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Ausgabe:

März/2014

Spalte:

361–363

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Gabriel, Jörg

Titel/Untertitel:

Rückkehr zu Gott. Die Predigten Johannes Taulers in ihrem zeit- und geistesgeschichtlichen Kontext.

Verlag:

Würzburg: Echter 2013. 829 S. = Studien zur systematischen und spirituellen Theologie, 49. Kart. EUR 66,00. ISBN 978-3-429-03570-9.

Rezensent:

Jörg Ulrich

Es handelt sich um eine im Jahre 2011 an der Katholisch-theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum abgeschlossene Dissertation, die ein bestimmtes Segment des Denkens Johannes Taulers, nämlich seine in dem Buch später so genannte »Lebenslehre« (321), unter historischen und systematischen Aspekten aufarbeiten und für praktisch-theologische Fragestellungen fruchtbar machen will. Jörg Gabriel, zurzeit als Pastor und Hospizseelsorger in Essen tätig, entfaltet sein ambitioniertes Vorhaben in drei Hauptkapiteln, die einer Einleitung folgen und einer ausführlichen Schlussreflexion vorausgehen.
Die Einleitung (1–38) gibt Hinweise zu Leben und Wirkungsgeschichte Taulers. Dass bei der Wirkungsgeschichte Martin Luther eine gewisse Rolle spielt, liegt nahe, allerdings kann man fragen, ob man sich angesichts des Vorliegens gewichtiger Studien zu Luther und Tauler für dieses Thema ausgerechnet auf Gnädingers Taulerdarstellung, auf das Mystikbuch von Haas und auf den BBKL-Artikel von Bautz hätte beziehen sollen. Der Forschungsstand zu Tauler selbst wird knapp und zuverlässig referiert (16–26). Als Absicht der Arbeit (27–32) wird angegeben, dass Tauler weniger nach systematischen Einzelfragen als vielmehr »im Gesamtzusammenhang seiner Predigten« (29) dargestellt und als »Prediger, d. h. Seelsorger und Lehrer geistlichen Lebens« (30) verstanden werden solle. Der Vf. will dabei von einer Zergliederung der Predigten absehen und aus diesem Grunde »Taulers Denken textnah darstellen« (32) und es abschließend »in den Kontext mit modernen Spiritualitäten setzen« (ebd.). Zuvor sollen in den ersten beiden Hauptteilen die historischen und die geistesgeschichtlichen Grundlagen des Denkens Taulers erörtert werden.
Aus diesem Grunde widmen sich Hauptteil eins (39–136) ausführlich den neuen religiösen Bewegungen des Hochmittelalters und Hauptteil zwei (137–320) ebenso ausführlich der dominikanischen Spiritualität unter besonderer Berücksichtigung der »deutschen Albertschule«. So sehr die Voraussetzungen und Kontexte Taulers als Verstehenshorizont seiner Predigten unentbehrlich sind, bleibt es doch fraglich, ob der Vf. für die Analyse seiner Quellen einen derart langen Anlauf hätte nehmen sollen. In weitem Bogen widmet er sich (notgedrungen je äußerst knapp) so komplexen Themen wie Cluny, Zisterzienser, Bernhard, Wanderprediger, Prämonstratenser, Waldenser, Katharer, Humiliaten, Dominikaner, Franziskaner und den religiösen Frauenbewegungen wie den Beginen; bei alldem kommt er über das Referat von ausgewähltem Handbuchwissen logischerweise an keiner Stelle hinaus. Dabei verrät schon ein kurzer Blick auf den Fußnotenapparat, dass es sich bei diesen Passagen (genannt seien die Abschnitte 68–132) weitgehend um Zusammenfassungen von Grundmanns »Religiöse Bewegungen im Mittelalter« von 1936 (!), zitiert wird der Nachdruck von 1977, handelt. Neue Literatur ist nur sporadisch eingearbeitet; die als Beleg dienenden Quellenpassagen sind nach Grundmann sekundär zitiert. Ähnliches gilt in Hauptteil zwei für die Referate über die Dominikaner und einige ihrer großen Vertreter wie Albertus Magnus, Dietrich von Freiberg, Berthold von Moosburg, Meister Eckhart und Heinrich Seuse, dem Zeitgenossen Taulers: Für beispielsweise Seuse wird Bihlmeyers Ausgabe von 1907, zitiert wird der Nachdruck von 1961, seitenweise nachparaphrasiert (Vf., 280–318/Bihlmeyer, 326–359). Das wird alles völlig korrekt ausgewiesen und ist daher formal nicht zu beanstanden, aber es ergibt sich daraus natürlich kein eigentlicher Erkenntnisfortschritt. Für die beiden ersten Hauptteile des Buches gilt mithin, dass eine präziser auf Tauler selbst und auf seine unmittelbaren Voraussetzungen ausgerichtete Darstellung mehr bewerkstelligt hätte als das allzu breite und wenig innovative Zusammentragen von leicht zugänglichen und nicht immer auf neuem Stand befindlichen Überblicksinformationen.
