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Ausgabe:

März/2014

Spalte:

337–339

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Coombes, Malcolm

Titel/Untertitel:

1 John. The Epistle as a Relecture of the Gospel of John.

Verlag:

Preston u. a.: Mosaic Press 2013, VIII, 230 S. Kart. Aus$ 55,00. ISBN 978-1-74324-015-1.

Rezensent:

Theo K. Heckel

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Jensen, Matthew D.: Affirming the Resurrection of the Incarnate Christ. A Reading of 1 John. Cambridge: Cambridge University Press 2012 (reprinted 2013). VIII, 227 S. = Society for New Testament Studies Monograph Series, 153. Geb. £ 57,00. ISBN 978-1-107-02729-9.


Die zwei Bücher zum 1. Johannesbrief gehen auf Doktorarbeiten (PhD thesis) zurück, die in Australien eingereicht wurden. Malcolm Coombes wurde 2006 in der School of Theology der Charles Sturt University in Parramatta, einer Vorstadt von Sydney, der PhD verliehen und Matthew D. Jensen 2010 an der Universität von Sydney. Die beiden Orte liegen nur 20 km Luftlinie voneinander entfernt, trotzdem sind die Arbeiten offenbar ohne gegenseitige Kenntnis entstanden und veröffentlicht worden. Beide Bücher versuchen eingangs, den Gedankenverlauf des 1Joh plausibel zu machen. Es fehlt nicht an Versuchen, den 1Joh als ein ausgeklügeltes Kunstwerk geheimnisvoller Strukturen zu deuten, um dem Vorwurf zu begegnen, der 1Joh verlöre nichts, würde er Satz für Satz rückwärts gelesen (vgl. C., 29).
C. wie auch J. finden in 2,12–14 den Dreh- und Angelpunkt des Briefs. Diese drei Verse sind ausgesprochen kunstvoll strukturiert durch gleichartige Anreden, Aufbau und Wortwiederholungen. Vor diesem Vers redet der Verfasser des 1Joh dreimal in 1. Pers. sg. Präsens von seinem Schreiben (2,1.7.8; J., 49, übersieht 2,1), danach dreimal im Aorist (2,21.26; 5,13). Genau diese Folge bietet auch 2,12–14: dreimal γράφω in 2,12.13a.13b und ἔγραψα in 2,14a.14b.14c (vgl. C., 38; J., 49). Diese Beobachtungen sind auffällig, aber schwer zu deuten, wie J. eingesteht: »I have no explanation of the reason for the change in tense-form and aspect« (49, Anm. 9). Beide Arbeiten sehen in 2,12 f. den vorangehenden Briefteil zusammengefasst (J., 48; C., 37).
J. meint, die Einführung des 1Joh reiche bis zu 2,14, dann erst sei für den aktuellen Anlass der Boden bereitet. Ich meine aber, der Wechsel vom Wir der Verse 1,1–4, das die Adressaten ausschließt, zu einem Wir im weiteren Brief, das die Adressaten einschließt, grenzt die ersten vier Verse vom restlichen Brief ab. Daher dürfte 1,1–4, nicht 1,1–2,14, den Brief einleiten.
Für C. sind die drei Verse 2,12–14 Schablone oder Grundgerüst (»template«) des Briefs (36–47). Die Verse 2,12 f. nähmen nach C. Themen drei vorangehender Briefabschnitte auf, 2,14 gäbe Vorverweise auf die Abschnitte 2,18–27 und 5,3–13. So findet sich das Verb »ich schrieb« (ἔγραψα) in diesen Abschnitten. Dazu vermerkt C. etwas gesuchte weitere Anklänge von 2,14 zu diesen Abschnitten. Warum der 1Joh gerade in 2,12–14 diese Verweise seines Werkes einfügt und warum er dazu unterschiedliche Gruppen in der Gemeinde anspricht (Kinder, Väter, Junge), kann auch C. nicht wirklich erklären.
