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Ausgabe:

März/2014

Spalte:

324–326

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Maeir, Aren M. [Ed.]

Titel/Untertitel:

Tell es-Safi/Gath I. The 1996–2005 Seasons. 2Vols.

Verlag:

Wiesbaden: Otto Harrassowitz 2012. Vol. 1: Text. Vol. 2: Plates. 932 S. = Ägypten und Altes Testament, 69. Lw. EUR 68,00. ISBN 978-3-447-06711-9.

Rezensent:

Gunnar Lehmann

Der hier zu besprechende Band gehört zweifellos zu den wichtigsten Publikationen der letzten Jahre im Bereich der Archäologie Israels/ Palästinas. Seit 1996 untersucht Aren Maeir von der Bar-Ilan Universität den Tell eṣ-Ṣafi, eine der größten archäologischen Fundstellen des Landes. Während der Eisenzeit zählte der Ort zu den bedeutendsten urbanen Zentren. Zu Recht wird er daher auch mit dem antiken Gat identifiziert, das in der frühen Eisenzeit eines der politischen Zentren der Philister war. Rückblickend fragt sich, wa­rum es eigentlich so lange gedauert hat, bis ein so bedeutender Ort archäologisch untersucht wurde. Zu den größten Städten der biblischen Zeit gehörte neben Gat übrigens auch das antike Gaza, ein Ort, der so gut wie überhaupt nicht archäologisch erforscht wurde.
Folgerichtig haben die Ausgrabungen in Tell eṣ-Ṣafi dazu beigetragen, die Geschichte des alten Palästinas in einem neuen Licht zu sehen. Gat erscheint nach den Grabungskampagnen von 1996–2005 als das wohl bedeutendste bekannte politische Zentrum des gesamten Landes zur Zeit der Vereinten Monarchie. Ganz so er­scheint die Stadt dann auch in der biblischen Überlieferung, die in gewisser Hinsicht durch die Grabungsergebnisse in entscheidenden historischen Aspekten bestätigt wird.
Die Grabungsergebnisse werden auf über 600 Seiten Text und hunderten von Abbildungen präsentiert. In 28 Kapiteln werden nicht nur die archäologischen Untersuchen dokumentiert, sondern auch zahlreiche Spezialuntersuchungen veröffentlicht, die auch methodisch den aktuellen Stand der Archäologie in Israel darstellen. Die Veröffentlichung ist ein gutes Beispiel für die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Archäologen, Historikern und Na­turwissenschaftlern. So unterhielt das renommierte Weizmann- Institut in Zusammenarbeit mit der Bar-Ilan Universität ein Feldlabor unmittelbar neben den Ausgrabungen, in dem gleichzeitig und parallel mit der Freilegung der Befunde naturwissenschaftliche Untersuchungen im Feld durchgeführt werden konnten.
Die Publikation stellt in den ersten drei Kapiteln die Forschungsgeschichte und den organisatorischen Hintergrund des Projektes dar. Die folgenden Kapitel befassen sich mit der physischen Umwelt des Ortes, seinen antiken Namen und seiner Bedeutung in der biblischen Überlieferung. Es folgen zwei Kapitel zur mittelalterlichen und osmanisch-modernen Geschichte des Ortes.
Erst dann werden die archäologischen Ergebnisse dargestellt. Allen voran die Oberflächenuntersuchung der gesamten Fundstelle, die bereits zu Beginn des Projektes die außerordentliche Größe des Ortes während der Bronze- und Eisenzeit deutlich machte. Die folgenden Grabungen haben dann, trotz des Zweifels vereinzelter Fachleute, die Größe Gats und damit seine politische Führungsrolle im Lande bestätigt. Das neunte und zehnte Kapitel behandeln die Ausgrabungsergebnisse in den Arealen A und E, insbesondere die Architektur und den stratigraphischen Befund.
Als besonders wichtig müssen die Keramikfunde gelten, da sie die Grundlage der Datierung am Ort und im Umland darstellen. Im 11. bis 15. Kapitel werden die Gefäße nach ihren Perioden publiziert. Der Ort war seit der Frühbronzezeit im 3. Jt. v. Chr. bis ins 20. Jh. unserer Zeit besiedelt. Das palästinensische Dorf Tell eṣ-Ṣafi wurde 1948 zerstört, und seine Bewohner wurden vertrieben.
