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Ausgabe:

März/2014

Spalte:

335–336

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Seiler, Stefan

Titel/Untertitel:

Text-Beziehungen. Zur intertextuellen Interpretation alttestamentlicher Texte am Beispiel ausgewählter Psalmen.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2013. 336 S. = Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament, 202. Kart. EUR 45,90. ISBN 978-3-17-022549-7.

Rezensent:

Ann-Cathrin Fiß

Das zu besprechende Werk ist die Habilitationsschrift von Stefan Seiler, Dozent für Hebräisch, Aramäisch und Bibelkunde an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau. S. geht in ihr der Frage nach, wie eine methodisch fundierte intertextuelle Exegese aussehen kann und welchen Ertrag sie zu leisten vermag. In der gegenwärtigen exegetischen Literatur tauche, so S. in der Einführung, immer häufiger das Stichwort Intertextualität auf, bleibe aber oft undefiniert, so dass sein Werk einen Beitrag zur Füllung dieser methodischen Lücke darstellen solle.
Aus diesem Grund verwundert es nicht, dass S. seinen Textanalysen ein methodisches Fundament gibt, indem sich die ersten vier Kapitel auf den »Aufbau der Arbeit« (Kapitel 1), die »Theore­tische Grundlegung« (Kapitel 2), die »besondere Problemstellung bei der intertextuellen Analyse biblischer Texte« (Kapitel 3) und das »Verfahren intertextueller Interpretation biblischer Texte« (Ka­pitel 4) konzentrieren.
Diese vier in die Methodik einführenden Kapitel können als die große Stärke des Werkes bezeichnet werden, da S. eine genaue Bestimmung seines Themas und seiner Arbeitsweise in einer verständlichen und klaren Sprache darlegt.
In der theoretischen Grundlegung gibt S. einen Forschungsüberblick über die beiden literaturwissenschaftlichen Hauptströme, die sich mit dem Begriff der Intertextualität verbinden und ihren Ursprung in den Ansätzen des russischen Wissenschaftlers Michail Bachtin und der bulgarischen Semiologin Julia Kristeva haben.
S. selbst folgt nicht der Vorstellung Kristevas, der ein universaler translinguistischer Textbegriff zugrunde liegt, welcher das Potential zur Sinnkonstitution den Texten und ihrem intertextuellen Spiel selbst zuschreibt, während der schreibende und lesende Mensch in den Hintergrund gerät, sondern dem deskriptiven Ansatz, der vor allem in Deutschland zur Anwendung kommt. Dieser ist an der strukturellen Organisation von Texten interessiert und sucht nach konkreten Kategorien und Methoden, die Beziehungen zwischen Texten zu beschreiben. Insbesondere die von Manfred Pfister und Michael Helbig erarbeiteten Kriterien zur Erkennung von Häufigkeit und Qualität von intertextuellen Signalen scheinen S. geeignet, um an den biblischen Texten zu arbeiten.
Hervorzuheben ist, dass S. Interesse in dieser Studie ganz auf der sogenannten synchronen Beschreibung des Kommunikationsgeschehens zwischen Texten liegt, wobei er den zeitlichen Aspekt literarhistorischer Analysen bewusst ausklammert. Nicht die Zeit spiele für dieses Vorgehen die ausschlaggebende Rolle, sondern der Raum (36). An dieser Stelle möchte die Rezensentin S. gerne genauer befragen, wie die Raummetapher, welche zentral durch den Begriff der Kommunikation geprägt zu sein scheint, gefüllt ist und ob und wie eine künstliche Trennung von Zeit und Raum in der Umsetzung wirklich funktionieren kann.
Betont werden muss auch, dass S. die intertextuelle Analyse nicht als eine Methode ansieht, welche die anderen zu ersetzen vermag oder in Konkurrenz zu ihnen steht, sondern als eine Stimme im umfangreichen Chor der exegetischen Möglichkeiten. Er selbst sieht den exegetischen Ort der Intertextualität in der Untersuchung der Kontexte und der sich damit verknüpfenden Frage nach textübergreifenden Verbindungen (8. Ausblick).
Nach der thematisch-methodischen Grundlegung besteht der Mittelteil des Werkes aus konkreten Textanalysen, in welchen S. die intertextuellen Beziehungen zwischen Psalmen und Texten der Tora untersucht. Als Auswahlkriterien für die Psalmen nennt er das Vorkommen von spezifischen Namen (z. B. Massa, Mose, Aaron usw.), Leitworten, Formeln und Themen des Pentateuchs (45 f.).
Alle Analysen der 13 ausgesuchten Psalmen sind gleich auf­-gebaut: Vorangestellt wird eine übersichtliche Tabelle mit einer Übersetzung des Psalms und Anmerkungen zu den Tempora, Be­merkungen zum Aufbau (z. B. anhand von Wortfeldanalysen, Subjektwechsel, terminologischen Beobachtungen) und eine daraus resultierende Gliederung folgen, danach werden anhand der Auswahlkriterien die intertextuellen Bezüge zum Pentateuch herausgearbeitet und abschließend wird ein kurzer Ertrag dargelegt.
Die einzelnen Untersuchungen bieten sorgfältige und detaillierte semantische Analysen und sind vor allem, wie im Eingangsteil angekündigt, deskriptiver Art. Eine tiefere Deutung scheint sich dort abzuzeichnen, wo durch den intertextuellen Dialog eine Neuinterpretation beider Texte, sowohl des Referenztextes als auch des manifesten Textes, aufscheint (am deutlichsten wahrzunehmen am Vergleich von Ps 90 und Gen 3 [148–150]).
Von den klassischen Methoden der Exegese herkommend, wirkt es mitunter irritierend, dass z. B. formgeschichtliche Fragestellungen, außer der Nennung der Gattung des Psalms, keine Rolle spielen, da diese viele der aufgezeigten Phänomene sehr einfach erklären würden. Dass die Gattung sich stark auf Struktur und Inhalt der untersuchten Texte auswirkt, wird von S. selbst zugestanden, allerdings erst am Ende seiner Studie im Ausblick auf weitere Forschungen (8. Ausblick).
Am Ende des Werkes werden die Erträge aus den Analysen hinsichtlich der Art der intertextuellen Bezugnahmen kategorial sortiert (z. B. »Doppel- und Mehrfachverknüpfungen zweier Textkomplexe« [285 f.], »Bezüge zu mehreren Referenztexten« [286]) und thematisch gebündelt (z. B. »Alleinwirksamkeit Gottes« [291 f.], Überhöhungen [292 ff.]). Diese Zusammenfassung bietet einen guten Überblick über die vielen detaillierten Einzelanalysen, weist allerdings auch einige Redundanzen zum Vorhergehenden auf.
Das letzte Kapitel ist »Hermeneutischen Überlegungen« (Kapitel 7) gewidmet, welche den Blick auf die Leser und Leserinnen der biblischen Texte richten und kurze thematische Impulse zum »Textbegriff« (Bedeutung des Kanons), zur »Intertextualität als Erinnerungsgeschehen« und zur »Intertextuellen Lektüre als pneumatisch-kreativer Prozess« geben.
Darüber, ob eine intertextuelle Interpretation, wie sie von S. primär deskriptiv an der Textoberfläche durchgeführt wird, wirklich »sinndynamisierende Prozesse« (291), wie S. es nennt, in Gang setzt, kann gestritten werden. Aber die hohe methodische Reflexivität der Studie ist gut gelungen und die Verständlichkeit der Sprache vor allem für Studierende bestens geeignet.