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Ausgabe:

März/2014

Spalte:

322–324

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kloppenborg, John S., and Richard S. Ascough

Titel/Untertitel:

Greco-Roman Associations. Texts, Translations, and Commentary. Vol. I: Attica, Central Greece, Macedonia, Thrace.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2011. XXXVI, 488 S. = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentlichte Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, 181. Lw. EUR 129,95. ISBN 978-3-11-025346-7.

Rezensent:

Markus Öhler

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Ascough, Richard S., Harland, Philip A., and John S. Kloppenborg: Associations in the Greco-Roman World. A Sourcebook. Berlin u. a.: De Gruyter; Waco: Baylor University Press 2012. XXXVIII, 394 S. m. 32 Abb. Kart. EUR 29,95. ISBN 978-3-11-026972-7 (De Gruyter); 978-1-60258-374-0 (Baylor).


Die beiden hier vorzustellenden Quellensammlungen sind Ertrag langjähriger und mühsamer Forschungsarbeit und werden die bereits in den letzten Jahrzehnten intensiv betriebene Aufarbeitung des antiken Vereinswesens noch weiter beflügeln. Trotz mancher Kritikpunkte, die im Folgenden genannt werden, ist die große Bedeutung beider Sammelwerke kaum zu überschätzen.
»Greco-Roman Associations« (GRA) stellt den ersten Teil einer auf vier Bände angelegten Reihe vor, die Inschriften und Papyri in Edition, Übersetzung und Kommentar für die weitere Forschungsarbeit aufbereitet. In diesem ersten Band werden nach einer ausgezeichneten Einleitung, die ausdrücklich zur Lektüre empfohlen sei, 55 Inschriften aus Attika, sechs aus dem griechischen Zentralraum, 21 aus Makedonien und neun aus Thrakien vorgestellt, aus einem Zeitraum vom 4. vorchristlichen bis zum 3. nachchristlichen Jh. Weitere Bände werden sich auf Kleinasien und den Osten, auf Ägypten und Nordafrika sowie auf Italien und die westlichen Provinzen konzentrieren. Zu jeder Inschrift finden sich nach allgemeinen Angaben (Ort, Datierung, Editionen, Verweise auf ähnliche In­schriften, Beschreibung des Steins) der griechische (in zwei Fällen aus Philippi lateinische) Text, eine englische Übersetzung, Bemerkungen zu einzelnen Ausdrücken, ein Kommentar, der die In­schrift und die dahinter stehende Vereinigung erläutert, sowie ein Verzeichnis weiterführender Literatur. Im Anhang finden sich ne­ben einer Bibliographie Indizes in zehn verschiedenen Kate­gorien, die den Zugang zu einzelnen Themen erschließen sollen. Die Übersetzungen sind fundiert, dass manches anders oder auch besser wiedergegeben werden könnte, liegt in der Natur der Sache, soll aber den enormen Gewinn dieser Quellensammlung nicht schmälern.
Die Auswahl der Inschriften ist durchaus überzeugend. Zum einen ermöglichen die Texte einen sehr guten Überblick über die Typik des griechisch-römischen Vereinswesens, zum anderen werden durch die Texte selbst die jeweiligen Besonderheiten erkennbar. Die Einleitung bietet einen sehr guten Überblick über diesen Befund, gibt aber zugleich auch zu erkennen, dass in vielen Bereichen große Lücken bestehen. Die meisten inschriftlichen Zeugnisse – Ehrungen, Mitgliederlisten, Grabinschriften und Weihungen – geben nur einen ganz kleinen Einblick in das Leben einer bestimmten Vereinigung. Die auch in der neutestamentlichen Exe­gese immer wieder herangezogenen Satzungen – die der Iobakchen (IG II 2 1368), des Collegiums von Lanuvium (CIL XIV 2112) oder des Dionysios in Philadelphia (Syll3 985) – sind die großen Ausnahmen, so dass erst die breite Untersuchung möglichst vieler Quellen, die zumeist nur wenige Einzelheiten erkennen lassen, annähernd Schlüsse über die Struktur und Interessen von Vereinigungen ermöglicht.
Einige Kritikpunkte zur Edition seien doch angebracht: Während die Originaltexte auf Lücken und Ergänzungen verweisen, wird dies in den Übersetzungen nicht gemacht. Warum im Index zu den Inschriften und Papyri nicht auch die eigentlich behandelten aufgenommen sind, ist unverständlich, da viele Querverbindungen so nur recht mühsam rekonstruierbar sind. Auch die Mischung von griechischen, lateinischen und englischen Begriffen ist wenig hilfreich, weil nie sicher ist, ob man tatsächlich alle Belege gefunden hat. Zudem fehlt unter den Indizes ein Ortsverzeichnis.
