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Ausgabe:

Juni/1999

Spalte:

602–605

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kügler, Joachim

Titel/Untertitel:

Pharao und Christus? Religionsgeschichtliche Untersuchung zur Frage einer Verbindung zwischen altägyptischer Königstheologie und neutestamentlicher Christologie im Lukasevangelium.

Verlag:

Bodenheim: Philo 1997. 360 S. gr.8 = Bonner Biblische Beiträge, 113. Pp. DM 98,-. ISBN 3-8257-0072-0.

Rezensent:

Martin Karrer

Interdisziplinäre Arbeiten haben ihren eigenen Reiz und ihre eigenen Schwierigkeiten. Das zeigt exemplarisch die vorliegende Bonner Habilitationsschrift (kath. Theol., angenommen 1996/97), die von Helmut Merklein betreut (vgl. thematisch dessen Studien zu Jesus und Paulus II, 1998, 3-30) und ägyptologisch von Ursula Rössler unterstützt wurde.

Es ist eine theologische Arbeit. Aber sie beginnt im fremden Gebiet, bei den Traditionen Ägyptens: Der Rolle des Königs und den Geburtslegenden bis zur Spätzeit gilt das 1. Kapitel (15-81), den Mentalitäten und Strukturen des hellenistisch-römischen Ägyptens Kap. 2 (83-131), den Ideen um die Göttlichkeit und Gottessohnschaft des Herrschers in dieser Epoche Kap. 3 (133-183). Das ägyptische Judentum wird zur Brücke zwischen allgemeiner Religionsgeschichte und NT (Kap. 4, 185-252). Erst das letzte Kap. wählt einen neutestamentlichen Schwerpunkt, die Sohn-Gottes-Aussage (in Auswahl) und Lk 1,26-38; 2,1-20.41-52; 3,21-38; Apg 13,35 f., also einen Ausschnitt luk. Texte (Kap. 5, 253-332; mit weiteren neutestamentlichen Bereichen befaßt K. sich in Aufsätzen: zu Mt 2,11 s. BN 87, 1997, 24-33; zu Joh ZNW 88, 1997, 223-241).

Reiz eines solchen Ansatzes ist die Weitung des Horizonts. Der Leser/die Leserin schlüpft in eine Außenkultur, um vertraute Momente des NT neu wahrzunehmen. Es ist aufschlußreich, die luk. Geburtserzählung in eine theologische Analogie zu ägyptischen Geburts-Reliefzyklen zu setzen, selbst wenn die Analogie öfter bricht als sich bestätigt (die himmlischen Heerscharen Lk 2,13 f. nicht in den jubelnden göttlichen Gestalten der Reliefs aufgehen etc.; vgl. das Urteil K.s 299 u. ö.). Gleichzeitig erhalten die religionsgeschichtlichen Teile vorrangiges Gewicht. K. votiert plausibel gegen eine isolierte Ideengeschichte für eine Kombination von Sozial- und Kulturgeschichte und plädiert für ein sich beeinflussendes Nebeneinander indigener und griechischer Kulturen statt für eine einheitliche Mischkultur im Hellenismus (12). Aufgrund der "additiv orientierten Mentalität Ägyptens" (15), die alte Vorstellungen neben und unter der Entwicklung neuer Konzepte weiter tradiert, zeichnet er die Aspekte um König und Horus, den König als Sohn des Re bzw. Amun, das "Königtum im Ei" (die retrospektive Vorstellung, der herrschende König sei von Anfang an vor- und ausgezeichnet; 21, 74 f. u. ö.) und die göttliche Zeugung zunächst nach Quellen und Bildfolgen älterer Dynastien (Kap. 1), obwohl die Geburtshäuser in den Tempeln griechisch-römischer Zeit manches umbilden (76-81).

All das leuchtet ein. Beschwerlich ist jedoch die Entscheidung in Kap. 2, die indigene Kultur Ägyptens um die Zeitenwende vor allem bei Defensive (83 ff.), Abgrenzung (87 ff.) und Angst (83, 88 etc.), die Griechen bei einer Neugier aus Überlegenheit zu behaften (102 ff.). Das hilft, das Material zu ordnen (die nach innen gerichteten Tempel, die kritischen Texte wie Töpferorakel u. a., die politisch-kulturellen Vermittlungen unter den Ptolemäern, hellenistisch-ägyptische Familien etc.). Indes ist das Raster oft nach neuzeitlichen Gesichtspunkten formuliert (einschließlich von Kategorien wie Kaste, Nationalitätenpolitik, Apartheid, absolute Monarchie: 88, 105, 107 u.ö.) und vermittelt nicht immer die Eigenart der Quellen. Wesentlich ist die Erkenntnis, daß die "verkapselte Koexistenz mehrer(er) ethnisch-kultureller Systeme" Querlinien zum NT weniger begünstigt als ältere Forschung annahm (131). Kap. 3 ordnet die Konzepte von Göttlichkeit zwischen Makedonien, Ägypten und Rom von Alexander über die Ptolemäer (die von ihrer göttlichen Zeugung ausgingen, ohne daß diese erzählt wurde: 148) bis zu den Flaviern und zum Alexanderroman (zu knapp behandelt ist Claudius: s. PLond 1912). Die Auswahl Ägyptens muß einen Aspekt in den Vordergrund schieben, und Kulturüberschneidungen, -differenzen sowie Drittaspekte werden nicht immer deutlich (zu Kleinasien wäre die Forschung seit S. R. F. Price, Rituals and Power, 1984, verstärkt zu berücksichtigen; wohl nach Abschluß von K.s Manuskript erschien M. Clauss, Deus praesens, Klio 78, 1996, 400-433). Zustimmung verdient das Ergebnis, "daß wir allen kulturellen Trennungen zum Trotz zahlreiche Indizien dafür haben, daß Elemente ägyptischer Königstheologie in die hellenistische Universalkultur eingegangen sind" (182).

