlage, um die oben dargestellten Entwürfe innerhalb eines erkenntnistheoretisch und kulturhermeneutisch reflektierten Rahmens miteinander ins Gespräch zu bringen. Die Jesusforschung lässt sich auf dieser Linie so weiterentwickeln, dass sie für den Diskurs zwischen den theologischen Disziplinen fruchtbar gemacht werden kann und darüber hinaus sowohl ökumenisch als auch im Blick auf die Vermittlung christlicher Wirklichkeitsdeutungen in gesellschaftliche Kontexte hinein anschlussfähig ist.

Fussnoten:

1) Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf das Themenheft der Münchener Theologischen Zeitschrift »Die historische Rückfrage nach Jesus« (MThZ 64/2, 2013). Darin finden sich Beiträge zu den methodischen Grundlagen der Jesusforschung, zur Archäologie Galiläas, zu Jesus im Judentum seiner Zeit, zum »politischen Jesus« sowie zur »impliziten Christologie«. Das Heft bietet damit einen repräsentativen Überblick über relevante Bereiche der gegenwärtigen Diskussion.
2) Vgl. dazu jetzt grundlegend C. Keith/A. LeDonne (Eds.), Jesus, Criteria, and the Demise of Authenticity, London/New York 2012. Der Band versammelt Beiträge, die sich kritisch mit der Frage nach den in der Jesusforschung entwickelten »Kriterien« und dem mit diesem Zugang verbundenen Anspruch, »authentische« Jesusüberlieferung zu ermitteln, auseinandersetzen.
3) So etwa bei Meier, John P.: A Marginal Jew. Rethinking the Historical Jesus. Vol. 4: Law and Love. New Haven u. a.: Yale University Press 2009. XIII, 735 S. m. 2 Ktn. = The Anchor Yale Bible Reference Library. Lw. US$ 55,00. ISBN 978-0-300-14096-5.
4) So mehrfach von G. Häfner, zuletzt in seinem Beitrag zu den Gleichnissen Jesu, in: [Hoppe, Rudolf:] Erinnerung an Jesus. Kontinuität und Diskontinuität in der neutestamentlichen Überlieferung. Festschrift für Rudolf Hoppe zum 65. Geburtstag. Hrsg. v. U. Busse, M. Reichardt, M. Theobald. Göttingen: V & R unipress (Bonn University Press) 2011. 564 S. m. 1 Porträt = Bonner Biblische Beiträge, 166. Geb. EUR 64,99. ISBN 978-3-89971-883-6, 181–196.
5) Dieses Kriterium sollte besser »Distinktheitskriterium« genannt werden, denn es geht um das für die Person Jesu und sein Wirken Spezifische, das keineswegs notwendigerweise eine »Differenz« oder »Unähnlichkeit« zum zeitgenössischen Judentum bzw. zum Urchristentum darstellen muss.
6) In etlichen Fällen wäre etwa zu überprüfen, ob es sich überhaupt um mehrfache Bezeugung einer Jesusüberlieferung handelt. So könnten etwa Überlieferungen bei Paulus, die zwar Analogien zu den synoptischen Evangelien aufweisen, aber nicht als Herrenworte gekennzeichnet sind, in den Evangelien erst sekundär Jesus zugeschrieben worden sein. In derartigen Fällen wären die Analogien bei Paulus nicht für die Herkunft einer Überlieferung von Jesus in Anschlag zu bringen.
7) Aramäische Begriffe und Wendungen im Neuen Testament können – etwa bei der Gottesanrede »Abba« oder dem charakteristischen »Amen« – der Redeweise Jesu entstammen, in anderen Fällen – etwa beim »Maranatha« in 1Kor 16,22 und Did 10,6 – urchristliche Gottesdienstpraxis widerspiegeln. Bei den Wundergeschichten in Mk 5,41 (ταλιθα κουμ) und 7,34 (εφφαθα) sollen sie vermutlich den Lesern des griechischen Textes die besondere Wirkkraft der von Jesus gesprochenen aramäischen Worte vor Augen führen. Das Vorkommen aramäischer Begriffe in urchristlichen Texten kann demnach auf unterschiedliche Gründe zurückzuführen sein. Als »Kriterium« für die Rückfrage nach Jesus sind die Aramaismen deshalb nur sehr begrenzt brauchbar.