Mit dem ebenfalls hier anzuzeigenden »Sourcebook« (AGRW) legen die Herausgeber Ascough, Harland und Kloppenborg, die durch Monographien und Aufsätze als Experten des griechisch-römischen Vereinswesens ausgewiesen sind, eine für den Hausgebrauch ausgesprochen nützliche Quellensammlung vor, die in geographischer Zusammenstellung Inschriften und Papyri aus dem gesamten Mittelmeerraum versammelt (einige illustriert durch Abbildungen), dazu noch Beschreibungen und Fotos von Vereinshäusern, Erwähnungen von Vereinigungen in literarischen Zeugnissen, insgesamt 450 zumeist kürzere Texte. Dazu findet sich eine fast 100-seitige Bibliographie mit Kurzbeschreibungen englischer, deutscher, italienischer und französischer Forschungsbeiträge. Die einzelnen Belege werden mit Ort, Datierung, Editionen und Beschreibung vorgelegt, im Zentrum steht aber die englische Übersetzung. Konkordanz (leider mit einigen Fehlern) und Index schließen die Sammlung ab. Wer sich jemals mit dem antiken Vereinswesen beschäftigt hat, kann abschätzen, welche enorme Leistung hinter diesem Quellenband steckt. Begleitet wird diese Sammlung überdies, und das sei an dieser Stelle besonders gewürdigt, durch eine Website, die P. A. Harland betreut (unter www. philipharland.com/greco-roman-associations). Dort lassen sich über das Buch hinaus die originalsprachlichen Texte nachlesen. Zudem werden dort auch (u. a. von Lesern vorgeschlagene) Korrekturen vorgenommen, sowohl in der Auswahl als auch in der Übersetzung. Deutlicher als bei GRA ist in AGRW das Interesse der neutestamentlichen Exegeten zu bemerken, wie auch in der knappen Einleitung eingestanden wird. Für jeden, der sich mit der Ge­schichte des frühen Christentums beschäftigt, gehört diese Sammlung denn auch tatsächlich zu den unverzichtbaren Instrumenten, um einen raschen Überblick über Gruppenbildung und Gemeinschaftsleben in der Antike zu gewinnen.
Es gibt trotz der Bewunderung für dieses Buch auch hier manches zu kritisieren: Die Übersetzungen zeigen erneut Lücken oder Ergänzungen nicht an, dazu muss man die Editionen bzw. die Website kontrollieren. Außerdem stimmen die Übersetzungen oft nicht mit jenen in GRA überein. Die Auswahl hätte für den lateinischen Westen etwas großzügiger sein können, Makedonien hingegen ist zu breit vertreten. Manche Gebäude werden mit Fotos illustriert, Pläne, die eigentlich hilfreicher wären, fehlen.
Beide Bände erschließen auf unterschiedliche Weise einen Schatz an Dokumenten, der in der Forschung, gerade auch zum Neuen Testament und den Anfängen christlicher Gemeindebildung bis ins 3./4. Jh., bisher weitgehend einigen Experten und Expertinnen vorbehalten blieb. Es besteht sicherlich auch die Gefahr, gerade durch das »Sourcebook«, dass diese Dokumente nun aus ihrem historischen Zusammenhang gerissen und als Illustrationsbeispiele missbraucht werden. Doch die Herausgeber eröffnen damit auch Nichtfachleuten den Blick auf jene Form von Gemeinschaft in der griechisch-römischen Antike, die jüdischen Synagogen und frühchristlichen Gemeinden am nächsten stand. Wer in einer Polis des mediterranen Raums eine Gruppe bildete, in deren Zentrum die Verehrung einer Gottheit und ein gemeinsames Mahl standen, wurde selbstverständlich von griechisch-römischen Vereinigungen geprägt und von außen als Vereinigung verstanden. Die Differenzen von Synagogen und Christengemeinden zu diesen Vereinigungen bewegen sich, und diese Diversität lässt sich anhand der beiden Bände ausgezeichnet erkennen, im Rahmen der Differenzen aller Vereinigungen untereinander. Deren Strukturen und Interessen, Probleme und Lösungsansätze durch diese Quellensammlungen nachlesen zu können, eröffnet eine Reihe von Möglichkeiten, neue Fragen zur Geschichte des frühen Christentums zu stellen und möglicherweise auch irritierende Antworten zu bekommen.