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Ausgabe: | März/2014 |
Spalte: | 326–329 |
Kategorie: | Altertumswissenschaft |
Autor/Hrsg.: | Meshel, Ze’ev [Ed.] |
Titel/Untertitel: | Kuntillet ‘Ajrud (Horvat Teman). An 8th Century BCE Religious Site on the Judah-Sinai Border. |
Verlag: | Jerusalem: Israel Exploration Society 2012. 364 S. m. zahlr. Abb. Geb. $ 96,00. ISBN 978-965-221-088-3. |
Rezensent: | Christian Frevel |
Wenn ein Ausgrabungsbericht 36 Jahre nach Abschluss der Ausgrabungen erscheint, ist das ungewöhnlich und – um es einmal vorweg und in aller Deutlichkeit zu sagen – unverantwortlich spät. Das gilt umso mehr, wenn die betroffenen Funde nicht irgendein Gebäude in der Wüste betreffen, sondern einen Ort, der wie kein anderer die religionsgeschichtliche Diskussion seit seiner Entde-ckung geprägt hat. Die jetzt von Ze’ev Meshel vorgelegte Dokumentation des Grabungsbefundes von < /span>Kuntillet cAǧrūd ist daher mit einer paradoxalen Spannung verbunden. Einerseits hat das lange Warten auf die Endpublikation die Erwartungen gedämpft, zumal auch das Interesse an »JHWH und seiner Aschera« inzwischen ein wenig erlahmt ist – zu oft ist das Gleiche immer wie-derholt worden. Dass also der Band noch mit großer Spannung erwartet worden wäre, wird man nicht sagen können. Andererseits gründete die reiche Hypothesenblüte zu den Deutungen der An-lage (Grenzstation, Schule, Wallfahrtsheiligtum, Karawanserei, Eremitage, Außenposten des Nordreiches etc.), den Zeichnungen (Übungsskizzen ohne Bedeutung, Vorlagenskizzen für die Wandmalereien, unorthodoxe Nordreichikonographie, Bes und Beset als JHWH und seine Aschera, Capriden und Löwe als Ascherasymbolik etc.) und schließlich den Inschriften (Übungstexte für die Pithosinschriften, Wallfahrtsinschriften für die Wandinschriften etc.) auch immer darauf, dass der Befund nicht abschließend veröffentlicht und so die Thesen oft nicht überprüfbar waren. Das – so zumindest die Erwartung – sollte sich mit der abschließenden Publikation der Funde ändern, zumal die Artefakte aus dem Sinai inzwischen an Ägypten zurückgegeben worden sind, was eine Autopsie derzeit nicht gerade erleichtert. Die Erwartungen an den Band sind entsprechend hoch.
Nach Vorwort und Einleitung wird der Befund in insgesamt 14 Kapiteln präsentiert, die von den verschiedensten Autoren verantwortet werden. Der erste Teil, in dem der Ausgräber die meisten Artikel selbst verantwortet, stellt die Lage und Geologie (Z. Meshel), die Architektur (Z. Meshel/A. Goren), die C14-Daten (I. Carmi/D. Segal) und die Gesamtinterpretation der Anlage (Z. Meshel) vor. Im zweiten Teil werden die einzelnen Fundgattungen dargestellt, beginnend mit den Inschriften (S. Aḥituv/E. Eshel/Z. Meshel), den Zeichnungen (P. Beck), der Keramik (E. Ayalon) und deren Herkunft aufgrund der Keramikanalyse (J. Gunneweg/I. Perlman/Z. Meshel). Danach folgen die Textilien (A. Sheffer/A. Tidhar) und Kordeln (O. Shamir), die Objekte aus Holz (Y. Sitry), die Spuren von Tieren (L. K. Horwitz/S. Hellwing/O. Lernau/H. K. Mienis), Pflanzen (N. Liphschitz) und die Objekte aus Stein (N. Reshef). Abgeschlossen wird die Darstellung durch eine ausführliche Bibliographie zu Kuntillet cAǧrūd (N. Naveh).