Die weiteren Kapitel beschäftigen sich mit Spezialuntersuchungen, darunter die petrographische Untersuchung der Keramik, mit speziellen Kleinfundgattungen wie Siegeln, Gewichten und epigraphischen Funden sowie mit botanischen und zoologischen Untersuchungen.
Die Leser dieser Zeitschrift dürften besonders an den epigraphischen Funden interessiert sein. Stefan Wimmer legt Bruchstücke mit zwei hieratischen Inschriften aus der Spätbronzezeit vor. Die erhaltenen Texte sind sehr kurz. Bei der ersten Inschrift handelt es sich um eine Scherbe mit eingeritzten Zeichen. Die zweite Inschrift ist mit Tinte auf eine Schale geschrieben. Wimmer erwägt die Möglichkeit, dass in dieser fragmentarischen Inschrift der Ortsname ṢPT/ṢFT erwähnt wird.
Bei den Grabungen nach 2005 wurde auch eine beschriebene Scherbe gefunden, die mit eingeritzten Zeichen des semitischen Alphabets beschriftet ist. Die Inschrift wird nicht in diesem Band vorgelegt, aber ausführlich besprochen. Die Scherbe datiert in die frühe Eisenzeit IIA des 10. Jh.s v. Chr. Auf ihr sind die Zeichen תלו/ תולא zu lesen. Die Autoren diskutieren die Möglichkeit, dass damit ein indoeuropäischer Name wie luwisch Alyattes gemeint sein könnte, und vergleichen dies mit dem Namen Goliat aus der biblischen Überlieferung.
Der archäologische Befund macht deutlich, dass Tell eṣ-Ṣafi vor allem in der Frühbronzezeit und in der Eisenzeit des 11. bis 9. Jh.s v. Chr. eine überregional wichtige Rolle gespielt hat. Leider wissen wir fast gar nichts aus der politischen Geschichte des Ortes während der Frühbronzezeit. Tell eṣ-Ṣafi war damals zweifellos eine bedeutende, befestigte Stadt.
Dafür haben die Grabungen unser historisches Verständnis des 11. bis 9. Jh.s v. Chr. wesentlich vertieft. Die Bedeutung Gats in der biblischen Überlieferung ist durch die Grabungen bestätigt worden. Während Ekron bis zum Ende des 11. Jh.s v. Chr. wohl das wichtigste politische Zentrum im Süden des Landes war (leider wissen wir nichts über das zeitgenössische Gaza), übernimmt Gat diese Rolle im Übergang zum 10. Jh. v. Chr. Gat wird damit der un­mittelbare politische Nachbar der Vereinten Monarchie. Die biblische Überlieferung beschreibt nach den anfänglichen Konflikten eine Art Koexistenz mit Gat. Dem entspricht ganz der archäolo­gische Befund, der deutlich macht, dass Gat bis etwa 840/830 v.Chr. seine Führungsrolle behalten hat. Es gibt z. B. keine Zerstörungsschichten am Ort bis zu dieser Zeit.
Ein Vergleich der archäologischen Befunde des 11. bis 9. Jh.s v. Chr. in Juda und in Gat mit seiner Umgebung macht deutlich, dass der Stadtstaat von Gat in seiner Infrastruktur Juda überlegen war. Dies bezieht sich auf die Bevölkerungsgröße und die Formen staatlicher Organisation ausgedrückt in Architektur, Siedlungsstruktur und ökonomischer Reichweite.
Die archäologischen Untersuchungen machen zudem deutlich, dass der Ort um 840/830 v. Chr. vollkommen zerstört worden ist. Die Stadt wurde nach der Zerstörung nicht sofort wieder aufgebaut und die Knochen der Erschlagenen lagen nachweislich über Jahre unbestattet auf der Ruine. Diese Zerstörung bringen die Autoren überzeugend mit einem Feldzug Hazaels, des Königs von Damaskus, in Verbindung. Die Bedeutung Gats vor dem Feldzug Hazaels und seine totale Zerstörung unterstreichen, dass mit diesem Ereignis die politische Landschaft des Landes vollkommen umgestaltet wurde. Die politische Macht der Philister von Gat war gebrochen, was langfristig dem Aufstieg Judas im 8. Jh. den Weg ebnete.
Die Publikation der Ausgrabungen von Tell eṣ-Ṣafi macht da­mit nicht nur bedeutende archäologische Befunde und Funde der Wissenschaft zugänglich, sie trägt vor allem auch zu einem besseren Verständnis der Geschichte Israels/Palästinas vom 11. bis 9. Jh. bei.