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Ausgabe:

März/2014

Spalte:

384–385

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Brosi, Urs

Titel/Untertitel:

Recht, Strukturen, Freiräume. Kirchenrecht. Überarbeitet u. m. e. Beitrag zum deutschen Staatskirchenrecht ergänzt v. I. Kreusch.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich (Edition NZN bei TVZ) 2013. 325 S. = Studiengang Theologie, 9. Kart. EUR 32,00. ISBN 978-3-290-20062-6.

Rezensent:

Christian Grethlein

Der Band führt in gut gegliederter Weise in die beiden Bereiche des katholischen Kirchenrechts, nämlich das kanonische Recht und das Staatskirchenrecht ein. Dass dies in einem Buch von gut 300 Seiten nur exemplarisch möglich ist, liegt auf der Hand. Einen besonderen Reiz erhält der Band dadurch, dass Urs Brosi Generalsekretär und Geschäftsführer der Katholischen Landeskirche des Kantons Thurgau ist, also Bediensteter einer in der Schweiz staatlich geforderten römisch-katholischen Kirchenbehörde. Er repräsentiert da­mit gleichsam eine von außen kommende Innensicht.
Zum Eingang klärt der Vf. grundlegende Begriffe. Übersichtlich werden vor allem die verschiedenen Dimensionen des Rechtsbegriffs in der Kanonistik dargestellt, wobei das Konzept des ius divinum im Mittelpunkt steht. Hier – wie durchgehend im ganzen Band – wird jeweils auf die entsprechenden Passagen des CIC (Codex Iuris Canonici von 1983) hingewiesen, teilweise durch Zitat. Interessant ist dabei die ebenfalls den ganzen Band durchziehende selbstkritische Reflexion. So konstatiert der Vf. bereits am Anfang in einem Exkurs recht grundsätzlich: »Das kanonische Recht ist mangels Durchsetzbarkeit dabei, die soziale Wirksamkeit und damit seine Berechtigung zu verlieren, Recht genannt werden.« (19)
Das Verfassungsrecht wird dann an zwei Beispielen dargestellt: Kirchenzugehörigkeit sowie Strukturen und Ämter.
In deutlich rechtlicher Perspektive, aber stets mit Verweisen auf theologische Begründungsstrukturen erörtert der Vf. die Frage der Kirchenzugehörigkeit vor allem anhand der sakramentsrechtlichen Bestimmungen zu Taufe, Firmung und Eucharistie. Dabei stellt die – von der akademischen Theoriebildung durchaus abweichende – kirchenamtliche Dogmatik den alleinigen Bezugsrahmen dar. Der Teil zu den Strukturen und Ämtern kann gut auch als Einführung in die Organisationsstruktur der römisch-katholischen Kirche gelesen werden. Dabei sind stets die orientalisch katholischen Kirchen mit im Blick (z. B. das übersichtliche Organigramm der katholischen Kirche, 116). Vor allem bei der Darstellung der drei Organisationsebenen der römisch-katholischen Kirche und deren Ämter finden sich wiederholt kritische Anfragen an die bestehenden Ordnungen oder Sitten, mitunter humorvoll vorgetragen, z. B.: »Auch heute noch ist die Anrede ›Heiliger Vater‹ gebräuchlich (trotz Mt 23,9: »ihr sollt niemand auf Erden euren Vater nennen«, 119). Es erfolgt auch ein Hinweis auf das rechtstheoretische Problem eines – möglichen – »Papa haereticus«.
Als weiterer wichtiger Themenbereich des kanonischen Rechts wird ausführlich das Eherecht dargestellt. In groben Zügen skizziert der Vf. zuerst die Entwicklung des christlichen und dann des römisch-katholischen Eheverständnisses. Die dabei unübersehbaren Wandlungen und Transformationen relativieren unweigerlich die gegenwärtigen Bestimmungen. Diese werden streng aus dem CIC und seinen Normen entwickelt. Ein Nachwort weist auf dringenden Reformbedarf hin, der nicht zuletzt grundsätzlich den bis heute bestehenden Anspruch der römisch-katholischen Kirche auf Ehehoheit betrifft.
Die beiden letzten Teile präsentieren das Staatskirchenrecht in Deutschland (verfasst von Irina Kreusch) und in der Schweiz. Dabei kommt es bei den jeweils breiter behandelten Themen wie Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, Kirchensteuern und Kirchenaustritt zu Überschneidungen und Differenzen, die auf interessante regionale Nuancen aufmerksam machen und die eigene Urteilsbildung anregen. Am Rand gibt es immer wieder Seitenblicke in Richtung evangelischer Kirchen. Dass dabei kleinere Unschärfen begegnen (etwa 224, Anm. 160), sollte evangelische Kirchenleitungen nachdenklich machen. Manche kirchenorganisatorischen und bekenntnismäßigen Unterscheidungen sind wohl nur noch einem kleinen Kreis evangelischer Fachleute zugänglich.
Insgesamt liegt mit dem Band eine rundum gelungene Einführung in das Katholische Kirchenrecht vor. Die historische Rekonstruktion mancher heute – jedenfalls für evangelische Leserinnen und Leser – befremdlichen Bestimmungen erleichtert deren Verständnis. Die Rückblicke auf die biblische Tradition (in ihrer heutigen exegetischen Wahrnehmung) eröffnen kritisches Potential, dem sich die römisch-katholische Kirche auf die Dauer wohl nicht verschließen kann. Die diesbezügliche Bewegung im II. Vaticanum ist freilich noch nicht vollständig im CIC angekommen, wie der Vf. verschiedentlich zeigt. Ich vermute, dass die Frage der Beteiligung von Frauen an der Leitung und am Ordo zum Testfall für die Reformbereitschaft und -fähigkeit der katholischen Kirche(n) wird (z. B. 81.162–164). Dass päpstliche und kuriale Verlautbarungen hierzu in den letzten Jahren nicht optimistisch stimmen, verschweigt der Vf. nicht.