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Ausgabe:

März/2014

Spalte:

346–348

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Büchsel, Jürgen [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gottfried Arnolds Weg von 1696 bis 1705. Sein Briefwechsel mit Tobias Pfanner und weitere Quellentexte. Eingel. und hrsg. v. J. Büchsel.

Verlag:

Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen; Wiesbaden: Otto Harrassowitz (in Kommission) 2011. XI, 279 S. m. Abb. = Hallesche Quellenpublikationen und Repertorien, 12. Kart. EUR 44,00. ISBN 978-3-447-06595-5.

Rezensent:

Andres Straßberger

Die Untersuchung beinhaltet Edition und Interpretation des Briefwechsels zwischen Gottfried Arnold und dem Gothaer Hofrat Tobias Pfanner (1641–1716). Die Idee dazu geht auf B.s Dissertation zu Ar­nolds Verständnis von Kirche und Wiedergeburt (AGP 8 [1970]) zurück.
Der zeitliche Rahmen, den der Titel des Bandes formuliert, wird nach hinten durch einen Brief Arnolds an D. L. von Danckelmann (1704/05) markiert. Nach vorn ergibt sich die zeitliche Abgrenzung durch die 1696 erfolgte erste Ausgabe der Homilien des Macarius bzw. der Erste[n] Liebe, indem irgendwann nach diesem Zeitpunkt Arnolds Wende zum radikalen Pietismus und Separatismus erfolgte. Die mit der Edition verbundenen Fragestellungen des Untersuchungsteils fokussieren daher auch mehr oder weniger auf Arnolds theologische Entwicklung und damit auf die Frage nach Kontinuität und Diskontinuität im Leben Arnolds im bezeichneten Zeit­raum. Eine Schüsselfunktion kommt dabei den Briefen der Jahre 1700 bis 1702 zu, in denen die Heirat Arnolds und die Übernahme des Amtes als Schlossprediger in Allstedt erfolgte, zwei Entscheidungen, die in der Arnold-Forschung nicht selten als »Bruch« interpretiert werden. Zwar thematisiert keiner der hier edierten Briefe diese zwei Ereignisse explizit, doch lassen sich dahingehende Rück-schlüsse ziehen.
Der Arnold-Pfanner-Briefwechsel, der sich in der Forschungs­bibliothek Gotha befindet, umfasst insgesamt 17 Briefe (neun von Arnold und acht von Pfanner) und ist vollständig erhalten. Die Edition bietet ergänzend drei Briefe Arnolds an Johann Heinrich May, vier Briefe an August Hermann Francke, zwei Briefe an Ernst Salomo Cyprian, zwei an die königliche Untersuchungskommission in Quedlinburg und zwei an Joachim Lange. Weiteres handschriftliches Material und die Wiedergabe einiger gedruckter Quellen runden den Editionsteil ab.
In der Einleitung (Kapitel 1, 1–16), erläutert B. die Aufgabe und Quellen seiner Arbeit. Um die Quellen überhaupt innerhalb der Biographie Arnolds verankern zu können, folgt eine detaillierte Darstellung seines Lebensweges in der Zeit von 1699 bis 1702 (Kapitel 2, 17–99). Daran schließt eine erste Interpretation des in der Publikation gebotenen Briefwechsels an (Kapitel 3, 101–142). Die Ergebnisse der Untersuchung werden in einem eigenen Kapitel resümiert (Ka­pitel 4, 143–151). B. führt die Frage nach Arnolds Radikalisierung und seinem schlussendlichen Weg in ein kirchliches Amt, mithin die o. g. Frage nach Kontinuität und Diskontinuität in seinem Leben, einer m. E. überzeugenden Beantwortung zu (s. u.). Die eigentliche Quellenedition (Kapitel 5, 153–254) sowie verschiedene Anhänge, Verzeichnisse und Register schließen den Band ab (255–279).
Im Briefwechsel zwischen Arnold und Pfanner, der eine Generation älter als Arnold und theologisch durch das Reformwerk Ernsts des Frommen geprägt ist, geht es vornehmlich um Pfanners Kritik an der »Kirchen- und Ketzerhistorie« (KKH). Die Details der Kor­-respondenz, die mit einem Schreiben Arnolds an Pfanner vom 2.8.1700 eröffnet und durch einen Brief vom 7.12.1702 beschlossen wird, geben nicht zuletzt vereinzelte, aber aufschlussreiche Einblicke in die seelische Verfasstheit Arnolds in dieser Zeit und können in der Edition und der Untersuchung B.s nachgelesen werden. Zusammenfassend zeigt der Briefwechsel, dass Pfanner, der bei aller Kritik an der KKH in wichtigen Anliegen mit Arnold übereinstimmt, im Streit um dieselbe eine Mittelposition zwischen Arnold und seinen Gegnern bezog. Interessant ist das differente Verständnis von »unpartheyisch«, das im Briefwechsel zutage tritt. Während Pfanner damit eher eine juristische Semantik verbindet (Unparteilichkeit als Unvoreingenommenheit), drücke der Begriff für Arnold einen Standpunkt der Überkonfessionalität aus (jede verfasste Kirche ist nach Arnold »Parthey«, ja Sekte). Die Übernahme der Allstädter Schlossprädikatur sieht B. im Übrigen durch die drohende Ausweisung aus Quedlinburg und damit einen für Arnold ernsthaft bedrohlichen Status der Schutzlosigkeit veranlasst, was wiederum die Eheschließung zur Bedingung machte, ohne die er als unverheirateter 34-Jähriger das Amt des Beichtvaters für die gerade einmal vier Jahre jüngere Herzoginwitwe Sophie-Charlotte von Sachsen-Eisenach auf Schloss Allstedt nicht hätte übernehmen können.
B. bereichert die Arnold-Forschung nicht nur mit einer hilfreichen, interessanten Sammlung und Einordnung einiger bislang unberücksichtigt gebliebener biographischer Quellen, sondern auch mit einer abwägenden Darstellung und plausiblen Deutung von Arnolds Lebensweg im verhandelten Zeitraum. Indem er sich nicht die Sicht der enttäuschten radikalpietistischen Freunde Ar­nolds und auch nicht die der schadenfrohen Gegner aneignet, sondern nach Arnolds eigenen Intentionen bzw. den äußeren Umständen und Veranlassungen für bestimmte Entscheidungen fragt, kommt er zu weiterführenden Deutungen von Arnolds theologischer Entwicklung. Damit legt B. einen veritablen Beitrag zur Arnold-Forschung vor, der wichtige historische Kontexte des Lebens und Werks des pietistischen Einzelgängers weiter aufhellt.
Nachzutragen bleibt nur noch die dem Band nicht zu entnehmende Information, dass parallel zu B.s Untersuchung das von ihm mehrfach zitierte, biographisch äußerst wichtige »Offenhertzige Bekäntniß« (1698), in dem Arnold die Niederlegung seiner Gießener Professur begründet, durch Dietrich Blaufuß der Forschung nunmehr in einer sehr verdienstvollen Edition leicht zugänglich ge­macht wurde, und zwar in: Gottfried Arnold: radikaler Pietist und Gelehrter. Jubiläumsausgabe von und für Dietrich Blaufuß und Hanspeter Marti/hrsg. von Antie Mißfeldt. Köln u. a. 2011, 191–261.