J. und C. teilen die Faszination an 1Joh 2,12–14, dann gehen sie eigenständige Wege. Nach J. unterstreiche 1,1–3, dass der Auferstandene einen Leib hatte. Streitpunkt im 1Joh sei, ob der im Judentum erhoffte Gesalbte, der Christus, mit Jesus von Nazaret identisch sei. Erst die leibliche Auferstehung in den Erscheinungsgeschichten beweise dies. Die in 1Joh angesprochenen Gegner hätten diese Erscheinungen und damit die Identifikation Jesu mit dem Messias zurückgewiesen: Es seien Juden und wären es auch immer gewesen.
Den geistigen Hintergrund der ersten Leser des 1Joh erschließt J., indem er »Leerstellen« (»gaps« nach W. Iser) sammelt, die durch die ersten Leser gefüllt werden müssen. Dazu sammelt er z. B. Begriffe, die 1Joh ohne Einführung verwendet, etwa »Antichrist«. Mit Verweisen z. B. auf die Apg (J., 113.117.177) »belegt« J. Gedanken, die den Erstlesern des 1Joh erlaubten, die Leerstellen zu füllen. Die Apg war den Erstlesern des 1Joh schwerlich bekannt. Überzeugender finde ich hier C.s Lösung, der, vereinfacht gesagt, das JohEv als Brücke für solche »Leerstellen« ansieht. J. stützt sich auch auf zweifelhafte Argumente. Ähnliche Formulierungen verlangen nicht ähnliche Gruppenzugehörigkeiten. Wenn Dtn 13,12 f. oder Apg 15,24 mit dem Verb ἐξέρχομαι ein innerjüdisches Schisma themati­sieren, muss dasselbe Verb in 2,19 nicht ein ebenso innerjüdisches Schisma benennen (J., 114 f.). J.s Deutung muss 2,19 Gewalt antun: »Sie sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns«. Das »bei uns sein« ist für 1Joh christologisch qualifiziert: über Juden, die dieses Bekenntnis nie teilten, hätte der Verfasser nicht gesagt, sie sind von uns ausgegangen (ἐξ ἡμῶν), und er hätte schwerlich ge­sagt, sie sind von uns weggegangen (ἐξῆλθαν). Etwa T. Griffith, (Keep Yourselves from Idols, 2002, vgl. meine Rezension, ThLZ 129 [2004], 1066–1068) deutet die Gegnerposition des 1Joh wie J. als jü­disch. Aber G. nimmt wegen 2,19 an, die Gegner des 1Joh hätten nach einer Zeit innerhalb der johanneischen Gruppe ihr christliches Bekenntnis wieder abgelegt.
J. vermeidet eine klare zeitliche Ansetzung des 1Joh. Er deutet aber an, ihn »eher Mitte bis spätes 1. Jahrhundert« datieren zu wollen (17, Anm. 45; 118, Anm. 53). Jedenfalls aber setzt J. den 1Joh nach dem JohEv an. Nach J. verbinde 1Joh 1,1 Anspielungen auf Joh 1,1–18 und die Thomasgeschichte, samt dem Thomasbekenntnis 20,28 (nicht 20,8, wie J. auf S. 64 schreibt). Nach J. setzt 1Joh also das ganze JohEv voraus (64) – ich würde vorsichtiger sagen: 1Joh setzt Joh 1–20 voraus (so auch C.). Zeitlich nach dem JohEv ist der Konflikt des 1Joh m. E. nur als innerchristliche Differenzierung deutbar. Auch 1Joh 4,2 und 5,6–8 zwingt J. in seine These, die Erscheinung des auferstandenen Jesus vor den Jüngern sei der Inhalt des Bekenntnisses. 1Joh stelle den auferstandenen inkarnierten Ge­salbten in den Vordergrund, nicht die Tatsächlichkeit der Inkarnation, so die Grundthese J.s. Dabei zwingt J. den 1Joh in eine falsche Alternative. Für 1Joh wie für das JohEv bestätigt die Auferstehung die Inkarnation. Der Auferstandene bleibt durch seine irdische Geschichte gekennzeichnet: Ihm bleiben die Kreuzmale. Die Leiblichkeit Jesu ist Thema in Joh 1–19. In den Erscheinungsgeschichten (Joh 20) ist die Leiblichkeit nicht mehr Zielpunkt, sonst hätte der Evangelist nicht geschrieben, Jesus sei trotz geschlossener Türen vor den Jüngern erschienen (20,19.26). 20,19–29 zielt auf das Sehen der Jünger (20,20.25 ἐωράκαμεν wie 1Joh 1,1.2.3) und berichtet gerade nicht davon, dass die Jünger Jesus berührten, wie es J. bei seiner Engführung annehmen muss. 1Joh stellt die wahre Menschheit des Christus heraus und spielt dabei auch auf die Thomasgeschichte an.
