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Ausgabe:

März/2014

Spalte:

385–386

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Schmal, Barbara

Titel/Untertitel:

Das staatliche Kirchenaustrittsrecht in seiner historischen Entwicklung.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. XVIII, 372 S. = Jus Ecclesiasticum, 102. Lw. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-152346-5.

Rezensent:

Hendrik Munsonius

»Im staatlichen Recht ist die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft nicht nur ausnahmefähiger Grundsatz, sondern absolutes Rechtsgebot. Das von einer Glaubensgemeinschaft gesetzte Zugehörigkeitsrecht artikuliert das religiöse Selbstverständnis und kann vom Freiwilligkeitsgebot abweichen.« (J. Kuntze) Der Staat sichert darum die Möglichkeit, dass sich Menschen von der Religionsgemeinschaft, der sie bisher angehören, mit bürgerlich-rechtlicher Wirkung trennen. Diese Möglichkeit ist Ausdruck der durch das Grundgesetz geschützten (negativen) Religionsfreiheit. Das staatliche Kirchenaustrittsrecht ist da­rum eingebettet in die Entwicklung der Religionsfreiheit und des Verhältnisses von kirchlicher und weltlicher Gewalt, von Staat und Kirche. Dies nachzuzeichnen, ist Gegenstand der Arbeit von Barbara Schmal, die als Dissertation an der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen angenommen worden ist.
S. gliedert ihre Darstellung in sechs Kapitel, von denen das erste die Entwicklung von den Anfängen der christlichen Kirche bis zur Französischen Revolution bringt, das zweite und dritte den Schwerpunkt des 19. Jh.s abbilden, während die letzten drei Kapitel durch die Einschnitte von 1933 und 1945 gegliedert werden. Der für das Staatskirchenrecht entscheidende Einschnitt von 1918 tritt dagegen wenig prominent in Erscheinung. Für alle Epochen wird nachgezeichnet, wie sich das Verhältnis von Kirche und Staat – zuweilen auch die politische Lage insgesamt –, die Religionsfreiheit und schließlich das Kirchenaustrittsrecht entwickelt haben. Dabei können bis zur Wende zum 19. Jh., solange das Kirchenwesen Be­standteil der öffentlichen Ordnung war, allenfalls Spurenelemente (negativer) Religionsfreiheit ausgemacht werden. Die Austrittsproblematik wird darum auch erst mit der Aufklärung relevant. Von Anfang an beschränkten sich die staatlichen Kirchenaustrittsge­-s­etze auf die bürgerlich-rechtliche Seite der Mitgliedschaft. Wie die Kirchen und Religionsgemeinschaften den Austritt im innerkirchlichen Recht bewältigen, ist nicht Gegenstand des staatlichen Rechts. Erste Regelungen ermöglichten einen Austritt nur im Zu­sam­menhang mit dem Wechsel zu einer anderen anerkannten Konfession. Ein Austritt in die Religionslosigkeit war zunächst nicht vorstellbar. Die zunehmende Entflechtung von Staat und Kirche und die beginnende religiös-weltanschauliche Pluralisierung drängten auf liberalere Regelungen. So wurde allmählich der Austritt ohne Übertritt zugelassen und Nachwirkungen der Kirchenmitgliedschaft wie die Pflicht, Steuern zu zahlen und sich an Baulasten zu beteiligen, abgebaut. Auch wurden die Deliberationsfristen zwischen der Erklärung und dem Wirksamwerden des Austritts schließlich abgeschafft. Die Stationen werden von S. mit einer Schwerpunktsetzung auf Preußen detailliert nachgezeichnet und in die größeren Zusammenhänge eingebettet.
Die Arbeit ist sehr gründlich gearbeitet und gut zu lesen. Eine Fülle von Quellen und Sekundärliteratur ist verarbeitet worden. Wer sich informieren will, wie sich das Verhältnis von Staat und Kirche entwickelt hat, findet reichen Ertrag. Allerdings gerät die eigentliche Themenstellung passagenweise aus dem Blick.
Der Ertrag mancher Ausführungen für das Kirchenaustrittsrechts lässt sich kaum erkennen. Dafür hätte man sich bei der Darstellung der konkreten Regelungen zuweilen etwas mehr Anschaulichkeit gewünscht. Insbesondere das letzte Kapitel über die Zeit seit 1945 fällt (zumal gegenüber dem ersten Kapitel) erstaunlich knapp und vergleichsweise summarisch aus. Hier hätte eine differenzierte Darstellung, die die Paradigmenwechsel des Staatskirchenrechts von der Koordinationslehre bis zur »Vergrundrechtlichung« berücksichtigt, wohl noch manche Facette zutage fördern können. Bei der Darstellung der innerkirchlichen Bewältigung des Kirchenaustritts werden zwar die aktuellen Probleme des kano­-nischen Rechts erörtert, das Kirchenmitgliedschaftsgesetz der EKD wird jedoch ignoriert. Insgesamt handelt es sich um ein lesenswertes Buch, das in mancher Hinsicht weniger bietet, als man erwarten könnte, in anderer Hinsicht deutlich mehr.