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Ausgabe:

März/2014

Spalte:

339–342

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Förster, Niclas

Titel/Untertitel:

Jesus und die Steuerfrage. Die Zinsgroschenperikope auf dem religiösen und politischen Hintergrund ihrer Zeit mit einer Edition von Pseudo-Hieronymus, De haeresibus Judaeorum.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2012. XI, 418 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 294. Lw. EUR 114,00. ISBN 978-3-16-151841-6.

Rezensent:

Rainer Riesner

Diese Arbeit, im Wintersemester 2009/2010 von der Evangelisch-theologischen Fakultät Münster als Habilitationsschrift angenommen, wurde für den Druck leicht überarbeitet. Zu Beginn des 1. Kapitels skizziert Niclas Förster recht kurz den Forschungsstand zur Zinsgroschenperikope (Mt 22,15–22/Mk 12,13–17/Lk 20,20–26), wobei er eine antizelotische, eine prozelotische und eine eschatologische Deutung sowie eine Frühform der Unterscheidung zweier Reiche voneinander abhebt. Außer der prozelotischen enthalten nach ihm alle anderen Interpretationen Wahrheitsmomente. F. will den religiös-politischen Hintergrund noch genauer herausarbeiten und zum zweiten Teil des Jesus-Wortes »Gebt […] Gott, was Gottes ist« eine neue Deutung vorlegen. Der synoptische Vergleich zeigt, dass Markus bis auf geringe Änderungen eine vorsynoptische Überlieferung treu wiedergibt. Für alle Synoptiker gilt: »Keiner aber tilgt aus der Weisung Jesu in der Sache ein Wort, denn man verstand diese Aussage Jesu offensichtlich in ihrem Wortlaut als maßgeblich und nicht veränderbar.« (17 f.) Deshalb sowie aufgrund der Kriterien von Kontext- und Wirkungsplausibilität sowie der »Sperrigkeit« rechnet F. mit einem echten Jesus-Wort und wie R. Bultmann mit einem einheitlichen Apophthegma.
Ausführlich stellt das 2. Kapitel die Einführung des römischen Steuersystems in Judäa seit Pompejus 63 v. Chr. und die Ausgestaltung zur Zeit Jesu dar. Besondere Aufmerksamkeit finden die Schätzung des Quirinius als »römischer Initialcensus« (37) bei der Eingliederung Judäas in die Provinz Syrien, der damit verbundene Kaisereid und die Rolle der jüdischen Oberschicht beim Einzug der Steuern.
Nach F. konnte Quirinius nicht auf Unterlagen von Herodes d. Gr. und Archelaos zurückgreifen (35). Eine andere Sicht vermittelt ein nicht herangezogener Artikel von B. W. R. Pearson (The Lucan Census Revisited, CBQ 61, 1999, 262–282). F.s Annahme steht in Spannung zum eigenen Hinweis, »dass zur Zeit des Herodes schon eine königliche Bürokratie für Steuerangelegenheiten existierte« (32). Gravierender ist die fehlende Diskussion, ob Herodes nur eine Kopfsteuer (tributum capitis), aber keine Grundsteuer (tributum soli) erhob (so A. Puig i Tàrrech, Jesus, Tübingen 2010, 74–93). Für F. war gerade die erstmalige Erhebung des tributum capitis unter Quirinius ein Grund für den Aufstand von Judas dem Galiläer (135). Eine Diskussion wäre umso nötiger gewesen, als F. selbst an anderer Stelle schreibt: »Neben die auf Grundbesitz basierende Steuerforderung trat überdies in dem römischen System als zweite Form der Besteuerung das tributum capitis, das es in Judäa bis dahin möglicherweise [!] nie gegeben hatte.« (48)
In dieser Deutlichkeit neu ist der Hinweis auf andere Hintergründe der Zinsgroschenperikope. Entgegen weit verbreiteter Ansicht konnten auch in Judäa die Steuern nur mit römischen Münzen bezahlt werden. Deshalb steht in Mt 22,19 für die Steuermünze (ein Silberdenar) der Latinismus τὸ νόμισμα τοῦ κήνσου. Weiter galt: »Seine Prägung [also Bild und Umschrift] machte ein Stück Metall nach römischem Recht zu einem Geldstück […] Wer ihre Verwendung in alltäglichen Geschäften verweigerte, wurde mit dem Tode bestraft.« (60) Das erfuhr unter Tiberius eine Zuspitzung, weil jetzt auch jede unehrenhafte Behandlung von Kaiser-Münzen ein crimen laesae maiestatis war: »Das Portrait konnte als Repräsentant des Imperators selbst gelten […] Gleichzeitig demonstrierte es auf Münzen augenfällig die Autorität des Kaisers und damit letztlich seine Legitimität zum Einziehen von Steuern.« (71)