C. deutet den 1Joh als einen Text, der durchgängig auf dem Hintergrund des JohEv gelesen werden will, und erschließt so m. E. den 1Joh besser. 1Joh sei eine relecture von Joh 1–20. C. entlehnt diesen Begriff von G. Genette wie vor ihm J. Zumstein u. a. Die sprachlichen Gemeinsamkeiten zwischen 1Joh und dem JohEv verdanken sich nicht nur der johanneischen Sondersprache, sie kämen vielmehr daher, dass der 1Joh sich je an bestimmte Stellen des Evangeliums anlehne. Joh 1–20 ist für 1Joh wie für dessen Leser ein bekannter und anerkannter Grundlagentext. C. sammelt Stellen, bei denen 1Joh auf etwas den Adressaten Bekanntes verweise mit der Vokabel οὗτος (»›This‹-statements«, 20–22). Etwa wenn 1Joh die Vokabel sagen oder schreiben mit ταῦτα verwendet, nennt dies C. ein »›this‹-statement«, Typ 1. Wenn ein vorausweisendes »dies« im Brief verbunden mit einem »ist« (ἐστιν) vorkommt, etwa: »dies ist die Kunde«, 1,15, liegt nach C. Typ 2 vor; Typ 3 benützt »in diesem« (ἐν τούτω εἰς τοῦτο) oder »aus diesem« (ἐκ τούτου). Aus solchen Verweisen sammelt C., welche bekannten Texte oder Traditionen der 1Joh voraussetzt (58–67). Recht oft, ja fast durchgängig kann C. plausibel machen, dass 1Joh mit diesen Verweisen bestimmte Stellen aus dem JohEv in Erinnerung bringt und soweit das JohEv als bekannte Autorität für seine Argumentation voraussetzt. 1Joh bezieht sich mit dem Verb »schreiben« gerne auf Abschnitte im JohEv, in denen Jesus spricht (C., 59.104 u. ö.). So knüpft der 1Joh besonders an die Autorität der Worte Jesu an. Berichtende Ab­schnitte treten in seiner relecture zurück.
C. will zeigen, wie die einzelnen Abschnitte des Briefes Signalwörter einzelner Abschnitte des Evangeliums aufnehmen und so eine bestimmte Auslegung des Evangeliums andeuten. Die An­-spielungen des Briefes sind unterschiedlich deutlich. Gelegentlich unterstützen Besonderheiten, die auf die beiden Textabschnitte beschränkt sind, die Annahme, dass eine solche Klammer zwischen Abschnitten des 1Joh und des JohEv besteht. Nach C. bietet 1Joh 2,12–17 eine relecture von Joh 8,12–58 (C., 102–112). Nur in diesen beiden Ab­schnitten findet sich im Corpus Johanneum das Stichwort ἐπιθυμία (1Joh 2,16 f./Joh 8,44; C., 102.110).
Beide Arbeiten zum 1Joh gehen von dessen Worten aus und bemühen sich, möglichst viele Einzelbeobachtungen in eine übergreifende Theorie einzubeziehen. J.s Annahme halte ich in der These zu den Gegnern für nicht überzeugend, aber die Thematik des auferstandenen Christus dürfte für den 1Joh eine größere Bedeutung gehabt haben, als viele Forscher vor J. eingestanden haben. C.s Werk fördert die Annahme, dass der 1Joh nicht in die Vorgeschichte des JohEv gehört, wie in der deutschen Forschung etwa J. Frey und U. Schnelle annehmen, sondern in dessen Nachgeschichte. Folgeuntersuchungen mögen klären, ob die Auswahl der Stellen, die 1Joh nach C. verwendet, plausibel zu machen ist, und welche Fremdeinflüsse, die sich nicht endogen aus der johanneischen Überlieferung erklären lassen, auch im 1Joh zu finden sind.