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Ausgabe:

März/2014

Spalte:

360–361

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Schlott, René

Titel/Untertitel:

Papsttod und Weltöffentlichkeit seit 1878. Die Medialisierung eines Rituals.

Verlag:

Paderborn: Ferdinand Schöningh 2013. 270 S. = Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte. Reihe B: Forschungen, 123. Lw. EUR 39,90. ISBN 978-3-506-77361-6.

Rezensent:

Hubertus Lutterbach

Die durch den Medienwissenschaftler Frank Bösch an der Justus-Liebig-Universität Gießen betreute, am dortigen Graduiertenkolleg »Transnationale Medienereignisse von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart« entstandene und vom Gießener Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften angenommene Dissertation widmet sich dem Papsttod als Medienereignis zwischen 1878 und 1978.
Die Dissertation ist in fünf Hauptkapitel untergliedert. Im Gefolge einer »Einleitung«, die sich der Fragestellung, der Methodik, der Quellenbasis und dem Forschungsstand widmet, folgt Hauptkapitel 1 unter der Überschrift »›Der Papst ist todt.‹ Der Tod des Papstes am Beginn der massenmedialen Sattelzeit – Pius IX. (1878)«. Hauptkapitel 2 (»Innovationszeit – Die vier Papsttode zwischen 1903 und 1939«) widmet sich gleich vier Papsttoden: Leo XIII., Pius X., Benedikt XV. und Pius XI. Als Hauptkapitel 3 präsentiert S.: »›Die Welt in tiefer Trauer um Papst Pius XII.‹ Der Tod des Papstes am Ende der massenmedialen Sattelzeit – Pius XII. (1958)«. Hauptkapitel 4 erschließt den medialen Umgang mit dem Tod von Johannes XXIII., Paul VI. und Johannes Paul I.: »Inkubationszeit – Die drei Papsttode zwischen 1963 und 1978«. Das Hauptkapitel 5 »Schluss« rundet die Dissertation ab.
Die Fragestellung der Dissertation ist inspiriert durch das einmalige mediale Echo auf den Tod von Papst Johannes Paul II. im Jahr 2005. Methodisch orientiert sich S. am Forschungsparadigma der »Medialisierung«. Darunter versteht er im Rückgriff auf das Forschungskonzept seines Doktorvaters erstrangig einen »wechselseitigen Vorgang, bei dem sich die Akteure den Medienregeln anpassten und vice versa« (12 und 15). Die Papsttode bewertet S. als »serielles Medienereignis«, an dem er zeigen kann, wie sich die Massenmedien und ihre Vermittlung einerseits und die Inszenierung der Papsttode andererseits gegenseitig beeinflussten. Innerhalb dieses Rahmens hebt er als wichtige Leitfrage hervor, »wie sich die Art und die Intensität der Medienaufmerksamkeit im Zeitraum zwischen 1878 und 1978 veränderte.« (13) S. stellt sein Projekt in einen sogar noch größeren Horizont: »In dieser Arbeit, der Ge­schichte eines Medienereignisses, soll eine Mediengeschichte mit einer Kulturgeschichte zum Ritual bei Tod und Bestattungen verschränkt werden. Sie versteht sich zugleich als ein Beitrag zu den relativ neuen Forschungsfeldern einer Kirchengeschichte als Kultur- und Symbolgeschichte.« (22) Als Quellenbasis dienen ihm die Presseorgane einzelner Länder entsprechend ihrer Relevanz (Auflagenhöhe, öffentlicher Stellenwert etc.).
Der Lektüregewinn dieser bisweilen sogar spannend geschriebenen Dissertation ist sowohl im Überblicks- als auch im Detailwissen reichhaltig. Überzeugend kann S. nachweisen, dass sich die Art, wie Rituale angesichts eines Papsttodes durchgeführt wurden und wie der Vatikan in dieser Situation insgesamt agierte, im Laufe der Jahrzehnte immer mehr für die Anforderungen der Massenmedien öffnete (Zutritt für Journalisten zu zuvor geschlossenen Räumen und verborgenen Riten, Einführung des ›Open Air-Requiems‹ etc.). Umgekehrt stellten sich die Journalisten in Präzision und Schnelligkeit immer genauer auf die Anforderungen ein, die mit einem Papsttod verbunden waren. Eindrucksvoll erschließt S. anhand des Umgangs mit den Papsttoden, wie sich Rom auch deshalb zur Welthauptstadt des Katholizismus entwickelte, weil Nachrichtenredaktionen dort Korrespondenten stationierten und immer wieder Medieninnovationen zum Einsatz brachten.
Insgesamt gelingt es S. eindrucksvoll, die mediale Stilisierung des Papsttodes zum Weltereignis nachzuzeichnen: von der Herausbildung der wiederkehrenden Berichterstattungsmuster über die mediengestützte ›Globalisierung‹ des Papsttodes bis hin zu den Anpassungsleistungen des Vatikans an die ›Mediengesetze‹ in rituellen und institutionellen Hinsichten (226).
Zumindest der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die vorliegende Studie den anvisierten Beitrag zur »Kirchengeschichte als Kultur- und Symbolgeschichte« nur insoweit einlöst, wie er sich auf den Umgang mit dem jeweils verstorbenen Papst auf das Diesseits bezieht. Tatsächlich liegt es sowohl an der von S. gewählten Mediendefinition als auch an seinen begrenzten theologischen Kenntnissen, dass die ›Jenseitsdimension‹ der Riten im Umfeld eines Papsttodes unerschlossen bleibt. Zwar mögen uns die folgenden Fragen angesichts heute dominanter Diesseits- und Ökumene-Orientierung erstaunen. Nichtsdestoweniger sind sie historisch-theologisch ebenso wie kultur- und symbolgeschichtlich von hoher Relevanz: Welche jenseitsrelevanten Leistungen waren gemäß römisch-katholischem Selbstverständnis (übrigens bis heute) mit dem Gebet der Gläubigen für den Papst in seiner Sterbestunde oder anlässlich einer Berührung bzw. eines Besuches seines Leichnams verbunden? Was bedeutet es, wenn die von einem verstorbenen Papst massenhaft verbreiteten Bilder mit vorformulierten Gebeten für den Betrachter in Umlauf gebracht wurden bzw. werden? Welche Chance im Sinne eines Zeit und Ewigkeit verbindenden ›Entgelts‹ (Ablasswirkungen etc.) bot bzw. bietet die Medialisierung eines Papsttodes im Sinne eines globalen Ereignisses für all jene, die per Radio oder TV massenhaft zugeschaltet waren bzw. sind? Kurzum: Aus römisch-katholischer Perspektive lag bzw. liegt der eigentliche Gewinn der Medialisierung des Papsttodes in der massenmedial multiplizierten Möglichkeit des Heilsgewinns. Es lohnt sich, diese Zusammenhänge kultur- und symbolgeschichtlich aufzuarbeiten und sie schließlich (auch innerhalb des ökumenischen Dialogs) theologisch zu bewerten.