8) Vgl. dazu bereits F. Hahn, Methodologische Überlegungen zur Rückfrage nach Jesus, in: Ders., Studien zum Neuen Testament. Band I (hrsg. von Jörg Frey und Juliane Schlegel; WUNT 191), Tübingen 2006 [zuerst 1974]), 185–251, bes. 211–214.
9) Wenn Häfner in seinem in Anm. 4 genannten Beitrag bei dem Gleichnis in Mt 20 (die Arbeiter im Weinberg) zwischen dem Kontext Jesu und des MtEv unterscheidet, handelt es sich selbstverständlich nicht um die Anwendung spezieller »Kriterien«, sondern um die Analyse einer Jesusüberlieferung zwischen (vorläufigem) historischem Gesamtentwurf des Wirkens Jesu und der Einzelauslegung eines Textes. Häfners Interpretation ist ein signifikantes Beispiel für die dazu notwendige historische Imagination, wenn er durch die Isolation des Gleichnisses von seinem literarischen Kontext dessen ursprüngliche Adressaten (s. E. die Kritiker Jesu) sowie das, »was Jesus mit diesem Gleichnis sagen wollte«, erheben möchte. Der am Erinnerungsbegriff orientierte Zugang zur Jesusüberlieferung geht diesbezüglich methodisch und hermeneutisch reflektierter vor.
10) Hahn nennt diesbezüglich »Jesu Konflikte und […] das Phänomen des ›Neuen‹, das mit seinem Auftreten erkennbar wurde« (s. Anm. 8), 215. Diese allgemeine Beschreibung ist sehr angemessen, um das Verhältnis von Gesamtbild und Einzelüberlieferung methodisch reflektiert aufeinander zu beziehen.
11) Diese von J. Becker, Mündliche und schriftliche Autorität im frühen Christentum, Tübingen 2012, 43 f., geäußerte Kritik verkennt die aus einer differenzierten Verhältnisbestimmung von mündlichem und schriftlichem Überlieferungsmodus zu ziehenden Konsequenzen.
12) Vgl. ThLZ 132 (2007), 798–800, bzw. ThLZ 136 (2011), 1183–1186.
13) Ratzinger, Josef (Benedikt XVI.): Jesus von Nazareth. Prolog – Die Kindheitsgeschichten. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2012. 172 S. Geb. EUR 20,00. ISBN 978-3-451-34999-7.
14) Vgl. bereits ThLZ 134 (2009), 915–919.
15) Tück, Jan-Heiner [Hrsg.]: Passion aus Liebe. Das Jesus-Buch des Papstes in der Diskussion. Ostfildern: Matthias Grünewald Verlag 2011. 280 S. Geb. EUR 19,90. ISBN 978-3-7867-2896-2. Zum ersten Band vgl. ThLZ 134 (2009), 917.
16) Häring, Hermann [Hrsg.]: Der Jesus des Papstes. Passion, Tod und Auferstehung im Disput. Münster u. a.: LIT Verlag 2011. 266 S. = Wissenschaftliche Paperbacks, 31. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-643-11390-0.
17) Vgl. ThLZ 134 (2009), 917 f.
18) Das Symposium zu Ratzingers Jesustrilogie unter dem Titel »The Gos­pels. Historical and Christological Research« vom 24.–26. Oktober 2013 in Rom gibt zu einer solchen Hoffnung allerdings wenig Anlass. Die Tagung war nicht auf eine kritische Würdigung der Position Ratzingers und ihre Einbindung in umfassendere Diskurse ausgerichtet. Vielmehr waren ganze Bereiche der gegenwärtigen historisch-kritischen Jesusforschung auf dem Symposium gar nicht erst vertreten. Der Diskussion über die historische, theologische und gesellschaftliche Bedeutung von Ratzingers Ansatz in der Jesusforschung ist damit kaum gedient.
19) Holmén, Tom, and Stanley E. Porter [Eds.]: Handbook for the Study of the Historical Jesus. 4 Vols. Vol. 1: How to Study the Historical Jesus. Vol. 2: The Study of Jesus. Vol. 3: The Historical Jesus. Vol. 4: Individual Studies. Leiden u. a.: Brill 2011, XXI, 3652 S. m. Abb., Ktn. u. Tab. Lw. EUR 926,00. Gesamt-ISBN 978-90-04-16372-0. Die Einleitung von Holmén und Porter ist jedem der vier Bände in identischer Form vorangestellt.