Der Brückenschlag über das ägyptische Judentum (Kap. 4; soziale Skizze 185-194) ist durch vorexilische Querlinien vorbereitet (194-208), gewinnt aber keine einheitliche Linie. Sohn und Söhne Gottes begegnen kollektiv wie weisheitlich, Hoffnungen auch individuell-politisch (210-224 zu JosAs, Weish, LXX Jes 7, Sib 3). Philo (224-244) setzt sich mit dem Herrscherkult auseinander (Gai.), bietet gelegentlich Anklänge einer politischen Eschatologie (Mos. 1,290) und spiritualisiert die göttliche Zeugung (Cher. 40-50) wie den erstgeborenen Sohn (Logos in Agr. 51 und Conf. 145-149 etc.). Außerägyptisch bezieht K. Josephus ein (244-252), nicht jedoch 4Q246. Die Entwicklung der Jeremia-Legende in VitProph Jer-Vita 7-8*, wo wahrscheinlich die Tradition von Jes 7,14 mit dem Mythos über die Geburt des Horus aus Isis verschmilzt (Lit. bei A. M. Schwemer, JSHRZ I 7, 1997, 577 f. z. St.), berücksichtigt er nicht. Bei allen Modifikationen ist durch den Anweg ein herrscherlicher Blickwinkel auf die neutestamentliche Konzeption des Sohnes Gottes vorgezeichnet. K. erschließt aus Röm 1,3 f., Mk 1,9-11 und Lk 4,2-12 par Q eine retrospektive Bewegung vom Auferstandenen zum irdischen Jesus, die strukturell der Perspektive in der ägyptischen Königstradition zu vergleichen sei (255-267; auf Sendungsformel, Lk 10,22 u. a. modifizierende Quellen geht er nicht ein). Er untersucht die Geburtsankündigung (mit differenzierter Behandlung der bekannten Parallelen sowie Homer, hymn. 1: 274-288), die Geburtsgeschichte (wo er etwa bei den Hirten zwei Bedeutungsebenen findet, die Tierhüter und einen metaphorischen Hinweis auf Herrschaft des Neugeborenen: 293, 294), den Aufenthalt des 12jährigen im Tempel (u. a. im Vergleich zur königlichen Sitte, bei der Gottheit zu wohnen, zu den Chaemwese-Erzählungen und 1Kön 2,12 LXX: 302, 303 f., 306), Taufe und Stammbaum Jesu nach Lukas (die Taufstimme in bes. Vergleich mit dem performativen Sprechakt zum Gottessohn vor dessen Herrschaftsantritt, den Stammbaum im Vergleich mit herrscherlichen Adoptiv-Vaterschaften: 314, 315 f.). Die Inthronisation des Sohnes mit der Auferweckung in Apg 13,32 f. (nach Ps 2,7) rundet die These einer retrospektiven luk. Christologie ab, "die (in struktureller Analogie zur ägyptischen Vorstellung vom Königtum im Ei) nachösterliches Christusbekenntnis im Leben des irdischen Jesus proleptisch verankert und so die Erzählung über den vorösterlichen Jesus immer wieder mit dessen nachösterlicher Würde überblendet" (322).

Eine umfassende Behandlung von Lk/Apg könnte einiges verschieben. Erstaunlicher ist, daß K. die Parallelen zu den Windeln Jesu Lk 2,7 in Aufsätze verlagert (BN 77, 1995, 20-28; 81, 1996, 8-14) und das Motiv vom Säugling in der Krippe (2,7.12.16) nicht nach VitProph vertieft (vgl. oben). Allerdings würde sich auch dann ein zentrales Ergebnis nicht ändern: Die Impulse ägyptischer Religiosität bestimmen Lk/Apg lediglich in der Vermittlung und Korrektur durch alttestamentliche Basistexte, hellenistisch-römische Kultur, hellenistisches Judentum und vorluk. Christentum (323 u. ö.). Die besondere Position des Lukas zu Mythos und Geschichte und zum Verhältnis von Königschristologie und Tod Jesu kommt hinzu (Mittelpunkt der Schlußreflexion 324-331), und das Fragezeichen hinter dem Titel der Studie erhält doppelt guten Grund.

Noch das Ergebnis der Studie begrenzt damit ihren Ertrag. Sie verweist darauf, wie wichtig Ägypten für eine Vertiefung der religionsgeschichtlichen Arbeit an der neutestamentlichen Christologie ist, und zeigt ebenso oder fast mehr noch, wie schwierig die interdisziplinäre Erarbeitung von der Religionsgeschichte bis zum NT durchzuführen ist. Den Band beschließt leider nur eine Auswahlbibliographie. Im Text sind Quellen oft flächig angegeben; bes. Inschriften und Papyri müssen weithin über Sekundärliteratur verifiziert werden (die bekanntesten "theou hyios" und "theos ek theou"-Beispiele für Augustus etwa wären BGU 543,3, OGIS 6552). Register fehlen. Das erschwert die Benutzung.