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Ausgabe:

März/2014

Spalte:

378–379

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Lachmann, Rainer, Lindner, Andreas, u. Andrea Schulte [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Christian Gotthilf Salzmann interdisziplinär. Seine Werke und Wirkungen in Theologie, Pädagogik, Religionspädagogik und Kulturgeschichte.

Verlag:

Jena: Garamond (Imprint der FORMAT Druckerei & Verlagsgesellschaft) 2013. 308 S. m. Abb. = Arbeiten zur historischen Religionspädagogik, 10. Geb. EUR 31,90. ISBN 978-3-943609-76-9.

Rezensent:

Stefanie Pfister

Der von Rainer Lachmann, Andreas Lindner und Andrea Schulte – anlässlich des 200. Todestages – herausgegebene Tagungsband »Christian Gotthilf Salzmann interdisziplinär« beschreibt Salzmann im Kontext der zeitgenössischen Aufklärungstheologie, der Philosophie, der philanthropischen Pädagogik sowie im kultur­geschichtlichen und literaturwissenschaftlichen Kontext. In vier unterschiedlichen Themenblöcken – Theologie, Pädagogik, Religionspädagogik und Kulturgeschichte – schildern die Autoren Salzmann aus der je spezifischen Perspektive und zeigen interdisziplinäre Verschränkungen auf. So weist Rainer Lachmann direkt zu Beginn Salzmanns interdisziplinäre Bezüge nach, indem er z. B. anhand des Romans »Carl von Carlsberg oder über das menschliche Elend« (6 Theile, Leipzig 1783–1788) den »Katechismus als interdisziplinäres Exemplum« (23) betont, denn hier würden in romanhafter Form »leitende Grundsätze neologischer Theologie angesprochen«, eine religionspädagogische »visionäre Botschaft« (31) liege durch das Zeugnis der »unschuldigen Kinder« (31) vor und pädagogisch sei durch Salzmanns Anliegen der »Bildung der Ge­ sinnungskraft« die aufkommende »Kinderkenntniß« (32) zu er­kennen.
Im Themenblock Theologie bestätigt Albrecht Beutel »Salzmanns Platz in der Aufklärungstheologie« (39) in Bezugnahme auf Salzmanns drittes und letztes religionspädagogisches Lehrbuch »Un­terricht in der christlichen Religion« (Schnepfenthal 1808). In diesem Werk nehme Salzmann neologisches Gedankengut in religionspädagogischer Absicht auf, jedoch sei Salzmanns Schrift als ein »Spätling der Neologie« (52) zu bezeichnen. Des Weiteren stellt Andres Straßberger anhand Salzmanns Vorrede in »Beyträge zu Aufklärung des menschlichen Verstandes in Predigten« (Leipzig 1779) dessen »homiletisches Programm« vor, welches »wesentliche As­pekte der prinzipiellen, materialen und formalen Homiletik unter aufklärungstheologischen Prämissen« (74) entfalte. Thomas K. Kuhn beleuchtet Salzmanns Schriften, Theologie und Pädagogik vor dem Hintergrund von Philanthropismus und Erweckungsbewegung.
Im Themenblock Pädagogik analysiert Lars-Thade Ulrichs aus bildungstheoretischer und subjektivitätsphilosophischer Perspek-tive das mit der Gottesebenbildlichkeit verbundene Vollkommenheitsideal Salzmanns, welches durch Bildung maßgeblich ge­fördert werden könne, die Bedeutung der anschaulichen Methode, z.B. die Übung der Sinne, das didaktische Prinzip der Selbsttätigkeit sowie die narrative Pädagogik. Am Beispiel der Schnepfen­thaler Lehranstalt skizziert Jens Brachmann die »Landerziehungsheimpädagogik« in der Spätaufklärung, in welcher die ländliche Umgebung als »er­zieherischer Erfahrungsraum« genutzt wurde, in der »ein familiäres pädagogisches Arrangement den Erfolg der Erziehungsgemeinschaft sicherte« (176) und weithin ein ganzheitliches Bildungskonzept sowie die Persönlichkeitsbildung vorrangig waren.
Im Themenblock Religionspädagogik beschreibt Reinhard Wunderlich u. a. Salzmanns Vorstellung von »Religion als pädagogisch zu befördernde persönlichkeitsvervollkommnende Gesinnung« (194) u. a. anhand der Schrift »Ueber die wirksamsten Mittel Kindern Religion beyzubringen« (Leipzig und Frankfurt 1789, zweite verbesserte Auflage). Gottfried Adam sieht Salzmann zudem vor ähnliche Herausforderungen wie die gegenwärtige Religionspädagogik gestellt: z. B. die Infragestellung bisheriger Traditionen und Lehrinhalte, die notwendigen Fragen religionspädagogischer Theoriebildung, die Wahrnehmung der Subjektivität und des Eigenrechts des Kindes, das veränderte Religionsverständnis sowie die bildungspolitische Profilierung und Verortung des Faches Religionsunterricht im Kanon der Fächer im sich je verändernden Schulwesen.
Im Themenblock Kulturgeschichte zeigt Karl Traugott Goldbach u. a. am Beispiel des Konzeptes eines spielerischen Musikunterrichts auf, dass nicht pauschal von einer Ignoranz von Musik im Philanthropismus ausgegangen werden kann. Christian Grethlein stellt die Bedeutung von Salzmanns Buch »Heinrich Gottschalk in seiner Familie, oder erster Religionsunterricht für Kinder von 10–12 Jahren (1804)« vor, das als Vorläufer heutiger Kinder- und Jugend­-literatur gelten könne, was insbesondere in dessen literarischer Transformation deutlich werde: im Erfolgsroman von Éric-Emmanuel Schmitt: »Oskar und die Dame in Rosa« (Zürich 2003). Gemeinsam sei beiden Werken z. B. »das Ineinander von Reflexionen über Gott und das Sprechen zu ihm im Gebet« sowie »die Begleitung von Kindern durch einen alten Menschen« (252). Jürgen Court verweist auf den Einfluss der Philanthropen auf die Herausbildung der deutschen Sportwissenschaft, indem er die Legitimierungsstränge zur Gründung der privaten Hochschule des »Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen« (DRA) im Jahr 1920 mit den Grundsätzen des Philanthropismus vergleicht: zum einen die »Verbindung von Theorie und Praxis unter der Leitidee, dass die Vervollkommnung des gesamten Menschen die Vervollkommnung seines Körpers voraussetze« (261), das Wechselspiel von Medizin und Pä-dagogik, Gymnastik als ein nationales, nicht zweckfreies Interesse sowie die ausgefeilte Theorie und Praxis der Leistung und Leis­tungsmessung. Die Außenwirkung verschiedener Schriften der Schnepfenthaler Anstalt und von Salzmann wird von Franz-Ulrich Jestäd nachgewiesen.
Insgesamt bietet dieser Tagungsband spezi­fische Einblicke in die historisch-(religions)pädagogische Forschung. Wer hier Grund­lagenwissen zu Salzmanns Biographie, Theologie und Religions­pädagogik erwartet, wird jedoch nicht fündig. Vielmehr zeigen die Beiträge verschiedener Fachwissenschaftler dezidiert, anschaulich und exemplarisch – anhand sehr konkreter Beispiele – die In­terdisziplinarität Salzmanns aus unterschiedlichen Perspektiven mit jeweils einem spezifischen Zugriff auf. Da immer wieder Bezüge zur Gegenwart hergestellt werden, stellt das Buch nicht nur einen Gewinn für die historische Forschung, sondern ebenso auch für die gegenwärtige religionspädagogische Arbeit dar.