20) Der Artikel von Étienne Nodet zu »Jewish Galilee« in Band 4 bleibt weit hinter dem Forschungsstand zurück und kann dieses Defizit nicht beheben.
21) Vgl. dazu auch weiter unten die Besprechung des von Jan van der Watt herausgegebenen Bandes »The Quest for the Real Jesus«.
22) Holmén, Tom [Ed.]: Jesus in Continuum. Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XXVI, 492 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 289. Lw. EUR 129,00. ISBN 978-3-16-150683-3.
23) Watt, Jan van der [Ed.]: The Quest for the Real Jesus. Radboud Prestige Lectures by Prof. Dr. Michael Wolter. Leiden u. a.: Brill 2013. XII, 235 S. = Biblical Interpretation Series, 120. Geb. EUR 98,00. ISBN 978-90-04-23578-6.
24) Vgl. ThLZ 134 (2009), 142–144.
25) Zimmermann, Ruben [Hrsg.]: Kompendium der frühchristlichen Wundererzählungen. Bd. 1: Die Wunder Jesu. M. Beiträgen v. D. Dormeyer, J. Hartenstein, Ch. Münch, E. E. Popkes, u. U. Poplutz. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2013. XIII, 1084 S. Geb. EUR 58,00. ISBN 978-3-579-08120-5.
26) Des Öfteren begegnet das Verbum θαυμάζειν zur Beschreibung auf ein besonderes Ereignis. Auch dadurch lässt sich jedoch der Begriff »Wunder« nicht profilieren.
27) Puig i Tàrrech, Armand: Jesus. Eine Biografie. Übers. aus d. Katalanischen v. X. u. U. Moll. Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2011. 676 S. m. Abb. Geb. EUR 39,90. ISBN 978-3-506-77113-1.
28) Meier, John P., A Marginal Jew. Rethinking the Historical Jesus. Vol. 4: Law and Love (s. o. Anm. 3).
29) Onuki, Takashi: Jesus. Geschichte und Gegenwart. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2006. XII, 276 S. = Biblisch-theologische Studien, 82. Kart. EUR 24,90. ISBN 978-3-7887-2185-5.
30) Reinbold, Wolfgang: Der Prozess Jesu. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006. 203 S. = Biblisch-theologische Schwerpunkte, 28. Kart. EUR 24,99. ISBN 978-3-525-61591-1.
31) Bilde, Per: Den historiske Jesus. Kopenhagen: Forlaget Anis 2008, 335 S. m. Abb. Geb. DKr 299,00. ISBN 978-87-7457-475-0.
32) Bilde, Per: The Originality of Jesus. A Critical Discussion and a Comparative Attempt. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013, 303 S. = Studia Aarhuisana Neotestamentica, 1. Geb. EUR 69,99. ISBN 978-3-525-53609-4.
33) Bond, Helen K.: The Historical Jesus. A Guide for the Perplexed. London u. a.: T & T Clark International (Bloomsbury) 2012. X, 200 S. = Guides for the Perplexed. Kart. US$ 24,95. ISBN 978-0-567-03317-8.
34) Rau, Eckhard: Perspektiven des Lebens Jesu. Plädoyer für die Anknüpfung an eine schwierige Forschungstradition. Hrsg. v. S. Petersen. M. e. Geleitwort v. U. Luz. Stuttgart: Kohlhammer 2013. 336 S. = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 203. Kart. EUR 39,90. ISBN 978-3-17-022954-9.
35) J. Becker, Jesus von Nazaret, Berlin/New York 1996.
36) Vgl. dazu bereits meine Bemerkungen in ThLZ 134 (2009), 905–908.
37) Zu den hermeneutischen Prämissen der Jesusforschung in Auseinandersetzung mit Schweitzer vgl. jetzt Michael A. Thate, Remembrance of Things Past? Albert Schweitzer, the Anxiety of Influence and the Unity of Markan Memory (WUNT II/351), Tübingen 2013.