Mit Recht betont F. den dramatischen Einschnitt des Census unter Quirinius. Bei der Darstellung der religiösen Aufstandsmotive hat sich Josephus aus apologetischen Gründen zurückgehalten (Bell 2,118.433/Ant 18,2–4.23–35). Immerhin wird deutlich, dass Judas die Besteuerung als Sklaverei und die Anerkennung der Herrschaft des Kaisers anstelle Gottes »geradezu [als] eine Form der Apostasie« auffasste (75). F. vermutet, dass Hippolyt aus Quellen des 2. Jh.s schöpfte, und untermauert das durch die verdienstvolle, erstmalige textkritische Edition sowie eine Interpretation von Pseudo-Hieronymus De haeresibus Judaeorum im abschließenden 6. Kapitel (282–300). Der Kodex stammt aus dem 9. Jh., die auch Augustinus bekannte Schrift wird auf Anfang des 5. Jh.s datiert, und F. nimmt als Entstehungsort Palästina an. Über eine von insgesamt zehn Gruppen jüdischer Häretiker heißt es in Übereinstimmung mit Hippolyt: »Die Galiläer sagen, Christus sei gekommen und habe sie gelehrt, dass sie nicht den Kaiser Herrn nennen und sein Geld nicht benutzen.« (292) Wegen auffallender Berührungen von De haeresibus Judaeorum mit einem von Eusebius (HE 4,22,7) mitgeteilten Exzerpt aus Hegesipps Hypomnemata kommt dieser wahrscheinlich aus Palästina stammende, judenchristliche Geschichtsschreiber als Quelle in Frage. Dasselbe gilt für Justin und seine ähnliche Liste jüdischer Häresien (Dial 80,4). Pseudo-Hieronymus könnte »gerade in der Bezeichnung Galiläer auch eine Reminiszenz an Judas den so genannten ›Galiläer‹ aufbewahrt haben« (295). Weil der Münzboykott bei Josephus nirgends erwähnt wird, versucht F., mit Hilfe des umfangreichen Materials jüdischer Quellen zum biblischen Bilderverbot »die Stichhaltigkeit der Überlieferungen bei Hippolyt und Pseudo-Hieronymus nachzuweisen.« (83) Seit der makkabäischen Krise kam es zur verschärften Auffassung des Bilderverbotes (Ex 20,4–6/Dtn 5,8–10). Auf den Münzen der Hasmonäer fehlt das Herrscherbild, in Qumran wird gegen pagane Bilder polemisiert (CD 12,8–9). Selbst Herodes d. Gr. folgte im jüdischen Siedlungsgebiet weitgehend dem Verbot, Lebewesen bildlich darzustellen. Dass in Jerusalem vor 70 n. Chr. Häuser »nie mit der Darstellung irgendwelcher Lebewesen verziert« gewesen seien (121, Anm. 524), stimmt zwar nicht ganz (Y. Yadin [ed.], Jerusalem Revealed, Jerusalem 1976, 57–60). F. arbeitet aber zu Recht heraus, wie sich der Kampf gegen solche Bilder bis 66 n. Chr. immer weiter radikalisierte. Die Opposition betraf auch die Kaiser-Porträts auf Münzen, wie ihre Unkenntlichmachung in Masada und Qumran beweist. Ein Reflex dieser Ablehnung zeigt sich noch in der rab­-binischen Literatur. Nachum ben Simai praktizierte nach dem Bar-Kochba-Aufstand einen lebbaren Kompromiss, indem er zwar römisches Geld verwendete, aber die Bilder darauf nicht ansah (bAZ 50a). F. zieht aus alledem den wichtigen Schluss, dass die Ablehnung kaiserlichen Geldes ebenso wie die Zurückweisung des Kyrios-Titels mit der Steuerproblematik zusammenhing (142 f.).