Der mit Abstand stärkste Teil des Buches ist der Hauptabschnitt drei mit der eigentlichen Analyse der Taulerschen Predigten. Der Vf. stützt sich auf die 1910 publizierte Vettersche Ausgabe der mittelhochdeutschen Texte (eine kritische Edition fehlt bekanntlich bislang und wäre angesichts der Breite der handschriftlichen Überlieferung wohl auch nur in einem größeren Verbundprojekt realisierbar), deren wichtigste Auszüge er in seiner Darstellung konsequent »zweisprachig« präsentiert. Die Übersetzungen orientieren sich an den Vorgängerarbeiten von Hofmann und Gnädinger. In insgesamt elf Unterkapiteln entfaltet der Vf. die mystische Konzeption Taulers, die auf eine Wiedergewinnung der verlorenen Einheit mit Gott abzielt. Gut zum Tragen kommt dabei die streng trinitarische Orientierung Taulers: Die Vorstellung einer auf den Ruf Gottes folgenden Rückkehr des Menschen in den göttlichen Ursprung ist dem Gedanken der göttlichen Dreiheit von Vater (Einkehr und Selbsterkenntnis), Sohn (Kreuzes- und Himmelfahrtsnachfolge) und Geist (Garant der Verbindung von Gott und Mensch) nachgebildet (341–465). Diese und andere Passagen lassen den – bei aller Originalität – zutiefst traditionellen Zuschnitt des Taulerschen Denkens erkennen. Das spezifische Profil von Taulers Konzept liegt darin, dass die Bewegung des sich von Gott wegwendenden Menschen hin zur Einheit mit Gott als Weg der Gelassenheit qualifiziert wird. Der Vf. entfaltet dies ausführlich und mit Umsicht, so dass die Differenziertheit des Gelassenheitsdenkens Taulers gut erkennbar wird (564–573). Als Wege zur Gelassenheit bei Tauler werden die Erkenntnis der eigenen Nichtigkeit, das Leiden als »Sich Gott überlassen« und das Gott-Leiden (gedacht als Erkenntnis der Gottesferne) ausgemacht. Als Übungen zur Gelassenheit werden die Tugenden identifiziert (644–691). Der eigentliche Weg zurück in die vollkommene Einheit mit Gott ist (geradezu »klassisch«) als stufenhafter Aufstieg konzipiert, an dessen Ende die Wiederauferstehung mit Gott steht (706–710). Die Analyse der Predigten ist insgesamt gründlich. Hilfreich zu ihrem Verständnis ist der regelmäßige Rekurs auf die biblischen Textgrundlagen. Kritisieren kann man, dass es sich weitgehend um eine »nur« immanente Interpretation handelt. Positiv ist darauf hinzuweisen, dass an einigen Stellen doch auch immer wieder wenigstens ansatzweise Vergleiche mit anderen Mystikern unternommen werden (z. B. Meister Eckhart: 470.493.505.565.692 u. ö.), wodurch das Profil Taulers noch deutlicher wird.
Die Schlussreflexion will Taulers Spiritualität in den »Kontext der heutigen Spiritualitäten« (711) setzen und schaltet m. E. etwas vorschnell von der historischen Einordnung auf die Ebene einer eher postulierten Relevanz des Befundes für die heutige Situation um. Ob man dabei heutigen christlichen und nichtchristlichen Spiritualitätsverständnissen in ihrer Komplexität auf insgesamt sieben Seiten (Unterkapitel drei: 718–724) auch nur ansatzweise auf die Spur kommen kann, erscheint fraglich. Immerhin wird an­schließend (Unterkapitel vier: 724–752) eine konzise Zusammen­-fassung der Taulerschen Position geboten, die als der eigentliche wissenschaftliche Ertrag des Buches gelten darf und in dieser Re­zension ausdrücklich positiv gewürdigt sein soll. Das Bemühen um »Anwendung« des Ertrages auf heutige Spiritualitätskonzeptionen ist dem starken praktisch-theologischen Interesse des Vf.s geschuldet und darin durchaus sympathisch, wird methodisch-hermeneutisch allerdings kaum vermittelt. Der Schluss über »praktisch (konkrete) Perspektiven« (764–766) der Predigten Taulers wirkt aus diesem Grunde selbst predigthaft.
Das Buch bietet ein ausführliches, sorgfältig gearbeitetes Quellen- und Literaturverzeichnis. Durchaus wünschenswerte, die Benutzung erleichternde Stellen-, Schlagwort- und Autorenregister fehlen.