Auf die einzelnen Funde sowie die Besonderheiten der Befunddokumentation kann im Rahmen dieser kurzen Besprechung nicht eingegangen werden. Die Darstellung der Funde wird durch eine Vielzahl von Farb- und Schwarzweißphotographien von guter Qualität sowie durch Umzeichnungen begleitet; Tabellen und detaillierte technische Angaben zu den Einzelfunden treten demgegenüber zurück, was sich positiv auf die Lesbarkeit auswirkt. Wer in die Diskussion um Kuntillet cAǧrūd etwas eingearbeitet ist, wird bei den aufgeführten Namen viele bekannte gefunden haben. Die Endpublikation beruht vielfach auf den Vorveröffentlichungen, die zum Teil identisch wieder abgedruckt, zum Teil ergänzt worden sind. Damit aber wird die lange Verzögerung auch zwischen den Vorveröffentlichungen und der abschließenden Publikation zum Problem. Zu kritisieren ist nämlich, dass der Band die intensive Diskussion über weite Strecken außen vor lässt. Eine wirkliche Aufnahme oder Auseinandersetzung damit findet nur in wenigen Fällen statt. Bei den wieder abgedruckten Vorberichten wird in knappen Appendizes (»edited by the Editor«) die Diskussion aufgegriffen: Mit einem Federstrich wird etwa bei den C 14-Analysen zwar auf die jüngere Veröffentlichung von Israel Finkelstein hingewiesen, doch diese im Ergebnis als nicht widersprechend dargestellt, so dass keine Auseinandersetzung notwendig scheint. Bei den Textilfunden wird in einem sehr kurzen Addendum auf die jüngeren Funde von Leinen in Kadesch-Barnea hingewiesen, die jedoch ebenfalls die Deutung der Befunde von Kuntillet cAǧrūd nicht ins Wanken bringen können: »Therefore we continue to think that the linen textiles in general, and the sha catnez in particular, reflect the religious function of cAjrud, as a site inhabited by priests and Levites.« (308) In einem ebenfalls ausgesprochen knappen Appendix wird auf die von L. Singer-Avitz ausgelöste Diskussion der Datierung der Keramik eingegangen und diese mit wenigen Worten als für die vorgelegten Analysen irrelevant charakterisiert. Besonders bedauerlich ist, dass in Bezug auf die Ikonographie keine Neubearbeitung erfolgt ist. Nun war zwar der 1982 in der Zeitschrift Tel Aviv erschienene Artikel von Pirhiya Beck ein Meilenstein von herausragender Qualität, doch ist seitdem – oft ohne Berücksichtigung der konzisen Analysen Becks – kontrovers weiter diskutiert worden. Von beidem bleibt der Band eigentümlich unberührt. Denn zum einen wird die ikonographische Diskussion gar nicht rezipiert, zum anderen aber werden Becks Schlüsse (etwa dass Inschriften und Zeichnungen nicht aufeinander bezogen sind oder die Zeichnungen nicht mit den Bewohnern der Anlage in Verbindung gebracht werden) zum Teil besonders von Meshel selbst wieder in Zweifel gezogen. Überhaupt wird immer wieder in die Meinungsbildung der Einzelbeiträge seitens der Herausgeberschaft der Endpublikation eingegriffen. So wird etwa die Darstellung der Fauna-Reste von der Vermutung begleitet, es könne sich – weil der Befund untypisch für Festungen, Wohnsiedlungen oder kultische Anlagen sei – um eine »desert station« gehandelt haben. Diese wird mit folgender Editor’s Note kommentiert: »As no faunal assemblages from excavated Iron Age II desert way-stations in the region have been examined, the Editor regards it as impossible, on the basis of the faunal assemblage from Kuntillet cAjrud, to conclude that the site functioned as a desert way-station.« (327)
Demgegenüber manifestiert Meshel seine eigenwillige Position, dass der Hintergrund der Anlage religiös konnotiert sei und kultische Aktivitäten eine Rolle spielen: »[…] the inhabitants comprised a group of priests and Levites who were supplied by the provision of offerings and tithes that were sent to them from Jerusalem« (68). Diese hätten die jüngeren Mitglieder das Schreiben und Zeichnen gelehrt, wovon die Pithoi Zeugnis geben sollen. Auch die schon früh in die Diskussion eingebrachte Wallfahrtsthese wird erneuert: Die Priester hätten ihre Dienstleistungen Pilgern angeboten, die den Sinai und Horeb zum Ziel gehabt hätten. Die Steinschalen seien Dedikationsgaben, die dies belegen würden. Diese Thesen bleiben pure Spekulation und wurden vielfach in der Forschungsliteratur vornehmlich kritisch durchdiskutiert. Gleiches gilt für die Interpretation der Zeichnungen und Wandmalereien. Die sitzende Figur im Eingangsbereich der Anlage deutet Meshel als »seated woman« und will die Darstellung einer Göttin nicht ausschließen: »Was there a cultic aspect to the painting?« (66). Als unterstützenden Bezugspunkt will er die beiden Bes-Figuren auf Pithos A sehen, denn diese seien nun eindeutig als männlich und weiblich zu identifizieren: »This detail again raises the question of the significance of the images and their connection with the inscriptions« (66). Das alles ist in der Diskussion vielfach behandelt und von P. Beck wie auch in der Edition der Inschriften zu Recht in Zweifel gezogen worden.