Das 3. Kapitel will die neu gewonnenen Erkenntnisse auf den markinischen Text anwenden. Die »Herodianer« als Fragesteller (Mk 12,13) sind glaubhaft, weil der königliche Haushalt an der Steuereinziehung beteiligt war. Die Zusammengehörigkeit von Demonstration und Wort Jesu ist historisch plausibel. Wenn die Frager der Aufforderung folgen, die Steuermünze »zu bringen« und »anzusehen« (Mk 12,15–16), stimmen sie Jesus zu (Mk 12,17a), dass Steuerzahlung erlaubt sei. Gleichzeitig wird ihre Intervention als Scheinfrage und Falle entlarvt (Mk 12,14–15). Wie aber steht es mit dem zweiten Teil der Antwort »Gebt Gott, was Gottes ist«, dem F. das 4. Kapitel widmet? Zu Recht bestreitet F., es gehe wie Mt 17,24–27 um die Tempelsteuer. Breit wird die rabbinische Erwartung dargestellt, das aus römischen Steuern angehäufte Gold und Silber werde als Gottes Eigentum am Ende dem Messias oder dem Volk Israel übergeben. Die Rabbinen entwickelten eine schon früher belegte, mit der endzeitlichen Völkerwallfahrt verbundene Interpretation weiter. Was diese Erwartung zum Verständnis des Jesus-Wortes beitragen kann, wird erstaunlicherweise so gut wie nicht thematisiert (außer 189 f. mit fraglichen impliziten methodischen Prämissen). F. geht darauf nur äußerst kurz am Ende des 5. Kapitels (279 f.) und in der Einleitung ein:
»Demnach handelt es sich bei dem von Jesus verlangten Geben von ›dem, was des Kaisers (bzw.) Gottes ist‹, um die Erinnerung an den eigentlichen Eigentümer. Dem Kaiser werden durch Abgaben an den Fiskus die Geldstücke eingezahlt, die er herstellen und durch Portrait und Münzlegende als sein Geld kennzeichnen ließ […] Gott aber kommt als Weltschöpfer alles Gold und Silber, auch das zur römischen Münzproduktion verwendete, als Eigentümer zu und wird ihm darum dereinst übergeben werden.« (8 f.)
Gegenüber diesem Verständnis bestehen erhebliche Bedenken. Im Logion geht es nicht um einen eschatologischen Ausblick, sondern um eine gegenwärtige Handlungsanweisung: »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist!« (Mk 12,17). Die Wendung τὰ τοῦ θεοῦ kann nicht nur, wie einmal bei Josephus (Ant 14,113), jüdische Gelder meinen, sondern alle Arten von göttlichem Besitz oder allgemein den göttlichen Bereich, wie F. selbst darlegt (213–220). Eine entsprechende hebräisch-rabbinische Wendung (ולשׁמ) umfasst an der für F. besonders wichtigen Stelle mAb 3,7 sogar den Menschen (189). Man sollte das Jesus-Wort nicht zuerst mit Hilfe später rabbinischer Äußerungen, sondern aus seiner eigenen Logik heraus verstehen. Viele Ausleger kommen deshalb auf Gen 1,27, das vom Menschen als »Bild Gottes« redet. Auch andere Jesus-Worte besagen, dass Menschen ihr »Leben« und damit ihre Person »(hin)geben« können (Mk 10,45; vgl. 8,37). F. hält eine derartige Deutung für »eine gnostische Spiritualisierung« (174). Dieser Vorwurf trifft Origenes und Clemens Alexandrinus, die sich aber gar nicht auf Gen 1,27 beziehen. Das tut dagegen Tertullian in einer vielleicht noch älteren, sehr nüchternen Interpretation des Jesus-Wortes ( De idololatria 15), die F. nicht einmal im 5. Kapitel über die christliche Rezeption der Perikope (226–281) erwähnt.
Ausführlich behandelt F. Röm 13,1–7. Zu Recht setzt er bei Paulus eine breitere Kenntnis der Logienüberlieferung voraus und bezieht Röm 13,7 auf das Jesus-Wort (227–229). Vielleicht paraphrasieren die Wendungen »dem die Furcht (gebührt), die Furcht, dem die Ehre, die Ehre« (Röm 13,7c) den Schluss des Logions »was Gottes ist« (vgl. C. E. B. Cranfield, The Epistle to the Romans II, Edinburgh 1981, 670–673). Auch das würde gegen F.s Deutung sprechen. Nützlich sind die Vergleiche zwischen Paulus, Josephus und Philo zur Steuerfrage. Entgegen neueren Annahmen bewegt sich der Apostel durchaus im Horizont apokalyptischen Denkens. F. zeigt weiter, dass ThEv 100 eine gnostisierende Weiterentwicklung darstellt. Die Version in P. Egerton, 2, bzw. P. Köln, 255, ist von den Synoptikern abhängig und kennt den religiös-politischen Hintergrund nicht mehr.
Es gibt in dem Buch so gut wie keine Druckfehler (146 muss es 41 n. Chr. heißen). Auch wenn an eine seiner Hauptthesen sehr kritische Fragen gestellt werden müssen, hat F. zu einigen wichtigen Aspekten einer oft behandelten und wirkungsgeschichtlich ungemein bedeutsamen Perikope neue, hilfreiche Erkenntnisse beigetragen.