Während es an zum Teil steilen Thesen zum religiösen Hintergrund der Anlage seitens des Ausgräbers nicht mangelt, vermisst man ein intensiveres Eingehen auf die historische Einordnung der Anlage. Meshel will sie als eine vom Königreich Israel unter König Joasch (802–787 v. Chr.) nach seinem Sieg über Amazja von Juda (801–777 v. Chr.) errichtete Anlage verstehen, die die nordisraelitische Präsenz an der Südgrenze von Juda markieren sollte, nachdem Joasch Kadesch-Barnea als Grenzfestung aufgegeben haben soll. Dass das Gebäude kaum eine vergleichbare Funktion erfüllt und als Grenzort sowohl vom Standort als auch der Ausführung eher ungeeignet ist, wird dabei nicht weiter berücksichtigt. Dass auch hier die Diskus sion weiter geht, zeigt etwa Nadav Na’aman, The Inscriptions of Kuntillet cAjrud Through the Lens of Historical Research, UF 43 (2011), 299–324, der die Anlage Jerobeam II. (787–747 v. Chr.) zuordnet.
Bei den Inschriften hat man wohl am intensivsten auf die Erstveröffentlichung gewartet, denn viele Interpretationen und Lesungen in den Anfängen basierten – wenn überhaupt – auf mehr oder minder schlechten Fotos. Die von den angesehenen Epigraphen Shmuel Ah.ituv und Esther Eshel verantwortete Edition birgt keine größeren Überraschungen. Sie dokumentiert die Funde gut, ordnet sie paläographisch ein und übernimmt größtenteils die bereits in der Vergangenheit vorgeschlagenen Lesungen und Interpretationen. Auch hier vermisst man das Eingehen auf die ausgedehnte Diskussion, wenn etwa »seine Aschera« in den Segensformularen als Objekt gedeutet und JHWH zugeordnet wird. Die religionsgeschichtliche Bedeutung der Inschriften wird so insgesamt minimiert. Lediglich für die Verputzinschriften wird eine polytheistische Hintergrundstrahlung noch in Betracht gezogen: »However, it can be said that the authors of the inscriptions written in the Hebrew language and script where believers in YHWH only, and included no other gods in their worship (despite the appearance of הרשא). It is doubtful that the same can be said of those who left the inscriptions in ink on the wall plaster, whose dialect was Judahite, even if the script was Phoenician« (133). Erneut kann darauf hingewiesen werden, dass der Ausgräber der Sicht, es handele sich bei Pithos- und Verputzinschriften um verschiedene Schreiber, in den Einleitungsabschnitten dezidiert widerspricht. Dass die Edition nicht in ausführlichere Diskussionen einsteigt, mag in vielen Fällen verständlich sein, weil 30 Jahre Diskussion eine Überforderung darstellen würden. Aber gerade bei den Wandinschriften hätte man sich eine ausführliche kritische Dokumentation und Diskussion gewünscht. Hier lässt der Band Wünsche offen, da nicht alle Fragmente der Verputzinschriften ausnahmslos in dem Band publiziert werden. Die kleineren Fragmente, die zum Teil nur Spuren von Buchstaben enthalten (Inschrift 4.1., 4.5 und 4.6), werden erwähnt, aber nicht abgebildet. Gerade bei der unsicheren Rekonstruktion der Verputzinschriften, die in kleinste Teile zerbrochen sind, ist ein konstruktiver »joint« für die Zukunft nicht auszuschließen. Die Lesungen des Bandes sind keinesfalls abschließend und fordern zu weiterer Diskussion heraus. Beispielhaft sei hier auf die kritische und weiterführende Bearbeitung von Erhard Blum, Die Wandinschriften 4.2 und 4.6 sowie die Pithos-Inschrift 3.9 aus Kuntillet cAǧrūd, ZDPV 129 (2013), 21–54, hingewiesen.
So bleibt insgesamt ein ambivalenter Eindruck zurück. Es ist zu begrüßen, dass der Ausgrabungsbericht endlich publiziert und das Material zugänglich gemacht worden ist. Der Band wird seine Aufgabe als Referenzwerk für die Notgrabung in Kuntillet cAǧrūd erfüllen. Es ist hingegen bedauerlich, dass der Band so viele Fragen einseitig und ohne Bezug auf die Forschungsdiskussion entscheidet und dass die Dokumentation der Funde noch Fragen offen lässt. Die Diskussion muss und wird weitergehen.